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396lspetoni Bela

Nr. 44942. Jahrgang

2. Beilage des Vorwärts

Mittwoch, 23. September 1925

Sozialdemokratische Frauenkonferenz.

Der Stand der Bewegung.

Im Anschluß an den fozialdemokratischen Parteitag tagte in ber Stadthalle zu Heidelberg   die Reichsfrauenfonferenz der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  . Die Tagung wurde mit einer Begrüßungsansprache der Genoffin Juchacz und einem Gedenkwort für die inzwischen verstorbene Genoffin Ottilie Bader eröffnet. Als Bertreter des Parteivorstandes wünschte Genosse Dittmann den Delegierten besten Erfolg. Im Anschluß an eine Begrüßungsansprache der badischen Genoffin Frau Blase konstituierte sich die Frauenkonferenz und wählte zu Vorsitzenden: Juchacz­Berlin, Remiz- Berlin und Blase- Mannheim  . Dann erhält Marie Juchacz  - Berlin   das Wort zum ersten Punkt der Tagesordnung:

" Frauenbewegung und Sozialdemokratie".

Der Parteivorstand hat aus der Beobachtung der Frauen bewegung kritische Schlüsse ziehen müssen, die feine restlose Be­friedung auslösen fonnten. Die Frau steht heute gleichberechtigt im politischen Leben. Die Sozialdemokratie ist es gewesen, die zu einer günstigen Stunde den Frauen die Gleichberechtigung mit ben Männern gegeben hat. Wenn das damals nicht historische Tatsache geworden wäre, würden die Frauen um ihre Gleichberechtigung heute noch einen sehr schweren Kampf führen müssen. Sehen Sie fich die Tabelle bes Geschäftsberichtes an den Parteitag an. bann werden sie leider finden, daß der Prozentsaz der politisch organi fierten Frauen noch relativ flein ift.( Sehr richtig.) Das hat natürlich seine Auswirkung auch auf die Mitarbeit der Frauen im politischen Leben und auf ihre Stellungnahme zu öffentlichen politi schen Fragen. Ich habe schon auf dem Parteitag angedeutet, daß bie Grauen innerhalb der gesamten Bewegung Bewegungsfreiheit brauchen, wenn sie eine Frauenbewegung haben sollen. Prüfen Sie aber einmal, ob sie diese Bewegungsfreiheit haben, prüfen Sie aber bitte vorurteilslos. In dem Geschäftsbericht ist mit voller Ab­sicht ein alter Beschluß des Parteiausschusses hineingearbeitet worden, nachdem wir m. E. nicht etwa eine besondere Frauen­organisation, wohl aber die Möglichkeit haben, innerhalb der Ge Jamtbewegung durch die Bildung von Frauengruppen und durch den schriftlichen Berkehr fruchtbare Arbeit zu leisten und untereinander engste Fühlung zu nehmen. Wenn nun die Berichte von Partei Dorstand eingefordert werden, stellt sich noch immer heraus, daß die zwanglose Fühlungnahme unter den Genoffinnen nicht in dem wünschenswerten Maße vorhanden ist. Das bedeutet aber, daß die Genossinnen von dem Recht der Bewegungsfreiheit immer noch nicht ben nötigen Gebrauch machen. Dasselbe muß ich bei den Besuchen Don Frauenkonferenzen der Bezirke immer wieder feststellen.

Der prozentuale Anteil der Frauen an den Mandaten im Reichstag und im preußischen Landtag schwantt felbft­verständlich, wie es bei prozentualen Berechnungen gar nicht anders jein fann. Aber wir tönnen hier mit der Beteiligung insofern zu­frieden sein, als wir feine Abnahme zu verzeichnen haben. Anders liegt es auf einem Gebiet, von dem wir vor der Gleichberechtigung der Frauen in Deutschland   immer gesagt haben, daß bort der Anfang munalpolitischem Gebiet. Wenn Sie die Entwicklung bis heute verfolgen, werden Sie bemerken, daß eine relative und pro­zentuale Abnahme der weiblichen Stadtverordneten und Gemeinde vertreter eingetreten ist. An den Stadtverordnetenvertretungen sind wir als Frauen tatsächlich nur mit 4 Broz. beteiligt, und der Prozent. fat in der Gemeindevertretung der ländlichen Gemeinden ist über­haupt taum noch festzustellen, so gering ist er.

