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Abendausgabe

fr. 496 42. Jahrgang Ausgabe B Nr. 246

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreife find in der Morgenausgabe angegeben Redaktion: Sw. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-29% Sel.- Adresse: Sozialdemokrat Berlin

Vorwärts

Berliner Volksblatt

10 Pfennig

Dienstag

20. Oktober 1925

Beclag und Angetgenabteilung: Sefchäftszeit 9-5 Uhr

Berleger: Bocwärts- Berlag Gmb5. Berlin SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-29%

Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands

Deutschnationale Verantwortung.

Illoyale Baktauslegung.

Nachdem das Vertragswerk von Locarno , gleichzeitig die| hinwegtäuschen? Diese illoyale Parteiauslegung ist unwahr französischen Ostverträge, der Deffentlichkeit unterbreitet haftig und unwürdig. Die Furcht der Deutschnationalen, die worden sind, wissen die Deutschnationalen, was sie zu ver- Berantwortung für den Berzicht auf Elsaß- Lothringen zu über­antworten haben. Die Deffentlichkeit weiß es auch. Nun ist nehmen, ist verständlich. Aber das Bemühen, ihre innere es zu Ende mit Vorbehalten und bedingten Urteilen, jetzt heißt Situation zu erleichtern, darf nicht auf Kosten der Wahrheit es prüfen und entscheiden. und der Loyalität gehen.

Die Prüfung der Berträge durch die deutsch natio nale Presse hat im allgemeinen zu der Note: völlig ungenügend" geführt. Das ist das Werturteil der Deutschen Tageszeitung" und der Kreuz­ zeitung ". Der" ofalanzeiger" ift etwas zurüddeutsches haltender; er sieht immerhin die bedingte Möglichkeit, über die fchweren Bedenten vom deutschnationalen Standpunkt aus hinwegzukommen. Die Deutsche Zeitung" lehnt un bedingt ab, fie spricht von restloser Selbstaufgabe, Würde losigkeit, Erbärmlichkeit und Willensunfreiheit, Mißbrauch des Bertrauens des Kabinetts durch die Unterhändler."

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Aus diesen Berturteilen zieht nun die Deutsche Beitung" politische Schlußfolgerungen. Die eigentliche deutschnationale Parteipreffe vermeidet eine egatte Stellungnahme zu der Frage, ob die Deutsch­nationalen die Verantwortung für das Vertragswert über­nehmen wollen und fönnen. Sie fürchtet sich, der Frage der Berantwortung ins Gesicht zu sehen. Gie hofft auf Beitgewinn. auf Verschiebung der Entscheidung. Wie sie sich das vorstellt, zeigt flar die Kreuzzeitung ":

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Frankreichs Ostverträge.

Ein dunkler Punkt.

Der Bormärts". war. heute morgen als einziges deutsches Blatt in der Lage, neben den übrigen Dokumenten von Locarno auch den Inhalt der Verträge milteilen zu fönnen, die Frankreich mit Polen und der Tschechoslowakei geschlossen hat. Wie es fam, daß diefe Nachricht den andern Zeitungen vorenthalten blieb, ist ein noch ungelöstes Rätsel der Berichterstattung. Sicher ist nur foviel, daß es unmöglich ist, vom Ganzen der Vertragswerte eine richtige Vorstellung zu gewinnen, wenn man diese wich­tigen Berträge nicht fennt. tigen Berträge nicht fennt.

Ursprünglich war, wie schon bekannt, geplant gemefen, daß Frankreich ebenso die Garantie für die Öftverträge über nehmen sollte, wie England für den Westpakt. Die deutsche Delegation hat diesen Plan aus naheliegenden Gründen be­sondern schlechter. England und das später miteingetretene fämpft. Was aber jetzt herausgekommen ist, ist nicht besser, Italien haben die Garantenpflicht nach beiden Seiten hin übernommen, sie sind ebenso verpflichtet, Deutschland vor fran­ zösischen Bertragsverletzungen zu schützen wie Frankreich vor deutschen . Diefe Doppelfeitigkeit und Unnarteilichkeit wird priefen, weil jetzt England- Italien nicht mehr als Alliierte und von deutscher Seite mit Recht als ein großer Fortschritt ge Mitsieger neben Frankreich , sondern als Unparteische zwischen Frankreich und Deutschland stehen.

