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Mr. 136.

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Vorwärts

12. Jahrg.

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Berliner Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands .

Redaktion: SW. 19, Benth- Straße 2.

M

Freitag, den 14. Juni 1895.

Naumann'schen Richtung proklamirt.

Expedition: SW. 19, Benth- Straße 3.

Judenfrage: 1. Ausschluß der Juden aus allen obrigkeitlichen Advokatur nach dem Bevölkerungsverhältniß. 3. Verhinderung des Ueberwucherns der Juden an den chriftlichen höheren Knaben­und Mädchenschulen und der jüdischen Lehrkräfte an den Uni­versitäten. 4. Verbot der Judeneinwanderung. VII. In der Frauenfrage: 1. Ausdehnung der weiblichen Berufsarten. 2. Ver­

Die Chriftlich- Sozialen. wurde als Zweck des Kongresses die Trennung von der die Kolonialpolitik: Energiſche Kolonialpolitik. VI. In der Unsere Leser werden erstaunt sein über diese Leitartikel- Dann wurde das alte Programm revidirt und er- Aemtern. 2. Zulassung der Juden zu anderen Aemtern und zur Ueberschrift, sie werden meinen, wir wollen nun in der gänzt, so daß es jetzt folgende Forderungen aufstellt: sauren Gurkenzeit historische Abhandlungen statt politische Einzelforderungen: I. An die Staatspolitit: 1. Eine starke Betrachtungen veröffentlichen. Der Einwand hat einen Monarchie als Trägerin der sozialen Reform im Reich wie in Schein des Rechts, ist es doch lange schon her, daß die mit den Einzelstaaten. 2. Volle Selbständigkeit der Kirche. Leitung so vielem Tamtam ins Leben gerufene Berliner Bewegung des Religionsunterrichtes durch die Kirche. 3. Konfessionalität bot der Fabritarbeit verheiratheter Frauen. und die dazu gehörige christlich soziale Partei eingeschlafen der Schule. Gefeßliche Zulassung freier Schulen unter staatlicher Das Programm ist im wesentlichen das alte, den ist. Und noch weit länger ist es her, daß man diese Grün- Aufsicht. Ausreichende Staatsbeihilfe zum Besuch höherer Schulen Bourgeois unangenehm ins Ohr schallende Ausdrücke, wie dungen des damaligen Hofpredigers Stöcker zur Verfür begabte Kinder der unbemittelten Stände. Möglichste Durch die Forderung der Normalarbeitstages wurden durch andere führung einer einheitlichen Volkserziehung in den ersten Schuljahren. nichtung der Sozialdemokratie ernst nimmt. Die Sozial- 4. Gefeßliche Neuordnung des Verhältnisses zwischen Kirche und ersetzt, aber im wesentlichen ist nichts geändert. Dies hätte auch demokratie ist herrlich gediehen seit dem Geburtstage der Schule. Fachliche Schulaufsicht. 5. Einrichtung der Staats- wahrlich der Mühe nicht gelohnt, denn auch mit einem neuen christlich sozialen Partei, diese Partei selbst ist wieder zu betriebe zu arbeiterfreundlichen Musterbetrieben. 6. Verstaat- Programme hätte man keinen Hund vom Ofen gelockt. einem Scheinwesen zusammengeschrumpft. Was eine Partei lichung geeigneter Berufszweige und Betriebe da, wo es das Man weiß, daß in der christlich- sozialen Partei das Pro­charakterisirt, Selbständigkeit und strenge Scheidung von allen Interesse des Gemeinwohls erfordert. 7. Verminderung der gramm nichts, Herr Stöcker alles ist. Und wer Herr anderen Parteien, das war die chriftlich- soziale Partei Prozeß- und Anwaltskosten und dadurch Erleichterung der Prozeß- Stöcker ist, das weiß nun in Deutschland jedes politische niemals, denn ihr Gründer und einziger Führer führung für Aermere. 8. Reichsgesetzliche Regelung des Vereins- Kind. Herr Stöcker ist ein deutsch - konservativer Partei­Hofprediger Stöcker blieb in der konservativen Partei als und Versammlungsrechts. II. An die Wirthschafts- und Gewerbepolitif: 1. Staatliche mann, ein Helfershelfer der Agrarier, ein Mann, der bei allem Abgeordneter, wich dort nie aus Reih' und Glied, ver- Maßregeln zur Erhaltung eines gefunden und zur Einschränkung Hasse gegen die Jesuiten , ebensowenig wählerisch in der zichtete also auf jede selbständige politische Bethäti- eines übergroßen Grundbesizes, Herstellung eines gerechteren Ver- Auswahl seiner Mittel ist, ein Mann, wie diese, dem die Freund­gung. Sein Programm, das einige Forderungen zu hältnisses in der Besteuerung der Geschäfte, der Mobilien und schaft eines Herrn von werthvoller ist, als das Wohlbefinden gunsten der Arbeiter enthielt, blieb ein werthloses Immobilien. 