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Die Frau und das Strafrecht.

werbenden Veranstaltungen fernstehende Frauen mitzubringen.

Mathilde Wurm- Berlin: Da wir eine gemeinsame Organisation sind und selbständige Beschlüsse auf der Frauenfonferenz nicht faffen fönnen, liegt es in der Natur der Sache, die Frauenkonferenz vor dem Parteitag abzuhalten, damit unsere Wünsche sofort auf dem Barteitag zur Erledigung fommen tönnen. Die Gleichheit" ist nicht eingegangen wegen zu wenig Abonnenten, sondern infolge der Infla­tion. Ich möchte nur wünschen, daß wir recht bald wieder dazu tommen, vielleicht in Form einer Erweiterung der Genossin" inter­nationale Mitteilungen in regelmäßigen Zeitabschnitten zu veroffent­lichen. Der Antrag, Antifriegstage zu veranstalten, ist an fich sehr gut, nur ist dieser Wunsch längst erfüllt. Die Gewerkschaften ver anstalten Jahr für Jahr Antikriegstage.

Marseiller Konferenz jetzt jedoch die Möglichkeit zu einer Berstän| Bildung zu pflegen, die es den Genofsinnen möglich macht, zu digung in den internationalen Frauenfreisen dadurch gegeben, daß aus den einzelnen Ländern Delegierte für dauernd ernannt werden, zu einem Frauenfomité, das fünftige Frauenkonferenzen vorbereiten und der Erefutive in allen Frauenangelegenheiten zur Seite stehen sollen. Es wird nicht ausbleiben, daß auch auf internationaler Basis in Zutunft weitergehende Fragen von Frauen erörtert werden und dadurch dazu beigetragen wird, daß selbstverständliche Grundsäge, die die führenden Frauen sich bereits zu eigen gemacht haben, in weite Kreise der Menschheit eindringen und zum Allgemeingut werden. Ich glaube, daß Sie heute Beschlüsse für die zufünftige Arbeit faffen müssen. Abschließend möchte ich Ihnen noch mitteilen, daß die Genoffin Buchruder, die in Ihrer Mitte meilt, Geschäftsführerin der Arbeiterwohlfahrt geworden ist. Im übrigen wollen wir wünschen, daß unsere heutige Tagung in bezug auf die Entwicklung der Frauen­bewegung zu Beschlüssen führt, die uns die nötige Bewegungsfreiheit geben und die Stimmung vermittelt, damit wir, wenn der nächste Parteitag einberufen wird, über einen äußeren und inneren Fort­schritt der Frauenbewegung berichten fönnen, wie er noch niemals dagewesen ist."( Lebh. Beifall.).

Die Disfuffion.

Alwine Wellmann  - Osnabrück  : Die Sicherstellung des Welt­friedens, die unter allen Umständen die Grundlage für die Berwirt­lichung des Sozialismus bringen muß, geht in allererster Linie die baß im deutschen   Bolt die Kriegspfychose noch längst nicht beseitigt Frau an.( Sehr richtig.) Die Wahl Hindenburgs hat uns gezeigt, ist. Gerade weil wir uns noch inmitten einer reaktionären Welt befinden, und die Striegsgefahr jeden Tag afut ist, haben wir alle Maßnahmen zu treffen, um die Menschen immer wieder darauf hin­zuweisen, daß ein neuer Krieg den Untergang Europas   und der ge­famten Menschheit bedeutet. Die Rednerin beantragt deshalb zur attiven Förderung dieses Kampfes, alljährlich einen allgemeinen Antitriegstag in allen Orten Deutschlands   zu veranstalten. Außerdem wird in einem weiteren Antrag die Durchführung regel mäßiger internationaler Frauentage gefordert.

