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Nr. 453 42. Jahrgang

7. Heilage öes Vorwärts

Freitag, 25. September 1425

Teuerung unü Staütverorünetenwaklen. Die Partei der Lebensmittelverteuerer schreit jetzt über hohe Preise.

InÄer Berliner Stadtverordnetenversammlung wurde gestern die Teuerungsdebatte sortgesetzt, die ausgerech- net von den Deutschnationolen herbeigeführt worden ist. Die Deirtschnationale Partei der Lebensmittelverteuerer weiß, daß sie durch ihre Taten im Reich dem Volk die Augen g« ö f s n e t hat. Darum mußten im Berliner Rathaus die Deutsch - nationalen sich für die bevor st ehenden Stadverord- nctenwahlen den Wählern zu geneigter Beach- tung empfehlen. Der von ihnen eingebrachte Antrag forde» t den Magistrat auf, sich um eine Senkung der Preise zu bemühen. Daß angesichts der neuesten Zollgesetzgebung die Gemeinden wenig ausrichten können, aber Berlin das Möglich« tun will, hat Oberbürgermeister B ö ß schon in der. vorigen Sitzung erNärt. Gestern rechnete unser Genoste R e i m a n n mit den Deutschnationolen ob, die ihr Schuldkonto mit der neuesten Berteuerung belastet haben. Er kennzeichnete das Ablenkungsmanöver der Deutsch - nationalen, deren Antrag weiter nichts als eine Jrrefüh- r u n g der ö f f e n t l i ch e-n Meinung sei. Das Schlußwort des Deutschnationalen Koch war eine Wahlrede in der klobigen Art, die diesem Pastor geläusig ist. Der Antrag wurde einem Ausschuß überwiesen. In derselben Sitzung wurde der Mogistratsantrag, den privaten Charlottenburger Wasserwerken einen Teil ihres bisherigen Versorgungsgebietes zu entziehen, durch die Parteien der Linken angenommen, nachdem den Bürgerlichen der Versiich, durch Ausschußberatung eine Verschleppung zu erreichen, mißlungen war. Bei der Vorlage zur Kündigung der Vertrages mit den privaten Berliner Vorort-Elektrizitätswerken wurde von den Bürgerlichen derselbe Verschleppungsversuch gemacht und durch die Linke abgeschlagen. Hätten die Bürgerlichen hier die Ausschußberatung durchgesetzt, so wäre die rechtzeitige Kündigung bis zum 1. Oktober unmöglich geworden. Sie wurde beschlossen. * In der gestrigen Sitzung der Berliner Stadtverordneten ge- dachte der Vorsteher Genotze Haß mit ehrenden Warten der kommu- nalen Verdienste des verstorbenen früheren Stadtverordneten und Stadtrats Stadtältesten Rast und des Bezirksbürgermcisters von Prenzlauer Berg , Genossen Paul John, der in so tragischer Weise im 51. Lebensjahre mitten in der Arbeit vom Tode ereilt worden ist. Die Versammlung hatte sich während der Ansprache des Vorstehers von den Plätzen erhoben. Der Vorsteher kam dann auf den von ihm dem Dr. Steiniger am 8. September erteilten Ordnungsruf zurück. Es ist in der Zwischenzei:, nachdem ursprünglich der Aeltestenausschuß die Auffassung des Vor- stchers getellt hatte, durch Rücksprache mit Dr. Steiniger festgestellt worden, daß dieser den Oberbürgermeister mit der gerügten Aeußerung nicht habe kränken wollen, daß ihm nur um schärfste Zurückweisung der Insinuation zu tun gc- wesen sei, als ob er in jenem Falle die Interessen her Stadt nicht vertreten wollte. Dr. Steiniger Hot auch eine entsprechende Korrektur des Stenogramms vorgenommen. Der Vor- steher hält nunmehr die Aeußerung für im Rahmen des parla- m-ntarijch Zulässigen liegend: der Ordnungsruf wurde zu- g Ü ck g e n o m m« n. In der Fortsetzung des Antrages der Deutschnatio- nalen auf Beratung von Maßnahmen zur Senkung der cebensmillelprelse prophezeite gestern Mädel(Wp.) dem Magistrat ein völliges Fiasko seiner Pläne, durch direkten Viehbezug und Absatz des Fleisches mit stilfc der Kleinfleischer direkt an das konsumierende Publikum«ine Ermäßigung der Fleischpreise herbeizuführen. Auch Dörr(Komm.» vrophezeite den Plänen des Magistrats nichts Gutes. Er forderte dann 5 Millionen zur Unterstützung für die von der Exmission B-drohien. Genosse Reimann nahm Anlaß, mit dem deutschnatio. nalen Kollegen Päth abzurechnen, der den Streitbewegungen die Schuld an der Teuerung hatte zuschieben wollen. Er führt« aus: Vicht die Lohnforderung ist das Primäre, sondern die Teuerung: keiner Arbeitergruppe fällt es ein, Lohnmehr- forderungen zu stellen, wenn sie nicht durch die Verteuerung des

