Nr. 481 42. Jahrg. Ausgabe Afr. 245
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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutfchlands
Sonntag, den 11. Oktober 1925
Auf dem Wege zur Verständigung.
Eine politische Bootsfahrt.
Cocarno, 10. Oftober.( Eigener Drahtbericht.) Der Sonderforrespondent des Sozialdemokratischen Pressedienstes teilt mit: Die deuffage Delegation veranstaltete heute abend für die deutsche Breffe einen Bierabend, in dessen Verlauf sich die maßgebenden Persönlichkeiten über das Ergebnis der heutigen Besprechung mit Chamberlain und Briand sehr befriedigend äußerten. Man brachte sogar die Auffassung zum Ausdruck, daß auf Grund des Ausgangs der heutigen Besprechungen die kon ferenz offiziell am Donnerstag abgeschlossen werden kann. Es ist infolgedessen damit zu rechnen, daß am Montag die Paktverhandlungen zu einem formellen Abfchluß gelangen, und am Dienstag die Tichechen und Polen zu den Berhandlungen zugezogen werden können. Am Mittwoch, spätestens am Donnerstag dürfte dann die Paraphierung der Abkommen( d. h. die vorläufige Unterzeichnung mit den Anfangsbuchstaben der Verfragsteilnehmer) vor sich gehen.
Kompromiß auf dem Wasser.
Eine politische Bootsfahrt auf dem Lago Maggiore . V. Sch. Locarno, 10. Oftober, 9 Uhr abbs.( Eig. Drahtber.)
Die Sensation des heutigen Nachmittags war ein Ausflug auf
dem Wasser, den ein engerer Kreis von Ministern und Juristen in der luxuriösen Motorjacht Flora d'Oranica" auf dem Lago Maggiore unternahm. Es nahmen teil Chamberlain, Briand , Luther und Stresemann , Sir Cecil Hurst, Berthelot, Fromageot, Gaus, ferner zwei oder drei weitere Herren und Frau Chamberlain.
Die Fahrt, die gegen 3 Uhr nachmittags angetreten wurde, war ursprünglich auf zwei Stunden berechnet, denn so wohl Briand als auch der Reichskanzler Dr. Luther hatten ihre Autos auf 5 Uhr an den Landungsplatz von Locarno bestellt. Indessen lam es anders: Die Sonne ging unter und das Boot war noch immer nicht in Sicht. Es wurde Nacht, und die zahlreichen Journalisten, Bolizisten und Touristen, die sich auf der Dampferstation in Locarno eingefunden hatten, spähten immer noch vergebens nach dem Horizont. Endlich gegen% 47 Uhr nahte das Schiff, aber zur allgemeinen leberraschung machte es fnapp 100 Meter vor bem Ufer wieder kehrt und steuerte in voller Fahrt dem jen feitigen Ufer zu. Nun war es flar, daß diese Fahrt nicht den NaturSchönheiten der Gegend galt, von der man in der stockfinsteren Nacht felbstverständlich nichts mehr sehen tonnte, sondern der politischen Aussprache, die in einem spannenden, und vielleicht entscheidenden Augenblick durch die sofortige Landung vorzeitig unterbrochen worden
märe.
Erft gegen 48 Uhr fehrte die Jacht endlich wieder nach Locarno zurüd. Man sah durch die Fenster der luxuriös beleuchteten Jacht, wie die Herren noch lebhaft tonferierten, nur langsam erhoben sie fich und nahmen herzlich und freundschaftlich Abschied. Selbstverständlich war auch diesmal von ihnen nichts birett zu erfahren außer dem zufriedenen Ausdruck, den sie zur Schau trugen und der Tatsache, daß sie nach den italienischen Orten Pallanza und Luino gefahren wären. Briand machte sich wie immer luftig und erklärte, daß die Teilnehmer etwas besonders Interessantes feft. geftellt hätten, nämlich eine neue Fischart.