Frau Arning- Magdeburg: Leider haben wir in den legten Jahren mit großer Behmut feststellen müssen, daß der Frauenein fluß auf allen Gebieten start zurückgedrängt worden ist. Die Auf­fassung muß immer mehr zum Gemeingut gemacht werden, daß die Frau ein Mensch ist, der propagandistisch für die sozialistische Idee wirkt. Ich glaube, baß wir Frauen selbst erheblich dazu beitragen können, wenn wir uns an den geeigneten Blaz stellen. In der " Genoffin" haben wir ein besonders gutes Organ. Ich fann den­jenigen Genoffinnen nicht beipflichten, die auf dem Parteitag der Meinung waren, wir müßten ein anderes Frauenorgan haben. ( Lebhafter Beifall.) Berta Schulz Westfalen: Die Tagespresse muß im Interesse Wenn wir in unserem Bezirk unserer Frauen ausgebaut werden. bringen wollen, wird das von den Redaktionen stets mit Freuden an die Zeitungen herantreten und unsere Wünsche zum Ausdruck begrüßt. Aber wir hören immer die Klage, daß die Frauen viel zu wenig an den Zeitungen mitarbeiten.

H

Frau Zaber Hamburg: Ich begrüße die stärkere Vertretung der Genofsinnen im Parteiausschuß. Die Frauenkonferenz, die zur Klärung der im Laufe des Jahres aufgetretenen Probleme dienen foll, halte ich nicht für zwecklos, sondern für notwendig, solange wir Frauen im öffentlichen Leben noch feine Gleichberechtigung haben. Selbstverständlich sind auch wir von Hamburg   für einen allgemeinen

internationalen Frauentag.

Frau Ziegler- Leipzig: Von der Frau, die im Erwerbsleben steht, von den Mühen des Alltags abgehärmt ist, können wir nicht fordern, daß sie als vorderster Pionier in unseren Reihen steht. Wir fönnen ihr aber sehr viel Beistand leisten, wenn wir ihr die Mittel geben, die wir dant der Tatkraft unserer Frauen in unserer Bewegung gefunden haben, indem wir ihnen in erster Reihe die

Die großen Massen der Frauen müssen ganz intensiv mit allen uns zur Berfügung stehenden Mitteln aufgetlärt werden, und diese Auftlärungsarbeit tann nur von ben bereits politisch organisierten Frauen geleistet werden. In Ertenntnis dieser un umstößlichen Tatsache dürfen wir aber auch die Mittel nicht ab. lehnen, die uns für diese Zwecke in die Hand gegeben werden, und deshalb hat jede Genossin die Pflicht, dafür zu sorgen, daß über den Kreis der organisierten Frauen hinaus die Frauenwelt Ber- Wertschägung der Arbeit beibringen. Den Hauptwert müssen wir breitung findet. Ueber die fleine Zeitschrift, die den Genofsinnen fostenlos als Informationsorgan zugestellt wird, hört man sehr wenig Kritit. Im Zusammenhang mit dem auf dem Parteitag ge äußerten Wunsch nach einer weiteren Zeitschrift muß ich darauf hinweisen, daß es ungeheuer schwer ist, Frauenliteratur gegen Be zahlung unterzubringen.

darauf legen, die Hausfrauen zu gewinnen, die auch in unseren Reihen der Arbeiterbewegung zu finden find, sofern die Stellung des Mannes fozial gehoben ist.( Lebh. Beifall.)

Minna Todenhagen  - Berlin  : Der Ansicht über die Notwendigkeit internationaler Frauenfonferenzen schließe ich mich an. Wertvoller aber noch sind Bezirksfrauenkonferenzen. Ich glaube, unsere Agita tion macht sehr häufig allerlei Fehler. Wir haben jetzt wieder einen Kampf um die Schule vor uns, in dessen Mittelpunkt die Frage der Religionsschule steht. Da ist es sehr schwer, das richtige Maß und die richtige Form der Agitation zu finden. Da wir mit der Propaganda bei den Frauen oft das Gegenteil von dem erreichen, was wir wollen, warne ich davor, die Propaganda mit zu scharfen mitteln zu betreiben.