Der erste Aft wäre die Paraphierung der Verträge, der zweite die endgültige Unterzeichnung in London , der britte die Ratifizierung und der vierte ihr Inkraftöfifchen treten, indem Deutschland Mitglied des Bölterbundes wird. Ein langer weg, der noch zu durchschreiten ist. Erhebliche diplomatische Kämpfe stehen noch bevor. Endgültig abschließend wird man erst urteilen fönnen, wenn man weiß, ob und wie weit die Gegenseite in der Zeit bis Ende November sich bereit gezeigt hat, ben deutschen Forderungen

nachzukommen."

Man fürchtet sich, freimütig die Verantwortung zu über nehmen, man will den Weg zögernd gehen, man will sich fchleifen lassen. Man will gleichzeitig die Größe der Berantwortung verbergen.

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Zu diesem Zwed gibt die deutschnationale Presse wie auf Befehl dem Artikel 1 des Rheinpattes eine Aus­legung, die den Berzicht auf Elsaß Lothringen Derbergen foll. Wir geben diese Auslegung in der Fassung der Deutschen Tageszeitung" wieder: Den Charakter eines Berzichts auf deutsches Land wird man aus dem einschlägigen Wortlaut des eftpatts wenigstens bei loyaler Auslegung nicht herauslejen tönnen. Denn die Aufrechterhal tung des Status quo im Weft en wie die Unverleglich teit der dort durch das Dittat von Bersailles hergestellten Grenzen wird nicht an und für sich, sondern nur in der durch die einzelnen Artikel des Pattes bestimmten Weife garantiert. Das bedeutet eine Ein schränkung, die rein juristisch wohl als ausschlaggebend gelten fann." Diese Auslegung ist nicht nur illoyal. Sie wird in der ganzen Welt ein fchallendes Gelächter hervorrufen. Warum sich selbst und das deutsche Volk so über die Wahrheit

Die Hauptaufgabe der Londoner Konferenz.

Briand über die Auswirkungen.

Paris , 20. Oktober. ( WIB.) Briand erklärte gestern abend franzöfifchen Journalisten über die gestern nachmittag geführte Unterredung zwischen Painlevé , Chamberlain und Briand : Wir haben uns über die Folgerungen, die man aus dem Bertrage von Locarno ziehen muß, unterhalten. Was die Umgrup­pierung der Truppen im Rheinlande betrifft, so wird es Hauptaufgabe der Londoner Konferenz sein, sich hiermit zu beschäftigen. In Wirklichkeit haben wir den französischen Ministerpräsidenten genau darüber in Kenntnis gesetzt, was in Co­carno gefchehen ist. Niemand in Frankreich fann jetzt behaupten, die französische Grenze fel nicht gefchüht. Frankreich hat in Co. carno teines feiner Rechte aufgegeben. Wir fönnen die Berhandlungen, die zu Ende geführt wurden, als solche bezeichnen, die eine wahrhafte Förderung des Weltfriedens bringen

werden.

Empfang Briands. Ein deutscher Glückwunsch.

fich durch die Ostverträge für den Fall der Bertragsverlegung Wie aber ist die Sache mit Frankreich ? Frankreich hat an Bolen und die Tschechoslowakei zur Hilfeleistung gegen Deutschland verpflichtet. Umgefehrt hat es sich aber zur Hilfeleistung an Deutschland gegen Polen und die Tschecho­flowakei nicht verpflichtet. Frankreich ist somit Garant der zwischen Deutschland einerseits und Polen und der Tschecho­flowatei andererseits geschlossenen Verträge, aber nicht un­parteiischer, sondern einseitiger Garant gegenüber jenen beiden Staaten.

Man hat gefagt, daß man nach Locarno von ,, Alliierten " im Sinne des Vertrags von Bersailles nicht mehr sprechen fönne. Das trifft zu auf Frankreich - England- Italien , es trifft aber nicht zu auf Frankreich - Polen - Tschechoslowakei . Frank reich übernimmt Polen und der Tschechoslowakei gegenüber ftärfere Berpflichtungen als Deutschland gegenüber. Gleichgewicht des Bertragswerts von Locarno , das sonst feine Das Alliierten fennt, erleidet dadurch eine empfindliche Störung. War eine solche Entwicklung der Dinge nicht zu verhindern, fo wäre es vielleicht beffer gewesen, sich mit der offiziellen Garantie Frontreichs für die Ostverträge abzufinden. Bon der ferneren Entwicklung muß erwartet werden, bak fie eines Tages auch einen Vertrag zwischen Deutschland und Frankreich über den Osten bringt, der das gestörte Gleichgewicht wiederherstellt.

Amerikas Gewerkschaften.

Freundschaft mit Deutschland , Ablehnung der englischen Entwicklung.

Bon Kurt Heinig .

