Nr. 49942. Jahrg. Ausgabe A nr. 254
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Donnerstag, den 22. Oktober 1925
Das Kabinett kann nicht beschließen.
Es wartet auf den Beschluß
Jeute fritt der Auswärtige Ausschuß des Reichstags zusommen. Die Delegierten von Locarno werden ihm Bericht erstatten: mur eines werden sie nicht sagen können, was immer hin von Belang wäre, wie nämlich die Regierung zu den Abmachungen steht, die von ihrem Reichstanzler und ihrem Reichsaußenminister getroffen worden sind.
Wiederholt ist in der Presse die einmütige Billigung" dieser Abmachungen durch das Reichskabinett gemeldet worden, stets jedoch eilten die Meldungen den Tatsachen voraus. Jetzt ist es das Organ Stresemanns, die„ Tägliche Rundschau", Die versichert, auf Grund der bisher gepflogenen Aussprache sei an der einmütigen Billigung durch das Kabinett nicht zu zweifeln. Es scheine aber, daß von den Deutschnationalen Rüdfragen gestellt worden seien über Punkte, die noch der Klärung bedürfen.
Nach dieser Darstellung, die von anderen Rechtsblättern bestätigt wird, weiß diese unglückliche Regierung noch nicht genau, mas fie will, weil die Deutschnationalen noch nicht genau wissen, was sie wollen. Das Kabinett tann feinen Beschluß fassen, weil einige seiner Mitglieder auf die Intruttionen warten, die sie von der Deutschnationalen Partei erhalten werden.
Man stelle sich vor, zur Zeit der Beteiligung der Sozialdemokratie an der Reichsregierung hätte diese einen wichtigen Beschluß nicht fassen können, weil die sozialdemokratischen Minister auf die Entschließung der sozialdemokratischen Fraf tion gewartet hätten. Welcher Lärm hätte sich dann wohl über eine folche fozialdemokratische Nebenregierung" erhoben!
Die de uffchnationale. Reichstagsfrattion,
von der nach Lage der Umstände wenigstens für diese Regie rung alles abhängt, hat heute vormittag nur furz getagt und ift spät abends noch einmal zufammengetreten. Inzwischen hat es umständliche Verhandlungen zwischen dem Grafen Bestar pund Herrn Luther gegeben. Die den Deutschy nationalen nahestehende Bresse fündigte aber schon gestern abend an, daß zunächst an eine Beschlußfassung des Kabinetts und der Fraktion nicht zu denken" fei. Die Deutschnationale Partei leidet an einer Lähmung des Willens, und diese Krankheit überträgt sich auf die Reichsregierung!
So wird das nationale" Führer ideal" durch das Verhalten des Kabinetts und seiner deutschnationalen Mitglieder in wahrhaft hervorragender Weise verwirklicht. Statt daß die berufenen Vertrauensmänner der Partei in der Regierung berufenen Vertrauensmänner der Partei in der Regierung wirklich die Führung übernehmen, zappeln sie hilflos hin und her und warten auf einen Mehrheitsbeschluß der Frattion der aber auch auf sich warten läßt.
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Dieser Zustand der Unschlüssigkeit findet auch in der deutschnationalen Presse sein Spiegelbild. Die Deutsche Tageszeitung", die vorgestern beinahe schon Ja gesagt hatte, schrie gestern wieder Nein, weil durch einen Kommentar der englischen Regierung zu den Verträgen alles wieder zer: schlagen" worden sei. Wir haben diesen englischen Kom mentar nicht abgedruckt, weil nichts darin stand, was nicht jedermann, der lesen fam, ohnehin schon in den Verträgen gelesen hat. Für die„ ,, Deutsche Tageszeitung" aber ist es eine neue Entdeckung, daß der Vertrag von Bersailles weiter besteht, und daß die Garantierung des status quo, der be stehenden Grenzen, einen Berzicht auf das Land bedeutet, das jenseits der Grenzen liegt. Gegenüber diesem englischen Standpunkt," deflamiert das Agrarierblatt, gibt es nur ein rundes und flares Nein!"
Dabei wirft beruhigend, daß diefes ,, runde und flare Nein" nur dem englischen Standpunkt" und nicht den Verträgen felbst gilt, und daß zweitens als Verfasser Herr Paul Baeder zeichnet, der von den Dames- Gesetzen her als ein Meister des Umfalls bekannt ist.
Deutschland , sagen Luther und Stresemann , hat in Lo carno einen Erfolg errungen. Aber angesichts dieses Erfolges bieten die Regierung und die größte Regierungspartei" ein Bild erbarmungswürdiger hilflosigkeit.
Sie suchen eine Umfallsformel. Endlose Beratungen der Deutschnationalen . Die im Laufe des Tages verschiedentlich abgefagte FrafDie im Laufe des Tages verschiedentlich abgesagte Frattionssihung der Deutsch nationalen begann am miffwoch abend gegen 8 Uhr. Seit drei Uhr nachmittags tagte bereits der Fraktionsvorstand.