Der Parteitag hat einen Antrag angenommen, die Zahl von 10 000 organisierten Frauen, die zur Entsendung eines Bartel ausschußmitgliedes berechtigt, auf 7500 herabzumindern. Infolge deffen werden im nächsten Jahr ohne weiteres 10-12 Genofsinnen dem Parteiausschuß angehören und hoffentlich in Zukunft sehr bald 20 und mehr. Es tommt in letzter Zeit sehr oft vor, daß Genossinnen, die politisch geschult sind, sagen: brauchen wir denn überhaupt noch Reichsfrauentonferenzen, follte man sie nicht nur dann Frau Schumann- Stettin: Bon Stettin ist der Antrag gestellt, einberufen, wenn sich von außen her ein dringendes Bedürfnis dafür die Frauenfonferenzen zu beseitigen. Wir sind der Ansicht, daß, zeigt? Wir arbeiten nicht darauf hin, unbedingt Sonderveranstal nachdem wir die Gleichberechtigung in jeder Beziehung erhalten ist. Wenn aber gesagt wird, die Probleme, die den Frauen ganz be- haben, wir mit unseren Genossen gemeinsam arbeiten müffen. sonders nahestehen, sollten doch auf allgemeinen Barteiveranstal- Frauenbewegung Bommerns, wie es in der Genoffin" heißt, troft tungen erörtert werden, dann müssen wir immer wieder tonstatieren, daß hier wohl der Wunsch der Vater des Gedankens ist, daß aber die Tatsachen dem leider bis heute aus mancherlei Gründen nicht folgen. Die Partei beschäftigt sich bis jetzt noch nicht mit den uns nahe liegenden Fragen in dem wünschenswerten Ausmaße, weil die Flut der politischen Ereignisse dazu gar feinen Raum läßt. Wenn die Propagandawirkung auch von der Erörterung dieser Fragen aus­strahlen soll, dann ist es schon notwendig, daß die Frauen in die Bresche springen und selbst die Erörterung aller fie betreffenden Fragen vornehmen.

Mit einem

Ich möchte wünschen, daß die Beteiligung der Frauen an den allgemeinen Bartetveranstaltungen immer stärker wird, und daß sich daraus die zwingende Notwendigkeit zur inneren Aus­gestaltung der allgemeinen Parteiarbeit in dem Sinne ergibt, wie ich es bereits gekennzeichnet habe. Aber mit der gleichen Schluß­folgerung, mit der man vielleicht die Frauenkonferenzen ablehnen fann und will, fommt man auch dahin, davon zu sprechen, daß man eigentlich im Zeitalter des Frauenwahlrechts teine besonderen Frauenveranstaltungen mehr braucht, z. B. die politischen Ber fammlungen. Hier gebe ich den Leuten, die gegen besonder poli­tische Frauenversammlungen sind, vollkommen recht. politischen Thema locken fie alle Frauen, die politisch interessiert find, und die gehen mit den Männern.( Sehr richtig.) Es ist doch falsch, wenn wir politisch tätige Frauen, die in Bersammlungen reden, dazu verurteilen, nur vor Frauen über politische Themen zu sprechen.( Sehr richtig.) Es ist erwünscht, daß die in der Partei tätigen Frauen ihre ganze Agitationstraft barauf verwenden, Frauen in die allgemeinen politischen Versammlungen mit den Männern gemeinsam hineinzubringen. Was die Frauenabende, Frauenfeierstunden und Arbeitsgemeinschaft für Frauen anbetrifft, fo müssen wir viel enger als bisher mit unseren Bildungs­gemeinschaften zusammenarbeiten und die Frauen zu Kursen, Arbeitsgemeinschaften und Bildungsveranstaltungen führen.