Atlantic City , Mitte Oftober. Der 45. Jahreskongreß der American Federation of Labor hat mehr Bedeutung als die einer Alljahrszusammen­funft. Zum ersten Male feit ihrer Gründung steht ein neuer Führer an der Spize. Samuel Gompers ist seit dem por­jährigen Kongreß verstorben. Green, fein Nachfolger, tommt aus der Bergarbeiterbewegung. Der neue Führer hat wichtige innere Aufgaben vor sich, zugleich damit ist die aus­wärtige Politik der amerikanischen Gewerkschaftsbewegung, ihre Stellung zu den Gewerkschaftsbewegungen anderer, und im besonderen europäischer Länder entsprechend den gegen­wärtigen Berhältniffen zu gestalten. Schon äußerlich kam hier in Atlantic City diefe Situation zum Ausdruck. Es sind fünf­zehn deutsche Gemertschaftler und Bolts wirt fchaftler in den Bereinigten Staaten, um die hiesigen wirt­schaftlichen und sozialen Verhältnisse zu studieren. Nach einem Besuch im Hauptquartier der Federation of Labor in Washington und einem Empfang beim Präsidenten Coolidge , find fie - der zu herzlichen Freundschaften führte- fämtlich zum Kongreß gefommen. Neben ihnen ist Purcell , der Borsigende des englischen Trade Union Kon greffes und der Amsterdamer Internationale, zum Kongreß gefommen, weiter sind Vertreter der kana bischen und der megitanischen Gewerkschaftsbünde anwesend.

Die Begrüßung der deutschen Gewerkschaftler durch den amerikanischen Gewerkschaftsfongreß mochte man noch als aufmerksame Höflichkeit auffaffen, die Art aber, in der ihr Sprecher, der Borsigende des Deutschen Holzarbeiterverbandes, Tarnow , von den Delegierten begrüßt und nach seiner und Widerhall. Tarnow fprach deutsch, nur ein kleiner Teil Rede applaudiert wurde, das war mehr, das war Zustimmung der Kongreßbesucher verstand, was er über die hinter unseren Gewerkschaften liegenden Schwierigkeiten, über ihren der aber en del vom Deutschen Holzarbeiterverband überfekte zeitigen Wiederaufbau und ihre geistige Einstellung sagte, seine Rede nicht nur äußerlich, sondern in allen ihren Fein­heiten, so vermochten die Amerikaner der Rede des Verireters der deutschen Arbeiterbewegung in allen ihren Einzelheiten zu folgen. Das führte zu außerordentlicher Beachtung und zu fich immer wiederholender Zustimmung.

sprechender Redner, antwortete mit einer Unterstreichung: Der Präsident Green, ein temperamentvoller, frei Da die Prinzipien der deutschen Gewerkschaftsbewegung gefund gewesen seien, da sie an ihren alten Grundsätzen fest­gehalten habe, deswegen sei fie fieghaft geblieben. Im übrigen betonte er nochmals, daß den deutschen brüderlichen Freunden in den ganzen Bereinigten Staaten alle der Federation an­geschlossenen Verbände, deren Zentralen, Sekretariate und überall werde man sie herzlich aufnehmen, und in jeder Hin Ortsverwaltungen für sie und ihre Studien offen stünden, ficht unterstützen. Das waren feine Redensarten, dies geht schon daraus hervor, daß eine ganze Reihe der Vertreter deutscher Organisationen, im besonderen die Bergarbeiter, Holzarbeiter und andere, von ihren hiesigen Bruderorganisa tionen für das ganze Gebiet der Vereinigten Staaten begleitet werden; auch die Studienfahrten der übrigen Bertreter find durch die amerikanischen Bruderverbände nach Aufnahme der persönlichen Beziehungen weitgehend organisiert worden.

Die Begrüßung des Amerikanischen Gewerkschaftsfon. greffes durch Purcell wurde für die Preffe zu einer Sen fation. Hatte schon die Anwesenheit der Deutschen große Auf­führers am nächsten Kongreßtage und deren Beantwortung durch den neuen Führer der amerikanischen Gewerkschafts­bewegung brachte fie au spalteníangen Berichten.

Briano erklärte, er erwidere die Glückwünsche der deutschen Regie- merksamkeit erregt, die Rede des englischen Gewerkschafts­wünschte ihn zu dem guten Ausgang der Konferenz von Locarno. rung und hoffe, Botschafter v. Hoesch in einigen Tagen sprechen zu können. Als Briand und Chamberlain den Bahnsteig verließen, wurden sie von der im Bahnhof anwesen den Volksmenge mit Vive la paix empfangen. Dieser Ruf pflanzte sich bis auf die Straßen fort, wo eine zahlreiche Boltsmenge die Ankunft der Minister erwartete.

