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7. Heilage ües vorwärts

Mittwoch, 23. September 1925

gab«, durch AufNärung dahin zu wirken, daß weite Volkskreise gesetzmäßig« Besserung auf dem Gebiete der Untersuchungshaft wie auf dem des gesamten Haftwesen» erstreben.

Jedem kann es geschehen, daß er sich auf einmal in einer kleinen. oft schmutzigen Zelle sieht, die kaum Platz für ein Eisengestell mit «-trohsack hat und deren einzig« Verbindung mit der Welt der Lebenden das hochangebrachte Gitterfenster ist. ?eöen kann es treffen. Es genügt, daß man einer Verwechslung zum Opfer fällt. Zu- weilen aber kann eine unglückselige Kette von Verhältnissen den stillen Zellenkampf um Freiheit notwendig machen. Aber auch da, wo ein wirklich Schuldiger der Verurteilung entgegenharrt, wollen w i r nur das Menschliche sehen und aus Mitgefühl, nicht aus Neu- gierde, wollen wir wissen, wie es um den Gefangenen aussteht und wie stch seine Seele in dieser kleinen und doch so abgrundtiefen Welt des Neuen zurechtfindet. Vielleicht ist es gut, daß nicht allzuviel aus den Kerkern aller Art zu uns dringt, und daß befreite Ge> fangene nur ungern wieder seelisch in die Enge ihrer Haft zurück- kriechen. Gefangenschaft ist etwas so unsagbar Bitteres, daß sich der Durchschnittsmensch der Freiheit im tiefsten betrofken und erschüttert fühlen mühte, wenn er ihr ganzes Grauen auf sich wirken lassen mühte. Jn der Zelle. Folgen wir dem Gefangenen in seine Zelle. Durchleben wir mit ihm die Einzelhaft. Ilm ihn ist Stille. Er steht außerhalb der Zeit. Zur Stille gesellt sich dir Enge. Sechs Schritt vor wenn es gut geht sechs Schritte zurück ist sein Bewegungsraum. Wie aber haust der Gefangene in dieser atembeklemmenben Enge, wie schlägt er einen Tag tot, der nach den Verordnungen erwürgt werden muß? Zn den ersten Tagen wird bei den meisten Zelleniniaste« die Be­täubung Hast genösse. Der Gefangene sinkt in sich selbst zusammen. er ist nichl fähig, ernstlich über irgend etwas nachzudenken. Diesen Häftlingen aber bleibt nicht der Schrecken der Nächte erspart und es läßt sich kaum ein Schmerz denken, der so wild vom Herzen kommt, als wenn einer nach irgendeinem Traum von Freiheit zum Bewußtsein seiner Gesängnisumgebung erwacht. Viele halten sich tapfer tagsüber aufrecht den Nächten aber unterliegen sie. So schrecklich ist das Erwachen des Gefangenen, daß man zuweilen in schweren Fällen versucht, einem Gefangenen dadurch da» Geständnis zu entreißen, indem man ihn aus dem Schlaf rüttelt. Elnzelhafi. Es darf als sicher hingestellt werden: längere Einzelhaft führt zu seelischer Erkrankung. Schon in den ersten Tagen tritt das lieberwuchern der PhaMasie in Erscheinung. Der Gefangene flüchtet. »m sich ausrecht erhalten zu können, in die Welt des Nichtwirklichen, er ruft den Klang hervor, er bewegt sich zu eigenem Summen in rhythmischen Wendungen, um doch immer wieder niederzusinken und sich dumpfem Schmerz.zu überlassen. In seinem Innern vollzieht sich, geboren aus Notwendigkeit, eine Hinwendung zum übertriebenen Keisiiaen, die vielfach im Religiösen ihren Ausdruck findet. Auf' alle Fülle ist der Mensch, der schuldig oder nicht, längeve Zeit in der Einzelhast der Ilnteifuchung verbracht hat, für lange, lang«

