Einzelbild herunterladen
 
Nr. 473 42.�ahrgattg
7. Seilage ües vorwärts
Mittwoch, 7. Oktober 1925
warum öie hohen Ileifthpreise? Wer die Preissenkungen verhindert.
Es muß schon ziemlich schlimm um die V i e h p r e i s e bestelli sein, wenn selbst das politische Organ des landwirtschaftlichen Groß- grundbesitzes, dieDeutsche Tageszeitung' zugeben muß, daß sie zu hoch sind. Wenn man berücksichtigt, daß vor dem Kriege die Schweine pro Pstind Schlachtgewicht 44 bis 45 Pf. kosteten und hi.ute der Durchschnittspreis 1 M. pro Pfund Lebendgewicht, in Schlachtgewicht umgerechnet 4,25 M. beträgt, wenn man serner weiß, daß vor dem Kriege der Durchschnittspreis im Kleinverkauf 90 Pf. betrug, und heute Z M. pro Pfund, dann wird man es begreisen, daß selbst ein Organ, das sicherlich nicht die Interesien der Verbraucher vertritt, bei diesen Preissteigerungen etwas die Fassung verliert. Die höhe üer Schweinepreise ist nur aus der Zlrt zu erklären, wie in Berlin   der Viehverkaus organi­siert ist. Kurz vor Pfingsten hatten wir einen sehr erheblichen Aus­trieb von Schweinen. Dieser verringerte sich sofort, al» der Zolltans- rummel einsetzte und als ein handelspolitischer Kriegszustand mit Polen   eintrat, der verhinderte, daß aus Polen   Schweine kamen. Die Landwirtschaft hielt eben die Schweine zurück. Begünstigt wurde dies dadurch, daß in der heißen Sommerzeit der Fleischverbrauch an sich rückläufig ist und daß durch die Spekulation in Getreide und Futtermitteln in dieser Zeit eine Erhöhung der Futtermittelpreise eintrat. Die Landwirte nahmen an, daß die Preise weiter steigen würden, und gaben daher nur in dem Maße Vieh ab, als sie Geld nötig hatten. Der Durchschnittsauftrieb von Schweinen betrug in den erwähnten Monaten ungefähr 5000 für jeden Markttag. Auf dem Viehhof in Berlin   finden zwei Markttage statt, am Mittwoch und Sonnabend und zwar ist am Mittwoch das Geschäft im oll- gemeinen viel größer als am Sonnabend. Es ist min festzustellen, daß am 30. September ein Schweineaustrieb von 41 377 Schweinen nach dem amtlichen Bericht zu verzeichnen ivar. Und während noch am Zb. September der Preis auf etwa 400 M. pro Zentner Lebend­gewicht war, ging er infolge des starken Auftriebes am 30. Sep­tember um Z M.. bei einigen Gewichtsgrenzen noch weiter, zurück. Die Preisnotierung am viehmarkt erfolgt durch eine Uotierungskommission, in der alle am Vieh- und Fleischhandel interessierten Erwcrbskreise ihre Vertreter haben. Es fehlen nur die Verbraucher und das ist bezeichnend. Der Vorsigende dieser Notierungskommission ist der Direktor des Viehhofes und die Notierung geichichr in der Weif«, daß die sogenannten Koinmissions- zettel, d. h. die Zettel, die die Viehkommissionare über jeden Ver- kaufsabschluh ausschreiben, bei der Gewichtsabnahme der verkauften Tiere notiert werden, daß die Preise in die betreffenden Oualitäts- rubriken eingezeichnet werden und daß aus der Zahl der verkauften Tiere und den erzielten Preisen der rechnerische Durchschnitt gezogen wird. Also eine Statistik völlig einwandsreier Feststellungen, gegen die Bedenken durchaus nicht zu erheben sind. Wenn die Viehpreise so hoch sind, so ist nicht zum wenigsten die Einrichtung der viehkommissionare eine der Hauptschuldigen. Die Viehkommissionär«, die ein Interesse daran haben, dauernd