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Nr. 4S9 42.7ahrgaag

1. Seilage öes vorwärts

Irekag, 16. Gktober 1425

Das Staötparlament vor Toressthluß

Die Berliner Stadtverordnetenversammlung dat in ihrer gestrigen Sitzung, der letzten vor den Neuwahlen, noch ein paar wichtige Beschlüsse gefaßt. Tin Dringltchteits- a n t r a g der Sozialdemokratischen Fraktion, der zugunsten der Beamten, Ange st eilten und Arbeiter den Magistrat auf die Notwendigkeit schleunig st er Dorschußzahlung hinweist, wurde angenommen. Angcnom- men wurde in gestern nachgeholter Abstimmung auch der in der vorigen Sitzung erörterte sozialdemokratische Antrag, der ein Ortsstatut zur Schaffung von Kleingarten- Dauerkolonien fordert. Gegen ihn stimmte die ganze Rechte, was hoffentlich die Kleingärtner für die bevorstehenden Stadtver- ordnetenwahlen sich merken werden. Eine Debatte über die Neu- köllner Grobhandelsgesellschaft sollt« den Partelen der Rechten als Borwand dienen, wieder einmal gegen die Kom- munalifierung gewerblicher Unternehmungen Sturm laufen zu können. Sie glauben, hiermit ihre Wahlagitation beleben zu können. Genosse Großmann fertigt« die Angreifer kräftig ab. Er stellte fest, daß von bürgerlicher Seite alles getan worden ist, das Unternehmen zu Fall zu bringen. Di« Sitzung endete in Defchlußunfähigkeit. Der Borsteher Gen. chaß eröffnete die gestrige Sitzung der Stadtverordnetenversammlung nach 5M Uhr mit einem Nachruf für den am 9. Oktober verstorbenen Landtags- nbgeordnetenProf. Dr. Hugo Preuh, der auch 23 Jahr« lang der Kommune Berlin als Stadtverordneter und Stadtrat fein« Kräfte zur Verfügung gestellt hat. Die Verdienste des Verstorbenen um die deutsche Reichsverfassung und um das Wohl Preußens und Berlins würdigte der Vorsteher in Worten höchster Anerkennung: die Versammlung nahm die Ansprache stehend entgegen. Eine Dring lichkeitsvorlage des Magistrats wegen der Uebernahme der Bürgschaft für eine von den Städtischen EleNriz'.tötswerfen JL-<B. cra|- znnehmende Anleihe von 30 Millionen Schweizer Fnmtea überwies die Versammlung dem Haushaltsausschuß: in einer außerordentlichen Sitzung am 27. Oktober wird über die Vorlage berichtet und beschlossen werden. Der dringliche Antrag unserer Genossen, den Magistrat zu ersuchen, mit größter Beschleunigung im Sinne der im Pre», Nischen Landlag angenommenen Anträge Vorschüsse an die städtischen Beamten, Angestellten and Arbeiter in verülksichtigung ihrer besonderen Notlage ansznzahlea. ge­langte ohne Debatte sofort zur Annahme. Don den Deutschnationalen ist eine große Anzahl von L n- fragen eingereicht worden, die den Ankauf von Hochbahnaktien durch den Magistrot, die ungrechte Verteilung der Hauszinssteuer, den Abschluß der Sladthauptkasse für 1924 und die.ungeheure lleberhebung" von Steuern betreffen. Die Anfragen werden ge- schäftsordnungsmäßig erledigt werden. Der Kapitalerhöhung der Berliner F l u g h a f e n- G. m. b. H. stimmte die Dersamm- lung zu. Im Anschluß an die zum Stellenplan für 1924 und 1925 ein- gereichten Eingaben entspann sich eine Erötterung über eine Anregung der Deutschnationalen, den Leitern der städtischen Irren- anstalten den Profestortitel zu verleihen. Gen. Dr. weyl sprach sich gegen die Titelseuche überhaupt und gegen dieses Verlangen aus: man müste hier den Anfängen entgegentreten, denn was dem Hrrenanstaltsleiter recht fei, fei dem Krankenhausleiter billig. Auch seien es nicht sowohl die Männer, sondern die Frauen, die auf den Titel spekulierten.