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!tr. 4S5 42. Jahrgang

1. Seilage ües vorwärts

Mttwoch, 74. Gktober 7425

Schwarze Slumen gesucht. Me Hokenkreuzritter pflanzen noch am Grabe die Symbole ihrer »teutsch-völkischen Belange� auf. Das Neueste ist: sie verlangen kränze, deren Blumenschmuck schwarzweißrot aufweisen soll. Run ist ja bei uns wohl schwarz die Trauerfarb« in anderen Ländern findet man auch weiß dafür vorgesehen, aber leider hat sich die Natur auf diese völkische Forderung nicht eingestellt. Oder sollen wir sagen: noch nicht. Denn da es unter den Gärtnern ja auch Llnhänger der Völkischen gibt, so wird es diesen ja leicht sein, mir �ilfe einer kräftigen Hakenkreuz-Beschwörung die Natur zur Her- vorbringung von schwarzen Blumen zu zwingen. Bisher kannte man nur die schwarze Tulpe und die schwarze Ins(Iris susiana gleich Dame in Trauer). Also bitte, pflanzen Sie feste die letztere, dann ist Ihr Sehnen gestillt. Doch halt: diese Blumen haben ja ihre bestimmte Blütezeit, also werden Sie doch mit den anderen ein energisches Wörtlein reden müssen, damit endlich die schwarze Rose, der schwarze Flieder und die schwarze Aster zu den ver- schiedenen Jahreszeiten zur Verfügung stehen. Ober greifen Sie in den Anilin-Farbenpott und schminken Sie weißen Blumen die gewünschte Schwärze an. Man sieht, wohin der Wahn der völki- schen Kreise führt. Was sie anfasien, wird von ihren täppischen Händen vergiftet. Aus dem erziehlichen Wander- und Laufsport haben sie ödesten militärischen Drill gemacht das'Kino haben sie durch ihrenpatriotischen" Rummel vergiftet im Rundfunk schlägt der banalste Tamtam-Marsch Mozart und Beethoven und nun geht es über die Blumen her. Jeder Mensch mit gesunden Sinnen freut sich der leuchtenden Blumenforbe und jeder Trauernde hat die Möglichkeit, durch Wahl nicht ausdringlich, sondern ernst wirkender Farben, wie z. D. lila, den weihevollen Eindruck eines Kranzes zu verstärken zudem ist durch Umwinden mit Flor und Krepp das Trauergemäße noch zu erhöhen. Ein Trost bleibt: bis die Dölkischen die Natur umgewandelt haben werden, wird ihr Spuk wohl hinweggefegt sein. Geistigen Epidemien, die sich nur auf Knüppel stützen, pflegt keine lange Lebensdauer beschieden zu sein._ Riefenunterschleife bei der Reichsbank. Ter ungetreue Reichsbankoberinspcktor. Durch einen Zufall ist man jetzt in der Reichsbankstelle Eharlottenburg unlauteren Manipulationen des fest langen Jahren bei der Reichsbank angestellten Oberinspektors Franz Arnold, Charlottenburg , Fritschestraße 65, auf die Spur gekommen. Augenblicklich wird von der ReichsbankdirektidN eine Prüfung der von Arnold geführten Bücher vorgenommen und am Dienstagabend hat sich bereits eine Versammlung des Reichs- bankdirektvriums mit dem vorläuiig noch nicht endgültig geklärten Fall beschäftigt. Wir erfahren über die Angelegenheit folgende Cinzelftfiten: Oberinspektor Arnold, der fest langer Zeit im Dienst« der Reichsbank steht, genoß durchaus das Vertrauen seiner vor- gesetzten Direktion in der Reichsbankstell« Eharlottenburq. Er selbst lebte mit seiner Gattin und seinem 24jährigen