2. Reform des Hypothekenwesens im ländlichen tausender Landarbeiter. Deshalb hütet er sich auch, eine Stück Makulatur, er hat niemals den Finger gerührt, Grundbesitz. Festsetzung der Verschuldungsgrenze. Ansässig so selbstverständliche Forderung wie die Aufhebung um etwas zu dessen Verwirklichung zu thun und da die machung der ländlichen Arbeiter. Innere Kolonisation. 3. Obli- der Gesindeordnung seinem Programme einzuverleiben. Schimpfereien und Verleumdungen, mit denen er die sozial- gatorische Fachgenossenschaften, bez. Innungen gemäß dem Be- Ueberhaupt ist von den Landarbeitern nur insoweit demokratische Partei bedrohte, keinen Arbeiter befriedigen dürfniß des Handwerks, Befähigungsnachweis, Errichtung von die Rede, als es sich um die Interessen des Großgrund= Handwerkerkammern. Sicherung der Bauhandwerker in ihren konnten, blieb, wie das Leiborgan des Herrn Stöcker so schön Forderungen, Einschränkung der Konkurrenz der Gefängniß- besitzes dreht, er will die Landarbeiter seßhaft machen d. h. sagt, diechriftlich- soziale Arbeiterpartei ohne Arbeiter und industrie. 4. Beseitigung des unlauteren Wettbewerbes. 5. Reihnen die Freizügigkeit einschränken oder ganz nehmen, sie wurde daher eine christlich- soziale Partei. Aber auch als solche form der Börse. Verbot des Differenzgeschäftes, besonders in somit des einzigen Mittels berauben, das ihnen bei der fonnte sie nicht erstarken, sie blieb ein Anhängsel der kou- Produkten. heutigen Rechtslage zur Besserung ihrer ökonomischen Lage servativen Partei und wurde von den antisemitischen III. An die Sozialpolitik: 1. Staatlich anerkannte Berufs übrig bleibt. Von den Forderungen der reaktionären Hand­Richtungen so überflügelt, daß der Name der christlich- vereine als Uebergang zu obligatorischen Genossenschaften. werker ist in dem Programme auch nicht eine vergessen, sozialen Partei vollkommen in Vergessenheit gerieth. Staatliche Förderung genossenschaftlicher Produktion. Das gleiche gilt von den antisemitischen Forderungen. Von 3. Festseßung Der Arbeitszeit nach Fachgenossenschaften. Plöglich taucht der unrühmliche Name wieder auf. 4. Schuß der Arbeiterbevölkerung gegen gefundheitswidrige Zu den indirekten Steuern wird kein Wort erwähnt, Die Chriftlich- Sozialen haben nämlich plöglich einen Partei- stände in den Arbeitslokalen. 5. Zweckmäßigere und gerechtere endlich soll die Schule ganz von der Kirche unterjocht 3- endlich tag abgehalten, und zwar im Anschlusse an den evangelisch- Regelung der bestehenden Arbeiterversicherung und thunlichste werden. Als Ornament werden dann noch einige sozial­fozialen Kongreß. Herr Stöcker spielt also wieder auf ver- Grgreifung von Maßregeln gegen die Folgen unverschuldeter politische Forderungen angeführt. Diesen Bedeutung schiedenen Registern. Unter den Evangelisch- Sozialen Arbeitslosigkeit. 6. Unentgeltlicher Arbeitsnachweis. 7. Aus beizumessen, hieße Herrn Stöcker zumuthen, daß er treten kirchliche und sozialpolitische Richtungen auf, dehnung des Arbeiterschutzes auf die Hausindustrie. 8. Thun heute ehrlicher ist, wie vor vier Jahren, 100 er die sich heute, ihrer eigenen Meinung entäußernd, lichste Durchführung der 36 stündigen Arbeitsruhe. 9. Aus- programmgemäß die gleichen Forderungen vertreten sollte, aber noch vor Stöcker beugen, ihm aber nicht trauen, dehnung der Sonntagsruhe auf die Angestellten des Verkehrs- trotz der entgegengesetzten Haltung der konservativen Partei und blos auf die Erstarkung des ihnen folgenden Trupplein inspektoren. 11. Reichswohnungsamt. Staatliche Regelung und ruhig in derselben verblieb. und Schankgewerbes. 10. Weibliche Assistenten der Fabrik­warten, um die Fahne der Rebellion zu erheben. Diesen Beaufsichtigung der Wohnungsverhältnisse. Auf die Arbeiter hat Herr Stöcker, wie der refignirte droht Stöcker mit der Galvanisirung seiner christlich- IV. An die Steuerpolitit: 1. Weiterentwickelung der pro Leitartikel der heutigen Numer des Volt" beweist, sozialen Arbeiterpartei, der freilich das Christenthum gressiven Einkommensteuer unter Berücksichtigung des Familien- vernünftigerweise verzichtet, er will nur seine evangelisch­ebenso fehlt, wie die Arbeiter wie die Arbeiter ihr fehlen. Offen standes. 2. Progressive Erbschaftssteuer. 3. Luxussteuer. V. 2n sozialen Schafe vor Wegen, die von der konservativen

