Abendausgabe
Nr. 46442. Jahrgang Ausgabe B Nr. 229
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Vorwärts
Berliner Volksblatt
10 Pfennig
Donnerstag
1. Oktober 1925
Beclag und Anzeigenabteilung: Geschäftszeit 9-5 Uhr
Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin S. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-297
Die fünfte Ohrfeige.
Aus den eigenen Reihen.
Die ,, Deutsche Tageszeitung" spricht bei der Be-| trachtung des Ergebnisses der Aktion der Rechtsregierung in der Kriegsschuldfrage von gewiffenloser Oppo fition. Sie meint mit gewiffenloser Opposition nicht die gegen die Sicherheitspolitik der Regierung gerichtete Sabotage aus deutschnationalen Parteifreisen in der Bergangenheit. Sie meint auch nicht den berüchtigten und lächerlichen Brief des Reichsinnenministers Schiele, der Herrn Schiele vor den eigenen Parteigenossen entlasten und die Verantwortung für die Sicherheitspolitik des Kabinetts von den deutschnationalen Ministern abwälzen sollte. Schließlich zielt sie mit dem Borwurf der gewiffenlosen Oppofition auch nicht auf jene deutschnationalen Treibereien in der jüngsten Vergangenheit, die die Presse der Deutschen Volkspartei zu erbitterter Abwehr veranlaßt haben.
Der Vorwurf der gewissenlosen Opposition wird von der Deutschen Tageszeitung" gegenüber der Presse der Linken erhoben, die nach dem Abschluß der Aktion offen ausspricht, was ist. Sie sagt:
„ Auch wer etwa aus taktischen Gründen gegen die deutsche Initiative Bedenten hatte, hätte wenigstens soviel nationale Disziplin zeigen müssen, um die Aktion der Regierung nicht nachräglich noch um ihre Wirkung zu bringen."
Selbst die schärffte Kritik fann die Aktion der Regierung nicht mehr um die Wirkung bringen, die sie erzielt hat, so sehr es auch im Interesse Deutschlands erwünscht wäre, daß diese Wirkung aus der Welt geschafft werden fönnte. Leider kann die Presse der Opposition den Schaden nicht reparieren, den eine gewiffenlose Regierungspartei angerichtet hat.
Im übrigen versteht die deutschnationale Breffe recht gut. daß die Folge der Aktion in der Kriegsschuldfrage eine Gefährdung der deutschen Stellung ist. In der Kreuz- Zeitung " liest man:
Wir sind an die Konferenz von Locarno wahrlich mit feiner Begeisterung herangegangen, aber wenn die Konferenz jezt ohne Ergebnis bleibt, dann trägt in erster Linie die gesamte Demokratie und Sozialdemokratie die Schuld daran, weil sie aus innerpolitischen Gründen alles daran feßt, der rechtsgerichteten Reichsregierung Schwierigkeiten zu be reiten."
Das ist die Furcht vor den Folgen und der Wunsch, die Berantwortung abzuwälzen von den Regierungsparteien auf die Opposition.
Dieser Versuch wird jedoch von vornherein zunichte gemacht durch eine fritische Darstellung der„ Deutschen Zeitung", die flar herausarbeitet, was die Aktion der Regierung in der Kriegsschuldfrage in Wahrheit bedeutet. Die Deutsche Beitung" stellt fest:
,, unrichtig ist aber, daß durch die jetzige„ Attion" der Reichsregierung irgend etwas gegenüber dem früheren 3u stand geändert oder gebessert worden ist. Einseitig deutsche Erklärungen gegen die Schuldlüge sind bereits bei Abschluß des Bersailler Bertrages selbst nicht nur abgegeben, sondern auch notifiziert worden und zwar in feierlicheren Doku
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menten und in deutlicherer Form, als in der Verbalnote vom 26. v. m.; die Sachlage hat sich also durch die bloße lleberreichung dieser Verbalnote gegenüber dem seit sechs Jahren be= stehenden Zustande, dessen Beseitigung das Hauptziel nationaler
Politik war und ist, in feiner Weise geändert! Am 22. Juni 1919 wurde in Bersailles eine
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als damaligen Ministerpräsidenten gezeichnete note bergeben.
Genau wie jetzt wiederum England und Frankreich , so hat damals Clémenceau im Namen der alliierten Regierungen eine Anerfennung des deutschen Chandpunties abgelehnt. Während aber eht die deutsche Regierung entfchloffen scheint, die in den Noten Englands und Frankreichs neuerlich aufgestellte Behuldigun weigend hinzunehmen, erfolgte Jamals ar damals! und sogar von dem Kabinett Bauer Cyberg muller- Franten!- eine abermalige Berwahri und die befannte Feststellung, daß durch den Gewaltaft, dem allein man sich beugen müsse, die Ehre
des deutschen Boltes nicht berührt werde."
