Abendausgabe
Nr. 47442. Jahrgang Ausgabe B Nr. 234
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Vorwärts
Berliner Volksblatt
10 Pfennig
Mittwoch
7. Oktober 1925
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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutfchlands
Die Indiskretion der Faschisten.
Auch die Deutschnationalen wollen sprengen.
V. Sch. Locarno, 7. Oktober. ( Eigener Drahtbericht.) Alliierten gegen Deutschland eine Politif der Ganttionen und Am gestrigen Dienstag abend gegen 11 Uhr verbreitete des Mißtrauens gemacht, die charakterisiert werde durch die sich in Locarno das Gerücht, daß italienische Blätter in den Ruhrbesetzung und des Abschlusses der Militärbündnisse Besitz des Pattentwurfs gelangt seien und das Dokument zwischen Frankreich , Belgien , Polen und der Tschechoslowakei . Nun heute früh veröffentlichen würden. Unter den Delegierten und mehr hätten sich die Alliierten zu einer Politie gegenseitiger Berden Journalisten aller Länder frat darüber große Er träge und Abmachungen entschlossen, eine Aenderung, zu der die regung auf und manche Delegationsmitglieder meinten, daß Anregung von Deutschland ausgegangen fei. Welche diefer eine solche Beröffentlichung die Konferenz auf das höchste beiden Methoden die tessere sei, möge dahingestellt bleiben.(!) gefährden, wenn nicht sprengen würde. Man befürchtete Jedenfalls fönne man nicht beide zugleich anwenden, b. h. man könne vor allem davon eine große Erich merung der Stel nicht Berträge auf der Grundlage der vollen Gegenseitigkeit ablung Stresemanns gegenüber den Deutschschließen und gleichzeitig die volle Aufrechterhaltung der früher nationalen. Es ist mun nicht recht ersichtlich, warum die ergriffenen Vorsichtsmaßnahmen verlangen. Unter diesen Umstän Veröffentlichung des Entwurfs eine solche Katastrophe gewesen den werde man taum von den Deutschen erwarten können, daß fie märe, denn der Baktentwurf der Juristen ist von Stresemann in Locarno die ausgesprochen gegen Deutschland gerichteten Abim Auswärtigen Ausschuß des deutschen Reichstages verlefen machungen zwischen den Alliierten anertennen und fie noch und tommentiert worden, die Deutschnationalen fennen ihn durch ihre ausdrückliche Zustimmung bestätigten. also und haben in voller Renntnis feines Besens und seines Inhalts der Teilnahme an der Konferenz zugestimmt. Es ist also nicht einzusehen, warum die Leser der deutschnationalen Zeitungen noch nicht reif für eine Veröffentlichung sein sollten, wenn doch acht Tage später voraussichtlich der endgültige Bakt vertrag veröffentlicht wird.
Sehr start war in der französischen Delegation die Einschätzung der angeblichen Erschwerung der Stellung Stresemanns. Aber in Wirklichkeit befürchtete Briand von einer solchen Veröffentlichung Schwierigteiten mit feinen eigenen Nationalisten. Wenn nämlich an dem Baktentwurf Aenderungen vorgenommen werden, die deutschen Wünschen entsprechen, so würde jede solche Aenderung vom französischen Nationalen Blod der Regierung als Landesverrat angetreidet werden- ebenso wie die Deutschnationalen jede Aenderung zugunsten der anderen Seite als ein folches Berbrechen hinstellen würden. So werden die Regierungen durch die Angst vor ihren Nationalisten zur Geheimdiplomatie gezwungen.
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Gegen Mitternacht dementierte die italie nische Delegation entschieden, daß die Veröffentlichung des Baktentwurfes in Mailänder Blättern erfolgen würde. Tatsächlich waren einzelne italienische Blätter, zumindestens der Mailänder Secolo im Besitz des Paktentwurfes. Angesichts der Entrüstung der Delegationen und der Bresse foll der faschistische Staatssekretär Grandi, der vielleicht dieser Indiskretion nicht fern steht, den Mailänder Zeitungen den Befehl erteilt haben, die Beröffentlichung zu unterlassen. Der faschistische Behördenapparat wurde in Bewegung gesetzt die Zenfur hätte sofort Blätter, die den Battentwurf enthalten, beschlagnahmt.
So erklärt sich auch das Ehrenwort Grandis und seines Pressechefs, das sie den alliierten Delegationschefs gaben, daß kein italienisches Blatt heute das Dotument veröffentlichen würde. Auch hat der Chefredakteur des„ Secolo" hierher telephoniert, daß sein Blatt diese Veröffentlichung unterlassen würde. Man muß aber darauf gefaßt sein, daß der Entwurf jeden Augenblid, sei es in Italien , sei es anderswo während Der Diskussion in Locarno veröffentlicht wird.
