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1. Heilage öes Vorwärts
SoaoabevS, 17. Oktober 192S
Wie märkisthe Kleinstädte aussehen. C.\
Marktplatz mit Rathaus.
Wenn mSrNsche Kkeinstikdte nicht in beschauNch« Ruh« verfallen. sondern«inen wirtschaftlichen und politischen Aufschwung zu ver- zeichnen haben, so sagt man wohl: die g ü n st i g e Lage bewirkt diesen Aufstieg. Ein Beispiel hierfür ist Fürstenberg a. d. Oder, da» durch den Ausbau des Spree— Oder-Kanal» in seinen natür- lichen Entwicklungsmöglichkeiten gefördert ist. In Finsterwald« haben wir eine Stadt, die trotz des Fehlens einer günstigen Loge ein beachtenswertes Emporkommen zeigt. vas alte Iknfienvalüe. Für den Ort, der im 1Z. Jahrhundert von den Deutschen als fester Platz angelegt wurde, lag damals und in den folgenden Jahr. Hunderten allerdings so etwas wie günstige Lage vor. denn zunächst zählte er zu den den deutschen Besitz gegen den wendischen Osten in der Lausitz abschließenden Plätzen, die in dem nahen Kloster Dobrilugk ihr geistiges Zentrum hatten. Dann aber nahm in späteren ruhigen Zeiten der chandelsweg von Schlesien nach Magdeburg und chamburg seinen Gang durch Finsterwalde , in dem auch die Tuchmacherei florierte. Einige Angaben mögen den Werdegang kurz erläutern. Im Jahre 1416 belehnt König Menzel von Böhmen Hans von Polenz mit Schloß und Stadt. später(1533) kam es in die Hände der Brüder Otto und Johann von Dieskau. 1540 Einführung der Reformation. 1625 Verkauf an Kurfürst Johann Georg l. von Sachsen. Im Dreißigjährigen Krieg 1637 und 1642 verheert: 1675 durch Brand zerstört. Von 1652 bis 1738 Besitz der Herzöge von Sachfen-Merfeburg, dann dem Kurfürstentum Sachsen wieder zugeteilt— endlich 1815 preußisch. Die Entwicklung in kommunaler Hinsicht zeigen folgende Zahlen: im 16. Jahrhundert 350 Feuerstätten, 1687 deren nur 250, 1806 203 Häuser in und 56 vor der Stadt: 1800 2000 Einwohner, dar- unter 141 Tuchmacher und 100 Spinner, die über 4000 Stück Tuch fertigten. 1850 5400 Einwohner— 40 000 Stück Tuch. 1867 7000, 1917 13 000, jetzt 14 000 Einwohner. Der günstige Aufschwung nach 1867 ist zweifellos durch die 1868 erfolgte Eröffnung der Bahn Halle— Finsterwolde— Kottbus usw. bewirkt, ober— und damit streifen wir wieder die Frage der günstigen Lage— sicher wäre er noch größer, wenn Finsterwalde direkt an einer Berliner Haupt- bahn gelegen wäre Jetzt muß man in Dobrilugk -Kirchhain , Sta- tion der Berlin — Dresdener Bahn, umsteigen.
vom alten IlnstenvalÜe.
Eine jene? Jahrhunderte überdauernden festen Mauern, wie sie in einigen Kleinstädten sich vorfinden, hat Finsterwald« nie de» festen: die etwa» überragende Dura bot Schutz den Machthabern, und die Bürger mußten sich mit Pallifaden, Gräben und Wällen behelfen. Die 1413 zerstörte Burg wurde 1553—97 von den Dieskaus schloßartig aufgebaut: aus einem einfachen vorderschloß ge- langte man in das stattliche hlnlerschloß durch einen dreigeschossigen Turm. Im Hos dieses Hauptgebäudes befanden sich Arkaden, von denen die aus dem Nordwestflügel noch erhalten sind. Jetzt nicken Blumen auf den Beschauer herunter— die.Ritterfräuleins"
Eingang zum Schloß.