Die Deutsche Zeitung" stellt auf Grund dieser Sachlage fest, daß der jetzt herbeigeführte Zustand eine Berfchlechterung ganz entscheidender Art" bedeute. Das Kabinett Stresemann- Schiele muß sich von der Deut schen Zeitung" bescheinigen lassen, daß es in nationalen Dingen weniger zuverlässig und weniger politisch klug gehandelt hat als das Kabinett Bauer- Erzberger- Müller Franken). Der Tatbestand, auf den die Deutsche Zeitung" inweist, ist von uns vor der Aktion der Regierung mehrfach inweist, ist von uns vor der Aktion der Regierung mehrfach Targestellt worden. Trotzdem ist diese Aktion unternommen porden. Der Dhrfeige, die die Deutsche Zeitung" der Re gierung, und vor allem der Deutschnationalen Partei, versetzt, haben wir nichts mehr hinzuzufügen.
Mißtrauen in Paris . Infolge der von Weftarp durchgesetzten Botschafters Erklärungen.
Paris , 1. Oftober.( Eigener Drahtbericht.) Der„ Quofidien" weist darauf hin, daß die Ministerkonferenz ungeachtet der Oppofition ber Deutschnationalen stattfinden werde. Die Manöver der Deutschnationalen, so schreibt das Blatt, häffen nicht ausgereicht,
um die Konferenz scheifern zu laffen. Sie hätten jedoch berechtigtes Mißtrauen in den franzöfifchen Linkstreifen entstehen laffen, die mit Recht sich die Frage stellten, ob die deutsche Regierung auf dem Wege, den fie fich vorgezeichnet hätte, fortzufchreiten imftande fein werde, ohne den Deutschnationalen gefährliche Kon3effionen einzuräumen.
Vanderveldes Optimismus.
Rede des Außenministers auf dem Bezirksparteitag. Brüssel, 1. Oktober. ( Eigener Drahibericht.) Der Ministerrat behandelte am Mittwoch nachmitag eingehend die auswärtige Lage, das Finanzproblem und die Stabilisierung. Am Abend machte Außenminister Vandervelde in der Brüffeler Kreisversammlung der Arbeiterpartei interessante Mitteilungen über die Pläne der Regierung. Diese sei fest entschlossen, den belgischen Franken im heutigen Werte zu stabilisieren und zwar durch Herstellung des Budgetgleichgewichts, was nach Ansicht der Regierung durch Sparfamkeit und neue Steuern auf tragfähige Schultern zu erreichen sei. Ferner beabsichtige man in England, Amerika und Holland zur Verteidigung der Baluta eine Anleihe aufzunehmen. Im geeigneten Augenblick würden die Sozialisten, so führte Vandervelde aus, unbedingt auf Verkürzung der Militärdienst zeit be stehen. Ueber die internationale Lage äußerte er sich mit großem Optimismus. Es sei taum zweifelhaft, daß Deutschland innerhalb weniger Monate Mitglied des Völkerbundes sein werde und wenn, wie er zuversichtlich hoffe, der Sicher heitspakt bald wirklichkeit werde, dann werde auch Belgien seine militärischen Ausgaben wesentlich herabsetzen und dadurch das Binanzproblem und die Teuerungsfrage glüdlich lösen fönnen.
Die Schwierigkeiten für Locarno . London , 1. Oktober. ( E.) Die englischen Delegierten werden am Samstag nach Locarno abreisen. Man schäzt die Konferenz dauer hier auf etwa 14 Tage.„ Daily Telegraph " schreibt: Abgesehen davon, daß Deutschland die Haltung Rußlands in Betracht ziehen müsse, enthielten die vorgeschlagenen Punkte selbst noch viele Schwierigkeiten, wie z. B. die zeitliche Begrenzung des Vertrages und seine notwendig werdende Erneuerung, die Ver schiedenheiten in der Auffassung Frankreichs und Deutschlands über die Art der Schiedsgerichts- und Bermittlungsverträge und den Einfluß der östlichen Abmachungen auf den Westpakt.
Die Konferenzteilnehmer.
Die deutsche Abordnung reist morgen, Freitag, abend nach Locarno . Sie besteht aus dem Reichskanzler 2uther, dem Außen. minister Dr. Stresemann, ten Staatssekretären Rempner
und v. Schubert sowie den Ministerialdirefloren Baus und Riep. Generalsekretär der Abordnung ist Legationssekretär Redelhammer.
