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Nach kurzer Begrüßung des Kongresses durch D o n D e a r vom kanadischen Gewerkschaftskongreß, die in der allgemeinen Unruhe unterging, erhob sich Green, um den Gästen, im besonderen Purcell für seine Anwesenheit und die den amerikanischen Gewerkschaftlern gegebenen Ratschläge zu danken. Dann aber begann er Gedanken zu formulieren, die man als programmatische Erklärungen der amerikanischen Arbeiterbewegung bewerten muß. Green sagte, sicher kann die Befreiung der Arbeiterschaft imr ihr eigenes Werk sein. Aber in der entscheidenden Stunde sei nicht die Stärke der Philosophie die Theorie, sondern die ökonomische Kraft der Arbeiterbewegung ausschlaggebend. Die wichtigste Aufgabe sei, die Arbeiter in die Lage zu ver- fetzen, daß sie Waren zu kaufen vermögen. Ln Amerika seien im Gegensatz zu England feit dem Kriegsende keiner- lei Lohnherabsetzungen eingetreten! Das neue Nußland«ei von der amerikanischen Arbeiterbewegung begrüßt worden, weil man gehofft habe, daß aus dieser Entwicklung eine soziale Republik entstehen werde. Ueberall sei die ameri- konische Federation vf Labor auf die Seite der Arbeiter ge- treten, so habe man gegen die Ausbeutung der chinesischen Arbeiter protestiert, die Sympathie für das indische Volt sei ausgesprochen morden und vieles andere sei geschehen, das alles in der gleichen Richtung gehe. Aber man habe auch gesehen, daß sich in der Welt Arbeiterorganisationen gebildet hätten, die gegen die Arbeiterbewegung seien.W irsind fürdie Arbeiterbewegungen der Welt, die auf demo- kratischem Boden aufgebaut, sind! Wir treten nicht für Arbeiterorganisationen ein, die Bernichter der Arbeiterbewegung sein würden! Wir kennen die Apostel von Moskau !" Green unterstrich energisch, daß jene Bewegung nicht m i t der amerikanischen Arbeiterbewegung zusammenarbeiten, son» dern sie erobern und kontrollieren wolle. Die amerikanischen Gewerkschaften feien keine Gegner neuer Ideen, aber wenn in den Vereinigten Staaten die Arbeiter auf Verbesierung ihres Loses warten sollten, bis eine Revolution kommen, dann seien sie in der Zwischenzeit alle gestorben. Purcell möge zu seinen Freunden die Antwort mit» nehmen, daß sich die amerikanischen Gewerk» schaften den Russen nicht anschließen und deren Theorien nie übernehmen würden. Green erklärte feierlich, daß die American Federation of Labor auf dem Wege bleiben werde, den sie bisher gegan- gen fei. Seine Ausführungen wurden vom gesamten Kongreß durch stürmischen Beifall unterstrichen. Ihre Synthese ist, daß die cuneritanischen Gewerkschaftler durchaus gewillt sind, mit der Arbeiterbewegung der Welt zustmmen zu arbeiten. Daß sie es «der ablehnen auch nur über England den Weg noch Rußland zu gehen. Diese Einstellung wird erst in ihrer Bedeutung völlig ver- ständlich, wenn beachtet wird, daß die amerikanischen Gewerk- schaften sich im Sinne ihres Kontinentes schon heute als Inter - nationale fühlen. Die Beziehungen zu den Gewerkschafts- bewegungen Kanadas und Mexikos haben sich ständig mehr i efestigt, die Ausstrahlungen dieser kontinental-internationalen Entwicklung haben noch nicht ihr volles Ausmaß Südame­ rika erreicht. Europas Internationale tritt erst infolge der Nachkriegsentwicklung der amerikanischen Wirtschast wieder mehr in den Jnteressenkreis der amerikanischen Gewerkschaften. Dazu kommt, daß sich m den Vereinigten Staaten für die Gewerkschaften neue Organisations- und Kampffragen heraus- bilden, so die ständig notwendiger erscheinende Organisation der Angestellten, der Kampf gegen die in die wirtschaftlichen Streitigkeiten der Gewerkschaften immer wieder eingreifenden amerikanischen Gerichte, der Kampf gegen die Kinderarbeit und noch manches andere. Im besonderen dem deutschen Gewertschaftler mag an den emerikanischen Arbeiterorganisationen manches schwer ver- ständlich erscheinen. Er muß sich damit abfinden, daß sie auf

ihrem Wege es zu 2 800 000(1925) in der Federation ver­einigten Arbeitern gebracht haben. Auf falschem Wege wird auf die Dauer keine Bewegung zu einer Millionenmocht. So wird die hiesige Gewerkschaftsbewegung auf amerikanischem Boden im ganzen die ihm angemessene Orgamsationsfvrm und Kampfesgemeinschaft sein. Und chre Einstellung zu doktri- nären, sogenannten kommunistischen Ideen, die in Wirklichkeit die Kraft der Arbeiterbewegung schwächen, statt sie zu festigen und zu stärken, macht sie uns Deutschen geistig rerwandt. Das ist das wichtigste Resultat des Gewerkschaftskongresses von Atlantic City und des Besuches deutscher Gewerkschaftler in den Bereinigten Staaten.