Zeit, wenn nicht für das ganze Leben gesteigerten seelischen Trieb- äußerungen verfallen, deren Eigenart besonders in den Ueberirei- bungen von Empfindungen besteht. Es dürste kaum etwas geben. was für eine Seele so gefährlich werden kann wie Eiozethast. Jeder Arzt müßte beurteilen können, ob und wann diese Gefahr eintritt. Wie viele werden freigesprochen, nachdem sie durch die Untersuchungs- hast mehr als bestraft waven, und niemand kann wieder gut machen, was an Ihnen gesündigt wurde. Dem freieren Volkstum unserer Tage entspricht es, daß wir uns mit allen Gebieten des öffentlichen Lebens beschästigen, auch mit den Erscheinungen, vor denen uns bisher gesellschaftliche wcheu zurückhielt. Die alte Gesellschaft, selbst durch unendliche Schuld gegongen, sieht viele Gefangene von heute als Ernte ihres eigenen Tuns. Sind wir bestrebt, neue, wirkliche Demokratie an Stelle bisherigen Treibens treten zu lasten, so werden wir auch hier für viel Gutes, viel Befreiendes wirken können. » Eine Untersuchungshaft ist nicht dazu da, um Menschen zu zer- brechen, noch ehe der Richter sie verurteilt hat. Es ist unser« Auf-

W/e lange noebf

Zruhherbstliche Menöe. In erleuchteten Geschäften trifft man Vorbereitungen zun Ladenschluß. Leute, die stets im letzten Augenblick erscheinen müssen, drängen sich noch in den Läden. Vor den Fenstern lagert silberne Dämmerung. Die Dinge erscheinen merkwürdig unwirtlich. sie sehen beinahe flächenhaft aus, das Leben verläuft so lautlos wie im Film. Geräusche tönen gedämpft. Die Straßenbahnen sind überfüllt, denn die Kontore haben bereits geschloffen, und In den großen Verkehrsstraßen des Westens eine ununterbrochene Flut von Automobilen. Aber alles entwickest sich weniger geräuschvoll als in den Mittagsstunden. Die Zeit der langen Dämmerung ver- wischt grelle Gegensätze. Die ersten Bogenlampen glühen auf, die Scheinwerfer der Automobile sind wie riesige Leuchtkäfer, sie kämpfen mit dem versiegenden Tageslicht, sie hoben noch keine Strahlkraft. Alles ist in Grau getaucht, die Farben verschwimmen und wirken stumpf, die Gegenstände verlieren ihre harten Umrisse und sehen wie Kulissen aus. über ollem lastet etwas Traumhaftes. Diese Abende sind nervös und sentimental, in ihnen lebt die verschämte Poesie de, Großstadt, eine Romantik, die man sich nicht eingestehen will, sie sind gleichzeitig ermüdend und spannend. Man läßt sich treiben, man fällt vor den Schaufenstern in Träumerei. Es ist die Zeit der Ungebundenheit, der Phantasie, des Spielens mit Wünschen: aber man versinkt nicht in wesenloses Träumen wie in der Klein- stadt oder auf dem Lande, man Ist nicht allein, man fühlt immer wieder, daß man nur ein Teil dieser Riesenmaschine ist, deren Rhythmus die Dämmerung dämpft. Hin und wieder wird bereits ein Wohnungsfenster erleuchtet. Allmählich versinkt das Tageslicht. Die Gegenstände werden nun in dem beherrschenden Schein der Bogenlampen wieder plastisch. Schwarz und Weiß stehen schroff gegeneinander. Die Lichtkegel der Automobile reißen klaffende Lücken in die Dunkelheit, die Geräusche haben ihre alte Stärke wiedergewonnen. Alles ist wirklich ge- worden. Perserteppiche. Teppichschmuggel uuter der diplomaftschen Maske. Ein umfangreicher Strafprozeß wegen unerlaubter Einfuhr von Perserteppichen fand vor dem Schöffengericht Wcdding gegen den türkischen Untertan Achmed Sia Bey statt. Seit langem hatte die Zollbehörde gegen den in Berlin mit seiner Familie ansässigen jetzigen Angeklagten den Verdacht, daß er einen umfangreichen Teppichschmuggel betreibe. Bei einer Haussuchung wurden in seiner Wohnung 3 7 Perserteppiche gefunden. Er selbst war aber abwesend. Während der Durchsuchung der Wohnung hatten die Beamten aber das Glück, daß der Angeklagte gerade aus Wien seiner Frau schrieb, und ihr scine Rückkehr ankündigte. Es wurde darauf das Frachtgut auf dem Anhalter Bahnhof unter Bc- obachtung gestellt, und als die Ehefrau mit einem anderen Türken auf dem Bahnhof erschien, um«inen großen Koffer abzuholen, griff man ein. Es ergab sich die überraschende Tatsache, daß die Frau des Angeklagten im Besitze eines diplomatischen Ausweises war. stach welchem den Behörden empfohlen wurde, dem Inhaber bei der Zollabfertigung die größtmöglichste Er leichterung zu gewähren, ein Ausweis, der nach der Angabe der Be- amten mit Sicherheit die Gewähr bot, daß eine Durchsuchung unter- blieben wäre. Der Kaiser enthielt wiederum einen großen Posten Teppiche, die ollem Anscheine nach ans Wien stammten. Nach der Behauptung des Angeklagten will er die Teppiche als Umzugsgut aui legale Weise aus Konstantinopel nach Verlin übergesüyrt haben, und er behauptete weiter, daß eine solche große Anzahl von Teppichen in einer vornehmen türkischen Wohnung nichts Außergewöhnliches sei. Achmed Sia Bey hatte einst in der Türkei eine große poli­tische Rolle gespielt. Er war Mitglied einer junglürkischen Ver­einigung und seine Frau ist die Tochter eines ehemaligen Groß- vesirs. Die politische Entwicklung in seiner.Heimat nötigte ihn zur Flucht. Er hatte dann in verschiedenen Ländern gelebt und sich schließlich in Deutschland niedergelassen. Er ist auch weiterhin mehr-