Sohn in geordneten Verhältnisien und niemand wäre auf den Gedanken gekommen, daß Arnold, mindestens seil dem Jahre 1924, sich Veruntreuungen zu- schulden hat kommen lasten, wenn nicht durch einen Zufall die ganze Angelegenheit ins Rollen gekommen wäre. Bei der Direktion der Rcichsbankfiliale in Breslau tauchte vor ungefähr 11 Tagen rne lleberweisungsaniorderung in Höhe von 6 0 0 0 0 0 Mark auf die Reichsbankstelle Chorlottenburg auf. Die Ucberweisung wurde geprüft und von der dortigen Kasse der Direktion vorgelegt. Den Kassenführern selbst war bereits aufge- fallen, daß die Unte-'schriften der beiden Charlottenburger Direktoren ein wenig von dem Vordruck abgewichen waren, der in allen Reichs- bankstellen zur Prüfung vorhanden ilt. Man fragte deshalb zu- nächst telephonisch bei der Charlottenburger Direktion an, ob die lleberweisung in Ordnung se,. Es stellte sich sofort heraus, daß hier eine Fälschung vorlag und durch eine unerwartete Re- vision in der Charlottenburger'Reichsbankstelle wurden sämtliche Bücher geprüft. Dabei stellte sich heraus, daß Arnold mindestens stit zwei Jahren Fälschungen schlimmster Art be-

gangen hatte. Durch sehr geschickte Buchnnge» hat er größere Summen abgezweigt und diese für sich verbraucht. Es hat je» doch nach Ansicht der Reichsbank nicht den Anschein, als ob die unter- schlagenen Gelder, deren genaue Höhe erst festgestellt werden muß, für die Reichsbank verloren sind. Bielmehr dürfte noch dem bisher vorliegenden Ermittlungsergebnis Arnold mit den Geldern, die er uMerschlug, Börsengeschäfte gemacht und überdies zu sehr hohen Zinsen Kapitalien ausgeliehen haben. Infolgedessen glaubt man in der Reichsbank, daß der angerichtete Schaden nicht allzu groß sein wird und daß es gelingen dürste, einen Teil der veruntreuten Gelder wieder hereinzubekommen. Offenbar hat Oberinspektor Arnold den Betrugsversnch bei der Breslauer Reichsbankstelle ver- sucht, um einen legtengroßen Coup" zu machen und mit diesem Gelde dann das Weite zu suchen, da er befürchten mußte, daß bei dem bevorstehenden Bücherabschluß im Dezember und bei der Re- Vision zu dieser Zeit seine Ber-ehlungen aufgedeckt werden würden. Schwarzweißrot bei öer Reichsbahn. Ein Leser schreibt uns: Ich fahre täglich vom Verl . Görlitz er Bahnhof nach W« i ß w a s s« r. Nun habe ich beobachtet, daß die Schranken resp. Schlogbäume der Eisenbahn an den Straßenübergängen einen neuen Farbenanstrich bekommen haben und zwar so:

Diese Farbenanstriche habe ich beobachtet bei den Kilometer steinen ob Berlin : 75.5. 76.1 76.3. 76,5 77,3 77,5. Das ist zwischen Lübben und Lübbenau . Sind das, so fragt der empörte Einsender, die Farben der Republik oder sind das die alten Reichsfarben? Die Absicht einer Verhöhnung scheint hier so klar zu sein, daß die dafür verantwortliche Reichsbahn- d i r e k t i o n sich schleunigst über dies« Zustände in ihrem Bereich äußern sollte._ Verhaftung zweier Wegelagerer. In der Rächt zum 24. Juli d. I. stieß der Hilfspokizerbeamt« Bock auf seinem Rundgang in Hohen- Neuendorf auf zwei verdächtige Männer und hielt sie an. Während er ihr« Papiere