mit War« beliefert zu werden, müssen sich mit ihren Lieferanten gut stellen und für sie die höchsten Preise herausholen. Sie wirken, ob sie wollen oder nicht, am Markte als preistreibende Kraft an den Markttagen. Sie entschließen sich erst dann mit ihren Preisen herunterzugehen, wenn sie sehen, daß sie zu den erhofften Preisen ihre Ware nicht los werden. Ein weiterer Antrieb zur Preis» steigerung ist die Tatsache, daß der Schweinebestand vor dem Kriege in Deutschland   etwa 25 Millionen Stück betrug, während heute nur 46 Millionen Tiere gezählt werden. Dabei ist zu berücksichtigen, daß gerade die haupttieseranten Berlins  , Westpreußen   und Posen, weil sie ja an Polen   gefallen sind, für die Versorgung des Berliner  Bedarfs nicht mehr in Frag« kommen. Der Schweinebestanü reicht für die Versorgung der deutschen   Bevölkerung nicht aus und es muß auf jeden Fall zur Sicherstelliing der Versorgung Vieh eingeführt werden. Es ist daher notwendig, daß wir zu polen   In irgendwelche handelsvcriragliche Beziehungen treten, damit wir in der Lage sind, durch Einfuhr polnischer Schweine unsere Fleisch-
Versorgung sicher zu stellen und auch die Preise zu regusseren. Ein weiterer Regulierungssaktor wird die Einfuhr von Gefrierfleisch sein. Daß die Qualität des Gesrierfleisches in keiner Weise dem des Frischfleisches nachsteht, wurde an dieser Stelle schon oft genug betom. Im September betrug der Großhandelspreis für den Zentner Gefrierfleisch vom Rind 50 bis 04 M., für den Zentner Gefrierfleisch vom Hammel 80 M., für Rindfrischfleisch wurden 80 bis 400 M. pro Zentner bezahlt und Hammelfleisch kostete sogar noch etwas mehr. Nun sollen pro Jahr 90 000 Tonnen Gefrierfleisch noch Deutschland   zollfrei hereinkommen. Auf Berlin   entfallen davon 42 000 Tonnen. Die Verteilung geschieht durch eine Kommission, in der Vertreter der Güterverwattuirg, der Konsumgenossenschaft und der Fleischerinnung sitzen. Die mit dem Verlaus Betrauten müssen sich verpflichten, den festgesetzten Preis innezuhalten, da sie sonst von der Weiterbelieferung ausgeschlossen werden. So gering auch im Verhöttnis zum Gesamtverbrauch die Gefrierfleischmenge sein mag, so kann sie dennoch preisregulierend wirken. Viel verspricht man sich auch für die Regulierung des Fleischpreises von dem am 42. Oktober zu eröffnenden Zleifthgrohmarkt. Bisher ist nur eine Halle von 42 000 Quadratmeter fertiggestelkt und es ist geplant, eine weitere Halle von 7000 Quadratmeter und eine kühlhalle von 42 000 Quadratmeter zu bauen. Aber schon die Tatsache, daß es möglich ist, in Kühlhallen Fleisch in größeren Mengen aufzubewahren, das beim Anziehen der Preise sofort als Preisregulator nach unten auf den Markt kommen kann, zeigt, daß der Lau der zweiten Halle möglichst beschleunigt werden muß. Sehr wesentlich für die Viehpreise sind auch die Kornpreise. Dank einer guten Ernte sind die Getreidepreise in den letzten Wochen bekanntlich gesunken. Und es ist deswegen die Annahme nicht unberechtigt, daß die Landwirte mit dem Sinken der Getreidepreife auch ein Sinken der viehpreise befürchten und aus diesem Grunde jetzt größere Vieh- mengen auf den Markt bringen. « Bei der Betrachtung der Preisgestaltung auf dem Berliner  Viehhof zeigt es sich, daß die dem Großgrundbesitz nahestehenden Parteien des Roten Hauses