Lebensstandards dazu gezwungen ist. Ein Ausgleich für die seit Ende Juni erfolgte Steigerung der Preise ist nicht geschaffen worden. Die Löhne der deutschen Arbeiter stehen wesentlich unter denen des Auslandes. Der Reallohn des Arbeiters in Amsterdam . Kopenhagen , London . Paris , Stockholm ist höher als der in Berlin . Der deutsche großstädtische Arbeiter wird an Leistungsfähigkeit von keinem anderen Arbeiter übertroffen: um so ungerechtfertigter ist seine niedrige Entlohnung. Nicht die steuerliche Ueberlastung des Unternehmertums steht der Senkung der Preise entgegen, sondern der Uebelstand, daß die Industrie Deutschlands , daß die Unter- nehmerschaft nicht von der hohen Profitrate herunter will, daß sie sie durch Vertrustung und Kariellierung schützt. Die Regierung kann dagegen nicht an, denn sie ist ja Fleisch vom Fleisch der Verteurer. Wir werden im Ausschuß beweisen, daß der ganze Antrag Koch nichts ist als ein« Irreführung der öffent- lichen Meinung.(Beifall bei den Sozialdemokraten.) Anton Schmidt(Z.) ließ offen, ob er die Haltung des Zentrums zur Zoll- vorläge im Reichstage vorbehaltlos billigt und vertrat dann die Auf- sasning daß die Verteuerung der Lebensmittel in der Hauptsache aus dem zu langen Wege vom Erzeuger bis zum Ver» braucher erfolge: hier müsse der Hebel angesetzt werden. Auch eine Ermäßigung der Zinssatze müsse eintreten.' Da indessen die Teuerung nun einmal eine Tatsache sei, müßten, besonders wenn sie noch weiter steigen sollte, die Arbeitgeber den Arbei« tern in den Lohnsätzen größeres Entgegen- kommen zeigen. Müller-Franken(Wp.) erklärt die Zölle als eine handelspolitische Notwendigkeit. Damit schloß die Be- sprechung des Antrages, und nun machte Herr koch, der jegt vor einer sachlichen Erwiderung sich sicher wußte, den Versiich, die zu An- fang der Beratung unterlassene Begründung nachzuholen. Diese Begründung erschöpfte sich in der Hauptsache in der Behauptung des deutschnationolen Pfarrers, daß ausgerech­net die freien Gewerkschaften die Preisabbauaktion der Reichs­regierung sabotiert haben(Lachen links) und daß mau von einer außergewöhnlichen Teuerung in Deutschland überhaupt nicht reden könne, daß aber an der Teuerung selbst alle möglichen Umstände schuld seien, nur nicht die Zollvorlage. Selbstverständlich bekam auch die Sozialdemokratie ihr Teil ab. In der A b st i m m u n g wurde die Einsetzung eines Ausschusses nach dem Antrage Koch beschlossen: diesem Ausschuß wurden auch sämtliche anderen zu der Materie eingebrachten Anträge überwiesen. Ein Nachtrag zur Vergnügung» st euerordnung ging an den«teuerausfchuß, die Borlage wegen Bewilligung von 200 00V M. für die Hilfsaktion für Oberschlesien an den Haushalts- eusschuß. Die Kündigung des 1904 mit den Berliner Vororts- Elektrizitätswerken G.m.b.H. abgeschlossenen Vertrages wurde be- schlössen, nachdem ein Antrag der Demokraten auf Ausschuhberatung mit 87 gegen 87 Stimmen abgelehnt worden war. Die Erhebung außero-dcntlich hoher Gebühren seitens der Baupolizei für die Anbringung von Reklamefchilderu für den Häuseranstrich usw. war dann Gegenstand einer geharnisch- ten Beschwerde der Wirtschaftsparteiler, denen von Mitgliedern anderer Fraktionen lebhaft zugestimmt wurde. Im Laiise der Er- örterung, in die auch Gen. Reuter eingriff, erklärte der Obcrbürger- meister Löß, daß auch ihm die Gebühren zu hoch erschienen und daß [ er sich für die Ermäßigung einsetzen würde. Gen. Reuter erklärte die ganze Gebührenordnung für durchaus reformbedürftig. Eine Anfrage der Kommunisten befaßt sich mit demStudenten- werk Berlin " E. V., für das Berlin für 192S eine Bei- Hilfe von 40000 M. geleistet hat und knüpft an das Urteil des obersten Gerichts der Sowjet-Uniongegen die deutschen Studenten und Berliner Polizeiagernen Kindermann und Wolscht" an, wodurch erwiesen sei, daß dasStudentenwerk " der Streikbrechervermittlung und als Verbindungsglied faschistischer Studenten mit der Ehrhardt- schen O. E. diene. Die Aniragcr, durch Frau R o s e n t h a l �ver- treten, wollen wissen, ob der Magistrat die Beiträge für dasStu­ dentenwerk " sperren und den ersparten Betrag derRoten Hilse" in Berlin überweisen will. Bürgermeister Scholz bejahte die

