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dkenstag 20. Oktober 1925
Unterhaltung unö ÄVissen
Settage öes vorwärts
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Nach Amerika. Von Wilhelm E o l l m a n n. «Degleiiuag vo» Lord!"
Bremerhaven  . Heber die hohen Steg« eilen die Passagier« des Lloyddampfers..Bremen  " an Lord  . Ans dem Promenadendeck spieU die Schisfskopclle Märsche und Lieder. Es klingt, als ob man Llengstliche ermutigen und schweren Abschied erleichtern wolle. Auf allen Decks, in allen Gängen ein drängendes Gewimmel. Dielen gibt ein Angehöriger   dos Geleit bis an Bord. Händedrücke, Tränen, Küsse überall. In einer Nische hält sich ein junges Paar um- Ichlungen, als könne es sich nicht trennen. Ein« Mmter beugt das feuchte Gesicht zur Tochter nieder, ein Doter gibt dem auswandernden Sahne letzte Mahnungen. Dazwischen Geschäftsleute, Vergnügungs- reifende, Globetrotter, denen die Fahrt über den Ozean nichts Neues und nichts Seltenes ist. Sie schauen nicht anders drein als der Reisende, der auf dem Bahnsteig die Abfahrt des Schnellzuges ab- wartet. Die Mannschaft des Schiffes trifft die letzten Vorbereiten- gen. Die Stewards drängen die abschiednehmenden Gäste von Lord  , aber ünmcr noch fluten die Gruppen treppauf und treppab. Piöxlich ein Kommandowort: Ein Ruf:Die Stege werden eingezogen: Begleitung von Bord." Da und dort muh ein Steward einem Abschied beinahe mit Gewalt«in Ende machen. Noch ver- gehen Minuten, bis alles außer den Passagieren das Schiff geräumt hat. Nun stehen die Neifenden, die Auswanderer an den Brüftun, gen der Decks zur Landseite, einen Slemwurf weit am Pier die cnderen. Noch arbeiten die Schiffsmaschinen nicht. Noch ist für Sekunden ein Steg die Drücke nach dem Lande. Doch schon greifeiz die Fäuste der Matrosen zu, auch den letzten Steg von Bord zu trennen. Da durchbricht eine Mutter die Sperre, stürzt mit dem AufschreiAnna! Anna!" bis ans Geländer des Unterdecks vor und umhalst ihre Tochter. Dann eilt sie zurück ans Land. Sekunden später beginnt sich der Dampfer langsam, langsam von der Kante des Kais zu lösen. Winten, Rufe, Grüße herüber und hinüber. Seewärts geht die Fahrt. In die Abschiednehmenden am Land« kommt Bewegung. Viele halten noch Minuten Schritt mit dem ausreisenden Dampfer. Immer noch erkennen sich die Ge- stalten und rillen sich Wünsch« zu. Immer noch im Abenddunkel wehende weiße Tücher und grüßende Hände. Ein letztcr Land- norspnmg am Hafen. Bis hierhin sind die geeilt, denen der Ab- schied am schwersten ist. Musik und Gesang an BordMuh i d«nn, muß i denn..." Dann plötzlich Stille. Die Laternen vom Lande erreichen nicht mehr die iveite Wasserfläche. Finsternis umhüllt das Schiff. Weither von drüben aber, wo Land und Menschen im Dunkel versinken, oerklingt der Ruf einer Frauenstimme:Anna, Anna!.." Lucsnstown. Nordsee  , Kanal, englisch« Küste und irisch« De« sind passiert. Da steht am dritten Morgen der Dampfer still. Im Morgengrauen heraus aus der Koje. Hunderle Möoen spielen um da» Schiff. Hoch hebt sich die irische Küste aus dem Meere. Ein kleiner Dampfer legt an unserem an, Fahrgäste zu bringen und Fahrgäste für Irland zu übernehmen. Zugleich kommt«in sonderbarer Schwärm an Bord: Frauen mit Körben und Bündeln, die einen Teil des Schiffe« im Nu in einen Laden für Spitzen, Decken und Schals oerwandesn. Ihr Geschäft geht gut. Nicht wenige weibliche Passagiere entdecken auf einmal, daß sie