olles tun, um Preissenkungen zu ver- hindern, und daß es einzig und allein der sozialdemokratischen Ver- tretung im Stadtparlament zu danken ist, wenn die Preissteigerung nicht noch weiter übertrieben wurde. Die Rechtsparteien, besonders aber die Wirtschaftspartei, hätten es sehr gerne gesehen, wenn auch der letzte Rest der Preisüberwachungsorganisationen verschwunden wäre. Dann wäre für ihre Machinationen kein Hindernis mehr vorhanden gewesen. Der Sozialdemokratie ist es gelungen, wenigstens etwa» von diesen Maßnahmen zugunsten der Verbraucher zu er- hallen, und daran sollten alle bei der Stadtverordnetenwahl am 25. Oktober denken. Falsche lQ-Mark-Reichsbanknoten. Don den seit November vorigen Jahres zur Verausgabung ge- langenden Reichsbanknoten über 40 Reichsmark mit dem Datum des 4 1. Oktober 1924, die ihren Schutz in einem natürlichen, über die ganze Notenfläche reichenden Wasserzeichen (stilisierter Reichsadler mit darüber befindlichem. WorteReichs- dank") und in den im Papierstoff eingebetteten, purpurroten Pflanzenfasern sowie in der die ganze Fläche des Schaurandes de- deckenden gemusterten Blindprägung tragen, ist eine mangelhaft ausgeführte Fälschung sestgesteilt worden, die als solche an nachstehenden Merkmalen zu erkennen ist: Papier: Glatter, weicher Griff, von ähnlicher Stärke, leicht grünlich getönt. Pslanzensasern: Fehlen. Wasserzeichen: Durch farblosen Aufdruck nachgebildet. Gemusterte Blind- prägung: Schlecht nachgebildet, nur teilweise scharf sichtbar. Vorderseite: Aehnlicher Gesamteindruck. Das Männerbildnis ist in roher Zeichnung dick und klecksig, die Zeichnung im netzartigen Irisuntergrund nur teilweise wiedergegeben. Rückseite: Durchweg auffällige Abweichungen in der Zeichnung. Das netz- artige Muster in der Rahmung der seitlichen Ovale ist durch Punkte und dicke Striche ersetzt. Kontrollnummer: Dickeres Typenbild. Vor Annähme dieser Fälschung wird gewarnt. Für die Ausdeckung von Falschmünzerwerkstätten zahlt die Reichsbank Belohnungen.
vas Perpetuum mobile. �Diplomingenieur" Johann O-Hmann als Erfinder. Wenn auch nicht gerade das Perpetuum mobile, so doch ein Ding, das der ersehnten Lösung dieses seit alten grauen Zeiten van unzähligen Grüblern und Tüftlern bearbeiteten Problems nahe- kommt, behauptete Johann Lehmann erfunden zu haben, als er sich jetzt wegen zahlreicher strafbarer Handlungen vor dem Schöffen- gericht Mitte zu verantworten hatte. Lehmann, der schon vorbestraft ist, gab sich als Diplomingenieur aus und behauptete, einen Apparat erfunden zu haben, in dem durch einen Verstärker im Dynamo- Motor der Energieverlust wieder gewonnen werde. Auf diese Weis« müßte dann eigentlich ein Perpetuum mobile herauskommen. Es war ihm gelungen, für seineEntdeckung' verschiedene Geld geber zu gewinnen. Als es aber darauf ankam, den Apparat i» Gang zu setzen, ging es ihm wie bisher dem Erfinder Unruh mit seinem I/-Stro in erzeuge r. Die Erklärungen, die Lehmann über seine Erfindung dem Gericht gab, waren sehr unklar, sodaß sich niemand ein Bild machen konnte, auch der«achverständige nicht. Lehmann aber versicherte mit dem Bnistton innerster Ueberzemp.