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Sonntag

4. Oktober 1925

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Unterhaltung und Wissen

Kampf um die Stadtverwaltung.

Von Stephan Leacod.*)

Unsere Stadtverwaltung," sagte Herr Newberry, lehnte fich in einen der ledernen Fauteuils des Mausoleumflubs zurück und steckte fich eine zweite Zigarre an, tit morsch, durch und durch morsch." Böllig morsch," stimmte Herr Dick Overend zu und flingelte, um einen Whisky mit Soda zu bestellen.

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Korrupt," sagte Herr Newberry, zwischen zwei Rauchwolfen. Sie faßen in einer ruhigen Ecke des Klubs es war Sonn­tag abend und sprachen zunächst über die Fäulnis in der Politik Ameritas; nicht mit tampflustiger Hize, sondern mit der nachdenk­lichen Traurigkeit, die einen älteren Mann überkommt, wenn er in einem ledernen Fauteuil seines vornehmen Klubs sitzt und, eine gute Zigarre rauchend, über den Berfall unserer Zeit nachfinnt.

So hatten sie, naturgemäß, ihr Gespräch über die Fäulnis der Staatsregierung auf die Fäulnis in der gefeßgebenden Körperschaft gebracht. Wie ganz anders war sie als jene, die sie als junge Leute gefannt hatten! Nicht nur anders, was die Bestechlichkeit betrifft, auch anders, fagte Herr Newberry, was ben Menschenschlag an­langt. Er entfann fich, wie er einmal als zwölfjähriger Junge von seinem Vater mitgenommen worden war, eine Debatte mit anzu­hören. Es war unvergeßlich gewesen. Giganten, einfach Giganten. Er sagte, er erinnere fich ganz deutlich an einen Mann, dessen Namen er nicht mehr wiffe; er hätte über eine Frage gesprochen erinnere fich im Augenblic nicht, über welche, und ob dafür oder dagegen sei ihm entfallen; aber es wäre ihm durch und durch gegangen. Nie würde er es vergessen. Es hätte sich ihm ins Gedächtnis eingegegraben, als ob es gestern gewesen wäre.

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Aber die heutige gefeßgebende Bersammlung hier nidte Herr Did Dverend traurig, wie zur Bestätigung dessen, was, wie er mußte, jest tommen müßte die heutige, ja! Herr Newberry fagte, er habe vor einer Woche Gelegenheit gehabt, in Zusammen­hang mit einer Eisenbahnvorlage, die er versuchen wollte, zu heißt, die er gern hätte furz, in Zusammenhang mit einer Eisen­bahnvorlage die Hauptstadt zu besuchen, und als er dort Umschau hielt und die Männer in der Versammlung sah, ba mußte er sich geradezu schämen; er fonnte es nicht anders ausdrüden als geradezu schämen.

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Inzwischen wuchs die Welle des bürgerlichen Enthusiasmus, deren Heranbrausen wir in den Gesprächen der Blutoria Avenue gespürt haben, von Tag zu Tag.

Es ist ein Standal," sagte Herr Lucullus Fyshe zu Herrn Spillifins. Also diese Kerle da unten im Rathaus find die reinsten Spizbuben. Zufällig haite ich neulich geschäftlich dort zu tun( es handelte sich um die Steuern unserer Sodafabriten) und, wissen Sie, ich mußte erleben, daß diese Burschen Geld nehmen."

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Na, ich sage ja, ich sage ja!" sagte Herr Spillifins. Was Sie nicht sagen!"

Tatsache, wiederholte Herr Fyshe, fie nehmen Geld. Ich rief den Unterschaßmeister beiseite und sagte: Ich möchte es gern so und so haben und ließ eine Fünfzig- Dollar- Note in seine Hand gleiten. Und der Bursche nahm sie an, nahm sie bereitwilligst an." Er nahm fie?!" ächzte Herr Spillifins.

Ja," sagte Herr Fyshe. Es müßte ein Strafgesetz dafür geben."

Ich sag's ja!" rief Herr Spillitins aus, fie müßten Gefängnis dafür bekommen.

Und die bodenlose Frechheit dieser Leute," fuhr Herr Fyshe fort. Am nächsten Tage ging ich hinunter, um den stellvertreten. den Borsitzenden zu sprechen( es war in derselben Angelegenheit), fagte ihm, was ich wollte, und schob ihm eine Fünfzig- Dollar- Note hin. Und der Kerl schleuderte sie mir wütend zurüd. Er wollte nicht."

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Wollte nicht?!" feuchte Herr Epillitins, so was!" Gespräche wie dieses füllten die Mußestunden und unterbrachen die Geschäftszeit von allen besseren Bürgern der Stadt.

