Nr. 140.
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Vorwärts
12. Jahrg.
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Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.
Der Fall Bading
Mittwoch, den 19. Inni 1895.
Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.
Die Thätigkeit, die der Papierverkäufer dem Urkunden- die Mittheilung des Rosen, man bekäme eine rothe Nummer fälscher, der Druckereibefizer dem Echriftsteller zur Verfügung zum Druck, stillschweigend entgegengenommen und keine ist von uns in der Nr. 138 vom 16. d. Mts. bereits bestellt, ist eine mechanische. Sie ist nur unter einem be- Verfügungen getroffen hätte, welche eine Verlegung des handelt worden. Wir sind bei den damaligen juristischen stimmten Gesichtspunkte strafbar, unter dem des Ge§ 130 des Strafgesetzbuches hätten verhindern können. Mit Darlegungen mit dem Urtheil davon ausgegangen, daß hilfen. anderen Worten: der Gerichtshof nimmt an, daß es Pflicht man den Autor und den Drucker einer Druckschrift in Für die Presse erfreulicherweise ist der§ 49 des Str.- des Bading gewesen wäre, sich zu erkundigen, was denn in gleicherweise als gemeinsame Thäter behandeln G. B., der die Strafbarkeit des Gehilfen ausspricht, klar der rothen Nummer enthalten sei. Daß sich hieraus kein fönne wie z. B. zwei Leute, die gemeinsam einen Einbruch und bestimmt. Als Gehilfe wird bestraft, wer dem Thäter eventueller Dolus herleiten lasse, haben wir in unserem verüben. Wir haben damals ausgeführt, daß, selbst wenn zur Begehung des Verbrechens oder Vergehens durch Rath ersten Artikel dargelegt. Aber auch abgesehen hiervon ist diese Annahme zuträfe, das Urtheil hinfällig sei, weil es oder That wissentlich Hilfe geleistet hat. Der Para- die Ausführung des Urtheils verfehlt. Sie verstößt gegen den dolus eventualis mit Unrecht für festgestellt erachte. graph spricht aus, daß der Gehilfe wissen muß, daß er das Preßgesetz. ( Schluß folgt.) Prüfen wir nun diese Auffassung einer gemeinsamen zur Begehung eines Verbrechens Hilfe leistet. Für die AnThäterschaft, so können wir nur sagen, daß sie völlig verwendung des dolus eventualis ist dabei kein Raum. Und
fehlt ist, einmal weil sie die Natur eines Breßbelitis an deshalb könnte die Presse und das Buchdruckereigewerbe ge Politische Lebersicht. sich verkennt und ferner, weil ihr die Vorschriften des Preß- trost abwarten, ob mit dieser Strafvorschrift ihre Thätiggesetzes entgegenstehen. teit in den Zustand strafrechtlicher Unsicherheit gebracht Strafrechtliche Verstöße mittels der Literatur werden werden könnte.
Stellt der Druckereibefizer dem Schriftsteller gegen Zahlung den Druck her, so handelt er nicht anders, wie der Berkäufer eines Revolvers jedem Kunden gegenüber, der seinen Laden betritt. Wie man den Waffenverkäufer als Mitthäter nur bestrafen kann, wenn er bei Ausführung der That bewußt mitgewirkt, so den Druckereibesitzer nur, wenn er das, was der Schriftsteller veröffentlichen lassen will, gelesen, zum Druck gegeben, um in Gemeinschaft mit dem Schriftsteller die Veröffentlichung auszuführen.