- daß der Apparat fertig werden würde, sobald er nur wieder in Freiheit gesetzt werde und arbeiten könne. Das Gericht war nahe daran, die Sache zu vertagen, um dem Erfinder Gelegenheit zu geben, in der Praxis zu beweisen, ob er wirklich etwas Neues ent- deckt habe. Di« Vernehmung derZeugen brachte das Gericht jedoch bald zu der Ueberzeugung, daß Lehmann weniger ein Erfinder auf technischem Gebiete, sondern ein solcher auf dem Gebiete der Hoch- stapele! sei. Die beiden Inhaber einer Architektursirma hatte er ver- anlaßt, ihm 3000 M. zu geben, damit er seine Maschine in Hamburg  auslösen könne. Als die Maschine ankam, erklärte Lehmann, daß er sie jetzt erst zusammensetzen müsse, da er sie auseinander genommen habe, weil einige Ausländer van Hamburg   aus damit durchgehen wollen. Die Arbeit dauerte aber ewig. Er wurde nicht fertig und die Geldgeber vertrösteten sich monatelang und gaben ihn, weiter Geld. Inzwischen hatte er aber auch einem Juwelier 0000 M.ab- geknöpft' und ihn an den Einkünften seiner Erfindungbeteiligt'. Die ganze Zeit lebte Lehmann auf Kredit. Cr mietete angeblich als Besitzer eines Autos und Inhaber einer Fabrik mit großem Bank- konto Wohnungen und einmal eine Villa und blieb die Miets-, Telephon-, Gas- und Lichtrechnungen schuldig. Selbst seine Auf- Wärterin pumpte er an. Als die beiden Architekten ungeduldig wurden, erzählte er ihnen, daß er auch ein Leichtmetall er- funden habe, das sogar gegen Kugeln sicher sei. Als aber seine Geldgeber sich an das Materialprüstingsany wandten, bekamen sie den Bescheid, daß es sich auch hier um einen Schwindel handelte. Darauf wurde Lehmann endlich das Handwerk gelegt. Herr Diplom- ingenieur Lehmann hat nunmehr Gelegenheit, in 20manatiger Muße über das Problem des Perpetuum mobile   weiter nachgrübeln zu können. Der verschwundene Cstanffenr. Zu. dem rätselhasten Verschwinden des Chauffeurs Anton P o l c z y n s k i wird mitgeteilt, daß trotz aller Nachforschungen der Kriminalpolizei von deni Vexmißten noch keine Spur gesunden Ist. Die U n t e r s u ch u n g d e r D r o s ch t e ergab, daß sie auch dann nicht weiter gekommen wäre, wenn die Chauffeure vom Lands- berger Platz sie nicht angehalten hätten. Der Motor ist schwer beschädigt, das Oel war ausgelaufen. Spuren eines etwaigen Zusammenstoßes mit einem anderen Fahrzeug oder sonst einem Hindernis stich nicht zu finden, auch nichts, was auf einen Kampf im Inneren des Wagen« schließen ließe. Nichts ist beschmutzt, nichts zerrissen. Festgestellt ist, daß Polczynski am Sonntag 103 Kilo meter mit Fahrgästen und 22 Kilometer leer zurück- gelegt hat. Dem verschwundenen Chauffeur wird auch nach den weiteren Ermittlungen der Kriminalpolizei von allen Seiten das best« Zeugnis ausgestellt. Bei seinem letzten Dienstherrn war er seit sechs Jahren tättg. Mitteilungen an die Mordkommission Trettin-Dr. Berndorff im Zimmer 103 des Polizeipräsidiums. Ter Wriff in die Armenkasse. Wegen Amtsunterschlagung und Urkundenfälschung hatte sich der Armenvorsteher Reinhard vor dem Schöffengericht Wedding   zu ver- antworten. Er hatte aus der ihm anverlrauten Armenkasse Gelder entnommen und in die eigen« Tasche gesteckt. Dabei hotte er auch den Unter st ützungsbcdür.stigen geringere Beträge ausgezahlt, als er in feine Bücher eingetragen hatte. Das Schössen- gericht billigte dem Angeklagten mildernde Umstände zu. da, wie Landgerichtsdirektor Friedniann ausführte, Amtsunterschlagungen bei
53s
Das unbegreifliche Ich.