prüfte, schoß der eine auf ihn und verletzte ihn sehr schwer. Bock oermochte noch seine Pistole zu ziehen und zweimal zu schießen, dann brach er ober zusammen und die Angreifer verschwanden und entkamen. Ein Fahrrad, das sie zurückließen, war eben vorher, wie die Ermittelungen ergaben, in Hohen-Neuendorf gestohlen worden. Der Verdacht fiel aus einen 23 Jahre alten aus Trier gebürtigen Dachdecker Hans Rosenkränzer und seinen 28 Jahre alten Freund, einen Schlaffer Walter Schnell« aus Brandenburg , mit dem er zuletzt in der Wadzeckstrahe gewohnt hatte. In der folgenden Nacht fuhr ein Kaufmann Erich Azurka aus Lindenberg von dort aui seinem Rad nach Weißensee. In der Höhe des Krcuzpsuhles überholte er zwei Männer, die zu Fuß gingen, ohne mit ihnen ein Wort zu wechseln Gleich darauf erhielt er von ihnen einen Beckenschuß.an dessen Folgen er noch heute leidet. Ein'kräftiger Mann, sprang er trotz der schweren Ver- letzung vom Rade, um sich den Wegelagerern zu stellen. Dies« liefen jedoch davon und entkamen. Azurka kam mit schwerer Mühe aus seinem Rade bis nach der Berliner Straße in Weißensee . Dort brach er zusammen und fand die erste Hilfe in einer Gastwirtschaft. Wie sich jetzt ergeben hat, hoben Rosenkrönzer und Schnelle auch diesen Ucbersall,'einen vorbedachten Mordversuch, verübt. Auf ein Fahndungsausschreiben der Berliner Kriminalpolizei wurde jener kürzlich in Gero und dieser daraus in E i s c n a ch festgenommen. Beide wurden nach Berlin gebracht. Als man ihnen hier aus den Kops zusagte, daß sie auch den Ueberfall aus den Kaufmann Azurka verübt hätten, gaben sie es nach längerem Leugnen zu. Wettet für Berlin und Umgegend. G, öhtenteils belvölkl unl> zlemllch kiibl mit rinzcln-n leichlc» Zteaenlchauern und triichen nordwestlichen Winden. Zür ventjchland. KübleZ. unbeständige«, vielfach regnerisches Weiler.

Die Unfälle in den Saöeanstalten. Vermehrung der Sicherheiismaßnahmen. Die tödlichen Unfälle in den Badeanstallen in der Odcrberger, Dennewitz- und Bärwaldstraße beschäftigten am Dienstag den zu» ständigen Stadtvercrdnetenausschuß. Es wurde beschloffen, dem Plenum folgendes vorzuschlagen: Für jedes Schwimmbecken wird zur Aufsicht ein schwimm- und tauchkundiger Bademeister bestellt, der nur da? Schwimmbecken zu beaufsichtigen hat. Das Nichtschwimmerbeckcn ist bester als bisher abzugrenzen. Es sind der Neuzeit entsprechende Such- und Rettungsvorrichtungen anzuschaffen. Den Badenden ist kostenlos ein Stück Seife zu verabfolgen. Ferner ist der Neu- bau mehrerer Badean st alten zu fordern und ein« bessere Beleuchtung, besonders der Schwimmbecken, ist anzustreben. Diese sind möglichst mit hellblauen oder weiße» Kacheln zu bekleiden. Abgelehnt wurde ein Antrag: das Wasser in den Schwimmbecken täglich zu erneuern und vor der Füllung zu desinfizieren. Die anwesenden Sachverständigen: Direktor Prof. Dr. Hofsmann vom städtischen Gesundheitsamt, Prof. Scligmann sowie Prof. Oettinger und Dr. Korach hielten die tägliche F i l- t r i e r u n g des Wasiers und die tägliche Zuführung von 25 Proz. Frischwaffer sowie Chlorierung für ausreichend, vielleicht sei dies schon