find verschwunden und die Prosa de, Leben» in der Nachkriegszeit ist eingezogen. Da» Hinterschloß beherbergt das Katasteramt, ein« Domenjchneiderei, einen Schuhmacher und einen Sattler . Das Borderschwß kam 1885 in den Besitz der Stadt: dort befinden sich die Magistratsräume. Ein Flügel ist jetzt recht geschickt zum Feuer- wehrdepot ausgebaut worden. An die Dieskau-Zeit erinnert noch die.Kurtsburg" in der Schloßstraße, ein 1550 errichtetes Gebäude,
da»«in schönes Portal mit Sitznischen aufweist. Das Schloß liegl ~ �.......... che? Kr' er naturgemäß auch eine Berliner Straße aufweist. Er führt über den großen Marktplatz,
am Ende des vom Bahnhof mit anfänglicher Krümmung sich' durch die Stadt erstreckenden Straßenzuges, der nawrgemäß auch eine
an dessen Ende sich das Ralhau» erhebt, ein rechteckiger Bau mit hohem Satteldach und zierlichem Dachreiter mit offener Laterne und geschweifter Haube. Hinter dem Rarhaus ist wieder ein kleiner latz, und hinter einem schmalen Rechteck von Häusern folgt die von allen Seiten dicht von Gebäuden umgebene Kirche, deren gegen- wärtige Gestatt— dreischissige Hallenkirche mit dreiseitigem Chor- abschluß und einem in der Eck« der Westfront angebrachten schmö- leren Turm— auf dem Umbau von 1580 bis 1618 beruht. 1881 erfolgte eine dem damaligen vernunftwidrigen Kunstgeschmack ent- sprechende Erneuerung, welch« die alten Ausstattungsstiicke wenig pietätvoll behandelt«. Wie au» den mitgeteillen Jahreszahlen her- vorgeht, fiel der Umbau in die glanzvoll« Dieskau-Zeit, und so finden sich in der Kirch« bemerkenswerte Dieskaufche Grabmäler. gegenwärtig im Chor, halb von dem Gestühl verdeckt, ausgestellt. Im 17. und 18. Jahrhundert kamen dazu Denkmäler der Patrizier. samilien: an der Außenwand der Kirch« befinden sich zahlreiche, stark verwitterte Grabplatten. Schön ist die S o n d st e i n- k a n z e l, die von einer Mosesfigur getrogen wird, 1615 von den Dieskaus gestiftet. In den Häusern der Marktumgebung— die charakteristischen Straßennamen: Große. Kleine Ringstraße, Grabenstraße usw. zeigen diesen allen Kern— ist noch manches malerische Detail m entdecken: der Nützlichkeitsstandpunkt, den die Bewohner von jeher walten lasten mutzten, hat allerdings keine besonderen architektonischen Schönheiten hervorgebracht; einig« Versuch«, bei Neubauten im Stadtinnern moderu-protzig zu bauen, werden hoffentlich vereinzell bleiben. Vas neue ,rote� Iknftenvalöe. Mit Zahlen kann man bekanntlich alle» beweisen, aber wenn sie so charakteristisch sind wie hier, so beweisen sie in der Tat etwas: 4000 sozialdemokratische Stimmen gegen 2000 aller übrigen Par- tcien. und in kommunaler Hinsicht 12 sozialdemokrattsche Stadtver- ordnete gegen 2 kommunistische und 10 mehr oder weniger rechts- gerichtete und als Bürgermeister unseren Genossen Dr. Okowski. Ein reges politisches und geistiges Leben ist vorhanden: an den Wahlen nehmen etwa 95 Proz. der Wähler teil. Seit einem Jahre besteht ein dreimal wöchentlich erscheinendes sozialdemokratisches Blatt, das.Bolksblatt für Finsterwalde". Die Arbeiter— 1000 in den drei großen Tuchfabriken, 100 in der Schraubenfabrik, 400 in den zwei großen Fahrradfabriken, dann die in Tischlereibetrieben, im Tobokqewerbe, in der Glashütte im nahen Masten, endlich die zu? Lrdelt im benachbarten Braunkohlengrubengebiet fahren- d«n— sind in der weitaus größten Zahl treue Parteionhänger; der Kommunismus hat Kier keinen günstigen Boden. Die kam- mnnale lällakeil ist vorbildlich zu nennen. In den letzten Jahrc»! fnd je 40—50 Wohnungen bereitgestellt worden, eine Kriegsbesch»' igtensiedlung begonnen, die Kanalisatton— bekanntlich eine dö!
