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Mittwoch

7. Oktober 1925

Unterhaltung und Wissen

Beilage des Vorwärts

Staatsanwalt von Grevesmühlen .

Obdachlos.

Nun legt die Nacht sich schlafen Ich wante machen Schritt, Die Häuser trotten mit. Der Himmel will mich strafen Und weiß nicht, was ich litt

Das war im Rerfergrab, Als ich ein Heim gefunden; Ich hab mein Herz zerschunden Am rohen Eisenstab.

Der Himmel und die Richter

Sind falt wie schriller Wind.

Es steh'n so viele Lichter,

Es geh'n so viele Dichter,

Die arm wie Bettler find.

Und morgen wird ein Morgen sein,

Doch ist es nicht bestimmt.

Wen Nacht nicht mit sich nimmt, Der findet sich zum Morgen ein.

Die Nacht hat tiefe, fiefe Flut, Die manchem Friede scheint, Und tief im Herzen weint

So manches arme welte Blut.

Und was die Nacht, und was der Tag,

Mir fällt es nimmer ein

Du stiller, müder Stein,

Was ist nur mit uns beiden, fag?

elbe

Franz Rothenfelber.

Münchener Herbstbotanik.

Gloffen von W. Wächter.

Wenn das Grummet, der zweite Grasschnitt, troden in die Scheunen gebracht ist, dann rüftet sich der bayerische Bauer zum Münchener Oktoberfest, das zu den bayerischen Belangen gehört wie die Weißwürfte, die gelben Brieffästen und das Königshaus, wofür die Preißen" natürlich kein Verständnis haben. Die Berliner haben ihren Lunapark und die Rummelpläge, wo sie jeden Tag Karussell fahren oder auf der Rutschbahn durch die Lüfte faujen, wo fie fich über die Dame ohne Unterleib oder ohne Kopf oder über die dicke Berta amüsieren fönnen, aber München hat dergleichen nur einmal im Jahre. Das kommt daher, daß man in Isarathen noch eine richtige Jahreseinteilung hat, die vom ganzen Volke respektiert wird. Nach dem Fasching fommt das Fastenbier, dann der Salvator, dann der Maibod, dann der Sommer, dann das Oktoberfest, dann Allerheiligen und schließlich Weihnachten. Die Norddeutschen und zumal die Berliner haben überhaupts" teine Einteilung, fie kennen nur die vier Jahreszeiten, um die sich nie.

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,- 100 Stahlhelmleute sind von 20 Republikanern immer provoziert. Außerdem und überhaupt

mand so recht fümmert, und eine geregelte Nachtrube haben sie auch gehören alle Republikaner ins Zuchthaus!"

nicht, da die Polizeistunde viel zu spät oder gar nicht funktioniert. In München aber herrscht Ordnung, seitdem die Fremden wieder fort sind, man geht um zwölf Uhr zu Bett und um drei Uhr nach mittags auf die Wiesen, wo die Wiesenmaß heuer eine Mart foftet. Die protestantische Geistlichkeit hat ganz recht gehabt mit ihrem Protest gegen das Oktoberfest, menigstens insofern, als die übrigens prachtvollen Bierpaläfte in der Tat dazu verleiten, mehr Geld aus zugeben, als man besitzt. Beim Schottenhamel ist kein Blag zu friegen, beim Löwenbräu fihen die Leute aufeinander, beim Wingerer Fähndl wird man fast zu Tode gedrückt, und in allen anderen Schant- und Gaststätten ist es ebenso. Wieviel Geld würde man sparen, wenn die Maß nur sechzig Pfennige fostete! Aber der Einfluß der protestantischen Herren auf die Brauereibefizer ist offen bar mur ein sehr geringer, und so ist man verpflichtet, über feine Berhältnisse zu leben, wenn man studienhalber oder aus Neugierde oder aus Sitte die Oktoberwiese besuchen muß. Es soll aber nicht nerschmiegen werden, daß Tausende standhafte Arme sich den Wiesendurft verkneifen und auf die nahen Bierfeller gehen, um dort für normales Geld sich eine Maß zu taufen. Natürlich ist auch auf den Kellern alles geſtedt voll, ebenso wie im Mathäfer oder Hofbräuhaus. Wer jetzt noch nicht einsehen will, daß das Bier ein Nahrungsmittel ist, an dem ist Hopfen und Malz verloren. Man hört jezt von Leuten, die es wissen müssen, so oft darüber flagen, daß wir keine einheitliche Weltanschauung mehr hätten, und daß wir infolgdeffen teine gotischen Dome mehr bauen tönnten. Solche Ansicht kann natürlich nur in Berlin ausgeheckt werden, denn das Münchener Bürgertum und das bayerische Bauerntum hat immer noch eine einheitliche Weltanschauung, die sich um den Maß­frug, die Kirche und den König dreht. Das ist weder Scherz noch Satire noch Ironie, sondern die nackte Wahrheit. An dem Mangel einer einheitlichen Weltanschauung tann es also nicht liegen, wenn feine Dome mehr gebaut werden können. Vom naturwissenschaft­lichen Standpunkt aus ist das übrigens ziemlich gleichgültig, be­sonders die angewandte Botanit und Zoologie leiden nicht unter Dem Mangel an mirklich großen Runstwerten; für diese Wiffen. schaften ist das Oktoberfest Kunstwert genug. Daß das Bier zur landwirtschaftlichen Botanit gehört, wird niemand zu bestreiten magen und daß am Spieß gebratene Ochsen, Hühner und Gänse, Fische und am Rost gebratene Schweinswürstel, deren lederer Duft die ganze Festwiese erfüllt, von den Zoologen für sich in Anspruch genommen werden, ist auch verständlich, wiewohl die Zoologen sich meistens nur bis zu den Würmern hinaufarbeiten und vielleicht des­wegen neuerdings an der Abstammungslehre Kritik üben.