Ich glaube, wir müssen uns auch hier mit der Frage des Inter­ nationalen Frauentages   beschäftigen. Der Kongreß in Marseille   und die voraufgehende Frauenkonferenz haben bewiesen, daß man sich den Notwendigkeiten nicht verschließt, die aus dem Vor­marsch des Frauenwahlrechts in der Internationale fich ergeben. Bor dem Kriege war es nicht möglich, eine wirklich anerkannte Frauen­internationale zu schaffen. Es ist auf Grund eines Beschlusses der

Frau Höfs- Stettin: Ich bestreite, daß die Verhältnisse in der los sind. Wir haben von 134 Ortsvereinen 74, wo weibliche Mit­glieder organisiert sind und befizen 28 Ortsausschüsse für Arbeiter wohlfahrt, wo die Frauen die Hauptarbeit leisten.

Es folgt dann eine Mittagspause.

hunderts

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In der Nachmittagsfizung folgte das Referat des Genossen Dr. Saenger- München über Die Frau im neuen Strafrecht". Alles, was Sie in Moral und Sitte, in Wirtschaft und Kultur in dieser Zeit, in der es gärt, erleben, findet seinen Rückschlag im Recht. Zunächst ein Wort über die Kriminalität unter Heran­ziehung von ziffernmäßigen Angaben, um Ihnen die ungeheure Bedeutung des Strafrechts und der Strafrechtspflege vor Augen zu führen. Was Recht und Unrecht ist oder als solches gilt, ift je nach dem kulturellen Erleben eines Boltes vollkommen ver. Jahrtausenden nicht in allen Fällen strafbar. Die Griechen be­fchieden. Mord war in gewissen Zeiten der Entwicklung vor lohnten die Tötung lebensschwacher Kinder, in gewiffen Berioden die Tötung von Zwillingen, von altersschwachen Frauen und Greifen. In Bayern   gab es unter den alten Herzögen am Ende des 17. Jahr­es war die Hochblüte des geheiligten Eigentums im Anfang der kapitalistischen   Periode nicht weniger als sieben Todes= arten gegen das Verbrechen des Bettelns. Wer damals einen Dieb. stahl im Werte von 20 Gulden verübte, wurde mit dem Tode durch ben Strang bestraft. Wie heilig früher das Eigentum im Gegen­fatz zu heute war, ersehen Sie daraus, daß nach authentischen Nach­richten Heinrich VIII. von England während seiner Regierungszeit nicht weniger als 60 000 Bettler hinrichten ließ. Im 17. Jahrhundert wurde das unberechtigte Fischen und Krebsen mit dem Tode, in leichteren Fällen mit den schwersten Schand und Körperstrafen und Landesverweisung bestraft. Wie der Staat, so bas Strafrecht! Im Staate, in dem die Theofratie galt, d. h. alles mit dem Begriff des regierenden Gottes durchsetzt war, wie das Gesetz bei den Juden, war die Gotteslästerung das schwerste Ber­brechen und die Grenzsteinverrückung das leichteste. Als im Anfang des römischen Rechtes in Rom   und im römischen Kolonialgebiet die Bevölkerung hauptsächlich Landwirtschaft betrieb, war die Grenz­steinverrückung das schwerste Verbrechen. Im Handelsstaat wurde das Münzverbrechen mit sofortiger Enthauphing bestraft. Im Militärstaat waren die Bergehen gegen die Autorität die schwersten, in der mittelalterlichen Republit das Streben nach fönig­licher Macht. Kurz, die Reaktion des Rechtsgefühls der Staaten und der Individuen ist da am heftigsten, wo sie sich in ihren eigen­tümlichsten Lebensbedingungen unmittelbar bedroht fühlen. Die Behauptung, daß