jetzt geübte Verfahren der Erneuerung des Waffers hygienisch einwandfreier als die täglich« Erneuerung. Es wurde u. a. darauf hingewiesen, daß die bisherigen Unfälle ganz vereinzelt dastehen, zum Teil vollständig aufgeklärt seien und daß bei einer größeren Ordnung und vermehrten Aufsicht trotz der Ueberfüllung der Bade- anstalten tödliche Unfälle sich kaum wiederholen dürften. Der Magistrat hat auch schon Stellung zu den Unfällen genommen und beschloffen, miß er den beiden in, Vau begriffenen Badeanstalten noch einige zu errichten, wobei die bisher gemachten Erfahrungen verwertet werden sollen. Die Becken der Schwimmer und Nicht­schwimmer sollen getrennt werden. Das Urteil im Potsdamer Sistmordprozeß. Zuchthau» für die Angeklagte«. Räch dem Antrage de» Anklagevertreters, Staatsanwalt Gerlach, wurde die Angeklagte Förstersfrau 83 3 die weg«« versuchten Giftmordes zu 4 Jahren Zuchthau«, 5 Jahren Ehrverlust verurteilt. Der Mitangeklagte Kneckt Willi G a r d e tz k i wegen Beihilfe zu dem Verbrechen zu 2 Jahren Zuchthaus und 5 Jahren Ehrverlust perurteilt. Die beiden Angeklagten nahmen da» Urteil vollständig gleichgültig an. Wieder ei« mißverstandener Erfinder! Weil man an den Wert seiner Erfindung nicht glauben wollt«, »aar gegen den früheren Schleifer und jetzigen Werkmeister B. An- klage vor dem Schöffengericht Mitte wegen Betruges erhoben worden. D. hatte behauptet, daß es ihm gelungen sei, aus weichem Eisen durch bestimmte Zusätze gehärtetes Eisen herzustellen. Zur Ausnutzung seiner Erfindung hatte er Interessenten gesunden, die mit ihm einen Vertrag schlössen, demzufolge ihm 40000 Mark für seine Arbeit zur Perfüguna gestellt werden sollten. Die Geldgeber fühlten sich hinterher geschädigt, weil B. mit seinen Versuchen nicht fertig wurde, in der Zwischenzeit aber an Gehalt und Borschüssen sowie für die Einrich.ung einer Härte- anstalt viel Geld verbraucht hatte. Die Vorführung der Versuche des Angeklagten waren mißlungen. Deshalb war gegen ihn Betrugs- anzeige'erstattet worden. B. behauptete nun in der Verhandlung. daß er unterdessen erfahren habe, daß seine Finanzleute selbst völlig verschuldet gewesen seien. Das Kapital für die Härteanstalt seien sie selbst schuldig geblieben. Es habe daher für ihn die Gefahr bestanden, daß sein Geheimnis preisgegeben werde, und deshalb habe er selbst den Vertrag gelöst. Die Mißerfolge bei seinen Versuchen seien darauf zurückzuführen, daß man ihm nicht geeignetes Material zyr Verfügung gestellt habe. Da der Verteidiger sich auf zwei Zeugen berief, die behaupteten, mit dem Verfahren des B. gut gearbeitet zu haben, beschloß das Gericht, dem Angeklagten noch einmal Ge- legenheit zu geben, seine Erfindung vor einem gericht- lichen Sachverständigen vorzuführen, ehe es eine Entschei­dung darüber treffe, od man es bei V. mit einem ernst zu nehmenden Erfinder oder einem Erfindungsschwindler zu tun Hab«. Der An- geklagte erklärte sich auch bereit, die verlcmgten Vorführungen seines Verfahrens zu machen. Deshalb wurde die Verhandlung vertagt.

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Das unbegreifliche Ich.