Geschichte einer Jugend. Roman von Tom kristensen. (Berechtigte Uebersetzung aus dem Dänischen von F. E.   Bogel  .) Ich schlug ein Hohngelächter an und hinkte weiter. Aber als ich ganz auf Grönningen heraus gekommen war, sah ich ein junges Mädchen aus einem Auto aussteigen und über den Bürgersteig in eine Haustür gehen. Ich sah nur die schöne und sichere Art, womit sie die Füße setzte, und ich ahnte, daß sie der Inbegriff von allem war, wonach ich mich sehnte. Es waren bloß die seingeschwungcncn Schuhe, die aneinander vorbeiglitten, die ich sah. Sie flogen nicht in die Höhe: sie wurden bei jedem Schritt ruhig auf das Pflaster gestellt, und es lag etwas Aufrechtes über den Beinen, was auf Bornehmheit deutete. Ich ging auf die andere Seite der Straße hinüber: doch es wurde in keinem der Stockwerke Licht angesteckt. Dieses Erlebnis veränderte meinen Weg durch die dunkeln Straßen am Abend. Nyhavn, mein eines Glas Bier für das gestohlene Geld, und meinen eingebildeten Rausch gab ich auf wegen dieser neuen Wanderung nach einem heiligen Ort. 13. Waldemar verstand Robert Scotts guten Rat, seine Auf» forderung, daß er sich mit May verheiraten sollte und seinen beständigen Refrain, daß er. Scott, trotz alledem an Mays hellseherische Veranlagung glaubte, nicht recht. Aber eines Abends sollte Waldemar Wacht auf einem Frachtdampfer draußen auf dem Flusse halten, um auf Schmuggeleien aufzupassen, und das hatte er May erzählt. Zufällig war er jedoch von Croncy abgelöst worden, und da er nun wider Erwarten frei hatte, ging er in der Dämme- rung nach der Straße, wo May wohnte. Bor ihrem Hause hielt ein Auto. Waldemar stutzte. Was war nun das? Und sofort trat er in den Häuserschatten urück. Es befand sich ein offener Laden da mit einer spär- lichen Beleuchtung, und die Chinesen hinter dem Ladentisch genierten ihn die ganze Zeit mit ihren anpreisenden Zurufen. Einen Augenblick später sah er May über den Bürger- steig gegangen kommen, und hinter ihr erblickte er Roberts Scotts lange Gestalt mit dem gebogenen Rücken. Sie stiegen in das Auto und fuhren fort... ,r;
Eine heiße Welle stieg Waldemar zu Kopf. Ihm schien, als ob er das Erlebnis und sich selbst darin wiedererkannte. War denn sein ganzes Leben zu Wiederholungen bestimmt? Rings herum standen die fremden, schwarzen Chinefen- Häuser, mit den merkwürdigen Giebeln und den langen, schwankenden Ladenschildern, und aus den niedrigen Stock- werken, aus den offenen Läden fiel ein fcywacher, rötlicher Sazein, und dunkle Gestalten bewegten sich in dielen Höhlen mit Waren und Ladentischen. Die Straßen tönten von dem Geschrei der Kulis. Alles war fremd: doch mitten in dieser Fremdheit fand er sein altes Selbst, klein, unruhig, stets de- ttogen. Damit Scott umsonst eine Geliebte bekommen konnte. eine feste Frau, hatte er Waldemar aufgefordert, sich mit May zu verheiraten! Das war das Ganze! Jetzt, wo es Waldemar klar geworden war, mußte er lächeln. Durch einen glücklichen Zufall war er sehend gc- worden! Aber hätte er sich denn überhaupt mit May v--,- heiratet? Nein, das hätte er bestimmt nicht getan, obgleich Scott tagtäglich ihr Lob gesungen hatte! Er hätte es wcht getan. Doch hotte Scott in der letzten Zeit angefangen, davon zu reden, daß es schade um sie wäre, und da war er etwas unsicher geworden. Er nahm eine Rickshaw und ließ sie ohne bestimmtes Ziel fahren. Er wollte sich durch den Anblick der Stadt, die er liebte, betäuben. Er wollte das Rufen und Lärmen und all die Violinen aus den Hotels und Restaurants hören, und wieder fühlen, daß er unmöglich derselbe sein konnte. Nein, er war ruhig, nicht? Er lächelte mit einem asiattschen Lächeln, gewiß doch? Er mußte ein ganz anderer sein, nicht wahr? Aber die Leute kamen ihm fremd, die Musik wie ein unverständliches Getön vor, und die Gesichter aller der Menschen waren ihm fern. Er sah weiße Männer und we.