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SonnabeuS 12. September 1�25

Unterhaltung unö

öeilage des vorwärts

Der?gel. Von Lola Landau .

Auf einem verwachsenen Waldpfad, in der Stunde der Dämmerung, während longsam die Dunkelheit an den Stämmen hochfließt, starren mich plötzlich zwei scheue unheimlich lebendige Augen an. Jetzt hebt sich ein spitzes schüchternes Tiergesicht aus einem braungrünen Knäuel, der sich wie ein Haufen Kiefernstreu über den Waldbodcn hochwölbt. Wirft die Erde selber zuckend ein Stück Leben aus sich heraus? Wer bist du, verhextes Waldgespenst mit einem Borkenleib und verwunschenen Menschenaugen?-- Ein Igel ist es, wahrhaftig nur ein Igel! Du kleine witzige Gestalt der Schulfabel, die hundertmal durch meine Kinderträume mit dem Hasen um die Wette lief und ihn durch die List seiner klugen Frau Igel besiegte! Aber leibhaftig sah ich dich niemals. Zum erstenmal begegnen wir uns heute in der wilden und phantastischen Wirtlich- keit. Noch immer hält uns ein magischer Schrecken voreinander fest- gewurzelt. Fast zwei Minuten lang sehen wir uns beide aus reg- losen offenen Augen an, wir wunderlichen Geschöpfe, die abends aus unseren Höhlen gekrochen sind, um durch die Dämmerung geheime Spürwege zu gehen. Wer bist du? Bist du gut oder böse?' fragen seine Nachtougen. Und ich frage zurück:Bist du gut oder böse? Dein Gesicht. ist gut. Es hat«ine so weise Sanftmut mit seinen verschleierten schwarzen Augen, die fast traurig sind, der friedlichen kleinen Nase und dem zarten verschüchterten Kinn. Aber dein Körper straft dein Gesicht Lügen. Dein Leib ist garstig, er ist böse, ein heimtückischer Dämon mit versteckten Waffen.' Meine Hände fahren hoch in einer winzigen Bewegung. Da zuckt der Igel, wirft sich herum und flieht. Ohne Beine mit seinen unsichtbaren Stummelfüßen raschelt er wie aufgescheuchtes Laub davon. Ich haste ihm nach: schon ist er verschwunden, mit dein Waldboden vermischt, aus dem er so plötzlich hochquoll. Enttäuscht wende ich mich, da tritt mein Fuß schmerzhaft in ein spitzes Stachel- gebüsch. Mit einem Wchlaut erkenne ich den Igel, der sich zu einer drohenden Kugel zusammengerollt hat, aus der nach allen Seiten lange spitze Speere herausstarren. Leise berühre ich mit dem Finger die Stacheln, noch fester, noch runder schließt sich die lebend« Kugel. Vergeblich suche ich da» Neine milde Gesicht, das in der Höhle des Bauches so tief verkrochen ist, als hätte es der Mutterschoß selber zurückgeschluckt. Aber ist denn dieses überhaupt noch ein Tier, dieses branngrüne Gewächs? Jetzt sieht es aus wie der Riesenkopf einer Kaktee, die ohne Blutwärme reglos auf dem Boden lagert. Mit geheimem Schauder erkenne ich die tiefe Verzauberung von Pflanze und Tier, und während die Nadeln junger Kiefernzweige, Farnkraut und das seidige Laub von Buchenblöttern mein Kleid streifen, fürchte ich, jeden Augenblick könnten sich die Blätter tierisch auftollen und mit gefräßigen Augen zu leben und zu kriechen beginnen. Und gleich- zeitig spüre ich. daß meine Fingerspitzen steif werden wie die Nadeln der Kiefer. Der dunkelnd« Wald wirst die Lasios seiner Zweige nach mir au». Auch ich will mich in meine Höhle verkriechen. Sanft nehm« ich den Igel auf, bette ihn in meinen Strohhut und trage ihn in dieser sonderbaren Hängematte heim, ein willenlose» Spielzeug für mein« grausame Neugier. Der Wold ist ganz finster geworden. Schnell schneite ich vorwärts,«ine rasende Fahrt für das Wesen in meinem Hut«, das sich mit reißender Schnelligkeit durch die Lüfte in ein unbekannte» Entsetzen getragen fühlt. Jedoch kein Zeichen de» Lebens