(Heiterkeit.) Im Gegensatz zu Dr. Weyl fetzten sich v. Eynern(D. Vp.) und Gronewald« von der Wirtsch.-P. lebhaft für das Verlangen der Deutschnationalen ein. Die Versammlung nahm schließlich mit 94 gegen 83 Stimmen»inen Antrag heimann(Soz.) an. wonach der Magistrat ersucht wird, im Sinne der Ausführungen des Gen. Dr. Weyl zu den bezüglichen .Eingaben Stellung zu nehmen. Zu Erneuerungsarbeiten und Einrichtung eines Lehrlingsheims im Mosseheim, Berlin-

Wilmersdorf, hatte der Magistrat 128 999 M. gefordert. Der Aus- schuh, für den-> Frau Hausier(Dnat.) referierte, hat beantragt, die Vorlage dem Magistrat zurückzugeben, mit dem Anheimstellen, eine neue Vorlage einzubringen, aus der ersichtlich ist, wie sich der geforderte Betrag von 128 999 M. zusammensetzt. Es ist nämlich im Ausschuß zur Sprache gekommen, daß 23 999 M. für ein Säuglingsheim verwendet werden sollen. In der Beratung wurde vom Gen. Michael Sayser die Notwendigkeit der Bewilligung warm empfohlen; es würde ein großes Unrecht sein, die Erledigung hinauszuschieben. Er beantragte die Bewilligung von 195 999 M. Die Vorlage sei im Ausschusse nur sehr mangelhaft oertreten worden, da die Dezernentin Frau Stadträtin weyl auf einer DienstreiD ab- wesend gewesen sei. Nach längerer Aussprache wurde der Antrag«ayser mit den Stimmen der Sozialdemokraten, Kommunisten und des Zentrums angenommen. In der A b st i m m u n g über die in der letzten Sitzung berate- nen A n t r ö g e der Sozialdemokraten und der Kommunisten wegen Vorlegung von Ortssatzungen gemäß Z 4 des preußischen Aussührungsgesetzes zum Reichs heim st öttengesetz stimmt die Versammlung mit einer aus der Linken, den Demokraten und dem Zentrum bestehenden Mehrheit dem Antrag unserer Genossen zu. Im Gegensatz zu dem Magistratsbeschluste, dem Fiskus die Restkaufgelder für die Dauerwaldungen mit 79 Proz. aufzuwerten, hat der Ausschuß für den Antrag der Deutschnationalen. der gegen diesen Beschluß Einspruch erhoben wisten wollte, be- schlössen, den Magistrat um ein« besondere Vorlage zu ersuchen. Di« Versammlung stimmte zu. Die.Anweisung der Stadt Berlin für die Ausführung der Fürsorgeerziehung' wurde mit einer mehr redaktionellen, von unseren Genosten beantragten Aenderung ohne Debatte ge- nehmigt. Schwien(D. Vp.) erstattet« darauf Bericht über die Ausschuß- Verhandlungen in Sachen der Neuköllner Großhandels-G. m. b. h. Di« weltschichtigen Beratungen de» vusschustes, der auch zahlreich« Zeugenvernehmungen veranstaltet hat, haben zu dem Beschluß geführt. den Magistrat zu ersuchen, zivil- und strafrechtlich gegen den Direktor der Gesellschaft vorzugehen. Der Magistrat sei auch dabei, zu er- wägen, ob Strasantrog auch gegen den Aufsichtsrat gestellt werden solle. Jedenfalls sei eine Menge von Verstößen gegen eine einwand- freie Geschäftsführung erwiesen. Tatsächlich seien die Verkaufs- stände der Gesellschaft in den Markthallen an die