Geschichte einer Jugend. Roman von Tom Krisiensen. (Berechtigte Uebersetzung aus dem Dänischen von F. E. Vogel.) Ich war zu schwach. Ich konnte nicht hereingehcn und ihn verprügeln. Ich konnte rein gar nichts! Doch morgen abend konnte ich, morgen abend sollte ich sie wieder treffen. Ich sollte sie treffen. Und dann konnte ich grade auf sie zugehen in einem weißglühenden Augenblick, grade auf sie zugehen und idr'eii-« Ohrfeige geben. Wenn ich bloß treffen würde! Wenn ich bloß kräftig genug zuschlug! Nein, ich konnte sie beim Arm nehmen, und sie weil wegstoßen, so daß sie stolperte, und ich konnte schreien, sie beschimpfen, nur ein einziges Wort. ein rohes Wort sagen, und dann gehen und gehen und nicht mehr zu Samuelsen� zurückkommen. In. ich konnte zurück- kommen und ihm mit meiner geballten Faust mitten ins Ee- iicht schlagen. Ich konnte auch einen Vricf an den Vater chrciben. Er war ja blind. Ich konnte an die Kirchen- iienerin schreiben, daß Ejnar-- und an die Portierfrau, daß Georg-- aber ich hatte aus der Schublade gestohlen, und sie würde das sagen! Sie würde mich einen Dieb fchimnfcn! Ich sprang aus dem Bett, zog meine besten Sachen an, riß sie wieder hsnmter und zog einen schlechten Anzug an. Ich suchte nach meiner Uhr. Das war immerhin ein Wert- gegenständ! Ich rollte meine neuen Sachen zu einem Bündel zusammen, öffnete das Fenster und ließ mich in den Hof heruntergleitcn. So ging ich in der Morgendämmerung durch die Bred- oade. In einem gewissen zweiten Stockwerk waren die Ja- lausten heruntergerollt. Ich blleb einen Augenblick stehen und fror in der Morgenkühle. Em Milchwagen kam gepoltert. Darauf ging ich auf die Borgergade zu, um mein Kleider- bündel zu verkaufen. 24. Wasiiemar war ganz ausgelassen. Am nächsten Tag sollte er nach Charbin heraufreisen. Er war versetzt worden. Den ganzen Abend verbrachte er in einer freudigen Un- ruhe. Erst machte er eine Fahrt an Marys Fenstern vorbei und sah zu ihnen hoch. Sie glaubte, er hätte Nachtarbeit; doch am nächsten Tag würde er fort sein. Er war er selbst. fühlte er. trotz de: ganzen fremden Umgebung. Er zog fort, ohne ihr eine Erklärung zu geben. Hinter ihrem Rücken glitt er still in das Dunkel hinaus.

Danach fuhr er in ein Hotel, um sich an der Bar einen Drink geben zu lassen, und hier traf er den alten Dänen, der ganz allein dasaß und mit denschiefen" Augen blinzelte. Morgen reise ich nach Charbin!" teilte er ihm mit. Das ist ein gefährliches Pestloch. Viel Vergnügen! Sie stießen darauf an. Und das Mischblut, mit dem Sie herumgebummelt sind?" Sie kann sehen, wo sie bleibt." Na, Gott sei Dank! Man konnte ja zuletzt kaum noch mit Ihnen verkehren. Ein Mischblut und Scott! Nein, da ziehe ich denn doch die Chinesen vor. Aber Sie freuen sich wohl, daß Sie reisen können?" Ja. es ist doch mal was Neues.' Ich kann es mir denken. Neues und wieder Neues, und..man vergißt sich selbst". Gott weiß, weshalb wir eigent- sich solche Angst vor uns selbst haben und immerzu Klimbim und neue Häuser zu sehen verlangen. Europäische Krankheit, nicht wabr?" Waldemar sah ihn nervös an. Es ist das letztemal, daß ich versetzt wurde. In fünf Iahren ist meine Dienstzeit abgelaufen: die ganzen sieben Jahre sind vorbei, und dann will ich nach Hause!" ant- wartete er. Zum Teufel noch mal, was wollen Sie denn da? Festwachsen!" Hat die Fremde keine Probleme für Sie gelöst?" Ja, einige. Aber ich