Der Widerhall im Herzen der Völker". Paris , 20. Oftober.( Eigener Drahtbericht.) In seinen Er. flärungen gegenüber der Pariser Presse gab Chamberlain am Montag einen Rückblick auf die internationale Lage in dem Zeit punkt, da er die Leitung der englischen Außenpolitik übernahm. Damals habe noch die vergiftete Atmosphäre des 3mmerhin aber habe man schon die Erkenntnis gewonnen gehabt, Krieges die Beziehungen zwischen den Mächten beherrscht. daß Europa , wenn es nicht gelänge, diesen Zustand zu überwinden, in türzester Zeit neuen furchtbaren Katastrophen entgegentreiben müsse. Diese Erkenntnis sei es gewesen, die die Berhandlungen von Locarno beherrscht habe. Alle Delegationen feien von dem gleichen Verantwortungsgefühl erfüllt gewesen, und Erfüllung auf unüberwindliche Schwierigkeiten hätte stoßen tönnen. teine habe der anderen Bedingungen und Forderungen gestellt, deren Die Einigung erfolgte im Vertrauen auf die glücklichen politischen und wirtschaftspolitischen Folgen, die die durch den Abschluß der Verträge herbeigeführte Entspannung in den Beziehungen Das Ausmaß des glücklichen Ausgangs der Verhandlung von Das Ausmaß des glücklichen Ausgangs der Verhandlung von Locarno werde in erster Linie bestimmt durch den widerhall, den die Berträge im Herzen der Bälter finden würden; denn nicht auf die formelle Ratifitation der gefchloffenen Berträge durch die Regierungen und Parlamente, sondern auf die zu ftimmung der Völker selbst tomme es an.

Paris , 20. Oktober. ( WTB.) Um 9.25 Uhr ist im Sonderzug Don Locarno fommend Außenminister Briand gestern abend hier angekommen. Im gleichen Zuge reifte Außenminister Cham. berlain. Briand wurde von sämtlichen in Paris an wesenden Ministern empfangen. Außerdem waren zur Be­grüßung anwesend für die deutsche Botschaft der Geschäftszwischen Deutschland und den Alliierten auszulösen bestimmt fel. fräger Gesandtschaftsrat Dr. Kirchholtes, der englische Botschafter Lord Creme und der polnische Bots after sowie der aus Locarno vorausgereifte Generalsekretär im Ministerium des Aeußeren Berthelot. Ferner waren viele dem Kartell der Linken angehörende Abgeordnete zum Empfang erschienen. Gefandt fchaftsrat Dr. Kirchholtes begrüßte namens des in Berlin weilenden deutschen Botschafters v. Hoesch Briand und beglüd.

Purcell perlas seine Rede nach dem Manuskript. Sie war sichtlich sorgfältig vorbereitet. Es fehlte nichts, was zu einer inspirativen Kongreßrede gehört, nicht einmal die Er­innerung an den gemeinsam geführten Weltkrieg, fie gipfelte etwa in der folgenden Schlußfolgerung, die die Einladung, der Amsterdamer Gewerkschaftsinternationale beizutreten, beinahe völlig in den Schatten treten ließ: Es ist mir oft auf­gefallen, daß die Amerikaner, obwohl sie in technischer und fationen am fortschrittlichsten sind, sie doch sehr langsam in der wirtschaftlicher Hinsicht, in Erfindungen und Betriebsorgani Ich hoffe, daß von jekt an die Arbeiter Amerikas die engsten Aufnahme neuer sozialer und politischer Jdeen erscheinen. brüderlichen Beziehungen mit den organisier ten Arbeitern werden".

Rußlands aufnehmen

portarbeiterverbandes, Ben Smith, etwas weniger aggreffio als Nach Purcell sprach der Bertreter des englischen Trans­Führer der merikanischen Gewerkschaftsbe fein Borrebner. Ihm folgte Roberto Saberman, ein wegung. Seine Rede glich einem wahren Feuerwerk an Beweisen, Anflagen und Gründen gegen die fommunistische Bewegung. Man erfuhr, daß Rußland von Meriko aus die amerikanische Gewerkschaftsbewegung afzurollen die Absicht hatte, daß die Sowjetregierung mit dem von einem Arbeiter präsidenten, Calles, regierten Merito die diplomatischen Be zichungen abgebrochen habe, daß die meritanische Gemert­fchaftsbewegung in ihren schwersten Zeiten immer wieder gerade vi der amerikanischen Federation of Labor unterst worden sei und vieles andere.