Nach einer anderen Version foll die Indiskretion nicht von italienischer, sondern von polnischer Seite erfolgt sein, da Bolen als einziges Land ein Interesse daran haben sollte, die Konferenz zu sprengen, um ein Resultat der Verhand lungen zu verhindern.
Die deutsche Delegation hat bis 22 Uhr nachts unter sich beraten. Man behauptet, daß deutschnationale Forderungen den Gegenstand der Beratung ge bildet haben. Hier anwesende deutschynationale Bressevertreter sagen, daß der Abg. v. Lindeiner Wildau als Beauftragter der deutschynationalen Parteileitung heute hier eintreffen würde, um deren Wünsche zu vertreten.
Frankreich und die Ostverträge.
Offiziöse franzöfifche Meldung. Paris , 6. Oftober.( WTB.) Die„ Agence Havas" meldet aus Locarno : Nach der Ansicht der Alliierten fann der Sicherheitspakt unverzüglich ratifiziert werden, er wird aber erst in Kraft treten, wenn Deutschland Mitglied des Böllerbundes sein wird. In der heutigen Nachmittagsfihung der Konferenz legie Briand dar, Frankreich fei der Auffaffung, daß der Paft fein Hindernis dagegen fei, daß Frankreich auf die Seite Polens und der Tschechoslowatei frete, falls Deutschland zur Gewalt seine Zuflucht nähme, obwohl es mit diesen beiden Mächten Schiedsverträge abgefchloffen hätte, die von Frankreich garantiert werden müßten. Chamberlain, Bandervelde und Scialoja slimmien Briand 3. Durchschlagskraft deutscher Gegengründe anerkannt. Paris , 7. Oftober.( Eigener Drahtbericht.) Zu der am Dienstag in Locarno begonnenen Erörterung der Frage der franzöfilchen Garantie für die östlichen Schiedsperträge, die zweifelios den heitelsten Bunft der Berhandlungen bilden und die im Berlaufe des Mittpech vormittag Gegenstand einer Sonder besprechung zwischen Briand und Stresemann sein wird, schreibt der Sonderberichterstatter des„ Matin", es sei nicht zu leugnen, daß die ron deutscher Seite gegen die franzöfifchen Forderungen ins Feld geführten Argumente einer gemiffen Durchschlagstraft nicht entbehrten. Während der legten fünf Jahre hätten die
Die Entscheidung von Liverpool .
Die Niederlage Moskaus auf dem Labourkongreh. ( Von unserem englischen Rorrespondenten.) Liverpool , 3. Oktober.
Aus den nach Deutschland übermittelten Depeschen mag vielleicht der Eindruck entstanden sein, als ob die ganze viertägige Debatte des Parteitags der Arbeiterpartei nichts als eine einzige große Auseinandersetzung mit Moskau gewesen wäre. Das ist im technischen Sinne gewiß falsch. Anders als die Tagesordnungen der fontinentalen Parteien, die sich im wesentlichen bewußt auf einige wenige besonders brennende Probleme fonzentrieren, besteht die Tagsordnung einer solchen englischen Parteikonferenz aus einer Ünzahl von verschieden artigsten Fragen, die in der Form von Resolutionen einge reicht, der Reihe nach durchdiskutiert werden müssen. Auch die eben beendete Konferenz hat außer der Frage der Zulaffung der Kommunisten als Einzelmitglieder die allgemeine Politik der Partei, die Stellung der Partei zu den kolonial politischen Problemen, zu Aegypten , Indien behandelt, über bie Arbeitslosenfrage und Wohnungsnot Beschlüsse gefaßt und sich zwei Tage lang mit Finanz- und Kreditfragen, agrar politischen und Gesundheitsfragen beschäftigt.