kann nicht-- andauernd fliehen. Ich will nach Hause und meine Freunde und meine Feinde finden. Ich muß nach Hause und Ohrfeigen austeilen lernen. Was geht das mich an, was hier draußen alles geschieht. Ich betrüge das Leben, wenn ich hier bleibe." Betrügen Sie nicht auch das Leben, wenn Sie auch aus Charbin fliehen wollen, bevor Sie noch hingekommen sind? Der Ort ist doch ganz gleichgültig Aber zum Henker mit all dem Tiessinn. Darauf habe ich keine Lust anzustoßen! Aber wollen wir nilbt darw'f, daß b;e Pest Sie nicht oben in der Mandschurei findet, und daß Sie das nächste Mal ein Rusienmädel kriegen und nicht ein verfluchtes Mischblut? Wollen w'r?" Und sie stießen darauf an. Es waren lange Wege zu gehen, und die Tage hatten viel zu viele Stunden. Die Zeil erschreckte mich mit ihrer mecha- nischen Langsamkeit und ihrer EinfLrmigftnt. Ich wurde wie besessen von Uhren. Alle Orte, wo Normaluhren hingen, bildeten Ruhepunkte

in meinem Dasein, und ich dachte mir meine Wanderungen von einer zur anderen als ein Wirrwarr von kreuz und quer gehenden, punktierten Linien. Aber die Schaufenster der Uhrmacher mit den vielen Uhren, wovon keine wie die andere ging, war mein Entsetzen. Sie brachten Verwirrung und Unruhe in meinen einzigen festen Gedanken, daß die Zeit verging. Wenn es mir klar geworden war, daß es in fünf Minuten halb drei war, konnte es mich quälen, zu einem Uhrmacher hereinzusehen und zu entdecken, daß die Uhr alles Mögliche andere zeigte. Meine eigene Einsegnungsuhr war verkauft. Ich hatte sie wie einen Freund betrachtet; doch dann hatte ich mich gezwungen, zu denken, daß die Menschen voneinander scheiden müssen, und daß man nur seinen Schmerz vergrößert, wenn man zu viel von ihnen hält. Und ein Ding, eine Uhr durfte nicht die Ursache sein, daß ich traurig war. Ich hielt sie in der ausgestreckten Hand vor mich hin, als ob wir bereits Ab- schied genommen hätten, und ging hinein und verkaufte sie. Die billigen Kaffeehäuser waren mir ein Erlebnis. Wenn Ich mich an einem Tisch niederließ und die Spiegel und die vielen fremden Gesichter ansah, die noch einsamer und ver- schlossener waren als meins, fühlte ich, wie seltsam es war, daß ich grade hier in diesem Halbdunkeln Räume saß. Ich war ein Mensch, selbständig und allein, und keiner der ande- ren Gäste im Cafei wußte etwas von mir. Die Kellner schätzten stets mit einem hastigen Blick meine Sachen ab; doch solange ich Geld hatte, sorgte ich dafür, daß ich gerade dabei war, es zu zählen, wenn sie an meinen Tisch kamen. Wenn das Esten verzehrt war, lehnte ich mich zurück und siel in einen Halbschlaf. In meinem Lisblingscaf6 war das große Fenster nach der Besterbrogade hinaus mit glasierten, grünen Steinen ein- gerahmt. Wenn ich nun den Kopf zurücklegte und zu ihnen hochstarrte, konnte ich das Straßenleben sich verkehrt in ihnen spiegeln sehen. Die Gestalten zerflossen zu hellen und dunklen Flecken, und das ganze Leben wurde wie rinnendes Wasser, ein unaufhörliches Wogen, eine Bewegung, die mich ganz benahm und meine Gedanken einschläferte. Ich selbst war satt. Ich war in Ruhe. Vergangenheit und Zukunft hatten keine Bedeutung mehr. Es gab nur eine Bewcguna hm und her, hin und her, und das verbeigleitende Spiegelbild in den ala- sierten Steinen war so unwirklich, daß ich nach keinem Sinn suchte oder nach keiner Bahn, die mein eignes Ich einschlagen konnte.> (Fortsetzung folgt.)