Frage, ob der Magistrat dasStudentenwerk " nach wie vor für ein gemeinnütziges Werk halte, unbedingt, von den angeblichen politischen Umtrieben sei in dem angezogenen Urteil nirgends �i? Rede. Damit war die Anfrage erledigt Die Versammlung kam dann auf die Angelegenheit der Charlottenburger Wasserwerke A.-G. zurück. Die zweite Lesung der dazu vom Magistrat gemachten Vor- läge war noch rückständig. Von der Deutschnationolen Dolkspartei war beantragt, den Magistrat um eine Deckungsoorlage für die. Kosten des Druckrohrs zu ersuchen. Beide Parteien der Rechten machten nochmals den Versuch, die ganze Angelegenheit durch Ver- weijung an einen Ausschuß von neuem zu verschleppen, aber ver­geblich: die Mehrheit fiel gegen sie aus, die früheren Beschlüsse wurden bestätigt und auch der neue Antrag der Deutschnationalen Volkspartei abgelehnt. Die Abänderuna der Besoldungsordnung wurde cn dloc zum Beschluß erhoben. Für die Verbreiterung der Dorfftraßc in Gatow , Bezirksamt Spandau , waren zunää 55 000 M. angefordert. Anscheinend reicht dieser Betrag bei weitem nicht aus: die Deutschnationalen verlangten nochmalige Ausschuß- beratung. Bei der Auszählung stellte sich die Beschlußunfähigkeir der Versammlung heraus. Schluß%9 Uhr.

Erntefest auf einem Serliaer tzof. Ein Erntefest ovf dem Hof d.r Mietkas-rnen. wo kaum ein Grashälmchen wächst. Einige haben vielleicht«in Stückchen Land in der Laubenkolonie. Knallgelb und protzig mögen dort Riesen- kürbisse wachsen, die mit jedem Tag runder und praller werden, und leuchtend bunte Herbstblumen blühen. Und das bißchen Boden wird ihren Anstrengungen wohl auch Kartoffeln und Gemüse geben. Doch das ist weiter draußen. Hier haben sie kein Stückchen Erde , es sei denn da und dort ein Blumentöpfchen mit einem Geranium. Und doch Erntefest! Dies ländliche Fest ist übernommen worden von den Vielen, die draußen vom Land herkommen und hier in der Großstadt Wurzel zu schlagen versuchten. Bunte Fähnchen wehen. Die Herbstsonne veisucht vergeblich, die Menschen da unten mit ihren Strahlen zu wärmen, denn die starren Mauern schließen sie ab. Dafür dudelt unermüdlich ein Leierkasten. Und die blassen Großstadtkinder tanzen. Die kleinen mageren Körperchen wiegen sich hin und her. Alle Großmütter wackeln mit nach dem Takt der Musik. Wenn der Leierkastenmann müde ist, wird er abgelöst. Junge Burschen und Mädchen warten auf den Abend. Schon sind die Lampions aufgehängt für dieItalienische Nacht". Bratenduft zieht über den Hof. Die Nasen da unten schnuppern in der Luft herum und atmen den fetten, eindringlichen Genich gierig ein.Wo kommt denn das her?"Natürlich, die Kulicke." Und ein Tratsch geht los.Wenn wir es auch so mochten wie die. Unten ist sie auch nicht. Die ist wohl jetzt zu fein dazu, seit sie mit den Kerlen rumläust." Und die Kinder horchen zu und ihre Augen sind wissend. Da, ein neuer Gassenhauer. Brotenduft und Tratsch sind ver- geffen. Schon tanzen die Aelteren mit. Der Festleiter niit der Clownmütze beginnt den Tanz mit einer Großmutter. Hallo und Gelächter. La, als ich jung war, das war auf dem Lande, da gab es einen Erntekranz." erzählt eine andere. Säuglinge, die eine Alte in einer Ecke bei den Müllkästen bewahrt, schreien und kriegen dann den Nuckel. Die Kinder bekommen Bonbons ausgeteilt und lutsche« still- vergnügt. Einige teilen den Großmüttern davon mit. nachdem sie den Bonbon erst mal gekostet haben. Es dämmert. Endlich wird es Abend. Ein paar blasse Stern« wagen sich vor. Unter aber leuchten wie rote, grüne und gelbe Monde die Lampions. Die Musik ist verstärkt durch Maudolincn. Fast alles aus dem Vorder- und Hinterhaus walzt und trampelt auf dem engen Hof. Nur da und dort sind ein paar Fenster erhellt, fliegen derbe Scherzworte hin und zurück. Das Leben dieser Menschen liegt vor einen» wie ein offenes Buch. Sie kennen eiirander und ihre kleinen Verhältnisse. So viele alte Frauen haben keine Lederschuh« mehr und schlürfen in zertretenen Pantoffeln einher. Manche der Kinder hoben kein 5)emd. Das Leben ist zu teuer. Bier ist aufgefahren. Di« Flaschen gehen herum. Da und dort