Condon, 1. Oktober. ( EP.) Die englische Delegation wird felgende Zusammensetzung haben: Chamberlain, Cecil Hurst, Compson, Seldby, Kabinettschef Chamberlains, und Bonnott.
Paris , 1. Oftober.( EP.) Die französische Delegation wird bestehen aus: Briand , Philippe Berthelot , Generalsekretär am Quai d'Orsay, Léger, Kabinettschef Briands, Fromageot, juristischer Sachverständiger am Quai d'Orsay, und Massigli, Sekretär der Botschafterfonferenz.
Hölle auf Erden.
Die Zustände im Braunkohlenrevier.
Bon C. Bollmershaus.
Der südliche Teil der Provinz Brandenburg , die Niederlaufig, ist der industriereichste und kann sich in dieser Beziehung mit den Industriegebieten anderer Teile in Deutschland messen. Vorherrschend sind die Textilindustrie und der Brauntohlenbergbau. Lezterer ist besonders durch den Krieg und seine Folgen ungemein gewachsen. Industrien, die von der Kohle direkt abhängen, haben sich gebildet. Große mächtige Elektrizitätswerte sind entstanden, die ihre Energie nach allen Himmelsrichtungen ausstrahlen. Berlin ist einer der wichtigsten Verbraucher dieser Energie. Aber auch die chemische Industrie hat durch die Kohle in der Niederlaufig Eingang gefunden, so das Lautawerk im südlichsten 3ipfel des Kreises Kalau . Dieses Werk stellt das„ Lautal" her, das, wie Fachleute behaupten, das beste Aluminium ist.
Was sich in den dortigen Br a unfohlengruben abspielt, davon haben nur wenige Verbraucher der Kohlenprobutte eine Ahnung. Wenn sich der Städter im falten Winter hinter seinem Ofen, den er mit Briketts feuert, so recht mollig fühlt, fommt ihm wohl selten der Gedanke, unter welchen Verhältnissen das Urprodukt seiner Stubenwärme gewonnen wird. Bei zwölfstündiger Arbeitszeit, bei Wind und Wetter arbeitet der Bergmann bei einem Spigenlohn von 4,40 M. In der Vorkriegszeit erhielt der Bergarbeiter für einen Stundenlohn einen Zentner Briketts; jetzt erhält er für einen Stundenlohn einen halben Zentner.
Die Gewinnung der Brauntohle über Tage wird heute maschinell betrieben. Bagger von ungeheuren Dimensionen legen durch Abräumen der Erde die Rohle frei. Andere Bagger werden direkt an der Kohle angesetzt. Hier heißt es fördern, fördern! Elektrisch betriebene Schleppzüge führen die Kohle entweder direkt zum Kraftwerk oder in die Brikettfabrik. I ag und Nacht in zwei Schichten wird gearbeitet.
Soziale Rücksichten kennt das Braunkohlenunternehmertum nicht, am allerwenigsten fennt diese die Ilse Braunfohlen Bergbau.- G., deren Briketts sich allgemein der Beliebtheit hauptsächlich in Berlin erfreuen. Nicht nur die Arbeitskraft des Bergmanns nimmt diese Firma für sich in Anspruch, sondern den ganzen Menschen mit Frau und Rind. Hierbei soll auch nicht verhehlt werden, daß sich die Arbeiterschaft mehr Selbstbewußtsein aneignen müßte.
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Zwar schreibt der Tarifvertrag eine wöchentliche Arbeitszeit von 58 Stunden vor, aber was schert die Firma Gesez und Recht? Wer nicht mindestens 72 Stunden die Woche arbeitet, dem droht die Entlassung. Die Söldlinge der Direktion, Stahlhelmanhänger und Werkgemeinschaftler machen es sich zur Aufgabe, die Arbeiter zu wahren Mittagspause innerhalb der zwölfftündigen Arbeitszeit Stlaven herabzudrücken. Reine Frühstücs und fann eingehalten werden. Maschinensteiger, Baggerführer stehen auf Prämie. Infolgedessen wird teine Maschine angehalten. Essen können die Arbeiter nur dann, wenn irgendwelche Störungen eintreten. Infolge dieser Arbeitsmethoden werden zwölf Stun= den gearbeitet, aber nur für zehn Stunden Lohn gezahlt. Als Spigenlohn, wie vorstehend angeführt, 4,40 m. die Schicht, gleich 36,6 Pf. die Stunde. Um diesen fargen Lohn etwas aufzubeffern, kommt es nicht felten vor, daß Arbeiter drei Schichten hinterein ander verfahren, also 36 Stunden arbeiten!