Später fiderte indessen einiges Ernst hafte über diese Motorfahrt durch. Die vierstündige Unterhaltung hat
die besten Ergebnisse
gehabt, man hat auf dem Wege zur Einigung wesentliche Fortschritte gemacht, wobei Chamberlain den ehrlichen Matler zwischen Briand und Reichskanzler Dr. Luther gespielt hat. Reichs fanzler Dr. Luther und Stresemann erklärten dabei, daß fie grundfählich für den Eintritt Deutschlands in den Völkerbund seien, schilderten aber in bewegten Worten die innerpolitischen Schwierigkeiten, denen sie von deutschnationaler Seite ausgefeßt wären und die sie zwängen, in dieser Frage auf keinen Fall mit leeren Händen zurückzukehren.
Ihre Verhandlungspartner erflärten sich bereit, bis an die äußerste Grenze des Entgegenkommens zu gehen. Es heißt, daß sie äußerste Grenze des Entgegenkommens zu gehen. Es heißt, daß fie bei Abschluß des Sicherheitspaktes eine Erklärung an das Völkerbei Abschluß des Sicherheitspaktes eine Erklärung an das Bölkerbundsekretariat richten wollen, in der sie dem Völkerbundsekretariat bundjekretariat richten wollen, in der sie dem Völkerbundsekretariat nahe legen, die deutschen Wünsche, die sich auf die Interpretation des Art. 16 des Böllerbundatte beziehen, Deutschland gegenüber wohlwollend zu prüfen.
Zu demselben Schritte hatten sie sich allerdings schon in ihrer Antwort auf das Memorandum der Mary- Regierung andeutungsweise bereit erklärt. Man rechnet bestimmt, daß die Einigung auf dieser Grundlage, an deren Formulierung die Juristen über Sonntag arbeiten, bis Montag perfekt sein wird. An ein Scheitern ber Konferenz von Locarno glaubt niemand mehr.
V. Sch. Cocarno, 10. Oftober.( Eigener Drahtbericht.) Die erste Zusammenfunft zwischen Stresemann und Strzynski wird Sonntag abend stattfinden und zwar werden beide Minifter durch Briand zusammengebracht werden.
Montag formeller Abschluß?
V.Sch. Locarno, 10. Oktober, 2% Uhr nachm.( Eig. Drahtber.) Anstatt der ursprünglich vorgesehenen Plenarsizung, die am heutigen Sonnabend stattfinden sollte, ist nur eine furze Sigung, die kurz vor 11 Uhr begann und gegen 12 Uhr beendet war, abgehalten worden. Sie hat die Entscheidung noch nicht gebracht. Die Nachmittagssigung fällt aus und ist durch private Unterhaltungen ersetzt worden. Die nächste Sigung findet am Montag statt.
Die Annäherung bahnt sich langsam an. Die Alliierten sind geneigt, Luther und Stresemann formale Konzeffionen zu machen, die ihnen erlauben werden, den Deutsch nationalen gegenüber zu behaupten, daß fie aus dem Kampf um Artikel 16 nicht mit ganz leeren Händen hervorgegangen find. Aber in der Sache selbst werden sie nicht nachgeben. Unter den Gründen, die sie anführen, um ihre Ünnachgiebigfeit zu begründen, ist einer von ganz besonderem Interesse: Die Deutschen sagen: Wenn Frankreich und England in Locarno sich bereit erklärten, einer Abänderung des Artikels 16 oder einer einschränkenden Erläuterung, die von großer Tragweite für Deutschland ist, zuzustimmen, so be deutet das bei der führenden Rolle diefer beiden Länder in der Genfer Bölferbundsversammlung foviel wie eine vorweggenommene Entscheidung."
Die Allierten antworten darauf: Ihr seid im Irr tum. Abgefehen, daß wir formal gar nicht das Recht besitzen, über die Köpfe der anderen Mitglieder des Bölfer bundes hinweg derartige Verpflichtungen zu übernehmen, so beweist Eure Einschätzung der Lage nur, daß Ihr unsere Stellung in der Völkerbundsversammlung nicht richtig einfchätzt. Früher genügte ein Wort von uns Franzosen und Engländern, um die ganze Böllerbundsversammlung zu lenken. Aber als Reaktion gegen die ersten Jahre, in denen wir allmächtig in Genf refidierten, haben sich mittlere und fleinere Staaten zusammengetan und machen darüber, daß wir unsere Befugnisse nicht überschreiten. Wenn wir das täten, was Ihr von uns verlangt, so würden wir uns einer schweren Niederlage aussehen. Ihr Deutschen betrachtet noch immer den Bölferbund als Instrument in den Händen der alliierten Großmächte. Und das ist er längst nicht mehr."