das ungeheure Anwachsen der Kriminalität in Deutschland  eine Folge der Revolution sei, ist eine der übelsten Lügen. Im Jahresdurchschnitt 1911-1915 sind im Deutschen Reich 1 139 997 An­flagen erhoben worden, 1916-1920 waren es 1 266 012. Unter der Einwirkung der Inflation tam eine Steigerung, so daß das Jahr 1923 die bisher größte Zahl von Anlagen in Deutschland  gebracht hat, nämlich 1742 780. In Deutschland   beträgt die Zahl der Rücfügen 18,6 Proz, fo daß jeder Fünfte, Mann oder Frau, der vor den Richter kommt, mindestens schon einmal mit dem Strafgesetz in Konflikt gekommen ist. Diefer prozentuale Anteil wird vom Mann überschritten bei Raub, Mord, Totschlag, Betrug, Unzucht, Diebstahl, Brandstiftung, Hehlerei und Unterschlagung. Von hundert verur­teilten Personen find 80 Männer und 20 Frauen; 11,8 find Jugend­liche im Alter von 12 bis 18 Jahren. Der Mann stellt bei den Ver­brechen der Unzucht und Notzucht 99,3 Proz., beim Raub 96,8 Proz., bei der Nötigung 93 Proz. Ferner ist der Mann stärker beteiligt an Körperverlegung, Betrug und Hausfriedensbruch; am geringsten bei den Verbrechen des Meineides und der Beleidigung. Die Frau dagegen ist weit über die 30 Proz., die ihr zukommen, beteiligt beim Meineid mit 34 Proz, wobei die katholische Frau einen ungleich höheren Prozentjag stellt als die protestantische und jüdische. ( Bewegung.) Bei der Beleidigung stellt die Frau 33,6 Proz.; hier sind viele Frauen rücffällig.( Heiterfeit.) Weniger beteiligt ist die Frau bei Sachbeschädigung, wo sie nur einen Prozentsaz von un­gefähr 8 stellt, also 12 Broz. weniger als sie von Rechts wegen zer­schlagen und demolieren dürfte.( Heiterkeit.)

Das Strafgesetzbuch von 1871 gründet sich noch auf den Ge­danken: der Staat straft aus dem Grunde der gerechten Bergel. tung. In dem neuen Strafgesetz entwurf flingen schon die Gedanken durch: Unsache und Verhütung der üblen Wirkungen des Berbrechens, bis eben in Jahrzehnten ein anderes Strafgesetzbuch den Grundsatz zum Ausdruck bringen wird: Verhütung der Ursachen des Verbrechens.

Der Bankrott des jetzigen Strafrechts zeigt sich in der erschütternden Tatsache, daß unmittelbar vor dem Kriege ein Zuchthausdirektor bei 2093 Buchthausgefangenen von 2297 mit absoluter Sicherheit den Rückfall vorausfagte, daß er bei 128 zweifelhaft war und nur bei 76 an Erziehung durch das Zuchthaus glaubte. 92,3 Proz. der Insassen der preu Bischen Zuchthäuser sind wieder rückfällig geworden. Im vorigen Preise stieg, auch ein Diebstahl mehr auf die Zahl von 100 000. 1909 betrug die Kriminalistit 63 Broz. mehr als 1882, die Zahl der vor­Als weiteren Fattor der Kriminalität ist neben der wirtschaftlichen bestraften Jugendlichen ist von 1889 bis 1909 um 60 Proz. gestiegen. Not der Alkohol

Frau Nemig- Berlin: Die Frauen werden dafür verantwortlich gemacht, daß die Sozialdemokratische Partei   nicht den Aufstieg nimmt, wie wir ihn alle wünschen. Unsere männlichen Partei genossen haben auch erst nach Beseitigung des ungerechten Wahl­systems den ersten Schritt machen müssen. Wir geben das Wahlrecht nicht mehr preis. Bei der Zollvorlage, die für die arbeitende Klasse eine Lebensfrage ist, ist die Arbeiterfrau im Ausschuß start in Er- Jahr entfiel in Bayern   auf jeden Sechser, um den das Getreide im fcheinung getreten. Wo aber bei der Beratung der Zollvorlage eine einzige bürgerliche Frau? Auch keine Zentrumsfrau hat versucht, für die Intereffen der minderbemittelten Klasse einzutreten. Ru dem Antrag betr. den Antifriegstag möchte ich sagen, daß wir auch eine wichtige und heilige Frage im Interesse der Menschheit bei unseren Weltfeiertagen in den Vordergrund gerückt haben. Wollen wir nicht auch den 1. Mai zu einem Antifriegstag machen?( Sehr richtig.)