Feuilleton.

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2.

zu sein, daß er den Gruß der beiden Fremden un erwidert ließ.

Sie haben eine Angehörige meiner Familie beleidigt, ( Nachdruck verboten.] Herr Lieutenant," begann Hans Hartung mit ruhigem Ernst. " Ich ... eine Angehörige Ihrer Familie?" entgegnete Arel mit einer Mischung von Spott und Befremden. Bollkommen unbekannt- wie heißt die junge Dame? Denn hoffentlich ist sie doch jung,!"

Berliner Märztage.

Eine geschichtliche Erzählung von Michel Deutsch. Rebellion! Ueberall Rebellion!" brummte er in den Bart. Wohin das noch führen soll, möcht' ich gar zu gern wiffen." Bruno Volkmuth und Hans Hartung hatten sich in­zwischen dem Hause genähert, in dem Axel von Pilgram wohnte. Unterwegs machte Bruno Miene, in einen Laden einzutreten, in dessen Schaufenster Gegenstände des Sports, Montirungsstücke, Waffen u. s. w. ausgestellt waren.

"

Was wollen Sie denn da drinnen?" fragte Hans neugierig seinen Begleiter.

Eine Reitpeitsche will ich mir kaufen", versetzte Bruno. Wir müssen doch mit diesem Herrn in einer Sprache sprechen, die ihm verständlich ist, die er selbst zu sprechen gewohnt ist."

Hans mußte lachen.

" Die Dame ist noch sehr jung und heißt Dora Wernicke," versette Hans.

"

" Ha, ha, ha, köstlich! Hören Sie, Graf?" wandte sich Ayel mit höhnischem Grinsen an den Lieutenant, der indessen vorzog, seinen Posten am Fenster nicht zu verlassen. Also Dorchen.... wie war's doch, Wernicke?... ist Ihre Verwandte! Ja, die hab' ich allerdings beleidigt, wenn Sie's so nennen wollen..."

Und Sie beleidigen sie von neuem, und mich dazu, indem Sie über die mir sehr ernste Angelegenheit in einer solchen Weise reden!" rief Hans mit erhobener Stimme, in­dem er Axel fest ins Auge faßte.

" Ja, was wollen Sie denn nun?" fragte der Liente nant in etwas herabgestimmtem Tone." Da, sehen Sie, wie diese junge Danie sich zu wehren weiß! Ist das noch nicht genug?"

" Nun, für alle Fälle, schaden kann's ja nicht", sagte er, obschon ich im Grunde genommen mehr für die Waffen des Geistes bin, als für die brutale Gewalt." Er hielt dem Buchdrucker die mit blutigem Tuche um Waffen des Geistes!" entgegnete Bruno spöttisch. wundene Hand hin. " Eh Sie Ihr Geistesschwert aus der Echeide gezogen haben," Das hat sie gethan in der Abwehr Ihres Angriffs hat dieser adelige Lump uns alle beide die Treppe hinunter- für die Wiederherstellung ihrer Ehre ist damit noch nichts geworfen. geschehen."