dringend irischer Spigen und Gewebe bedürfen. Mittlerweile sind am Mannschaftsdeck Moschinisten und Heizer, Matrosen und Köche, Stewards und Bäcker mit Schwimmwesten um den Leib in Reih und Glied angetreten. Ein irischer Arzt prüft sie auf Gesundheit und Bereitschaft der Rettungsmutel. Es geht zu wie-bei einer Musterung. Ein flüchtiger Blick unter«in Augenlid, ein Griff an den Puls, und Mann für Mann sind als kerngesund befunden. Inztoifchen sind die Rettungsboote klar gemacht worden. Eins wird mit einem Offizier und etlichen Mann heruntergelassen, um einige Hebungen auszuführen Haustief liegt es unter dem Promenadendeck. Eine Stricckleiier führt hinab. Da» Boot wird einig« hundert Ruderfchlöge von Bord seewärts und zurück gefahren. Es scheint alles zu kloppen. Die See ist ruhig, der Morgen hell. Wie aber mag sich das Bild gestalten, wenn bei grober oder stürmt- scher See einmal aus diesem Manöver Ernst werden sollte und an die tausend Menschen und mehr rasch über diese Strickleitern in die auf- und niedertanzenden Boote hinabsteigen sollen? Das muß für manchen den Sturz in das Meer bedeuten, und auch die übrigen werden nicht alle heil im Boots ankommen. Große Schiffsunfälle sind ja glücklicherweise selten geworden. Die Vorführung des Rettungsbootes bietet schwerlich eine Beruhigung. Es erscheint dem Seeunkundigen nicht gerade als ein lockendes Rettungsziel. Aus der dritten Klasse gehen deutsche Arbeiter auf den kleinen irischen Dampfer. Sie machen Elektrizitätsanlagen in Irland  . Einer hebt die Hand: seine Kameraden stellen sich um ihn, und deutsche Wanderlieder klingen nach der Irischen Küste hinüber. Die Auswanderer an Bord derBremen  " antworten mit dem Liede, das alle kennen:Das Wandern ist des Müllers Lust", und schließ» lich, während der kleine irische Dampfer schon weit drüben über das Wosicr rauscht:Sei gegrüßt in weiter Fern«, teure Heimat. sei gegrüßt!" Sie klingen etwas anders als dnheim, diese Lieder. wenn deutschlandmüde Auswanderer mit Frauen und Kindern st« fern auf dem Weltmeere singen, das die meisten für immer von der Heimat trennt. Still ruht der See." Westwärts stampft unser großes Schiff. Lange noch fährt es die irische Küste entlang. Reizvolle Landschaftsbilder in tiefem Grün mit schlanken Kirchen und Städtchen und Dörfern, mit Schlössern am Strade und Burgen landeinwärts schmücken den Ab- schied von Europa  : Noch ein Kap und noch eins. Dann liegt Irland hinter uns. Ein letzter hoher Berg bleibt nach für Minuten sichtbar. Nun ist auch er hinab. Der Blick findet nur ein? npch: das Meer-- das Meer. Ich weiß nicht, wie wir uns am Meergeist versündigt haben, ober jedenfalls hat er schwer gezürnt. Er strafte uns im Herbst mit einer richtigen Winterfahrt Vielleicht glaubte er auch nur, zu einer Studienfahrt gehöre alles, was das Meer zu bieten hat: Regen und grobe See, Gewitter und Sturm, dichter Nebel mit nächtlichem Sirencnhsulen, Wind in allen Stärkegraden mit Ausnahme«ine» Orkans. Wellenschlag oller Arten, Stampfen. Schlingern, Rollen. Sturzseen und Schlagseiten. Umwege und Verspätungen, bis au» Abend und Morgen elf Tage werden, sind ein bißchen reichlich für das erstemal. Etwas ängstlich sucht man am ersten Abend auf dem Ozean seine Koje auf. Die schwankt wie eine Schiffsschaukel im Lunapart. Beim Ausziehen vollführt man Sprünge wie ein Kunsttänzer. Bald findet man sich an einer Schranktür«, bald unter dem Waschtisch
Die Lügenkanone.