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Wie düster auch der Horizont im allgemeinen aussah. ein lichter Punkt war doch wahrnehmbar." Die Welle" war offensichtlich in einem sehr günstigen Augenblick gekommen. Denn es standen nicht nur die städtischen Wahlen bevor, sondern gerade zu diesem Zeitpunkt schwebten drei oder vier außerordentlich wichtige Fragen, die die neugewählte Stadtverordnetenversammlung lösen mußte. Zum Beispiel die Frage, ob man die Straßenbahngesellschaft ent­eignen folle ein Objekt von vielen Millionen; oder die Entschei dung über die Berlängerung der Konzession für die städtischen Elektrizitätswerte eine Lebensfrage; und da war noch der Ankauf von einem Stück Land zur Erweiterung des Friedhofs, das vier hunderttausend Dollar foften sollte, eine Angelegenheit, die unbe dingt geregelt werden mußte. Und man fühlte, besonders auf der Blutoria Avenue, wie wundervoll es sei, daß die Stadt gerade zu der Zeit moralisch erwachte, wo diese Probleme afut wurden. Alle Attionäre der Straßenbahngesellschaft und der elektrischen Werke zu ihnen gehörten die allerbesten und hochherzigsten und Bürger der Stadt spürten, wie notwendig jetzt eine große moralische Anstrengung sei, um die Stadt zu heben und mit fortzureißen; wenn nicht die ganze, dann jedenfalls soviel von ihr wie sie irgend fonnten. Es ist eine herrliche Bewegung," sagte Herr Fyshe( er war Hauptaftionär und Direktor der Elektrizitätsmerfe), wie schön, daß mir wegen unserer neuen Konzession nicht mit einem bestechlichen Lumpengesindel, wie diesen jezigen Stadträten, verhandeln müssen. Wissen Sie, Furlong, als wir zuerst mit einem Vorschlag zur Er. neuerung auf hundertfünzig Jahre an sie herantraten, de lehnten sie ab. Hundertfünfzig Jahre seien zu lang. Denken Sie nur! Hundert fünfzig Jahre( nur anderthalb Jahrhunderte) zu lang für eine Ronzession!"

Schändlich!" sagte Herr Furlong.

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Mit dem Friedhof ist es dieselbe Sache," fuhr Herr Lucullus Fyshe fort. Diese Gauner hätten jenem Lumpen, dem Schwefel dampf, vierhunderttausend Dollar für seine fünfzig Ader gegeben, wenn die Bewegung nicht gekommen wäre und sie in Schach hielte. Stellen Sie sich das vor!"

Ich weiß nicht," sagte Herr Fulong mit nachdenklicher Miene, Dierhunderttausend Dollar find doch, soviel ich davon verstehe, tein übertriebener Breis für solch ein Stüd Land?"

Gewiß nicht," fagte Herr Fyshe ruhig und bestimmt und fab Herrn Furlong forschend dabei an, es ist fein hoher Preis. Es scheint mir, wenn ich als gänzlich Unbeteiligter sprechen darf, ein fehr anständiger vernünftiger Preis für fünfzig Ader Borstadt. gelände, vorausgesetzt, daß es das richtige Land ist. Wenn uns zum

) Aus Abenteuer der armen Reichen". Berlag Williams u. Co., Charlottenburg .

FLOCARNOS

Die Abgehängten

Wir trugen sieben Jahre lang den Dolchstoss von Versailch Und riefen nach der Monarchie engros und endetailch Und wer da nicht mit eingestimmt, den haben wir gehillt, Wir machten deutsche Politik mit Schnauze, Schwert& Schild Doch stalt daß İHR uns rettetet,

Wie Thruns einst versprochen,

Dab Jarden Feind verplättelel, Thr- den

Habt Ihr das Wort gebrochen.

OWotan Weh! Rotest! Auch Thr?

Es schwirrt ein Schwurzum Ather Onationales Schmachgeschwür Verräter!

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Verräter!

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Beispiel die sehr schöne, ungefähr zwanzig Ader große Strede Land angeboten würde, die, wenn ich nicht irre, Ihre Korporation auf der anderen Seite des Friedhofs befißt, dann würde ich sagen, vier. hunderttausend Dollar ist ein äußerst bescheidener Breis."

Herr Furlong nidte nachdentlich mit dem Kopfe. Sie hatten daran gedacht, es der Stadt anzubieten, nicht wahr?" fragte Herr Fyshe.

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Ja," sagte Herr Furlong, zu einer mehr oder minder geringen Summe von Summe von vierhunderttausend oder sowas. Wir hatten das Gefühl, bei so einer, faft heilig zu nennenben Sache, folle man fo wenig wir irgend möglich schachern."

Ueberhaupt nicht," stimmte Fyshe zu.

Wir dachten," fuhr Herr Furlong fort, wenn die Stadt unser Land zur Bergrößerung des Friedhofs braucht, so soll sie nach ihrem eigenen Gutdünken dafür bezahlen- pierhunderttausend, eine halbe Million. mit einem Wort, überhaupt jeder Betrag von vierhundert. tausend aufwärts, den sie daran wenden will. Wir betrachten das nicht als Geschäft. Unser Lohn liegt in der bloßen Tatsache, daß wir es ant sie verlaufen."