Deutschnationaler Antisemitismus. Bettelbriefe a» jüdische Firme«. Au« dem Ruhrrevier wird dem.Sozialdemokratischen Presse- dienst" geschrieben: Die Dcutschnationale Partei, die Deutsche Volk ». partei und die Stahlhelm- und Iungdo-Gesolgschaft haben in Gelsenkirchen unter dem Titel.Deutsche P o st" ein neues Parteiorgan gegründet.<k« ist ein Zweig vom alten ver- dorrtenMärkischen Sprecher" in Bochum und kann natürlich nicht hoch kommen. Einmal ging er schon in die Wicken. Die Redak- teure bekamen kein Gehalt und els einer eine Gehaltssorderung von 3000 M. einklagte, konnten nur KS M. gepfändet werden. Sie blieben trauernde Hinterbliebene. Dann wurde mit Hilf« der Industrie die Bude noch einmal auf- gemacht, aber es klappt noch immer nicht. Es fehlten Abonnenten und vor ollen Dingen Inserat«. Da hat denn nun die Deutsch - nationale Partei noch einmal eingegriffen: de« verhaßten Juden soll das Geld abgeknöpft werden, damit die Karre mal endlich lausen kann. Ein« große Anzahl jüdischer Firmen in Gelsen - kirchen erhielt dieser Tag« folgenden vielsagenden Brief: Deutschnationale Voltspartei. Kreisoerein Gelsenkirchen . Bankkonto: Commerz- und Privatbant Gessenkirchen. Geilenkirchen , den S. 10. 2S. Firma Gessenkirchen. Wir haben unsere Mitglieder verpflichtet, möglichst nur bei den Firmen zu taufen, die in der.Deutschen Post" inseiieren. Un- serer Ansicht nach würde e» Ihren Interessen nur dienen, wenn Sie bei Ihren Inseratenausträgen laufend die .Deutsch » Post", unsere Zeitung, berücksichtigen würden. Mit vorzüglicher Hochachtung! Deutschnational« Dolksvartei, Gessenkirchen. gez. Wiefel, 1. Vorsitzender. So bewährt sich auch in Gessenkirchen da» alte schän« Wort: Ein echter deutscher Mann kann keinen Juden leiden, doch seine Gelder nimmt er gern!_ notleidend* Landwirtschaft. Beim Stiftungsfeste«ine» landwirtschaftlichen Verein» in O st r i tz wurde, wie derGrundstein" berichten kann, ein feine» Liedchen gesungen: Wer lebt gar herrlich auf der West? Wer hat den größten Batzen Geld? Wer strotzt por Lebenslust und Kraft? Es ist der Mann der Landwrrtschaftt Und drohen auch Gesetz und Staat. Der Landwirt weiß sich immer Rat: Man ist doch heut nicht mehr so dumm. Geht's vorne nicht, geht's hinten'rum! Da» war mal ein sestener Moment von Ehrlichkeit, in dem die Herrn Landbündler dieses schön« Lied erdachten. Sicher waren st« dabei ehrlicher al» bei ihren verlogenen Hetzereien gegen denSteuer- sadismus der Republik ". Sie wissen allemal zu leben,geht's vorne nicht, geht's hinten'rum".