Benn dennoch nicht nur für den Leser auf dem Kontinent London , 7. Ottober.( Eigener Drahtbericht.) Die Morgenpreffe jondern auch für die Konferenzteilnehmer selbst die Aus verzichtet auf Kommentare und überläßt das Feld den Konferenz einanderseßung mit Moskau als die entscheidende berichterstattern, die zum Teil mangels anderer Informationen über Tatsache im Bewußtsein bleibt, so liegt das zunächst einmal die Erkrankung Stresemans drahten. Im Gegensatz zu den übrigen daran, daß feine der zur Diskussion stehenden Fragen von Blättern bezeichnet die Morning Post" die Erfranfung als eine fo unmittelbarer tief einschneidender Bedeutung für die enga durch die Wiederaufrollung der belgischen Neutralitäts- fische Arbeiterbewegung und damit für die gesamte britische frage hervorgerufene diplomatische Krankheit. Die englischen Be Innenpolitit war, als gerade diese. Es liegt aber auch daran, richterstatter erwarten übereinstimmend im Hinblick auf die daß bei der Taftit, die die Kommunisten eingeschlagen hatten, Schwierigkeiten wegen der deutschen Borbehalte inbezug auf den das Schicksal der gesamten Konferenz und jeder einzelnen Eintritt in den Völkerbund ein Nachgeben Deutschlands Resolution indirekt von dieser Entscheidung abhing. Die und erblicken in der Wiederaufrollung der Vorbehalte lediglich ein Rommunisten hatten nämlich zu jeglicher ein= deutsches Rudzugsgefecht. Zum Problem der Rückwirkung des einen Resolution, die die Erefutive dem Parteitage Battes auf die Rheinlandbelegung stellt der Times"-Korrefpondet vorlegte, eine radikalere, durch und durch kommunistische in einer deutlich inspirierten Bemerkung feft, daß Gegenresolution einreichen lassen. Der Barteitag hatte fich also nicht mur direft mit der Kommunistischen Partei, sondern Schritt für Schritt, bei jeder einzelnen Frage, sei es mun Hausbau oder Aegypten , mit der fommunistischen Me Gegenrefolutionen von einem Redner vertreten, von einem thode und Ideologie auseinanderzusehen. Da jegliche dieser zweiten statutengemäß unterstügt werden mußte, so ist es flar, daß sich der Parteitag einem ingenios ausgearbeiteten Trommelfeuer von fommunistischer Seite gegenübersah.
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Anzeichen für eine Veränderung der alliierten Politik in der Besatzungsfrage nach Unterzeichnung des Paffes unverkennbar, jebo eine Diskussion in Locarno ausgeschlossen sei. Der diplomatische Korrespondent des Daily Telegraph " glaubt eine neue deutsche Demonstration in ber Kriegsschuldfrage in Locarno anfündigen zu sollen.
Südflawien und der Anschluß.
Eine bemerkenswerte Stimme.
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Der Gedankengang der Kommunisten war ganz offenbar der: Die Maffe der Mitglieder der Arbeiterpartei, die ranks and files", sind mit den Bonzen Macdonald. Die Belgrader . Politita" veröffentlichte fürzlich einen Snowden und wie sie immer heißen mögen, unzufrieden Artitel über die Anschlußfrage, der darum besonderes Interesse ver. dient, weil er von ihrem Berliner Berichterstatter stammt, ber, wie Sie sind durch niedrige Löhne und Arbeitslosigkeit radikali in eingeweihten Kreifen bekannt ist, ein hervorragender Diplomat fiert( für die Kommunisten sind die Massen immer ,, radika ist. Der Berfasser weist darauf hin, daß seit einiger Zeit die lisiert" im Gegensatz zu den Führern, die immer reaktionär Anschlußbewegung sowohl in Deutschland wie in Defterreich be find). Diese auf der Konferenz vertretenen, radikalisierten foners von Bertretern demokratischer und sozialistischer Massen werden also immer nach der Auffassung der koma finnungsgenollen den Anschluß nur erstrebten, um durch Machtve: des Barteivorstandes ablehnen und damit automatisch für Parteien geführt werde. Während Ludendorff und feine Gemumistischen Uebertaktiker die reaktionären Resolutionen größerung Deutschland die Revanche zu ermöglichen, seien Reichs tagspräsident Löbe und seine Mitkämpfer der Ansicht, daß der An- unfere, d. i. die kommunistischen Resolutionen stimmen, um schluß nur denkbar wäre als Folge einer aufrichtigen Berföhnung so mehr, als sie ebensowenig wie die Vertrauensleute der Geder Völker, und daß er nicht den Anstoß zu neuen Konflikten geben wertschaften merten werden, daß es sich hier um tommu dürfe. Die Kreuzzeitung " rufe den Defterreichern zu:" Noch nicht, nistische Refolutionen handelt. habt Geduld, wir sind noch nicht gefund genug. Die demokratischen Barteien aber arbeiteten für die Heimkehr Deutschösterreichs ins drücklich zu. Für die Ordnung der Verhältnisse in Europa , fagt Deutsche Reich. Der Verfasser stimmt der letzteren Richtung aus er wörtlich, fann eine solche demokratische und sozialistische Attion nur gute Folgen zeitigen. Auch für ihn ist ber Anschluß nur durchführbar auf der Grundlage einer Europa befriedenden deutschfranzöfifchen Aussöhnung, die ihrerseits zu einem Bunde der euro päischen Staaten führen würde.