Stadtgüter-G. m. b. H. und die Anteile an die Konsumgenostenschaft Berlin und Um- gegend verkauft worden. Den Verlust der Stadt berechne der Magistrat auf 499 999 M., der Ausschuß halte den Ausfall für beträchtlich höher, einige Mitglieder beziffern ihn auf etwa 1 Million. Sestel(Komm.) erklärte, der Direktor habe geradezu verbrecherisch gewirtschaftet: eine heillos« Korruption habe in dem Betriebe Plag gegriffen. Es müste verlangt werden, daß der Magistrat mit allen Mitteln gegen diesen.Direktor' vorgehe, um ihn der verdienten Strafe zu überantworten. Vorsteher-Stellvertreter Meyer bat die Redner, in ihrem Urteil nicht zu stark vorzugreifen und nicht per- sönliche Angriffe gegen Personen zu richten, die sich hier nicht ver- teidigen können. Dr. Micha eli» und Müller-�ranken mesten dem Magistrat einen Teil der Schuld bei und erklären, daß hier die Kom- munalisierung oersagt habe. Das System ist das Verderbliche, da» System muß fallen. Diese Erkenntnis ist mit einer Million nicht zu teuer bezahlt. Kämmerer Dr. K a r d i n g: Der Magistrat und der Oberbürgermeister haben nach aller Möglichkeit für schleunige Aufklärung der Sache gesorgt. Der Abschluß für 1923 war günstig: im Laufe des Sommer» 1924 ist eine Wandlung eingetreten: erst Anfang Dezember 1924 erfuhr der Magistrat davon und ist dann sofort eingeschritten eh« die Anfragen in der Versammlung ein- gereicht wurden. Der Magistrat hat also seine Pflicht qetan. Virbach(D. Vv.) erklärt, daß die Kommunalisierung in diesem Falle versagt habe,(koch: Weil der Sozialismus pleite ist! Gelächter und Lärm. Glocke des D o r st« h e r s, der dringend ersucht, Zwischenrufe zu unterlassen.) Bunge(Dnat.): Der Aufsichtsrat und der Magistrat haben schwere Unterlasiungssünden zu beantworten. Die Gelder der Steuerzahler sind verwirtschaftet und die Allgemeinheit hat jetzt den Verlust zu tragen.

Genosie Großmann: Nicht am Grabe eines zusammengebrochc- nen, sondern am Grabe eines gemeuchelten kommunalbetriebc» stehen wir.(Lochen rechts.) Diese G. m. b. H. ist entstanden aus den kommunalen Einrichtungen in Neukölln unter Leitung des deutschnationalen Stadtrats Lier.(Große Unruhe rechts.) Sie sollte gerade in der Inflationszeit die Warenbclieserung des Klein- Handels und der Bevölkerung sicherstellen, man hat sie kaputt ge­macht.weil sie Schmutzkonkurrenz triebe", das Bestreben der ver- einigten Rückwärtser ging dahin, dem Unternehmen auf jeden Fall den Hals umzudrehen. Die ganze Debatte zeigt das Leslrebeu, den Aufsichtsrat verantwortlich zu machen. Hat er wirklich dem Geschäftsführer zu sehr freie Hand gelassen, so kann er sich immer- hin auf das Urteil des Revisors berufen, der bei Prüfung der Goldmarkeröffnungsbilanz der G. m. b. H. große Widerstandsfähig- keit nachgesagt hat. Die Versuche, den kommunalisierten Betrieben dm Garaus zu machen. haben sich ja nicht auf die Neuköllner G. m. b. H. beschränkt. Na- türlich haben diese Bestrebungen, an denen sich auch dasBerliner Tageblatt' mit P.-M.