Selbsterkenntnis. Biel schöner als wir es können, mast Friedrich Hufsong im.Lokal-Anzeiger" das Bild des Berliner Spießer», der deutschnational wählt. Er schimpft aus die D a h l m ü d i g k e i t des Spießertums und beschwört sie, am Sonntag ja zur Stell« zu sein. Und dann redet er ihnen gut zu: .Das letztemal, da bliebet ihr, ihr Spießer von Groß-Berlin. der Wahl fern. Entweder das Wetter war zu schön, um nicht spazieren zu gehen, oder es war zu unfreundlich, um bis zur nächsten Ecke Ms Wahllokal zu wandern. Dielleicht hatte Tante Mienchen Geburtstag: vielleicht machte der Kegel- klub.Löwenmut" eine Herrenpartie: vielleicht muht« Fräu- lein Ella ihren neuen Herbsthut ausführen: vielleicht mußt« Herr L e h m a n n zu einem Frühschoppen. Man kann nie wissen. Jedenfalls, ihr Spießer Grog-Berllns, ihr ginget nicht zur Wahl. Wieviel entscheidender, zwingender hätte der Umschwung sei» müssen, sein können, wenn ihr. vereiaigle Spießer von Graß- Berlin , wenn Sie, Herr Lehmann. Tanie Mienchen. Fräulein Ella. Ihr bißchen Bstichl getan hätte«. So aber gewann schon damals der bürgerliche Sieg einen widerlichen Bei- geschmack durch die Tatsache, daß trotz des zahneknirschend er- littenen roten Terrors über Groß-Berlin das Heer der Berliner Spießer, das ist der NichtWähler, gegenüber dem Juni 1920, der die rote StiirzweUe gebracht, im Oktober 1S21 stch nicht vermin« dert, sondern vermehrt hatte. Ein erschreckendes Zeugnis über die politische Ehrlosigkeit des Spießer», über seine Miadirwertig- kelt und Unreife." So schildert der H u s s o n g, der Haßprediger des.Lokal>An« zeigers". seine Leute. Das ist da» große Reservoir der« w i z Dummen, der ewig Gestrigen, auf die die Reaktion baut. Herr Hussong hat zwar von den Problemen der Berliner Kommu- nalverwaltung nicht den blassesten Schimmer, aber warum sollt« er nicht die Leser des.Lokol-Anzeigers" und die deutschnationalen Wähler kennen? De wollen wir ihm Fachkenntnis nicht abstreiten. So sehen sie wirtlich aus, wie Herr Lehmann, Tante M i« n ch e n und Fräulein Ella, dl« Wähler des Groß-Berliner Bürgerblocks. Schade nur, daß in diesem Falle Selbsterkenntnis nicht der erste Weg zur Besserung sein wird. Der Fall scheint hoffnungslos.

Wahlen im Memeiiand. Außerordentlich starke Beteiligung. Memel , 20. Oktober. (MTB.) Me anßerordenlNch stark die Teilnahme der memelländiichen Bevölkerung an der Mahl. h a n d l a u g gewesen ist. ergibt stch daraus, daß j. B. in winden- bürg die gesamte Wählerschaft mit Ausnahme von 6 kranken zur Wahlurne gegangen ist. Dabei hatten die Wähler einen weg von 20 Kilometer hin nnd znrück zu Wasser and zo Land« zurückzulegen. Ja Schwarzorl und Rldden haben 97 Pro,.. I« preyl 95 Prvv, ia Proekuls über 87 JJroz, In Heydekrug 9095 Praz. und in Ruß über 90 Praz. gewählt. Di«««»Zählung der Stimmen hat um 10 Uhr vormittag» begonnen. Da» Ergebnis liegt noch nicht vor. Monarchisten gegen Großdeutschiand. Die Tchwarzgclbcn wider den Anschluß. Wien . 20. Oktober.(TU.) Vorgestern fand in Wien unter dem Vorsitz de» Generals von Dankel und bei Anwesenheit des Grasen Glammartinitz«ine Versammlung der österreichischen Monarchisten statt, die sich scharf gegen den Anschluß Oesterreichs an Deutschland aussprach._ Segen die Berläugerung der Pollzelstuude. Die sozlakdems- kratische Landtagsfraktion ersucht w einem Urantrag dos Staats- Ministerium, von einer Verlängerung der Polizeistunde in Berlin abzusehen. Dem großstädtischen Verkehrsbedürfnis oll durch Erteilung von Nachtkonzessionen für alkohol- reien Ausschank an in wichtigen veriehrszentren gelegenen Lokalen Rechnung getragen werden. Zum Ablauf de» deussch-spawsche» Handelsvertrages schreibt derSol":.Deutschlands Auefuhr nach Spanien sei zehnmal stärker als seine Einfuhr aus Spanien . Trotzdem hätten die überrnäßigcn Zugeständnisse an Delttfchlands Industrie nur schlechten Dank g?« funden."