rührt sich hinter den Stacheln. Welche Gewalt hat diese kleine schüchterne Seele, daß sie täuschend den Tod selber nachahmt, im Mimikri de» letzten Erloschensein, da» kaum dem indischen Fakir nach lebenslanger Mühe gelingt. Zwar übt sich auch der Igel, wenn er im Winterschlaf Monat« ohne Nahrung und Atem- bauch mit angeklebter Zunge am Gaumen im selbstgeschaufelten Laubgrabe ruht. Kleiner Meister in der Uebung des Todes, er hat«in« Macht, vor der Menschen und Tiere unterliegen. Sein Gesicht liegt wie ein Herz eingekapselt im Leibe. Ich möchte ihn streicheln: aber die Stacheln ritzen die Finger, ein Blutstropfen fprinqt heraus. Daheim schließ« ich den Igel für die Nacht im Badezimmer ein, um ihm am nächsten Tage die Freiheit wiederzugeben. Aber als ich am Morgen die Kammer betrete, suche ich den stachligen Freund vergeblich in allen Winkeln. Endlich entdeckte ich ihn verkrochen in einem hohen schmalen Waschkrug, in den er sich vergeblich hinein- zwängte, um einen Ersatz für seine nächtliche Höhl« zu finden. Reuevoll setze ich ihn aus freiem Felde aus. Allmählich rollt er sich auf, die Kugel streckt sich, langsam und vorsichtig lugt die spitze Schnauze hervor, die Nase schnuppert nach ollen Seiten. Die erstarrte Pflanz« wandelt sich zurück zum Tier und zum Menschen- gesicht mit dunklen anklagenden Augen. Und schon entgleitet er ganz, wirft sich voran in das Buschwerk, in sein Tiersein gebannt, bis mir vielleicht eines Tages sein« scheue in sich verkrochene sanft- mutige Seele in einer neuen Verwandlung begegnet. feuriges Kreuz" unöRosenkreuzer ". Das Gemisch von phantastischer Mystik, grober Sinnlichkeit. mittelalterlichem Zauberspuk, von verbrecherrischer Roheit und hün- dischem Gehorsam, das sich in den Satzungen des soeben ausgeho- benen Ordens vomFeurigen Kreuz' ausdrückt, ist nicht neu. Die Zeiten der Reaktion liebten stets die Nachbarschaft von Mystizismus und Blut: sie wußten immer, welche Mittel am geeignetsten seien, junge unerfahrene Leute für ihre dunklen Zwecke zu gewinnen. Eine überraschende Aehnlichkeit besteht zwischen der jetzt von der Polizei entdeckten völkischen Geheimorganisotion und dem Orden der.Rosenkreuzer', der zur Zeit Friedrich Wilhelms II sein Un- wesen trieb. Auf die Freigeistere, des verstorbenen Königs Fried- rich, den dieselben Völkischen zum Abgott erheben, die jetzt das unfreiefte Mittelalter nachäffen, folgte bekanntlich die schwüle fröm- mclnd« Mystik seines Neffen. Was früher gefördert worden war. Wissenschaft und Philosophie, wurde nun unter dem famosen Kultus- mini'ter Wällner und dem Geisterbcfchworer Bifchosswerder in Acht und Bann getan oder in spanische Stiefel gezwängt. Dem Freimaurerorden der.Illuminaten' arbeitet« unterirdisch und mit den verwerflichsten Mitteln der katholische Orden der .Rosenkreuzer ' entgegen. Wöllner selbst verfaßt- unter dem Orden»- nameu.Thrysophiron' für den Orden eine Schrift, worin es u. a. heißt:.Ich steh,, am äußersten Ende flammender Morgensterne, und dos unenneßlich« Gebiet der Geister nimmt mich auf. Zürnet nicht, ihr erhabenen Meister der Kunst, die ihr am Ruder der Well sitzt (ihr unbekannte Obern) wenn ein freier unbekannter Schüler es wagt, sein blödes, aber sehnsuchtsvolles Auge auf euch zu richten. Zürnet nicht, wenn er fein bebendes Knie vor euren Geheimnissen beugt und anbetend aus dunkler Ferne den frommen Wunsch tut: ach. daß es euch gefiele, gleich jenem Engel seinen»mwölktsn Der- stand zu erleuchten, daß er zur Ehre Gottes begreifen möge, wie all- verborgene Wirkung von der Einheit ausflieht und wie die Drciheit das Siegel der-_______________