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Berlin , 18. Juni. Verschämt war die„ Norddeutsche Allgem. Zeitung" anders begangen als die sonstigen Delikte, darüber herrscht Es ergiebt sich aus vorstehenden Anführungen, daß bisher in ihren Angriffen auf das allgemeine Wahlrecht. in der juristischen Theorie und Praxis Einverständniß. Der die Bemerkungen, welche mehr rechtsstehende Beitungen aufs unverschämteste und ohne jegliche Zurückhaltung der Tas paßt der„ Konservativen Korrespondenz" nicht, die Inhalt des Druckwerks, die mittels der Druckerpresse wieder aus Anlaß des Falles Falles Bading gemacht gemacht haben, Regierung den Vorwurf macht, nicht tapfer genug gegebenen Gedanken sind der Sitz der strafbaren Handlung. es sei vielleicht wünschenswerth, das Preßgesetz zu Der Druck und das Papier, sie sind die Form, deren sich ändern, um statt der Strohmänner die eigentlichen Männer gegen das allgemeine Wahlrecht vorzugehen, und noch„ beder Gedankenfünder bedienen muß, wenn er wider das zu treffen, recht überflüssig waren. Wo der Druckereibesitzer denklichen Beeinflussungen durch das allgemeine Wahlrecht" eines Revolvers, der Urkundenfälscher des Papiers und der werk einen strafbaren Inhalt habe, es drucken lasse, kann Regierungskreisen von solchen„ Beeinflussungen" jetzt frei Gesez verstoßen will.- Wie der Mörder sagen wir mit verfaßt hat oder wo er wissend, daß das Schrift zu unterliegen. Dagegen hat heute die Kreuzzeitung " den Troft", Grund zu dem Glauben zu haben, daß man in Dinte bedarf, um seine verbrecherische That zu verüben, so auch heute schon zur Verantwortung gezogen werden. der Preßdelinquent der Druckerpresse. Wir heben dies besonders hervor, weil wir fürchten, sei. Man sicht, die Umsturzratten sind tüchtig an der Arbeit. daß aus den Bemerkungen dieser erwähnten Zeitungen eines Tages die reaktionären oder offiziösen Preßstimmen Gelegen- Die Paftoren, welche gegen die Umsturza heit nehmen könnten, wieder einmal zu rufen, daß etwas vorlage protestirt haben, erhalten nun Verweise. geschehen müsse", dieses Mal nämlich gegen die Presse. Das Bolt" theilt nämlich das folgende mit: Wir heben es ferner hervor, weil wir meinen, daß alle Was wir für unglaublich hielten, wird uns jetzt bestätigt: Parteien und die Zeitungen aller Richtungen ein Inter - Mehreren Unterzeichnern der im Volt" veröffentlichten Erklärung esse daran haben, daß die logisch daß die logisch und begrifflich evangelischer Geistlicher gegen die Unifturzvorlage ist von ihrem zutreffenden Gesetzes bestimmungen angewandt werden. Denn Konsistorium ein Verweis ertheilt worden. So weit ist es also mit unserem Staatskirchenthum schon gekommen, daß es den nur so kann, wer seine Gedanken, besonders wenn sie der Geistlichen verwehrt wird, ihre Meinung über eine Gesetzesherrschenden Gewalt mißliebig sind, aussprechen will, fich vorlage zu äußern." bemühen, sie so zu sagen, daß nichts Strafbares in ihnen Die evangelische Kirche ließ sich so gerne nachrühmen, liegt. Die Sozialdemokratie insbesondere hat sich stets be- daß in ihr im Gegensatze zur fatholischen Kirche die volle müht, mit dieser Vorsicht zu verfahren, und deshalb sind Freiheit der Kritik herrsche. Wir betonten hiergegen freilich wir überzeugt, daß der Buchdruckereibesitzer Bading den stets, daß der Klassenstaat den Geistlichen wie den Beamten Druck des Flugblattes abgelehnt hätte, wenn ihm bekannt zum Werkzeug der herrschenden Klassen herabdrücke. In gewesen wäre, daß das Flugblatt etwas Strafbares ent- den Verweisen" an die nicht mit Herrn Stumm in ein halten hätte. Wir können auch nicht unterlassen, hier nochmals Horn blasenden Geistlichen findet sich ein Beleg für unsere darauf hinzuweisen, daß er, auch wenn er selbst mit dem Auffassung.- Verfasser Schulze verhandelt hätte, auch wenn er selbst das Manuskript gelesen hätte, völlig im guten Glauben den Druck hätte vornehmen lassen können, denn Schulze hätte ihm sicher entgegengehalten, daß in den früheren Jahren, soweit überhaupt auf grund des Flugblattes ein Verfahren eingeleitet worden war( 1894 war nichts erfolgt), dasselbe mit Freisprechung geendet hatte.