weile ZNarktvlah in den Dienst des Volkes gestellt werden, derart, daß sich wirtliche Volksfeste auf ihm abspielen können. Ein Versuch in diesem Jahre, den Verfassungstag zu einem wirklichen Volkstag. besonder» für die Schuljugend, zu gestalten, ist durchaus geglückt. Mit Nachdruck sei noch hervorgehoben, daß der mit Anlagen ge- schmückte Platz an dem Wasserturm, in der Nähe des Bahnhofs, den Namen Friedrich-Eberl-Plah erhalten hat?— Für Sportbetätigung steht ein 12 Morgen großer Sportplatz am Stahnsdorfer Weg zur Verfügung, Musik wird in starkem Maße gepflegt. Die Volksbühne bietet Vorstellungen des Ostdeutschen Landestheaters. < Die Genügsamkeit der bodenständigen Arbeiter hat Finster. walde in früheren Jahren zu dem gemacht, was es heute ist. Hoffen wir, daß die neue Zeit, die das Gefühl für Menschenwürde in allen Kreisen unseres Volkes geweckt hat. oie Wünsche aller Beteiligten erfüllen möge. Ansätze dazu sind in Finsterwalde in reichem Maße vorhanden.
6*1
Das unbegreifliche Ich.
Geschichte einer Jugend. Roman von Tom krislensen. (Berechtigte Ucbersegung aus dem Dänischen von F. E. Vogel.) Ich mußte recht fest geschlafen haben, denn als ich wieder erwachte, in allen Gliedern steif, spürte ich einen feuchten Duft von Erde in der Nase. Ein rieselnder Laut ging durch die Hecke, und der Weg war dunkel und glänzte. Es regnete. Mühsam stand ich auf und ging zu einem kleinen, stroh- gedeckten Bauhaus hin. Ohne recht zu überlegen, was ich tat, öffnete ich eine Tür und ging auf das Haus zu. um mich unter die Dachrinne in Schuß zu stellen. Die herabströmen- den Regenschauer tönten bis tief in mein Inneres hinein. Ich mar wehrlos gegen alle Eindrücke. Mir war, als ob ich der Regen wäre, und wenn ich auf die schrägen Regenstreifen starrte, stieg ich zu den dunklen, zerrissenen Wolken, die unter- einander dahinjagten, in die Höhe. Ich war die Wolken. „He, du da, m't deinem nassen Schwarzbrot unterm Nrm!" höhnte eine Stimme. Ein runder Kopf mit einem breiten, fast flachen Schädel und dünnem hellen Haar wurde zum Fenster herausgesteckt. Er wirkte furchtbar wie ein St-erkopf, der sich in nächster Nähe neben meinem Gesicht beland. „Schwarzbrot!" grinste er...._ Ich stand mit meinem Rest Schwarzbrot unter dem Arm. Es war wie ein lebendes Wesen, und deshalb drückte ich es fest an mich..- „Sieh doch nicht so böse aus. Laß das sein. Sonst komme ich bloß hinaus und dann würde unsere Freundschaft bald ein Ende nehmen!" brummte er, und die kleinen blauen Augen lauerten tief drin in dem massiven Schädel. „Kannst du mich nicht in Frieden unter deiner Rinne stehen lassen!" antwortete ich müde. Ich brachte es nicht ein- mal fertig, Dachrinne zu sagen. Er zeiate die Zähne und lachte. „Du bist nicht zu knapp frech: doch du bist nicht frech genug! Weshalb gehst du nicht einfach ins Haus und schmeißt mich raus?" fragte er. Ich öffnete die Tür und ging in ein kleines Zimmer herein. Es standen nur ein eisernes Bett, ein hölzerner Tisch und zwei Stühle darin. An den Wänden dingen ein paar Malereien in scbreienden Farben. Der Boden war mit Farbenflecken bedeckt. „Bist du ein Genie?" höhnte ich. Ich war von seiner
Stimme angesteckt worden. Ich war alles, was ich traf, so müde war ich. „Ja, mindestens, und du bist Schwarzbrotfabrikant. Setz dich hin und tu, als ob du zu Hause wärst. Wenn du fünf Stunden lang das Maul halten kannst, magst du meinet» wegen hier bleiben." „Danke!" antwortete ich demütig. Sagst du obendrein danke! Solche Frechheit! Na, mich schert das nichts weiter. Paß auf, daß du dich nicht an deinem Schwarzbrot verhebst." Ich ließ das Brot auf den Tisch schlagen und siel auf einem Stuhl zusammen. „Ich heiße Raavad, damit du es weißt, und nun weißt du wohl