Gespenster öer Vergangenheit. Bon Hans Bauer. Eis waren dahergekommen, aus allen Enden Deutschlands und trugen auf dem Kopf einen Zylinder, an der vom Schöpfer eigens zu diesem Behuf« geschaffenen Brust die Ordenstafel aus dem Kon- vcrsationelexiton und in der zumeist zittrigen Faust eine Fahne... und es war wie eine endlose Prozession. Nein, als reißende Wölfe wird man sich das Gros des Kysshäuserbunde», dessen Mit- glieder das Hauptkontingent zu dem Leipziger Reichs» kriegertage stellten, nicht vorstellen dürfen. Diese Leute sind gegen das Neue, aber sie sind von keinem fanatischen Haß gegen das Neue beseelt, weil sie überhaupt unbeseelt sind. Es sind die als Individuen durchaus harmlosen Kleinbürger, die ihren Schützen» verein und ihren Kriegerbund wohl von gerissenen politischen Schiebern als gefährliche Angrisfswasfe benutzen lassen, ihn im innersten Herzen aber doch nur als weltanschaulich fundierten Kegel- klub meinen, der den Vorteil bietet, daß in ihm eine standesgemäße Geselligkeit gepflogen werden kann. Ich habe mir die Kysshäuser- bündler angesehen. Es war in ihren Augensternen etwas Merk- würdiges zu lesen, nämlich dies, daß Kriege sür diese Männer nur der Vorwand für festliche Umzüge sind, die man nach ihnen oeran- stalten kann. Sie gingen nicht, sondern schritten. Sie hatten kein Gesicht, sondern trugen eine Miene zur Schau. Ihre Fahnen ichwebten nicht über ihnen ol» Symbole großer Gedanken, sondern, damit die Aufmerksamkeit aus die Fahnenträger gelenkt werde. Es war eine unübersehbare Menge von nichtssagenden Männern, d!« nur dafür demonstrierten, daß sie als ehrbare Bürger geachtet würden und die dem Vergangenen im Grunde nur deshalb nach- lrauerten, weil das ihre Werte verhärteter Behäbigkeit und ver. wcster Wohlanständigkeit offiziell anerkannt hatte. Der Ausmarsch des Reichsbanners bedeutet das eindeutige Be- lenntnis zu dem scharsumriflenen Gedanken der Erhattung der republikanischen Staatsform. Zu was bekannten sich diese Schützen- gilden und Militärverelne? Zum Trommeln und Querpfeifen, zu bunten Schärpen und silbernen Epauletten. Es waren Gespenster, die anrückten, geistige Mumien, an denen, tagsüber im Bureau und abends in der Kneipe, nicht nur die Antworten auf neue Fragen, sondern schon die Fragestellungen überhaupt spurlos vorllberge- gangen waren. Sie kamen dahergewackelt als lebendlggewordcne Witzblattausschnitte mit würdevollen Mienen und Schnauzbärten. Es waren Unpersönlichkeiten. die aus der Leere ihrer Gedankenwelt in den Kotillonartikel einer Kriegsauszeichnung oder einer Kriegs, schnür geflüchtet waren und dadurch wieder Inneren Hall zum Glauben an sich selbst gewonnen hatten. Dieser Gespenstertag herausstaffierter Kuriositäten hatte sich so rlwas wie seine geistige Nachfolge mitgebrocht. Werwölse und Stahlhclmer. die mit Liedern gegen die Juden und gegen die

Franzosenbrut auf den Lippen und mit Tornistern auf dem Rücken. die aber wohl kein Kriegs-, sondern nur Freßmaterial beherbergten. durch die Straßen zogen, vertraten die jüngere Generation deutscher Stupidität. Ein phantastischer Spuk, dieser Leipziger Reichskriegertag, ein unerhörtes Gemälde des Grausens: lebendige Menscheg, aus deren Augen in tausenderlei Variationen dl« Derstorbenhett funkelle, Agenten des Todes, die um die Provision der Berauschung an der Phrase für ihren großen Meister arbeiten.