Der Schwur auf das Kreuz.

Jxaribtn&tor

wir wollen fein ei« einzig pack von Schiebern, Vir wollen frech fein, wie wir immer waren, fin jeöer Not verüiene» unü Gefahr; Nach Meuchelmorü uns unfrer 5reiheit brüsten Unü uns nur fürchten vor üer Macht üer Jeme.

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«Der Unsinn und mittelalterlich« Spuk dieser Dinge wurde von den geistesschwachen Novizen, die nur blinde Werkzeuge in den Händen der sehr zielbewußten.Obern' waren, ebenso ernst ge- nommen, wie das auch heute noch geschieht. Um aus ihre leicht er- regte Phamasie zu wirken, wurde auch bei den Rosenkreuzern der tollste Hokuspokus oerübt. So heißt es in einem zeitgenössischen Bericht:.Wenn man einem Mann den erforderlichen Eifer ein- flöht, ihn zum Glauben geschickt macht, von einer Täuschung und einer Berspcechung zur anderen, alle Grade hindurch so weit geführt hat, daß er Worte für Sachen, Einbildungen für Wirklichkeiten, Körper für Geister annimmt: oder vielmehr, wenn man versichert ist, daß ein Mensch alle die traurigen Eigenschaften hat, die hier er- forderlich sind, so macht man ihm den Antrag, sich dem Orden zu widmen und seine Entschließung, welche man schon als wankend kennt, durch eidliche Zusagen zu bestätigen.' Der Novize wird in einem sehr großen Saal durch allerlei schaurige Gänge geführt und sieht sich von roten Flammen und schauerlichen Schlangenzeichen um- geben..Drei düstere Lampen werfen von Zeit zu Zeit einen fast verlöschenden Schein in diesem traurigen Äreiq umher, so daß man die Trümmer der mit Trauerflor umhüllten Leichname kaum unter- scheiden kann: in der� Mitte bildet ein Hausen Gerippe eine Art von Altar: auf der Seite stehen Bücher, deren einige Drohungen gegen die Meineidigen, andere aber die traurige Geschichte von der Rache des betrogenen Geistes enthalten.' So geht es weiter mit Teufelsspuk, brennenden Scheiterhaufen, blutbefleckten Degen, albernen Amuletten, Geheul und Gestank, bis die Seele des Auf- zunehmenden völlig ermattet ist. Vermummte Gestalten verfallen in Zuckungen, verborgene Stimmen ertönen. Zum Schluß durch- dringt eine zitternde Stimme das Gewölbe und spricht fostzendcn schrecklichen Eidschwur:.Im Namen des gekreuzigten Sohnes, schwöre, die fleischlichen Bande zu zerreißen, die dich noch an Dater und Mutter, Brüder, Schwestern, Gattin, Anverwandte, Freunde, Könige, Obrigkeiten, Wohltäter, kurz an irgend ein Wesen binden, dem du Treue, Gehorsam. Dankbarkeit oder Dienste angelobt haben magst.' Man sieht, hier herrscht dieselbe Disziplin im Dienste des Ber - brechen? wie bei den völkischen Geheimverbindungen! Ja, sogar der Hinweis auf die Mittel, einen Feind zu erledigen, fehlt in jener Beschreibung nicht. So wird die Aqua Tofana, jenes berüchtigte Gijt, womit damals in Italien viele Morde verübt worden sind, als ein Werkzeug empfohlen,die Welt durch den Tod oder durch gänzliche Abstumpfung derjenigen, welche die Wahrheit hcrabwür- digen oder sie unfern Händen zu entreißen suchen, zu befreien.' Die Zeiten ändern sich, aber die Wafsen, deren sich die Feinde des Fortschritts und des Dolkswohls bedienen, find dieselben geblieben. Ergebnisse öer Strömungsforsihung. Es ist eine feit langem und oft gehörte Klage, daß die Wissen- schaft sich zu sehr spezialisiere, paß der Forscher aus einem Sonder- gebiete die großen Zusammenhäng« der Wissenschaften aus dem Auge oerliere und stch in ein letzten Endes unfruchtbares Spezialistentum vergrabe. Vieles ist daran' wahr, wie sehr aber eine Spezialisierung fruchtbar sein kann, lehrt ein gerade für den gegenwärtigen Augen- blick interessanter Fall, der de? Instituts für Strömung s- forfchung in Göttingen . Ganz gewiß faim man sich kein engeres Sondergebiet denken als die Lehre von den Strömungen, ein kleiner?lurschnttt aus der Hydrodynamik oder Aerodynamik. Dieses..Oder' ist aber schon kennzeichnend, es lehrt auch den großen Umfang dieses Sandergebictc-, dos mit den verschiedensten Zweigen der Technik in Berührung steht. Deren jüngster Zweig, die Luft- jchi�ahrt, wäre ohne die Strömungslehre undenkbar, chr älterer