Das unbegreifliche Ich. Geschichte einer Jugend. Roman von Tom Kristensen. (Berechtigte Uebersetzung aus dem Dänischen von F. C. Bogel .) Wir traten auf den Platz hinaus, und ich tonnte merken, daß Einsegnung in der Luft lag. Eine kalte Sonne rieselte über die Dächer hernieger. Die Häusersasfaden gsänzten Voniehme Kutschen mit schimmernden Pferden jagten vorüber. Ich habe einmal geglaubt, daß ich Jesus Christiis wäre!" bemerkte ich und blickte über den Platz. Warst du so eingebildet?" lachte Samuelsen. 'Ja. ich habe hier mit Spatzen gespielt." Redest du im Schlaf?" Nein; aber es ist da etwas, was ich nicht verstehen kann/ Wir gingen in eine dunkle Konditorei. Das hatte Samuelsen mir versprochen. Wir breiteten uns an einem Tisch mit Marmorplatte aus. Samuelsen, mit der Einsegnung ist nicht viel los! Ich könnte ebensogut sitzen und Kuchen essen, ohne eingesegnet worden zu sein. Ich känn nichts Besonderes an mir bemerken. Weshalb solltest du das auch?" "Ja ober ich müßte doch erfüllt sein von Gott-- Gott' Glaubst du, daß Gott in die Landeskirche kommt!" grinste Samuelsen.Nein du. Worte verwirren bloß und scheuchen ihn fort/ Worte9" sagte ich grübelnd. "Ifl alle die Bibelstellen, die ihr auswendig herunter- plappert und von denen ihr keine Silbe versteht. Nein, dann hört er lieber das Seidenpapier rascheln, ,n das das Laden- fräulein jetzt was einpackt. Ich vergrub meinen Löffel t.ef»n meinen Sahnenkuchen und fing an. gierig zu essen. Ich brauchte einen Ersatz. Die Einsegnung war eine zu große Enttäuschung gewesen. Der Prediger hat gesagt, er würde uns gern beim Abendmahl sehen." bemerkte ich.Aber ich will nicht. Die andern sagen, es soll ekelhaft schmecken.", Damit sollst du auch verschont werden: aber du darfft das nicht deiner Mutter lagen, wenn wir nach dem Kranken- Haus herauskommen, verstehst du," sagte Samuelsen dringlich, und dann setzte er gutmütig hinzu:Doch wir müssen uns gewiß beeilen, wie viel ist die Uhr?" Ich legte mich hintenüber in meinem Stuhl and langte