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Von alledem ist dem Angeklagten Bading nichts nach zuweisen gewesen. Er ist unzweifelhaft an der Abfassung des Flugblattes völlig unbetheiligt gewesen. Selbst wenn man mit dem Landgericht I. Berlin annehmen wollte, daß man durch eine Hervorhebung des 18. März als Jahres tages der Revolution verschiedene Klassen der Bevölkerung in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise zu Gewaltthätigkeit gegen einander öffentlich anreize, selbst dann kann man nie dazu kommen, den Druckereibesitzer, der bei dem Inhalt des Flugblattes nicht mitgewirkt hat, als an der Abfassung betheiligt, als Mitthäter mit ver
antwortlich zu machen.
Hier zeigt sich in dem Urtheil des Landgerichts I . Berlin eine totale Verkennung des Begriffs der Mitthäterschaft. Wer geistig nicht mitwirkt an einem Geistesprodukt, der ist auch nicht Mitthäter an der sträflichen That, die darin liegt."
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Feuilleton.
[ Nachdruck verboten.]
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Eine geschichtliche Erzählung von Michel Deutsch. Mit munterem Lachen fiel Ferdinand der Schwester um den Hals. Er wollte ihr eben von seinem kleinen Scharmügel mit Frau Mucenich erzählen, allein Lotte hielt ihm den Mund zu und bedeutete ihm, daß er schweigen solle. " Nann? Was ist denn? Ihr seid doch alle wohl?" fragte Dora besorgt die Schwester.
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Lotte antwortete nicht. Leise stieg sie die Treppe zu der väterlichen Wohnung empor, während die andern ebenso leife folgten. Dora, die im Knöchel einen heftigen Schmerz empfand, wurde von Bruno und Schnick hinaufgetragen. Da bringen wer' ne Verwundete aber' s is man nicht schlimm, rief Ferdinand nach der lächelnden Dora weisend, schon von der Treppe her dem ihnen entgegentretenden Schwager zu. Bft! Da liegt noch jemand!" flüsterte Hans Hartung und wies nach dem aufgeschlagenen Bett an der Erschrocken hemmten die Ankömmlinge ihren Schritt: was war das, o Grausen!?
Indeß der Gerichtshof rügt in dem Urtheil, daß Bading
„ Er lebt!" jubelte Dora, während ihr Thränen der Freude und des Schmerzes in die Augen traten.
Vater Mathias nickte noch einmal und lächelte den Umstehenden zu. Dann schlossen sich von neuem seine Augen.
XII.
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füddeutschen Staaten und die Hansastädte sollen sich gegen Zur internationalen Währungskonferenz. Alle die Einberufung der internationalen Währungskonferenz ausgesprochen haben.
Dementirt wird die Nachricht von der Demission des Kultusministers Bosse. Bei der Unsicherheit der Minister, in ihrer Stellung zu bleiben, wird dies Herrn
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untrennbar und eins wären bis mun urplötzlich eine gähnende Kluft sich zwischen ihnen aufgethan hatte.
Trozig und machtbewußt, bis an die Zähne be= waffnet, stand die Partei der despotisch- oligarchischen Ueberlieferungen der Vergangenheit da, um jenes altersgrane Gebäude an der Mittelspree, das königliche Schloß, als ihr Hauptquartier geschaart. Für die edelsten Güter, die höchsten Ideale der Menschheit, wie sie dieselben verstand, gab diese Partei vor zu kämpfen.