Bruder, die Seeschiffahrt, fängt an, davon befruchtet zu werden. Noch Graf Zeppelin wollte bei aller Genialität, die ihn als kon- ftruierenden Ingenieur auszeichnete, der Strömungslehre keinen Einfluß auf feine Bauten einräumen, seine Nachfolger konnten sich ihrer Bedeutung nicht mehr entziehen. Die Strömungen in Gasen und Flüssigkeiten verlaufen nach gleichen Gesetzen, maßgebend sind die Eigenschaften der Flüssigkeit, wobei auch Gase als Flüssigkeiten gelten. Diele wesentlichen Eigen- schasten sind Zähigkeit(auch innere Reibung genannt), Zusammen- drückbarkeit und Dichte oder spezifisches Gewicht. Iede� Flüssigkeit läßt sich charakterisieren durch eine Zahl, die diese drei Eigenschaften und noch zwei wichtige Größen zusammenfaßt, man nennt sie zu Ehren des Forschers, der diese Wissenschast begründet hat, die R c y- n o l d s ch e Zahl. Flüssigkeiten, denen die gleiche Reynoldsche Zahl zukommt, verhalten sich unter den gleichen Verhältnissen auch völlig gleich, während anscheinend ganz gleichartige Flüssigkeiten, die aber durch verschiedene Reynoldsche Zahlen gekennzeichnet sind, ganz vcr- schieden? Ergebnisse liefern. Man untersucht nun in der Weise, daß möglichst einfache Körper wie Kugel, Zylinder, ebene Platte oder dergl. in die zu untersuchende Flüssigkeit gebracht und darin bewegt werden, es bilden sich dann Stromlinien aus, die man verfolgen kann, woraus dann die entsprechenden Schlüsse gezogen iverden. Das Verhalten ist verschieden, je nach?>er Größe der Reynoldschcn Zahl. Es sind schon eine Menge wichtige Tatsachen bekannt ge- worden, die Konstruktionen der Flugzeuge und Luftschiffe haben die qewonnencn Erkenntnisse schon vielfach ausgenutzt. Auch die Natur- Wissenschaft kann davast Nutzen ziehen, keineswegs allein die Technik, Dem Spezialforscher können solche Untersuchungen wichtige Aus- schlllsse geben. Man sieht leicht, welche umfassenden Ausgaben ein elches, ganz speziellen Untersuckungen dienendes Institut lmbcn kann, und der Schluß liegt nahe, daß die Spezialisierung der Wissen- fchaft durchaus nicht ein Uebel zu fein braucht. Dipl. Ing. Dr. H. Heine in Helgoland . Genosse Karl König schreibt uns: Die Plauderei überHelgoland ' in der Beilage veranlaßt mich. darauf hinzuweisen, daß auch ein anderer bedeutender deutscher Dichter, heinrichheine. gern auf Helgoland weilte. Er wohnte in nächster Nähe von dem Häuschen, das Hoffmann von Fallers- leben innc hatte. Ich war feit 1899 wiederholt auf Helgoland , habe die beidenKate n' stets besucht und sie 1904 auch vielen Partei- genossen gezeigt, die vom Bremer Parteitag aus Helgoland besuchten: doch 1908 war bereits Heines Herbergsstätte der Spitzhacke zum Opfer gefallen, als Kasernen und sonstige fiskalische Gebäude auch in dieser Ecke(nahe dem Friedhof und der Kirche) errichtet wurden. Eine Tafel am Zaun eines Gärtchens, durch Strauchwerk obendrein ziemlich versteckt, ist erhatten geblieben. Sie trägt die Inschrift:3" diesem Hause wohnte Heinrich Heine und dichtete hierselbst unter anderem seine Nordseelieder.' Vom Häuschen selbst ist sonst keine Spur mehr. Ich schließe mich dem Wunsche an. daß es wenigstens gelingen möge, das noch vorhandene Hnifmann-Häuschen in Nationalbefitz zu bringen und zu erhalten. Was die schwarz- rotgoldenen Fahnen anlangt, so verspüren die Helgoländer selbst keine Neigung,ihr Geschäft zu schädigen'. Eine Gruppe des Reichsbanners', zurzeit aus zirka 40 Mitgliedern bestehend, war noch nicht imstande, bei der Gemeindebehörde oder der Badedirektion durchzusetzen, daß auch eine neue Reichsflagge angeschafft wird. Die Wahrheit. Ein bekannter Publizist wollte seine sämtlichen Schriften in einen Band binden lassen. Er fragte den Buchbinder: Aber werden es für einen Band nicht zu viele sein?' I wo doch,' beruhigte ihn der Buchbinder,wenn ich sie aus der Presse bekomme, werden Sic staunen, wie flach sie find!'_