In der heutigen Sigung wurde mitgeteilt, daß ein pofitipes Ergebnis erzielt sei, das schon im Rommuniqué erwähnt wird und das schon Scialoja in seiner Erflärung an die Bresse am Freitag angekündigt hatte: nämlich der förm liche Beitritt Italiens zum eft paft in der doppelseitigen Garanteneigenschaft wie Groß- Britannien. In den einzelnen Delegationen verhält man sich dem praktischen Bert dieser Zustimmung gegenüber, wie hier schon gesagt wurde, etwas steptisch.
Ein negatives Ergebnis der heutigen Sigung war die Ablehnung des 3 usazantrages Banderveldes im Sinne der obligatorischen Schiedsgerichtsbarkeit. Vandervelde erklärte, daß er sich feinen Jllufionen über das Schicksal dieses Amendements hingegeben habe, nachdem bereits die Londoner Juristenkonferenz anders entschieden hätte, doch habe er sich verpflichtet gefühlt, im Einflang mit feiner politischen Ueberzeugung, die der der leber zeugung seines Landes entspreche, wie auch den For derungen seiner politischen Gesinnungsgenossen in der ganzen Welt, diesen Borstoß im Sinne einer restlosen Sicherung des Friedens durch Schiedsgerichtsbarkeit zu unternehmen.
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Zu den Wahlen am übernächsten Sonntag.
Bon heute in vierzehn Tagen wählt Berlin seine neue Stadtverordnetenversammlung. Nach der beiden Wahlgängen der Reichspräsidentenwahl im Frühling Reichstagswahl vom Winter vergangenen Jahres und den ist das die vierte Wahl, zu der die Berlinerinnen und Ber liner binnen Jahresfrist berufen sind. Aber seitdem die Wahlen, entsprechend einer alten sozialdemokratischen Forderung, auf die Sonntage verlegt sind, kann man nicht behaupten, daß in einer solchen Häufung eine übermäßige Beanspruchung Der Gang Don der Wohnung der Wähler liege. zu dem nahegelegenen Wahllokal ist feine Strapaze, wer ihn scheut, beweist, daß er den Wert des Staatsbürgerrechts, das ihm die Demokratie verliehen hat, noch nicht erkennt. verordnetenversammlung eine ganz andere Bedeutung. DaIn der guten alten Zeit" hatten Wahlen zur Stadtmals waren nicht nur die Frauen vom Bahlrecht ausgeschlossen, sondern die Wähler waren je nach ihrer Steuerleistung in drei Klaffen geteilt. Dem Besiz, das heißt bei den Gemeindewahlen vor allem dem Hausbesit, mar damit die Vorherrschaft ohne weiteres gesichert. Die Interessent des städtischen Grundbesitzes und des Kapitals dominierten. Jeder Gedanke daran, daß die Masse der besiglosen, von ihrer förperlichen oder geistigen Arbeit lebenden Stadtbürger zu maßgebendem Einfluß gelangen tönnte, war von vornherein ausgeschlossen. Unter diesen Umständen gehörte für die Sozialdemokratie schon eine gewijse Ueberwindung dazu, an den Stadtverordnetenmahlen überhaupt teilzu nehmen, jahrelang wurde um diese Beteiligung in der Partei geftritten. Längst hatte Berin bei den Reichstagswahlen eine gewaltige rote Mehrheit, aber es war nicht daran zu denken, daß sich der Berliner Boltswille, der bei diesen Wahlen zu so eklatantem Ausdruc fam, in der Stadtverwaltung Geltung verschaffte.
Nach dem Fall des niederträchtigen Dreifiassensystems, Revolution hätte danach eine sozialdemokratische Mehrheit im nach dem Sieg der Gemeindedemokratie durch die Stadiverordnetenparlament eine Selbstverständlichkeit sein müssen. Wenn die arbeitende Bevölkerung Berlins auf dem Weg zu diesem Ziel noch einmal zurückgeworfen wurde, so hatte das zwei Ursachen.