Es ist gewiß nicht unwichtig, daß dieser Diplomat und bedeutende Journalist Südflawiens für den Anschlußgedanken eintritt.
Belgische Reformen.
Ein großes Regierungsprogramm. Brüffel, 7. Ottober.( Eigener Drahtbericht.) Der Generafrat der belgischen Arbeiterpartei behandelte eingehend die politische Lage, insbesondere das Programm der Regierung hinsichtlich der Sozialreform, das Finanzproblem, die Teuerung und die Frant. entwertung. Mertens legte die Forderungen der Gewerkschaften vor und bedauerte, daß das Barlament nicht schon mehr geleistet habe. Nady anderen Rednern sprach Arbeitsminister Wauters für alle fozialistischen Minister. Er führte zunächst aus, was von der Regierung und dem Parlament innerhalb der fünf Wochen der Herbstfesfion zu erwarten ist, nämlich ein Mieterschußgefeß, die Ratifizierung des Washingtoner Abtommens, ein Ge feb über Bleivergiftung, ein Altersrentengejek, ein Finanzgefez mit einer Steuerreform und mit einer Berdoppelung des feuerfreien Einkommens, und schließ lich, was die Regierung für fehr richtig hält, die Herstellung des unbedingten Budget gleichgewichts als ersten Schritt der Währungsjanierung. Neue Steuern im Betrage von 400 bis 500 millionen find unerläßlich.
Baufdirettor Meißner enflaffen. Der stellvertretende Direktor der Thüringischen Staatsbant, Silmar Meigner, wurde aus noch unbekannten Gründen entlassen. Auf Intrigen Meigners ist bekanntlich das Borgehen gegen ben ehemaligen Direktor der Thüringischen Staatsbant 2 oeb zurüdauführen. Roch im Unter fuchungsausfang gegen Roeb beringte diese Säule des Drdnungsblods bas große Bort zu führen.
Der Plan war gut, die fommunistische Regie ausges zeichnet- nur die fommunistische Psychologie miserabel. Die fauer Generalftäbler hatten sich verrechnet. Sie hatten mit der kommunistischen . Partei Großbritanniens zugeteilten Mos einer innerlich unentschlossenen Erefutive, mit einer märchenhaften Unpopularität und Intätigkeit Macdonalds gerechnet. fie hatten vor allem damit gerechnet, daß die Bergarbeiter mit ihrem tommunistischen Sekretär Cook, der ganze radikale linke Flügel der Partei, die Gildensozia listen und der überaus populäre George Lansbury zwischen den Parteivorstand und eine fommunistische Re folution gestellt, die letztere als das fleinere lebel ansehen würden. Alles dies erwies fich als falsch. Die Erekutive, burch Scarborough gewißigt, zeigte sich gerüstet.
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Macdonald.
Schon die Rede des Vorsitzenden, die hier eine Art Programmrede des Parteivorstandes darstellt, war auf einen Ton ausgesprochener Bolemit gegen die Kommunisten stilisiert. Das war der erste Schlag. Der zweite mar Macdonald hatte sich im letzten Jahre, seit seinem Rücktritt als Ministerpräsident, mehr oder weniger im Hintergrund gehalten, er hatte im Parlament und als Versammlungsredner in den vergangenen Monaten unverkennbar den Eindruck eines müden Mannes gemacht. Als er aber in Liverpool zum ersten Male die Rednertribüne betrat, da fühlte die Verfanumfung mit einem Schlage, daß hier der alte Macdonald vor ihr stand. Der minutenlange Jubel, der ihn. umbrauste, mußte den Gegnern zeigen, daß er die Schlacht gegen die Kommunisten gewonnen hatte, ehe er nur ein Wort sprach, und nicht init Unrecht liefen die Korrespondenten der Weltpreffe zum Telegraphen, um die Wiederkehr Macdonalds" aller Welt zu melden.
Die Hauptursache aber für diese unerwartete Bereit willigkeit der Masse der Delegierten und auch der„ Raditalen", auf die die Kommunisten als Brücke zum Kommu nismus fo große Hoffnung gefeht hatten, die Kommunisten fallen zu lassen, lag nicht außen, im Berhalten der Exekutive, in der Autorität Macdonalds oder anderer Führer, die sich in ben schärfften Ausbrüden gegen die tommunistische Agi