Herrlich, wie Tags vorher, stieg am Morgen des 14. März die Sonne über dem Häusermeer der alten Spreestadt empor, mit ihren Strahlen die taum getrockneten Blutlachen ver goldend, die von dem Gemetel des verflossenen Abends Ihr gegenüber stand, noch unorganisirt und ungeBeugniß ablegten. Bierhunderttausend Menschen saßen an wappnet, ja sich ihrer eigenen Existenz noch kaum bewußt, diesem Morgen in ihren Behausungen, ohne einen Blick der die neugeborene, gleichsam über Nacht erstandene Partei der Freude, der Rührung, des Dankes für die allliebende Spenderin Zukunft. Auch diese Partei war begeistert für die höchsten des Lebens, die ihnen den Frühling gebracht hatte, die Ideale und die edelsten Güter der Menschheit, nur daß diese überall rings im Lande auf Aeckern und Auen, in Gärten Güter und Ideale sich in ihrer Vorstellung himmelweit verund Wäldern treibende Kräfte weckte und die Lebewesen schieden ausnahmen von den Vorstellungen der Geguer. zur Luft des Daseins lockte. Wider ihren Willen hatten die letzteren mit blutigen Vierhunderttausend Menschengemüther blieben ver- Schwerthieben die Nabelschnur zerhauen, durch welche diese düstert von bitteren Empfindungen und finsteren Leiden- Partei der Zukunft mit der Vergangenheit zusammens schaften, deren dunkles Gewölk kein lächelnder Lichtstrahl gewachsen war. Aus dem Schooße der Dinge war hier ein zu durchbrechen vermochte. Umsonst war alles Locken und scheinbar neues gesellschaftlich- politisches Gebilde erstanden, Lächeln der hehren Liebesprophetin: sie wollten nicht hören dessen Existenz sich nicht mehr hinwegleugnen ließ. In auf ihre weiche, zärtliche, sänftigende Stimme, sie konnten Wirklichkeit war es eben da, wie es immer dagewesen, nur heut nur zürnen, grollen, klagen. baß es jetzt auf einmal sein natürliches Recht aufs Dasein Es war ein Tag, wie ihn Berlin in seiner nach Jahr zu begreifen und geltend zu machen begann. Auf seinem Lager hingestreckt, mit geschlossenen Augen, hunderten zählenden Geschichte noch nicht erlebt hatte. Inner- Noch wußte niemand so recht, was es mit diesem Neuen, eine klaffende Wunde auf der blutigen Stirn, lag Mathias halb derselben hochragenden, nur an den achtzehn Thoren Werdenden, nach Licht und Luft Ringenden eigentlich auf Wernicke, der tapfere Kämpfer von Leipzig , der wackere der Außenwelt geöffneten Stadtmauer, auf einem Stück sich hatte. Mit höchst verdugten Gesichtern steckten die Patriot und Ritter des eisernen Kreuzes.. Erde von kaum einer Viertelquadratmeile lagerten durch Zeichendenter der alten Ordnung die Köpfe zusammen und Starr vor Schrecken blickten die Eintretenden auf den einander und neben einander, Wand an Wand und Rücken suchten unter Aufbietung all ihrer verschimmelten Weisheit wie leblos Daliegenden. Dann stürzten sie an das Bett, an Rücken, zwei feindliche Gewalten, die erst vor wenigen die Natur dieses Neuen, Unbekannten, das vor vierundum sich zu überzeugen, ob es nicht gar ein Todter war, den Stunden sich grimmig ins Auge geschaut und nun ihre zwanzig Stunden noch nicht dagewesen, zu errathen. Sie fie fahen. Quartiere bezogen hatten, um vielleicht im nächsten Moment fahen, daß sich da etwas regte und reckte, etwas Großes, Ta schlug Vater Mathias langsam die Augen auf, zu neuem Ringkampfe aufzuspringen. Ungeschlachtes, Unbeholfencs, aber was cs war, was wandte ihnen mit sichtlicher Anstrengung den Kopf zu und Jahrhundertelang hatten diese Gewalten so Seite an das wußte keiner von ihnen so recht zu sagen. nickie, wie zum Zeichen, daß er ihre Ankunft bemerkt habe. Seite aclebt, in dem guten Glauben, daß sie für immer ( Fortsetzung folgt.)
Wand.