Gewiß," sagte Herr Fyshe, und natürlich ist Ihr Land in jeber Hinsicht vorteilhafter. Schwefeldampfs Grundstück ist von 3npressen und Immergrün und Trauerweiden überwuchert, die es für einen modernen Friedhof ganz untauglich machen; während Shres, soweit ich mich erinnere, hell und frei daliegt, ein lockerer, sandiger Boden ohne Bäume und Gras."

Ja," sagte Herr Furlong, wir dechten auch, daß unser Grund ftüd, mit den Gerbereien und chemischen Fabriten als Hintergrund, etn idealer Blak sei- für- für- er hielt inne und suchte nach einem paffenden Ausdrud für seinen Gedanten.

Für die Toten," sagte Herr Fyshe mit geziemender Ehrfurcht. Und nach diesem Gespräch verstanden Herr Fyshe und Herr Furlong einander vollfommen, was die neue Bewegung anbetraf. Es war in der Tat erstaunlich, wie schnell fich das Licht ver breitete. 3ft Raffelyer- Brown auf unserer Seite?" fragte jemand ein paar Tage später Herrn Fyshe.

Mit Leib und Seele," antwortete Herr Fyshe. Er ist sehr erbittert über die Art, wie diese Halunten die städtische Kohlenver­forgung übers Ohr gehauen haben. Er sagt, die Stadt habe von den Gruben Rohlen en gros gefauft, zu bretundfünfzig völlig mertloses Zeug, sagt er. Er hat gehört, daß alle tiese Schurken im Winter fünfundzwanzig bis fünfzig Dollar bekommen haben, damit fie ein Auge aubrüdten."

Beilage des Vorwärts

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Mein Gott !" jagte der Zuhörer. Schändlich, nicht wahr?!" sagte Herr Fyshe.

Aber ich sagte

es schon zu Raffelyer- Brown: was fann man tun, wenn die Bürger fich nicht selbst für diese Dinge interessieren? Ihr eigener Fall zum Beispiel, sagte ich zu ihm, wie fommt es, daß Sie, ein Mann aus der Kohlenbranche, der Stadt nicht in dieser Angelegenheit beistehen? Warum beliefern Sie die Stadt nicht? Er schüttelte den Kopf. Zu breiundfünfzig würde ich's nicht machen, sagte er. Nein, antwortete ich, aber wollen Sie zu fünfundfünfzig? Er fah mich einen Augen­blid lang an, dann fagte er: Fyshe, ich will es tun; zu fünfund fünfzig oder zu irgendeinem höheren Preis, den Sie mir nennen. Wenn wir einen neuen Rat bekommen, fönnen Sie selbst Ihre Bedingungen stellen. Gut, sagte ich, ich hoffe, all die anderen Geschäftsleute werden von demselben Geiste beseelt sein."

Max Halbe .

( Zu seinem 60. Geburtstag am 4. Oktober.)

Wenn man heute von Mar Halbe spricht, so ist und bleibt er nur der Dichter der Jugend". Dieses lebendige, faft zeitenthobene Stüd war Halbes erfter großer Wurf, aber es ist auch seine Tragödie geworden. Der Dichter hat das selbst empfunden, als er einmal fagte, man wolle ihn an das Kreuz der Jugend" schlagen und scheinbar nur noch solche Stücke von ihm haben. In der Tat ist der Eindruck dieses Stüdes so start gewesen, daß sich weder die wert vollere Mutter Erde" noch der mindestens gleichwertige Strom" neben der Jugend" behaupten fonnten. Diese Beurteilung hat Halbe sehr geschmerzt, ihn bitter gemacht und offenbar auch dichte­risch gelähmt. In jedem Falle bleibt Mar Halbe für alle Zeiten der Mann, der zum ersten Male mit vollem Erfolge den starren Ring des Naturalismus durchbrach und, ohne die früheren Bahnen reiner Schöngeister zu beachten, eigene Pfade zog.

Halbe entstammt einer alten westpreußischen Bauernfamilie, die vor mehr als 200 Jahren aus Westfalen nach dem Osten ausge­wandert war. In der Nähe von Dirschau , das heute den Polen gehört, stand im Dorfe Güttland die Wiege Halbes. Doch es litt ihn nicht wie seine Brüder und Ahnen auf der Heimatlichen Scholle, und als Erster feiner Familie fehrte er ihr und ihrer Art den Rüden. Er studierte in Berlin und München und fam hier bald in die Dichterrunde der M. G. Conrad, Hendell, Held u. a., die bie Führung auf dem Gebiete des neuen Schrifttums übernommen hatten. Tatfräftige Hilfe aber fand er erft durch die Männer des Friedrichshagener Kreises, der sich um Köpfe wie Bölsche, Wille und die Brüder Hart gruppierte. Diese sezten denn auch bald Halbes