meine Uhr hervor. Die Einsegnung hatte doch auch ihre Freuden. Die Uhr ist in fünf Minuten halb Drei!" sagte ich.Nein, eher in vier als in fünf Minuten." Dann zog ich die Uhr auf. Dann laß uns sofort aufbrechen. Wir müssen erst nochmal nach Hause und Blumen für deine Mutter holen." Wir bezahlten und gingen. Als wir aach dem Oeresundhospital herauskamen, flüsterte Samuelsen mir zu:Du»nutzt deiner Mutter nichts weiter von der Konfirmation erzählen: bloß daß du froh vergnügt warst und so." Wir kamen mit unserem Blumenstrauß durch einen Saal, wo eine lange Reihe Betten stand. Die Kranken hoben die Köpfe von den Kissen und verfolgten uns mit ihren matten Augen. In oll dem Weißen und Kranken und Kalten fühlte ich mich viel zu fein angezogen. Meine Bewegungen hatten noch das schnelle Tempo der Straße an sich, und ich mußte es zu unterdrücken versuchen. Ich ging auf den Fußspitzen. In einem Seitenzimmer lag Mutter. Als wir eintraten, verzog sie ihr mageres Gesicht und stöhnte. Samuelsen blieb auf der Türschwelle stehen. Was ist denn? sagte er mit weinerücher Stimme, seine Haltung war feige. Ach", seufzte sie,das sind die Blumen. Sie sind ja sehr schön, und es ist lieb von dir: aber ich kann sie nicht ver- tragen. Der Geruch macht mich ganz kaputt. Bring sie lieber zu der Krankenpflegerin hinaus." Samuelsen sah betreten auf die gelben und roten Blumen. Er knickte in den Knien ein. Mach jetzt!" sagte Mutter böse und stieß mit dem Fuß gegen das Bettende. Er drehte sich langsam um und ging hinaus. Ich habe ihn niemals so niedergeschlagen gesehen. Jetzt erst bemerkte mich Mutter. Bon dem Blumengeruch gequält, hatte sie mich nicht gesehen. Ich wünsche dir Glück!" sagte sie matt- Ihr Blick war abwesend, und die Worte schienen nicht an mich gerichtet, kam mir vor. Ich stand steif da und wagte nicht, mich ihr zu nähern. Dann zwang sie sich mühsam ein Lächeln ab. Sie spielte eine kleine, lustige Komödie: doch die fernen Augen und die unsichere Stimme straften sie rasch Lügen. Wie fein du bist. Waldemar? Und du hast eine Uhr, wie ich sehe?. Kanu st« denn ticken?,"

Ich war ganz starr vor Staunen. Mutter sprach wie zu einem kleinen Jungen mit mir. Verstand sie jetzt nicht einmal mehr init mir zu reden? War ich ihr so fern? Sie streckte eine blasse, durchsichtige Hand nach einem Krug aus und spuckte mühsam hinein. Dann starrte sie mich wieder an und ihr Lächeln wurde echter. Nein," seufzte sie,das Sterben kleidet mich nicht." Mutter, was sagst du da. Mutter!" rief ich. Meine Stimme war zu laut, und sie schloß die Augen. Ihr schwaches Lächeln wurde zu einem bittern Schmerzens- zug. Lächeln und Schmerz lagen an derselben Stelle auf ihren Lippen. Sie hielt die Augen geschlossen während sie sprach: Ich sage so schreckliche Sachen. Dos ist mein einziges Vergnügen. Ihr anderen könnt euch Blumen ansehen und auf die'Straße gehen, ich kann gar nichts." Samuelsen kam zurück, und sie öffnete die Augen. Nina," sagte er mit munterer Stimme,du hättest den Jungen mal sehen sollen. Er war einer der Schönsten, und er hat seinen Mann in der Kirche gestanden. Alle haben ihn angesehen." Das war ja nett, Waldemar." seufzte Mutter. Ja, er ist ganz anstellig. Er hilft mir auch tüchtig im Geschäft. Es macht gar keine Umstände, ihn bei sich wohnen zu haben." Sie lächelte. Dann sagte sie ohne Ucbergang:Kannst du sehen, wie mein Haar ausgegangen ist. Ich muß falsches Haar tragen, wenn ich herauskomme. Ist es nicht lächerlich, daß ich Zopfe im Kommodenkasten liegen haben soll!" Samuelsen wurde verwirrt und lachte. .La," fuhr Mutter fort,dann werde ich meine falschen Zöpfe am Fensterriegel anmachen und dastehen und sie kämmen, gerade wie die alte Dame von gegenüber. Das muß ich tun. obgleich ich so jung bin. Es gibt wahrhaftig keinen mehr, der sich mit mir verheiraten will." Ich schlich mich still zu einm Stuhl am Fenster und setzte mich dort. Draußen liefen einige Krankenpflegerinnen vorbei. In der Ferne klingelte eine Str'aßenbahn. Ich kann Waldemar im Spiegel sehen." hörte ich Mutter sagen, und ich drehte den Kopf um. Im Spiegel begegnete ich ihrem starren Blick, und als ich nickte, sah ich, wie«in Helles, freundliches Lächeln in dem grauen Gesicht erwachte..(Fortsetzung folgt.)