Aber bleiben wir bei der Botanit. Der eigentliche solide Kern des Münchener Oktoberfestes ist die Landwirtschaftliche Ausstellung, die jeden Fremden entzücken muß, auch wenn er fein Landwirt ist, Was diese Ausstellung von einer norddeutschen unterscheidet, ist vor allem der Hopfen und der Tabat. Die bayerischen Hopfenbauer, besonders die Hallertauer und Pfälzer , haben ganz prächtige " Hopfendolden", die unter ihren Deckblättern das würzige Hopfen­mehl" bergen, ausgestellt. Die Chemie hat in Bayern den Hopfen noch nicht verdrängt, das sieht man hier, und die Gerste, aus der das Malz bereitet wird, ist ebenso schön. Was sollten diese tüchtigen Bauern, die um die Wette arbeiten, um immer herrlichere Sorten zu züchten, anfangen, wenn die Abstinenzler Oberwasser bekämen! Der pfälzische Tabakbau wirkt ebenso imponierend. Es macht das ausgestellte Tabatgut den Eindrud, als ob man in der Herstellung von Qualitätsware immer weitere Fortschritte mache. Theoretisch ist es möglich, unter den günstigen flimatischen Verhältnissen der Bfalz eine dem amerikanischen oder ostindischen Tabat gleichwertige Ware zu fabrizieren. In der Udermart wird ja auch Tabat gebaut, aber guter Tabat braucht Weinklima oder Maisklima, das im Norden nicht vorhanden ist. Das auch prächtiger Mais in Bayern aedeiht, zeigt die Ausstellung der landwirtschaftlichen Schule in Pfarrkirchen . Die Moorfultur ist von Norddeutschland ausgegangen, aber die bayerische Landesanstalt für Moorwissenschaft hat gezeigt, haß sie der Bremer Moorfulturanstalt in feiner Weise nachsteht. Die Landesanstalt stellt ganz wundervolles Gemüse aus, Hanf, Flachs, Korbweiden, Getreide u. a. Was eine rationelle, auf missen­schaftlicher Grundlage beruhende Kultur hier vermag, fett manchen

Bauern in Erstaunen, der mit seinem Moorboden bisher nichts weiter anzufangen wußte, als Torf zu graben.

Seit der Kriegszeit sehen wir überall wieder die blauen Flachs felder. Ob es gelingen wird, in Zukunft die Konkurrenz der Baum wolle zu ertragen, müssen wir abwarten. Jedenfalls wird noch eifrig für den Flachsbau und die Leinpflanze Propaganda getrieben, zumal der Leinsamen ja auch ein ausgezeichnetes Del und Kraft futter für das Vieh liefert. Kuh und Kalb und auch das Schwein lechzen nach dem guten Lein" heißt es in den luftigen Flachsbau­regeln des Landwirtes Weidner. Was Norddeutschland vor Sud­ deutschland voraus hat, sind die Kartoffeln. Diese nehmen daher in norddeutschen landwirtschaftlichen Ausstellungen einen breiteren Raum ein als auf der Münchener Ausstellung.