auch, wer ich bin?" „Nö!" Raavad krümmte sich vor Lachen und kratzte sich die Ellenbogen. „Da hört doch alles auf! Das ist denn doch zu toll! Dann kennst du wohl auch nicht Michel Angela oder Christian den Zehnten? Du mußt lange fortgewesen sein!" Er schüttelte den Kopf. Darauf wandte er sich zu einer Leinwand hin und betrachtete sie sich eine Weile. Es waren ein paar blaue Baumstämme. „Sieh mal, das ist Kunst, nich? Das ist ein schrecklicher Mist, verstehst du, aber unsere idiotische Gegenwart kann, zum Donnerwetter noch mal, trotzdem das nicht bester machen." Dann pfiff er, ging hin und wühlte unter einigen ver- bogenen Tuben in einem Malkasten herum. Endlich entschloß er sich, nahm eine Tube mit blauer Farbe, drückte sie auf der Leinwand aus und setzte den Daumen mitten hinein. Ein Schwung, und ein neuer dunkelblauer Zweig schlängelte sich in den lichten Himmel hinaus. „Sieh mal, das würde eine verdammte Sauerei fein, wenn es nicht genial wäre!" brummte er und drehte sich um. „Du bist in einer Stube mit einem Genie, das ist dir wohl noch nicht ganz klar. Du glaubtest vielleicht, Genies wären Männer mit Bärten, solche richtigen Künstler, was, die über Stimmung reden." „Ich glaubte überhaupt nichts," antwortete ich schlaff. „Ach, hör damit auf. Du machst dir was aus Stimmung. Das sieht man dir schon an den Augen an: aber Stimmung ist Kistch." Er fing an auf und ab zu gehen, und jedesmal, wenn er an eine Wand kam, wischte er seinen Daumen daran ab. Es waren ringsumher im Zimmer lange, blaue Striche.
,Heel" grinste er vor sich hin,„kannst du mich nicht in Frieden unter deiner Rinne stehen lasten! Hee, das war nicht übel gesagt! Wie heißt du?" „Rasmussen!" „Rasmussen! Na, aber nun höre mal, so kann man nicht heißen, unmöglich. Was willst du damit anfangen? Und dann heißt du vielleicht auch noch Alexander, was?" „Nein, Waldemar." „Zu Hilfe, das ist ja gräßlich! Waldemar Rasmusten! Das ist doch kein Name für einen lebendigen Menschen! Donnerwetter nein, du mußt einen anderen Namen haben! Walras , Walraun, Marmus, Markmus— das geht nicht. Warte mal, Schwarzbrot, Waldemar Schwarzbrot, der Teufel soll mich holen, ja, Waldemar Schwarzau, ja, das klingt ver- dämmt adlig! Was bist du, Schwarzau?" „Ich sollte Zigarrenhändler werden--* „Du solltest Zigarrenhändlcr werden, großartig. Du hast was Geniales an dir. Du hast übrigens Erde im Gesicht; aber ich wagte es nicht, dir zu sagen, sonst hättest du es bloß abgewischt. Wo wohnst du?" „Nirgends. Auf den Haustreppen!" „Famos, famos! Ein Glück, daß du hie? reingekommen bist. Ich kenne einen furchtbaren Snob, einen Ingenieur, Börgesen heißt er, ein Geizhals, ein Idiot, der Bilder sammelt. Er hat verschiedene meiner Sachen gekauft, natür- lich viel zu billig, und dann behauptet der Idiot noch dazu, mir fehle Primitivität. Er sucht nach einem Urgenie unter der jungen Generation, der Idiot! Berdammt noch mal, das wäre ein Geschäft für dich!" Ich saß und döste vor mich hin. Zuweilen hob ich den Kopf und sagte müde:„Ich verstehe nicht. Ich verstehe nicht." „Was, verstehen? Glaubst du, Urgenies verstehen etwas? Du wurstelst bloß irgend etwas zusammen. Nicht was Rich- tiges, sondern was du geträumt hast. Was ganz Unverstand- liches. Was hast du denn anders in deinem stumpfsinnigen Gehirnkasten drin? Steigen nicht, wenn du die Augen schließt, in deinem ekelhaft dunkeln Grips alle möglichen Farben auf? Schmeiß sie doch auf die Leinwand, zum Teufel!" Raavad fing an im Zimmer herumzusuchen.„Hier ist es," brummte er und zog ein Stück Leinwand auf einem Blendrahmen unter einem Haufen Sachen hervor.„Darauf sollst du was malen, sonst kriegst du Keile'/ zischte er, während er die Leinwand aufstellte.(Fortsetzung folgt.)