Die Arbeiter der Gruben wohnen nicht alle in den WerksParis, 1. Oktober. ( TU.) Aus Nom wird gemeldet: Mach wohnungen, sondern wohnen zerstreut und haben vielfach mit offiziöjen Informationen wird Mussolini wegen des großen fashisti dem Fahrrad täglich 1% Stunden von und nach der Arbeitsfchen nationalen Kongresses endgültig auf die Teilnahme an ber Locarno - Konferenz verzichten. Italien wird durch unterſtätte zu fahren. Es kommt nicht selten vor, daß die Arbeitsstaatssekretär Grandi, Baron Romano 2 ve 33 ana, den Gefandten in Paris und Marquis della Torretta, Botschafter in London , vertreten sein. Es ist jedoch nicht unwahrscheinlich, daß Mussolini zur Unterzeichnung des Battes auf der Konferenz erscheinen wird.
Einigung in Washington . Neber Frankreichs Schuldentilgung.
wird gemeldet, baß es zwei von der amerikanischen und französischen Paris , 1. Ofiober.( Eigener Drahtbericht.) Aus Washington Einigung in der Schuldenfrage zu gelangen und ein Ab? emmen Delegation eingefeßten Unterkommissionen gelungen fei, zu einer über die Regelung der französischen Schulden an Amerita fertig zustellen. Dieses Abkommen, dessen Einzelheiten noch nicht bekannt find, sieht folgendes vor: die ersten fünf Jahre französische Jahres zahlungen von 40 Millionen Dollar, die nächsten sieben Jahre Jahreszahlungen von 60 Millionen Dollar und von da ab durch fünfzig Jahre jährlich 100 Millionen Dollar. Ben amerikanischer Seite sei Frankreich auch eine seine 3ahlungsfähigkeit schützende Klausel zugestanden worden, die Revision bzw. Aufhebung der Jahreszahlungen vorsicht für den Fall, daß deren Entrichtung erhebliche finanzielle Schwierigkeiten für Frankreich zur Folge haben mürbe. Dieses Abkommen, das in erster Linie dank der 3uge ständnisse Ameritas zustandegekommen zu sein scheint, werde heute, Donnerstag, der Plenarsizung vorgelegt werden; ihre Genehmigung scheint bereits gesichert zu sein. Danach soll das Abfommen vom Präsidenten Coolidge unterzeichnet werden. Caillaug läßt die Meldung dementieren, wonach er die Absicht hätte, in Amerita Berhandlungen über Aufnahme einer neuen Anleihe zu führen.
zeit einschließlich der Wege zur Arbeit täglich 18 Stunden beträgt, und doch könnte man beinahe zu der Ansicht neigen, daß diese Arbeiter noch besser daran sind, als ihre Kameraden, die in den Werkshäusern wohnen, beispiels weise auf der Grube Erita zwischen den aufgeschütteten Sandhalden, filometerweit von Dörfern und 1 bis 2 Meilen weit von Städten entfernt. In der Werkskolonie der Grube Erita sind die Bewohner darauf angewiesen, ihre Lebenshaltungsgegenstände durch das Kaufhaus der Ilse- ,, Wohl Schneider, fein Geschäftsmann kann sich hier niederlassen, dafür fahrts" Gesellschaft zu beziehen. Kein Schuhmacher, tein sorgt die Firma.
Daß die Werfsgemeinschaften, diese gelben Sumpfpflanzen, blühen und gedeihen, auch dafür sorgt die Firma, denn den Arbeitern werden 30 resp. 40 Pf. Beiträge für diese vom Lohn abgezogen. Sobald sich ein Arbeiter unbeliebt gemacht hat, fliegt er. Damit muß er auch sofort die Wohnung räumen. Die Räumungsklagen schlagen alle zugunsten der Firma aus. Nicht selten steht ab und Gut dieser Arbeitsstlaven tagelang auf der Straße, dem Regen ausgesetzt. Auf Schuß für Leben und Gesundheit wird feine Rüdsicht genommen. Auch die Bergbauaufsichts behörde scheint hierfür nicht das notwendige Interesse zu haben.
Infolge dieser standalösen Zustände ist die Krankheitsziffer bis zu 17 Proz. Dann schreit das Unternehmertum über die Höhe der sozialen Lasten. Arbeiterrechte gibt es bei dieser Firma überhaupt nicht. Den Betriebsratsobmann der Grube Erika beschäftigt man zirka 12 Kilometer von der Grube entfernt, damit er keine Möglichkeit hat, mit der Belegschaft in Fühlung zu Commen. Die französische Mission mit Caillaug reist Freitag abend auf Die Werksdirektion will auch noch die wöchentlichen Sprechdem Dampfer" France " nach Frankreich zurüd,
I zeitstunden dem Betriebsrat entziehen.