(Paul Michaelis)-Artiteln beteiligte, die Kreditfähigkeit der G. m. b. H. schließlich erschüttert(Gelächter rechts), so daß es zur Liquidierung kam. Von einem Verlust von einer Million für die Stadt zu reden, ist direkt skandalös: davon kann gar keine Rede sein. Da die Hausbesitzer auch noch an der Liquidation des Unternehmens bei dem Verkauf der einzelnen Ge- schäft« zuviel verdienen wollten, blieb zuletzt nichts übrig als der Verkauf an die Konsumgenossenschaft. Die weiteren Darlegungen unseres Genossen suchten die Parteien aus der Rechten durch an- dauernden Lärm und wiederholte Unterbrechungen wirkungslos zu machen: auf tobenden Widerspruch stieß er mit der Behauptung, daß die Vrivalwirlschaft sich noch viel schlimmere Blößen gegeben habe, wobei er sich auf die Vorortelektrizitätswerke und auf die Charlottenburger Wasierwerke berief. Der Kämmerer wies noch- mals den Vorwurf mangelnder Aufsicht namens des Magistrats zurück und verlas aus dem vom Vorredner angezogenen Urteil über dl« Goldbilanz noch einen weiteren Passus, der das damalige Verhalten des Magistrats durchaus zu rechtfertigen geeignet erscheine. Nach%19 Uhr beantragte Genosse Reimann die Vertagung und bezweifelte die Beschlußfähigkeit des Hauses. Nachdem Dr. Dierbach gegm die Vertagung gesprochen, schloß der Vorsteher- stelloertreter Dr. C a s p a r i die Sitzung, da das Bureau über die Defchlußunfähigkeit einig war. Schluß nach 9U9 Uhr. Gesinnungsschnüffelei. Arbeitgeber gegen die weltliche Schule? Die fortschreitende Entwicklung der weltlichen Schulen und die Mehrung ihrer Schülerzahl scheint den Freunden der überkommenen Bekenntnisschule schwere Sorg« zu bereiten. Sie greifen zu allen möglichen Abwehrmitteln und scheuen sogar nicht davor zurück, gegen die aus weltlichen Schulen abgegangenen und ins Erwerbsleben tretenden Kinder die Arbeitgeber mobil zu machen. Ein Fall dieser Art wird uns aus einem Betrieb der Elektrizitätsfirma Berg- mann bekannt. Ein im Oktober dieses Jahres nach Dollendung der Schulpflicht aus einer weltlichen Schule abgegangener Schüler wandte sich, so teilt man uns mit, an das Bergmansche Werk See- straße mit einem Gesuch um Einstellung. Als der Direktor Laßwitz aus dem Abgangszeugnis ersah, daß der Junge keinen Religion?- Unterricht gehabt hatte, erklärte er, dann kenne er sicher auch nicht das siebente Gebot. Da er. fügte der Herr Direktor hinzu, auch nicht getauft sei, so komm« ein« Einstellung nicht in Frage. Wird die Firma ein derartiges Vorgehen decken? Der Junge, der Sohn einer Witwe, ist durchaus zuverlässig, und das Zeugnis bescheinigt ihm Betragen und Fleiß als tadellos. Will der Herr Direktor fein Verhalten.christlich' nennen? Don der Firma erwarten wir, daß sie von diesem Direktor ab- rückt. Die Arbeiterklaffe kann nicht dulden, daß die in weltlichen Schulen vorgebildeten Kinder durch eine derartige Behandlung ge- schädigt werden. Vor dem Religionsunterricht braucht der G e- finnungsunterricht weltlicher Schulen sich mit seinen Erziehungserfolgen nicht zu verstecken. Schlechte Beleuchtung im 20. Bezirk. Zahlreiche Klagen sind im» wegen der mangelhaften Beleuchtung im 29. Bezirk zugegangen. Insbesondere in Reinickendorf -West, in der Gegend der E i ch b o r n- st r a ß e, wo ein reger Verkehr durch die Belegschaften der dortigen Induftriewerke herrscht, wird über diesen Mangel geklagt. Vielleicht genügt dieser Hinweis, um hier Abhilfe zu schaffen.