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Die Bauern aus dem ganzen Lande besuchen die Ausstellung mit großem Intereffe und die ganze Stadt erhält in diesen Tagen noch mehr das Gepräge einer Landstadt als zu anderen Seiten. Der norddeutsche und fächsische Fremde, für den München lediglich die Kunst- und Bierstadt ist, in der er tun und lassen fann, was er will, und der in den Sommermonaten das Straßenbild völlig verändert, merkt natürlich nichts von der Landstadt". Er betrachtet den Bauern, der in seiner Landestracht ihm hier und da begegnet, als farnevalistische Figur, steckt sich selbst in furze Lederhosen, fauft fich einen Hut mit Gamsbart, versucht zu jodeln und geht ins Hofbräu­haus, wo er herumlärmt und sich mit den Einheimischen anzubiedern versucht. Der Münchener fieht gutmütig diesem Treiben zu, und da er selten die Donau oder gar den Main passiert, fo hält er samt liche Preußen und Sachsen für entsprungene Dalldorfer. Auf diese Weise lernt sich Nord und Süd ausgezeichnet tennen. Kommt dann ein Literat aus dem Romanischen Kaffee um die Sommerzeit nach München oder ins Gebirge, wo es nicht viel anders zugeht, und sicht das Affentheater aus der Kurfürstendammperspektive an, dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn er München und ganz Ober­ bayern für einen Rummelplay hält. Wenn auch panis et circenses, zu deutsch Bier und Gaudi, in München und Umgegend von jeher hoch im Ansehen standen, so darf man doch nicht vergessen, daß diese nur das Gewand find, in das sich der Ernst des Lebens fleidet. Die guten Sommerfrischler sollten fich mur einmal die Mühe geben, die Augen etwas aufzufverren. Dann würden sie erkennen, wie der Gebirgsbauer sich abschinden muß, nur um sein bißchen Heu, auf dem sein Reichtum beruht, trocken zu bekommen, und sie würden dann besser verstehen, was das Oktoberfest in der Landes hauptstadt für den Bauern bedeutet. Und der Münchener selbst fühlt, wenn auch oft unbewußt, mit dem fleinen Bauer, da hier außer der Brauindustrie nur die Fremdenindustrie, die natürlich wie überall die Bevölkerung leicht etwas demoralisiert, in die Erscheinung tritt. Das Industrieproletariat, das in anderen Städten von der gleichen Einwohnerzahl wie München eine ganz andere Rolle spielt als hier, hat bisher noch nicht vermocht, der Stadt München ein wesentlich anderes Aussehen zu geben, als vor dreißig Jahren Darum hat die Oktoberfestwiese auch noch immer ein Recht auf Existenz; man muß fie nur mit den Augen des Bauern betrachten, um ihr gerecht zu werden.

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Woher kommen, neue" Sterne?

Bon Zeit zu Zeit flammt bekanntlich urplöglich am Himmel ein neuer Stern auf, erstrahlt einige Tage in glanzvoller Helligkeit, um dann langsam immer mehr zu verblassen, bis er nach mehreren Mo­naben oftmals faum noch sichtbar ist. Wie ist dieses plötzliche Auf­treten und allmähliche Verschwinden zu erklären?

Früher olaubte man allgemein, daß zwei dunkle, daher für uns unsichtbare Weltförper aufeinandergestoßen und explosionsartig ent­flammt seien. Diese Auffassung hat sich aber als unhaltbar er­wiesen. Denn wenn die große Masse eines Sternes durch eine Er plosion zu glühendem Nebel zerstäubt würde, wie man es annahm, müßten ungeheure lange Zeiträume vergehen, ehe die Leuchtkraft verschwunden ist. In Wirklichkeit nimmt aber die Lichtintenfität

schnell ab. Außerdem zeigen die neuen Sterne" eine auffallende Schwankung ihrer Lichtstärke und diese Schwantungen erfolgen periodisch. Die Dauer dieser Perioden nimmt mit dem Alter" der neuen Sterne zu; d. h. furz nach dem Aufflammen folgen Ab- und Zunahme der Leuchtkraft rasch aufeinander, später werden die Zwischenräume immer größer und können schließlich Monate um faffen. Weiterhin hat man festgestellt, daß sich die Farbe der neuen Sterne gefegmäßig änderte: anfangs erscheinen sie hell bläulich- weiß, dann orange, und zuletzt nehmen sie einen rötlichen Ton an, um schließlich ganz unbestimmt zu verschwimmen.