Das unbegreifliche Ich. Stj Geschick) teeinerIugend. Roman von Tom Kristcnsen. (Berechtigte llebersetzung aus dem Dänischen von F. E. Vogel.) Eines Tages, als ich nach dem Krankenhaus heraus sollte, kam ich an der Kirche vorbei, und plötzlich siel es mir ein, daß ich ain vergangenen Tage wieder eine meiner Heiligtums- schändungen begangen hatte. Ich bekam es gleich mit der Angst wegen meiner Mutter und schlich mich deshalb in die leere, halbdunkle Kirche, um zwischen den Bänken zu suchen: ober kaum war ich bis zum Altar gekommen, als ich eine schwere Tür hinter mir ins Schloß fallen hörte. Es blieb mir keine Zelt, mich zu verstecken, und ich drehte mich er- schrvcken um. um zu sehen, wer das war. Es war der Prediger, und er kain zu mir hingegangen. Was machst du hier?" fragte er, so daß seine Stimme durch den Raum schallte. Ich sah seine Gestalt im Halbdunkel Ich_ ich sehe mir die Kirche an," stammelte ich. �Die hast du doch schon vorher gesehen." Ja__ ja, das habe ich-- aber nicht allein." Er sah mich mit festem Blick an, denn er glaubte, er könnte mich durchschauen: doch ich wußte, daß er meinen geheimnis- vollen Kamif nicht sehen konnte, und starrte ihm ruhig in die Auaen Er stutzte etwas und dann sagte er: ilu solltest einmal am Abend in den KVJM.*) herüber­kommen, du weißt wohl, wo das ist?" '«Bc» solltest du wirklich. Ich möchte mal mit dir reden. Es wäre mir lieb, wenn du heute abend um 8 Uhr kämst, denn da haben wir eine Zusammenkunft." "Es' gibt Tee und Kuchenbrötchen," sagte er und lächelte. Ich werde schon kommen." Als er gegangen war. duckte ich mich unter dm Bankreihen und fing an zu suchen. Ick kroch auf der Erde herum und fand endlich den Zigarettenstummel. Vorsichtig trug ich ihn heraus, so daß die Äsche mir nicht zwischen den Fingern zer- fiel und Gottes Boden beschmutzte, und werf ihn auf die Straße. Lristlicher Verein Junger Männer.