Das unbegreifliche Ich. klf GefchichteeinerJugend. Roman von Tom Krislensea. (Berechtigte Uebersetzung aus dem Dänischen von F. S. Bogel .) Ich stand auf. Die Füße brannten und waren wund. Meine Schultern schmerzten, und ich fror am ganzen Rücken. Eine Haustür stand auf. und ich schlich mich vorsichtig bis zum vierten Stock hinauf. Hier legte ich mich auf den Ab- satz, die Hände um ein Geländer, das sich vor einem Fenster befand, und schlief ein. Früh am nächsten Morgen wurde ich von einem Milch- jungen geweckt, der mit Flaschen in einem Drahtkorb heran- gerasselt kam. Donnerwetter, hier darfst du nicht schlafen, bist du denn verdreht!" sagte er und kitzelte mich mit der Fußspitze. Er war auf Strümpfen. Ich rieb mir die Augen und schnitt Gesichter. Meine Züge waren ganz steif. Dann streckte ich den Arm aus, auf dem ich geschlafen hatte. Er schmerzte, und der Aermel war hochgeglitten, so daß ich dunkelrote Streifen auf der Haut sehen konnte. .Jas muß ein kaltes Vergnügen sein!" sagte der Milch- junge.Willst du einen Schluck Milch haben?" Ich trank und fühlte mich ganz wach. Du solltest runter in denStern" da um die Ecke gehen. Da bekommt man einen Eimer voll heißem Kaffee und ein mächtiges Stück Kuchen fast umsonst. Hast du Geld?" Ja, etwas!" Na, dann ist es ja gut. Auf Wiedersehen!" Ich ging in denStern" hinunter und erwärmte mich mit einer Tasse Kaffee. Es saßen einige Chauffeure da und tranken Bier. Da muß ein Taubenschlag fein unten in dem Winkel in der Rantzausnade," sagte der eine und spuckte auf den Boden. Dann ist es aber einer für Unbemittelte!" grinste der andere. Da war also mein Spiel mit der Straße, das wieder anfing.?ch erhielt einen verständlichen Satz, ja, sogar zugleich einen Bescheid. Als ich befahlt hatte, ging ich nach der Rantzausgade. Ich hatte vorläufig kein Ziel. Ich wollte den Winkel sehen. Es wurde acht Uhr. Ich geriet in einen neuen Menschen-

ström, der auf die Kontore und Arbeitsstätten sollte. Ihr Gang war ruhig: doch als die Uhr fünf Minuten vor voll war, wurde das Tempo schnell. Einige liefen. Etwas vor neun war ich wieder in einer der Hauptver- kehrsstraßen, um dasselbe Tempo und die in der Morgensonne glitzernde Schar der Radfahrer zu erleben. Ich bekam Plötz- lich Lust, in einem überfüllteen Straßenbahnwagen zu fahren und zwischen den Fahrgästen auf dem Hinterperron hin- und hergeschüttelt zu werden: doch das war Geldverschwendung. und ich würde zu viel Zeit übrig behalten. Was sollte ich mit den vielen, langen Minuten mitten in der Stadt anfangen? Jetzt gab es die Zeitungsaushänge zu lesen. Dann mußte ich in eine Filiale oder zu einem Glaskasten und alle Reuig- leiten und alle Anzeigen lesen. Vielleicht war ein Platz für mich darunter. Dann wollte ich in einen Wartesaal gehen und mich ausruhen, und um die Mittagszeit wollte ich nach der Kaserne in der Sölvgade und der Wachtparade durch die Stadt folgen.., An dem Tage las ich folgende Anzeige: Verkäufer gesucht. E. Samuelsen. Store Strandsträde." Ich lachte laut. Das war die erste Botschaft, die ich aus der Welt, die ich verlassen hatte, erhielt: doch dann fing ich an zu zittern. Die Buchstaben verschwammen vor meinen Augen, und das Ganze wurde zu einem weißen Nebel mit dunklen Punkten. Mein Gesicht war ganz steif. Ich konnte merken, daß ich nicht gewaschen war. Das war das einzige Gefühl, was ich hatte: doch es half mir über den Schwindel hinweg. Am Rachmittag saß ich im Rathausgarten und sah die Tauben unter dem Dach aus- und einflattern. Das war eine st?ue Art, mich zu zerstreuen; und ich versuchte, mich ihr völlig hinzugeben, mich ganz der Sonne und dem blauen Sep- temberhimmael und den roten Mauern aufzuwn: doch ich lehrte rasch zur Wirklichkeit zurück. Das Geld reichte nur "vch zu einer einzigen Mahlzeit in meinem Lieblingscaf6 mit den glasierten Steinen, nur eine einzige Mahlzeit, und dann stand ich morgen einem unendlich langen Tag ohne Mferi gegenüber, einem großen, leeren Raum. Die Stadt wurde ungeheuer anwachsen, die Straßen würden länger .die Uhren langsamer gehen, ja, die Zeiger würden wohl schließlich ganz stehen bleiben. Konnte ich heute nicht hungern? Der fade Geschmack des Kaffees mit Kuchen von heute morgen stieß mir auf. Nein, etwas mußte ich haben, bloß damit ich den Geschmack los wurde!