-

Nachdem der Einkauf besorgt war, stiegen sie zu" Ich soll doch diese... diese Ladenmamsell nicht etwa Pilgram's Wohnung empor und zogen die Klingel. Arel noch um Verzeihung bitten?"

"

Ich sehe es, daß ich nicht im gräflich Wildstein 'schen Hirschpark bin", versetzte Haus mit einer Anspielung auf ihre einstige Begegnung. Agel erbleichte, doch suchte er sich gewaltsam zu be­Herrschen. Sie werden sich doch nicht etwa wegen Ihrer... Dame mit mir schlagen wollen?" fragte er hochmüthig. " Ich werde jedenfalls nicht eher ruhen, bis ich die Genugthung für sie erlangt habe, die sie zu beanspruchen hat."

" Frechheit... infames, unverschämtes Pack!" zischte Axel wüthend hervor. Er suchte die Thür zu gewinnen, neben der an einem Kleiderrechen sein Degen sammt dem­jenigen des Grafen hing.

Bruno Volkmuth, der bisher den stillen Zeugen der Unterredung gespielt hatte, trat ihm in den Weg.

Und was würden Sie thun, wenn ich mich wegen dieser Dame mit Ihnen schlagen wollte und Ihnen morgen meine Zeugen schickte?" fragte er in seiner raschen, scharfen Weise.

" Sie, Herr Studiosus?" höhute Ayel. Ich würde Ihren Zeugen zur Thür hinauswerfen, wie ich es jetzt sofort mit Ihnen machen werde, wenn Sie nicht von selbst gehen."

Er hatte kaum das letzte Wort gesprochen, als Bruno die bisher verborgen gehaltene Reitpeitsche hervorzog und ein paar wuchtige Hiebe über den glatten aschblonden Scheitel und die grüne Joppe des Lieutenants fausten. In rasender Wuth drängte Axel zur Thür, um seinen Degen zu erreichen, aber die kernige, muskulöse Gestalt des Studenten stand, wie aus Eisen gegossen, vor ihm und wich nicht vom Plate. Immer neue Hiebe pfiffen hageldicht um

war erstaunt, zwei Fremde vor sich zu sehen. Bald jedoch" Das sollen Sie allerdings, und zwar nicht nur die die Ohren des Lieutenants. Er mußte sich schließlich nach hatte er die Demokraten " erkannt, mit denen er bei Rech - junge Dame, sondern auch Ihren Vater, der ein ehren- dem Hintergrunde des Zimmers zurückziehen, wo der edle berg zusammen gewesen war, und ließ die beiden Freunde werther Bürger dieser Stadt ist." mit eisig- kühler Höflichkeit eintreten.

" Was verschafft mir das Vergnügen?" begann er in einem Tone, der deutlich verrieth, in welchem Sinne er das Wort Vergnügen" meinte.

Er hielt es nicht für nothwendig, den beiden Gästen Stühle anzubieten. Graf Schildburg, der es sich bei Arel bequem gemacht hatte und gähnend zum Fenster hinaus­fah, glaubte es seiner aristokratischen Erziehung schuldig!

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Sprößling der Grafen von Schildburg mit vor Schreck ge­Wie, diesen lahmen Invaliden, der sie bisweilen des öffnetem Munde und glozenden Augen dastand und der Abends abholt?" zischte Arel verächtlich, das ist einfach Lektion zusah, die dem Herrn Kameraden von seinem Gegner stark hörten Sie, Graf?" ertheilt wurde. Wenn Sie das nicht wollen, werde ich das Recht der So... das.... zur Abkühlung... Ihrer Liebes­jungen Dame auf andere Weise zu wahren wissen. Sie gluth.." sticß Bruno Volkmuth hervor, indem er Hieb haben sich wie ein Bube benommen!" auf Hieb niedersausen ließ- ,, und wenn Sie mir jetzt Mäßigen Sie sich, Herr!" rief Axel wuthknirschend Ihren Zeugen schicken... so steh' ich... zur Ver Sie sind hier bei mir, dem Lieutenant v. Pilgram!"

"

"

fügung!"