Diffmann- Berlin verweist auf einen Brief, der ihm von einem jungen Mann aus sehr wohlhabendem, bürgerlichem Hause zuging und der sich mit der Dienstbotenfrage befaßt. In ihm wird feft­gestellt, daß, während bei den Wahlen in dem betreffenden Ort im Mai und Dezember 1924 sehr viele Dienstmädchen überhaupt nicht gewählt haben, bei der Hindenburg- Wahl alle restlos ihre Stimme abgegeben hätten, ein Beweis, daß von der Herrschaft auf die Stimmabgabe eingewirkt worden sei. Warum sollten die sozia liftischen Eltern, Brüder und Schwestern nicht einen Brief an diese jungen Dienstmädchen schreiben und ihnen auseinandersetzen, wen fie in ihrem eigenen Interesse zu wählen haben? Bei den bevor. stehenden badischen Landtagswahlen kommen viele Tausende in

Betracht.

Herta Funk- Niederrhein: Die Ausbreitung der sozialistischen  Tagespresse muß unbedingt größer werben. Den Kampf gegen die bürgerlichen Zeitungen müssen wir unbedingt aufnehmen. Ueberall machen wir auch die traurige Wahrnehmung, daß uns die Jugend in der Frauenbewegung fehlt; das muß uns zu denken geben.

Frau Wolff- Münsterland: Auch ich möchte Ihnen dringend ans Herz legen, die Jugend in der Arbeit mehr als bisher zu berüc fichtigen und sich mit ihr zusammenzusetzen. Bei der Werbearbeit tommt es vor allem darauf an, auf dem Boden der Gefelligkeit eine

zu nennen. Mehr als die Hälfte aller Körperverlegungen werden am Sonntag begangen und zwar 66 Proz. derfelben im Wirtshaus. Unter den Landstreichern befinden sich in Deutschland   80 bis 90 Broz. Gewohnheitstrinker. In Bayern   sind von 100 Berurteilten etwa 13 Proz. Trinker. Die Zahl der alkoholischen Jugendlichen, die in Bayern   Verbrechen begehen, ist doppelt so hoch gestiegen als die der anderen Jugendlichen. Ein Münchener   Schularzt hat allerdings festgestellt, daß von den sechsjährigen Schülern 26 Broz. der Knaben zweimal täglich regelmäßig Bier befamen und 72,8 überhaupt Bier; bei den Mädchen bekamen fogar 77,6 Proz. regelmäßig im Eltern­haus Altohol. In der obersten Volksschulklasse waren es nur 11,7 Proz. der Kinder im Alter von 14 bis 16 Jahren, die nicht regelmäßig Alkohol zu trinken befamen.

Der ledige Mann verübt mehr strafbares Tun als der ver­heiratete, bei der Frau ist es umgefehrt. Darin brücken fich

die unfagbaren Tragödien vieler Ehen im Arbeiterstande aus, da die Ehe des fapitalistischen Staates für die arbeitende Frau durchaus nicht eine Quelle des Glückes und der Freude bedeutet. Die Männer, besonders die sozialistischen, sollten es so weit bringen, daß in einer proletarischen Familie die Frau nicht mehr vom Manu geschlagen wird.( Lebhaftes: Sehr richtig!) Wir sind noch lange nicht soweit. Einen flaren Beweis für die enge Berbindung zwischen Wirtschaft und Recht liefert die Witwe. Während die ledige Frau