Aber war es doch nicht besser, wenn ich wartete? Morgen konnte ich vielleicht einen Platz als Laufjunge finden, das war das Einzige, was ich weichen konnte! Ich stand auf und fing wieder an zu gehen. Hinaus aufs Land wollte ich, weit hinaus, und mich auf eine Wiese legen, und am Abend wollte ich wieder zurückgehen. Um die Zeit waren vielleicht welche hier, die ich anbetteln konnte. Unterwegs kam ich an einer Bäckerei vorbei. Der An- blick von all dem ausgestellten, gelben Brot brachte mich zum stehen, und ich bekam plötzlich einen Einfall. Doch erst mußte ich feststellen, wie das Ladenfräulein aussah. Ich legte die Hände wie Scheuklappen seitlich an die Augen und beugte mich gegen das Fenster vor, und im Schatten der Hände, wo keine Spiegelreflexe mehr glänzton, entdeckte ich, daß sie glück- licherweise so häßlich war, daß es keine Demütigung für mich wäre, hinzugehen und eine Anstellung zu suchen. Ich stellte mich bescheiden an die Tür hin und starrte auf die rote, eckige Nase der. Verkäuferin. Ich war so müde, daß ich alles, was ich bemerkte, zu lange betrachtete, und ich sah, daß sie mit' ihrer mageren, blauen Hand unwillkürlich ihre Nasenspitze rieb, als ob sie juckte. Was wünschen Sie?" fragte sie scharf. Und in leisem, demütigem Tone murmelte ich eine Frage) ob sie nicht einen Laufjungen gebrauchen könnten, oder ob ich ihr nicht einen Dienst leisten könnte, der ein Viertel Schwarzbrot wert wäre. Sie lachte und gab mir das Schwarzbrot, und mit ihm unterm Arm sockte ich weiter. Ich war schlaff und faßte die Umgebung nur in verschleierten Umrissen auf, lange Reihen gelblicher Häuser, weltende Baumkronen, ein langgestreckter Hügel und endlich Felder. Es wurde weich unter mlr. Ich trat auf Erde . Eine kräftige Luft blähte meine Nasenflügel und fuhr wie ein Leuchten durch mich hindurch. Da war ein Grabenrand mit etwas Gras und einer hohen Hecke. Hier müßte man gut liegen können! Und ich sank, während ich das dachte, zu Boden. Wie meine Arme und Bein« lagen, war mir gleich- gültig, ich stürzte einfach um. In halber Betäubung spürte ich das Schwarzbrot, schob es unter Mund und Nase und fing wie ein schläfriges Tier zu knabbern an. Schwarze Brotklumpen glitten merkwürdig beruhigend in mir herunter und schließlich schlief ich, das Ge- sicht gegen die weiche Krume gepreßt, ein. __(Fortsetzung folgt.)!