Pfarrer Koch tchießt ab öie Lügenkanone. Waren schon gegen Ebert seine Zeugen nicht ohne, So muß er sich jetzt ösm Münchhausen verschreiben, Um seine SeutZchnationalen LugblZLer Zu vertreiben. wieder. Rur ins Bett, in die Koje, cm deren Rand der ahnungs- voll« Steward   ein sauberes Blechgefäß mit runder Oeffnung aus, gehängt Hot! Es dient zur Aufnahme von Speisen, leider schon verzehrten. Das Bett macht den nächtlichen Tanz lustig mit. Tief sinkt der ohnehin schwere Kopf nach unten, während die Füße steigen ixie Zeppeline, Krampfhast schließt man di« Augen. Nur nicht sehen, nur nicht sehen, wie sich alles hebt und dreht! Endlich schläft man hoch. Am Morgen tobt die See. Leider nicht nur sie. Do» Innere des angehenden Seefahrers hat sich gegen alle Autoritär seines Willens empört. Er hat nicht mehr über sich selbst zu ge- bieten. Irgendein viele Ilsteto? langer fürchterlicher Drehwurm windet sich vom Gehirn durch alle Nerven Usch streckt sich schwer im Magen aus. Man torkelt nach dem Waschbecken, um sich im Wasser zu retten. Da grinst einem aus dem Spiegel ein gänzlich fremdes grünes Gesicht entgegen und aus hohlen Augen höhnt die See- kronkheit. Das Meer schäumt gegen die Kabinenfenster. Sturzwogen überspülen die Decks. Bis auf die Koinmandobrücke spritzt die Gischt. Das Schiff läuft wie ein riesiges Schaukelpferd. Ein Jammer gelli durch die morgenstillen Kähmen und ein verhaltendes Fluchen auf Seine Heiligkeit den Herrn Neptun, der gerade mit seinen Meeresweibern frühstücken mag. Ach, ja, Frühstück! Der See- kranke denkt an den Speisesaal wie der Verurteilte an das Schasott. Er meint zu sterben, aber während er mit dem sündigen Leben ab- zuschließen denkt, erfährt er schon, wie die schnöbe Welt ihn und sein Leben einschätzt. Vom Deck heraus klingt das Wecken, ein Horn- fignal, und der boshafte witzige Trompets? schmetterte in den Sturm hinaus:Still ruht der See..."(Fortsetzung folgt.)
Die ersten fünf Roten im Roten yaufe. ILLZer Remimizenzen von Adolph hossmann. Die ersten vier sozialdemokratischen Stadtverordneten mit P a u l S i n g« r an der Spitz« waren nach Auslösung des Stabtparlamenis durch Puttkomer gewählt. Das Eis, welche» die Einfahrt zu dem Berliner   Noten Hause den Sozialdemokraten bisher versperrte, war gebrochen. Jetzt ga>t es, die Fahrstraße nicht wieder vereisen zu lassen, sondern sür weitere Einjohrten frei zu halten. Ein« Stichwahl hatte dieA rbelterpartei" denn die Sozioldemotcatie war auf Grund des Sozialistengesetzes verboten noch auszukämpfen, und zwar im Osten Berlins  . Hier standen sich als Kandidaten der Tischlsr August Herold   von derArbeiter- parte!" und der Professor Wullenweber von der sogenannten Bürger- parte!(Antisemiten) gegenüber. Derzweite Luther"(Stöcker) und sein Anhang setzten Himmel und Hölle in Bewegung, den od des Sieges von vier Sozialdemo. traten aufgeregt in der gewaltsam gebrochenen Fahrrinne umher- schwimmenden Bürger-Eieblock wieder zusammenzutreiben, um eine wettere Einsuhr derRoten  " im Roten Hause auf alle Fälle zu ver- hindern. Fehlte e» auch der Sozialdemokratie nach fünfjährigem unhell- vollen Wirten des Sozialistengesetzes nicht an Kräften, um dieinne- ren" gefahrvollen Arbeiten, Organisation. Agitation, besonders Schriftenverbreitung zu bewältigen, so war doch ganz besondere Bor» ficht geboten den Personen gegenüber, die öffentlich herausgestellt werden mußten, denn gerade Anfang der achtziger Jahre wurde der Belagerungszustand mit seinem Damoklesschwert der Ausweisung besonder» rigoros gehandhabt, und man muhte bedacht darauf sein, ihm so wenige Opfer wie möglich preiszugeben. Die Genossen, auf deren Schultern dieinnere Bewegung" lag, mußten au» zwei wichtigen Gründen im Hintergrund bleiben. Ein- mal, weil sie schwer zu ersetzen waren, dann, weil jeder, der öffent- lich In Erscheinung trat, die ganze Spitzelgarde auf seinen Fersen hotte und damit die unter tausend Gefahren geschaffene Organisation gefährdet». Trotz aller Bedenken, trotz aller Gefahren war alles, was zu uns hielt von ganz Berlin  , auf den Beinen, um den fünften Genosien ins Rote Haus   zu bringen.