ße Frauen, er sah Chinesen: doch er war allein. Ein paar Jahre waren vergangen. Alle Nerven in mir waren angespannt, und ich lebte in einer Welt, wo alles un- wirklich war. Samuelsen wurde mächtiger und mächtiger für mich. Er war unüberwindlich, ob er nun tyrannisch mar und auf seine Wohltaten mir gegenüber pochte, oder ob er sich besänftigte und mein Leben mit Geistern erfüllte, die ich nicht sehen konnte, weil ich nicht einmal hellsichtig war. In seinem Zimmer roch es stets nach Frauenparfüm, und
ich hatte so viele Stimmen und Schreie und Gekicher da drinnen gehört, daß ich dies ganze Stimmengewirr vor meinen Ohren ertönen lassen tonnte, wenn ich allein zu Hause saß und auf die Stille lauschte. In dem matten, gelben Schein der Lampe   schien es mir auch, als ob ich die Gestalten sich dort im Bett umarmen sehen konnte, den widerlichen. fetten Samuelsen und viele nackende Frauen. Ich ahnte, daß sie dort waren. Wenn sie einmal dort gewesen waren, kann- ten sie nie ganz verschwinden. Etwas von ihnen mußte bleiben. Und ich hatte das gleiche Gefühl diesem Zimmer gegenüber, wie einem Orte, den eine unheimliche Begeben- heit historisch gemacht hat. Die Frauen waren mir immer noch ein Rätsel. Sie kamen mit Kleidern gegangen: doch ich glaubte nicht an ihre Nacktheit. Des Nachts konnte ich träumen, daß eine Frau zu mir hereinkäme und sich entkleidete, und wie ich mit Ent- setzen entdeckte, daß sie einen schwarzen Tierleib hatte. Keine Bilder konnten mich überzeugen. Was da in der Nacht in Samuelsens Zimmer vor sich ging, wußte ich wohl: doch ich verstand es nicht. Wollte meine Phantasie die Ge- sthehnisse verdeutlichen, sprang die blonde Frau Petersen mit einem Tierleib herum, und ich mußte den Kopf schütteln und höhnisch über mich selber lachen, um die Erscheinung fortzu- scheuchen. Mein Leben war unwirklich. Des Abends ging ich aus, um den Betrunkenen oder den Einäugigen oder den Hinkenden zu spielen. Ich suchte die Straßen aus,'wo mich keiner kannte und versuchte dort meine Rollen zu geben. Wenn ich dessen müde war, ging ich nach Grönningen und sah nach der Frau aus, die so hübsch über den Bürgersteig gegangen war. Sie wohnte im zweiten Stock. Ich hatte sie am Fenster sitzen und lesen sehen. Sie hatte leuch- tend gelbes Haar, und eine Zeitlang glaubte ich, sie wäre das Mädchen, das ich vor vielen Jahren auf Trianglen getroffen hatte. Es mußte doch ein Zusammenhang in allem sein. Selbst- verständlich traf man nicht die Frau, die unsere große Liebe werden sollte, so ganz zufällig eines Tages. Es mußte eine Verbindung bestehen, die sich durch wiederholtes, mystisches Zusammentreffen offenbarte: ein flüchttger Blick auf sie in Trianglen, ein flüchttger Blick auf sie in der Bredgade und einmal in der Zukunft ein weit längerer Blick auf sie, und immer näher mußten wir zueinander treiben. (Fortsetzung folgt.)