vas»eannen�-�xperimevt öer Knflfci». Sie nennen es»Earmencita und der Soldat". Ob ein noch so enialer Regisseur und Danitschenko ist so etwa« da« Recht at, für seine dramatischen Zwecke Noten und Phrasen zu verändern. inzuzusetzen, abzuschneiden, Szenen aufzuspalten, andere zu lockern. zu kürzen, die Schauplötz« zu oereinheitlichen, InHalle auch neben- sächlicher Art umzudeuten, da» ist geschichtskriminallstische Frage. Aus der Not primitiver Bogen- und Treppenkulissen machen die Moskauer eine Tugend. Seetische Konslltt« oerdichten sich, Drama- tische» springt in der Berkürzung aller Linien Iketchortig hervor. Nach der zwangsläufig einheitlichen Szenerie richtet sich der Lauf de» Stücks. Es gibt kein Gebirge, kein Sevilla , es gibt nur In- terieur, Stube, Tisch, Stuhl, Trepp«. Macaelo, die lyrisch« Gestall, besagt für die Spannung und Kompression des Carmen-, des Iose-Dramas nicht allzu viel. Sie fchll also, ihr« Arien sind chorisch geteilt, ihr« Stimme klingt fernher wie aus dem Unterbe» mußtsein de» sinnenden Soldaten. Der ist im Gegensatz zur Rasfi- niertheit, zur Suggestiokroft einer Carmen ganz primitiv, tumb angelegt, der rein« Tor gegen die unreine Begierde, das Gefühl des Herzens gegen die Trieb« des Bluts gestellt. Er erhält vom Offizier in der Weinstube einen Säbelschlag über den Kopf und ersticht den Borgesetzten. Wie im Taumel läßt er nun olles mit sich geschehen. So unbewußt löst« er auch der faszinierenden Carmen im ersten Akt die Fessel. Man fühlt: aus Theater wird Leben, au» Parodie und Keckheit Ernst, Tragik gestaltet. Ironisch« Apostro- phierungen, die sonst dem abgeblitzten Ossizier gelten, klingen jetzt, sanfter, dem verletzten Soldaten entgegen. Wo sonst Karten gelegt werden, ergötzen sich jetzt die Mädchen an geraubten Kleidern, an Geschmeide. Und Carmen selber gießt Blei. Immer»st Chor da und immer ist es ein Teil der Handlung, wie der Miterlebenden. Wie diese schonen spanischen Frauen lauschen, tanzen, rasen, Fächer knallen lassen, wie sie mit dem Ton de« Orchester» lebendig mit- spielen, das ist urwüchsigste, dennoch raffiniert durchdachte Au»« drucksbewegung. BIzets.(Tannen" aber zerfällt in seine Teil». Die Gesamthal- lung nicht nur des Stückes, auch die Musik flattert, zittert, vibriert. Eingrisse, unvermeidbar bei solcher psychologischen Deutearbett, stechen dem Musiker in da» Herz, das dem größten romanischen Mustkdrama zuschlagen möchte. Di« Musik wird mitgenommen, nicht um ihretwillen atmen, spielen diese schicksalhaft ausbegehrenden Menschen. Aber sie spielen eben, spielen wie keine deutsch « oder italienisch« Truppe e« fertig bringt. Um diese» faszinierenden per-