Die preistreide? unü LLhneSrücker, Sie spielen sich auf als Staölbegiücker. Osch   mögen sie dlühenSe?chsn erzählen... »Das Volk hat gsieen! unS weiß jetzt zu wählen/
Ja, das war eine Lust.zu arbeiten! In kaum einer Viertel- stunde waren alle Häuser mir Flugblältem und Stimmzetteln belegt, da jeder Genosse oft nur einen Ausgang erhielt. Denn jeder Flug- blattverbreiter der Sozialdemokratie, den man iahte, wurde zur Wache gebracht, seine Person festgestellt, und er mußte damit rech, nen, daß er für den nächsten Ausweisungcschub vornotiert war. Zum mindesten» wurde er auf die List« der zuObservierenden" gesetzt. Da war also Schlagfertigkeit und Firigtcit geboten, denn auch die Flugblätter wurden konfisziert und, wänn überhaupt, dann meist erst nach der Wahl zurückgegeben. Bei solcher Tätigkeit war erste Bedingung, eine Lezittmation, aber nichts Kompromittierendes in den Taschen zu haben, denn daß jeder, der arretiert, auch visitiert wurde. war selbstverständlich. Aber trotz alledem oder gerade deshalb machte die exakte Arbeit der Aerbreitung Laune Traf es sich doch nicht selten, daß, wenn derAttentäter" schon wieder zu Hause war, einer der herum- spionierenden Spitzel klingelte und anfragte, ob hier ein sozialdemo- kratisches Flugblatt abgegeben fei. Die ironische Anttvort:Nein, haben Sie solche, so geben Sic bitt-! eins her," genügte schon, um den Vorlauten in die Liste derAnrüchigen" einzutragen. Viele Hände, machen auch großer Arbeit schnell ein Ende, könnte mon hier den Dichter variieren. Tie Fixigkeit hat!« aber noch einen anderen Nutzen: Niemand wurde mit viel Arbeit überlastet. Je meyr Arbeitswillige", desto geringer die Gefahren und um so schneller waren die Frmilie» der Verbreiter von der Sorge um die Ihrigen befreit. Die Frauen hatten nicht nötig, darüber zubrummen", daß die Parteiarbeit den Mann ganz der Famll-e entzog. Würde das auch heule manchmal bedacht, so wäre die Agitation eine Freude, könnte Intensiver, vollkommener und noch schneller be- werkstelligt werden, ohne die Tätigen den Ihren lange zu entziehen. Eine oder zwei Stunden sollte und würde jeder gerne opfern. Ja damals, als noch die Bersolpung den Kitt bildete, der alles zusammenhielt, wurde nicht nur fixe Arbeit geliefert, sondern es blieb dabei sogar Zeit, Denunzianten ganz«remplarisch abzustrafen. Ein Fall sieht noch frisch in meiner Erinnerung. Koppenstraß«. Ecke Rüdersdorser Straße, war der Hauswirt der Inhaber der Cckdestillation, ein Mann, der ausschließlich von Ar- beitern lebte Er hatte de» Genossen, der in diesem Hause unier Flugblatt verbreiten wollte, einem Polizeibeamten überliefert, weil er nicht dulden wollt-, daßseine" Mieter solch»..Giftwische" erhielten. Eine halbe Stunde später waren Flure und Treppen seine« Hauses, die erst neu gemalt, buchstäblich von der vierten Etage bis Parterre mit Flugblatt an Flugblakt beklebt, und zwar mit so ball- barem Kl-bestoff, daß tagelang geseift und gekratzt werden mußt«, um dieGiftwische" wieder zu entfernen und der Maler dann noch- mal« in Aktion zu treten hatte. Da außerdem dieGiftbude" von sehr vielen Arbeitern gemieden wurde, war ihm die Lust zu denunzieren, nachdem seine schäumend« Wut sich gelegt hatt« und seine ausgesetzte Belohnung für Ermittlung derRaten F-me" ohne Erfolg geblieben war, endgültig vergangen. Am Stichwohltage konzeut-ierie sich notü-lich das politische Leben Bertins auf den Osten. In der Schule Rüdersdorser Straß« war das Wahllokal. In der Nacht zum Wahltage, d. h. um-4 Uhr morgens, nack»- dem die Spitzel vom vergeblichen Warten m"'de und schlapp sich nach Hauie gertollt hatten, waren die setzten Wohivordereittingen ge- troffen. Und auch mancher Nichisozialdemotrat lachte ob der viel- seitigen. den verwöhntesten Ansprüchen genügenden Wahlpropaganda, die er allenthalben vorfand. Ein Kupferschmied im Grünen Weg brauchte Leitern, um die Wahkplokate von seinen beiden Kupferfirmenkesseln herunterzu- seifen. Immer mebr füllt« sich die kurze Strecke der Rüdersdorfer Straße von der Frucht- bis zur Koppcnstraß« mit Menscb-n und Spitzeln, Kriminalbeamten und uniformierter Polizei. Bald rückte auch die reitende Schutzmannschaft an. Sie begnügt« sich nicht da- mit, den Fahrdamm freizumachen, sondernsäuberte" di« Bürger- steige, indem sie auf denselben In Masse hineinritt. (Schluß folgt.)