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Die befizenden Klassen und die zu ihnen stehenden Parteien hatten unter dem alten System feinen Grund gehabt, fich sonderlich anzustrengen. Denn in der Gemeinde war ihnen eben durch das Klassenwahlrecht die Herrschaft gewiß, bei den Reichstagswahlen auf der anderen Seite standen die Berliner Wahlkreise, jener der inneren Stadt allein ausgenommen, als sicherer Befitstand" der Sozialdemokratie da; die Stimment der Minderheit hatten feinen Einfluß auf die Zusammenfegung der Boltsvertretung. Jetzt müssen die bürgerlichen Parteien, wenn sie nicht in Berlin einflußlos werden wollen, in die Massen hineingehen, und sie tun es nach Kräften. Dazu kommt, daß bei dem jetzt geltenden Ver hältniswahlsystem in Reich, Staat und Gemeinde jede Stimme der Partei, für die sie abgegeben wird, auch praktisch zugute kommt. Darum ist das Ringen um die Seele jedes einzelnen viel härter geworden, als es früher mar.
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Der erhöhten Aktivität der bürgerlichen Barteien steht gegenüber hätte, gegenüber die 3ersplitterung der Arbeiter bewegung. Wäre es immer so geblieben, daß alle sozialiftisch empfindenden Berliner Arbeiter im Wahlkampf eine einheitliche Maffe bildeten, so wäre bei den Kommunalwahlen dieser Masse der Sieg sicher geblieben trog aller verzweifelten Anstrengungen der Gegner. Nie hätten die bürgerlichen Parteien daran denten können, der Sozialdemokratie die Herrschaft in Berlin streitig zu machen, möre ihnen nicht zu ihrer freudigen Ueberraschung in der Kommunistischen Partei eine freiwillige Helferin entstanden.
Briand stimmte ihm grundsäglich zu, indem er darauf hinwies, daß Frankreich selbst bemüht gewesen sei, durch das Genfer Sicherheitsprotokoll die obligatorische Schiedsgerichtsbarkeit einzuführen und damit die Möglichkeit auszuschalten, daß ein Staat zu den Waffen greife. Nachdem aber das Genfer Protokoll einstweilen gescheitert sei, müsse man sich mit einer unvollständigen Lösung abfinden, die im Sicherheitspaft enthalten sei.
Danach gab Chamberlain die bedeutsame Erklärung ab, daß auch England, obwohl es dem obligatorischen Schiedsgericht nicht zustimmen fönne, in dem Sicherheitspakt eine feierliche moralische Berpflichtung fämtlicher Beteiligten erblide, alle friedlichen Mittel zur Beilegung etwaiger Konflikte zu erschöpfen und nicht Ge=
walt anzuwenden.
Hierauf erklärte nun auch Reichskanzler Dr. Luther, daß Deutschland den Batt ebenfalls als eine solche moralische Bindung betrachte.
Durch diese gegenseitigen Erklärungen ist die Atmosphäre von Locarno noch vertrauensvoller und freundschaftlicher geworden.
Wären alle Menschen politisch denkende Wesen, so märe der Sozialdemokratie am 25. Oftober ein alle Vorgänger überstrahlender glänzender Wahlsleg von vornherein gewiß. Wer kann heute noch- nur um die beiden aktivsten Gegner hervorzuheben deutschnational, wer fann heute noch tommunistisch wählen? Sicher nur derjenige, der fich von dumpfen Gefühlen treiben fäßt, aber von allem politischen Geschehen vollkommen unberührt bleibt.
Aus dem politischen Geschehen des legten Monats ergibt fich die große allgemeine politische Bedeutung der Entscheidung, die am übernächsten Gomtag fallen wird.
Es wird sich an diesem Tage zeigen, wieviel ählerinnen' und Wähler noch gewillt sind, den Rechtsparteien zu folgen trotz ihres Berrats an ihren angeblich nationalen" Grundsägen, trotz ihres Wortbruchs an den Sparern und Rentnern, trotz Bollwucher, Teuerung und mißglüdtem Preisabbau". Noch nie ist eine Partei auf allen Gebieten so bankrott gewesen wie die Deutschnationale Partei. Ber tann ihr noch die Stimme geben? Welcher Berliner Arbeiter, Angestellte oder Beamte ist mit der Wiedereinführung der
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