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Alle diese Erscheinungen lassen sich einleuchtend erklären, menn man davon ausgeht, daß die Lichterscheinungen von leuchtenden Gas­bällen ausgehen. Prof. Emden in München hat nämlich gezeigt, daß man aus den periodischen Lichtschwankungen, die eine leuchtende, pulfierende Gastugel zeigt, Schlüsse auf die Dichte dieser Gaskugel ziehen tann. Der Astronom Barabascheff hat diese physikalischen Er­fenntnisse auf die Verhältnisse der neuen Sterne übertragen, die ja nichts anderes als sich ausdehnende Nebelmassen darstellen. Er hat für den berühmten neuen Stern im Perseus , der 1901 auftauchte, diese Methode benutzt und tam zu dem Ergebnis, daß entsprechend der Zunahme der Lichtschwankungsperiode die Dichte des neuen" Sternes bzw. dessen Nebelmasse von ein Zehntel der Sonnen­dichte auf ein Millionstel der Sonnendichte gefunten war, als die Periode ein Jahr betrug. Die leuchtenden Rebelmassen hatten sich also ungeheuer ausgedehnt und dabei an Leuchtkraft und Farbe ein­gebüßt. Zu dieser Ausdehnung ist natürlich auch Energie nötig. Nach neueren Anschauungen stammt sie nicht aus einer Explosion zweier aufeinandergestürzten Weltkörper diese Energiemenge wäre viel zu gering, auch die Energie der Radio- Elemente, die eventuell in Freiheit gesetzt würde, reicht nicht aus, um die Ausdehnung und das Aufleuchten zu veranlassen. Man glaubt vielmehr, daß die Atome einer dünnen Oberflächenschicht vollkommen zertrümmert mer­den, wodurch ungeheure Energiemengen frei werden. Diese Zer­störung soll eintreten, wenn Weltförper in Nebelmassen geraten und durch den Widerstand start erhigt werden.

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Die Sammelschiene. Leiten die verschiedenen Elektrizitätsmerte eines Landes die von ihnen hergestellte Energie auf einen gemein­famen, das ganze Land durchziehenden Strang, so fönnen sich die Verschiedenheiten in der Produktion ausgleichen. Hat ein Wert Ueberschußenergie, so fann die Kraft längs ber Sammelschiene in ein weit entfernt gelegenes Gebiet desselben Landes geleitet werden, wo Kraftbedarf herrscht.

Neben vielen fleineren und mittleren Kraftwerken find in Deutschland hauptsächlich drei große Energiegebiete zu unterscheiden: Wasserkraft. Die besten Aussichten für ein gemeinwirtschaftliches das Steinkohlengebiet, das Braunkohlenreich und die bayerische im Sommer Ueberschuß an Wasserkraft ist, kann die Braunkohle zu Zusammenarbeiten bietet die Wasserkraft und die Braunkohle. Wenn Briketts verarbeitet und auf Vorrat gelagert werden, während im Winter, wo die Wasserkräfte abnehmen, die Braunkohle mit voller Förderung in Elektrizität umgesetzt wird. Eine fünftige Sammel­schiene wird nun gleichwohl auch die Steinkohle einbegreifen müssen, weil die von ihr hergestellte Elektrizität ein unentbehrlicher wirt­schaftlicher Artifel im nordwestlichen Deutschland ist. Voraussicht­lich wird sich die technische Entwicklung der Energiewirtschaft in den nächsten Jahren so gestalten, daß eine Sammelschiene vom Ruhr. gebiet über das in Mitteldeutschland befindliche Braunkohlengebiet durch Thüringen nach Bayern gelegt wird. Längs dieser Schiene fönnen die drei Hauptzentren der deutschen Energieproduktion zum Ausgleich gebracht werden. Während das Vorbild dieser Anlage, die schweizerische Sammelschiene, vom Bodensee bis zum Genfer See nur etwa 300 Kilometer mißt, wird die deutsche Sammelschiene über 1000 Kilometer lang werden. Dementsprechend werden die Leitungs­| rerlufte sehr groß, und um sie möglichst herabzusehen, wird die Spannung auf eine ungewöhnliche Höhe gebracht werden müssen, vielleicht 200 000 Bolt