Darauf machte ich mich pfeifend nach dem Kronkenhaus: meine Mutler hatte trotzdem einen Rückfall bekommen, und ich wurde nicht hereingelassen. Diese Strafe verstand ich nicht, und am Abend ging ich deshalb nicht in den KVJM. Bei meinem nächsten Zusammentreffen mit dem Pre- digcr blickte er mich kalt an. Ich konnte ihm ansehen, daß er mich zum Erröten bringen wollte, und antwortete ihm des- halb mit einem bösen Blick. Die Periode der Verhärtung, die jetzt einsetzte, wurde noch wilder als die frühere. Ich pfiff in der Kirche, und ich wagte sogar, auf den Altar zu gehen und den Leuchter schief zu drehen. Die anderen Jungen lachten: doch ich merkte wohl, daß sie mich deshalb nicht leiden konnten. Erst in den letzten Tagen unmittelbar vor der Kpnfir- mation wurde ich von einem feierlichen Gefühl ergriffen. Ich wurde gleichsam von einem Licht umgeben, das von oben herniederströmte. Ich sprach eifrig mit meiner Mutter darüber, und zu- weilen verstand sie mich und nickte: doch zuweilen starrte sie nur in den langen Spiegel, den sie hartnäckig draußen im Krankenhaus verlangt hatte. Dann hörte sie nichts von dem, was ich sagte. Daheim im Laden ging Samuelsen dagegen mit einem verschmitzten Lächeln umher. Ja. jetzt sollst du also konfirmiert werden." grinste er und stieß mich mit der Schulter an,nun mußt du aber auch recht lautja" sagen. Es ist ein starkes Stück, zu all dem ja sagen zu müssen: aber mach nun deiner Mutter die Freude." Ich blieb Samuelsens Spöttereien gegenüber taub und war ganz besessen von dem strahlenden Glanz, der von meinen Einsegnungssachen ausging, die an einem Riegel vor dem Regal hingen. Es war wie das Futteral für einen kleinen, blitzenden Herrn. Ich träumte, daß ich am Tage nach der Einsegnung auf die Straße gehen und die Jungen rufen hören würde:Kon- firmand. gib einen Schilling!" Dann würde ich die Hände tief in die Hosentaschen senken, eine Hand voll Kupfergeld nehmen und es mitten unter die Jungen werfen, so daß sie sich darum prügeln konnten. Zögernd wandten sich meine Gedanken dann zu der Ein- segnung selbst. Sie schien von übermächtigem Glanz erfüllt. Es mußte ja in dem Augenblick, wo der Prediger die Hand auf meinen Kopf legte, etwas Wunderbares geschehen, dachte

ich. Es mußte eine Leuchtkraft von seiner Hand ausstrahlen, die mir durch den Kopf und weiter durch den ganzen Körper dringen würde. Aber wer sollte mit mir gehen? Sollten die Stühle hinter mir leer stehen, so daß ich ganz verwaist aussah? Samuelsen, Sie müssen mitgehen, hören Sie," bat ich. In die Landeskirche, das fehlte grade noch!" fuhr er mich an. Das war mein täglicher Kampf, und schließlich erregte mich der Gedanke an die leeren Stühle hinter mir so, daß mir die Tränen in die Augen stiegen. Wollen Sie denn, daß ich ganz arm und elternlos aus- sehen soll?" Habe dich doch nicht gleich so! Na. dann muß ich wohl mitgehen und mir die Heulboje anhören." Am Einsegungstage saß ich in einer Reihe mit den ande- ren die Kirche entlang. Auf der anderen Seite saßen die Ein- segnungsmädchen, und ich mußte mir eine Stelle zwischen zwei Mädchenköpfen suchen, um meinen Blick darauf zu richten, damit meine Gedanken nicht in Verwirrung gerieten: aber bald wurde der Blick von einer weihen Haarschleife, bald von einer Locke, einem Hals, einer Schulter abgelenkt: und mit einem Satz mußten meine Augen schließlich über ein strahlend weißes Mädchen springen. Besser, ich starrte auf den Boden. Meine Sachen saßen steif und neu an mir. Der Kopf hing über einem scharfen Kragen. Auf meinem Schoß mußte ich mit meiner Mütze, meinem neuen Gesangbuch und meinen weißen Handschuhen herummanövrieren, um sie nicht zu ver­lieren. Hinter mir saß Samuelsen: doch ich drehte mich nicht um, denn entweder hatte er eine gemachte väterliche Miene auf- gesetzt oder auch den verächllichen Zug um den Mund, den er immer hatte, wenn er von der Landeskirche sprach. Ich dachte daran, wie Mutter sich jemals was aus ihm gemacht haben könnte: doch im selben Augenblick stieg mir eine starke Röte ins Gesicht. Daran hätte ich gewiß jetzt nicht denken sollen! Es war ein Unrecht gegen sie. Sie lag draußen im Krankenhaus und konnte sicher in ihrem Innern merken, daß ich jetzt eingesegnet wurde. Meine Gedanken durften nicht auf meine Mutter und nicht auf Samuelsen gerichtet sein. An Gott mußte ich jetzt denken, und ich wiederholte leise:Es ist ein Licht oben unter der Kirchenkuppel, an das muh ich denken, denn es kommt von Gott ."(Fortsetzung folgt.)