sönlichen Spiel» willen soll die Einmaligkeit diese« zroßartiaen Experiments bewundert, nicht gescholten sein. Keiner kümmert sich um den Kapellmeister, der sacht oder energisch zu folgen hat, keiner hat da» Auge, den Körper ander« wohin gerichtet al» auf dos Auge, die Seele de, Partners. Ein Souffleur«ristiert nicht. Stumm- Bewegungen stnd von seltsamer Haltekraft, schweigen wird deredt. die Glieder sind gelockert. Man glaubt wieder an Opernmenschen. Nur so wird der Wiederstand gegen dt« Sezieruno einer Oper überwunden. Und man hätte nur zu wünschen, daß die Russen die Originalpartitur hervor- holten und mit ihren Leibern, ihren Leidenschaften. Ihrem Gesangs« Brio, Ihren Schicksalsaugen die ganze Musik einflnaen, stimmungs- hast verteilten, in die Allgegenwart ihrer Menschlichkeit rückt-n.. Ein einziger sang, der nickt musikalisch disponiert war, der Eseamill.". Di« anderen aber, Musiker durch und durch, überstrahlte noch die einzigartige Gcstaltungskunst der herrlichen Baklanowa. In der Lysistrata ganz Heroine, Antigone, Chorfüyrerin: hier ein- Carmen von hypnotischer Gewalt, vollendeter Kunst der Sinn?, «in Weib» ein Tier, ein Feuer,«in Dämon, ein Wunder. _ Kurt Singer.

kammerspiele:Pareble will nicht Heiraken." Roch nie hat man versucht, in den Kammerspielen so billige Ergötzung zu ver- schenken. Ierom« K. Ierom« ist«in ganz lustiger Mann. aber dieses sein Stücklein vom Großmaul der Volksversammlungen ist höchstens«in Fundobjekt für Liebhabertheater. Nur in England ist es auch möglich, daß politische Satire so honigsüß oder llmonaden- dünn versucht wird. Also: Parabie will nicht heiraten, weil die Stimmrechtsmegäre, die es auf ihn abgesehen hat. ein Greuel ist. was sie auch bekundet, indem sie in Mäimerhosen und ebensolch in Nöckchen herumläuft. Parable entgeht nun dieser Lebensgesahr, indem er sich sein« Köchin für die Eh« sichert. Dos geschieht aklee, indem die Langeweile außerordentlich geschickt verlängert wird. Selbst Gülstorfs, der den erst so heiratsunlustigen und dann so hetratsfrohen Sonderling spielt, und selbst Frau E y s o l d t, die sich für da» sozialpolitische Ungeheuer opfert, können mit ihren bunten und gewinnenden Talenten die Schläfrigen nicht munter machen. Heiter und lieblich spielte Camilla Spiro, die jung« Dame, die vom Kochherde in das mollige Ehegemoch hlneln- wandern darf. M. H. Kinderland. Infolge eine» Versehens ist in der Bücherschau der Sonntageauegab« de»Vorwärts" die Berlags-Firma des neuen Jahrbuches.Mndcrland" falsch angegeben worden. Wir weisen b:- richtigend darauf hin, daß dieses vom Reichsausschuh für sozialistisch« Bildungsarbeit herausgegeben« Buch im Verlag der Vor- wärts- Buchdruckerei und Verlag, anstatt, Berlin SW. 68, Lindenstr. 3, erschienen ist. Auch diesesmal ist das Jahrbuch in äußerst geschmackvoller Welse herausgegeben und enthält neben zahlreichen Illustrationcn, Gedichten, Erzählungen und Fabeln eine Anzahl belehrenoer Auf- sätz«. die dem Empfinden der proletarischen Jugend ongepoßt sind und ihren Wissens'reG erweitern dürsten. Ein besseres Jahrbuch für die Buben und Mädel des arbeitenden Volte» kann man stch kaum wünschen. Als Weihnachtsgeschenk dürste e» bei unserer Jugend Helles Entzücke« auslösen.