Wie die Telegraphen- Union erfährt, drehte sich die Aussprache im wesentlichen um die Bedenten gegen den West patt, fowie um die Tragweite der Zusagen der Alliierten hinsichtlich des Rheinlandes, die sich auf Grund der Beröffentlichung des franzöfischen Außenminifters über die Rüdwirkung im Westen erheblich verstärkt hatten.
Auch die Besprechungen, die Dr. Luther im Laufe des Mittwoch vormittag und in den ersten Nachmittagsffunden mit den deutschnationalen Parteiführern Schiele und Graf Westarp gehabt hatte, galten vornehmlich diesen Bedenten,
Um 12 Uhr nachts war die Beratung immer noch nicht beendet. wie wir hören, besteht die Absicht, vor der Beschlußfaffung erst noch die Borsigenden der deutschnationalen Landesverbände zu hören.
Die Länderregierungen sagen ja!
Und sprechen ihren Dank aus. Amtlich wird folgende Mitteilung veröffentlicht: Mittwoch vormittag traten die Staats- und Minister präsidenten der Länder mit den Mitgliedern der Reichsregierung unter Vorsiz des Reichskanzlers zu einer Aussprache über das Ergebnis der Ministerzufammenkunft von Locarno in der Reichskanzlei zusammen.
Nach Berichterstattung durch den Reichskanzler und den Reichs minister des Auswärtigen fand ein eingehender Gedanken. austausch über die mit dem Wert von Locarno zusammenhängen den Fragen statt; insbesondere wurden die für die besetzten Gebiete zu erwartenden Rüd wirkungen ausführlich erörtert.
Die Erschienenen sprachen den deutschen Delegier ten für die im Interesse der Sicherung des Weltfriedens und der Berständigung der Völker in Locarno getätigten Arbeiten ihren Dant aus, gaben dabei jedoch übereinstimmend der Ueberzeugung Ausdrud, daß das Vertragswerk erst dann als endgültig abgeschlossen angesehen werden könne, wenn, insbesondere in den besezten Gebieten, Maßnahmen erfolgten, die dem verkündeten Geist bes Friedens entsprächen und den berechtigten Er. wartungen bes deutschen Boltes Rechnung trügen.
Vorwärts- Verlag G.m.b. H. , Berlin SW. 68, Lindenstr.3 Bostschecktonto: Berlin 37 536 Bankkonto: Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten, Wallstr. 65; Diskonto- Gesellschaft, Depofitentasse Lindenstr. 3.
Verständigung oder Kampf?
Die Gemeindearbeiter wollen Verständigung. Die Bevölkerung Berlins erwartet, daß die Verhandlun gen vor dem Schlichter in dem Konflikt der Gemeindearbeiter führen. Niemand würde es verstehen, wenn die Städtischen mit den Gas- und Wasserwerfen zu einer Verständigung Werke, wenn der Magistrat sich weiter hartnädig weigern würden, den bescheidenen Forderungen der Gemeindearbeiter Rechnung zu tragen. Niemand würde es verstehen, wenn es wegen einer Lohnfumme, die weder für den Haushalt der Städtischen Werke, noch für den Haushalt der Stadt Berlin ins Gewicht fällt, die Arbeiterschaft schließlich gezwungen würde, zu den schärfften Maßnahmen des gewerkschaftlichen Kampfes zu greifen.
Man mag zu den Forderungen, die diesem Konflikt zugrunde liegen, wie immer fich ftellen, niemand wird den Gemeindearbeitern bestreiten, daß sie ein höchst ma iz an Geduld und Berantwortungsbewußtsein gezeigt haben. Die Lohntarife find am 30. September sowohl für die Kämmereiarbeiter, als auch für die Gas-, Waffer- und Eleftrizitätsarbeiter abgelaufen. Seit vier Wochen be mühen sich die Vertreter der Gemeindearbeiter, zu einer Berständigung zu fommen. Seit vier Wochen stehen die Gemeindearbeiter Cewehr bei Fuß, in der Hoffnung, die Direftionen der Städtischen Werte, der magistrat würden schließlich begreifen, daß die Löhne, die sich teilweise unter den Nominallöhnen der Borkriegszeit befinden, bei der inzwischen eingetretenen Leuerung nicht ausreichend find.
In dieser Hoffnung find die Gemeindearbeiter bisher getäuscht worden. In den direkten Verhandlungen haben sowohl der Magistrat als auch die Direktionen der Städtischen Danach haben also auch die deutschnationalen erfe jedes Entgegentommen abgelehnt. Der Regierungen- wie etwa die von Mecklenburg , Thü- Schiedspruch für die Kämmereiarbeiter, der eine in jeder Beringen, Braunschweig , Bayern den Delegierten für die Ber- feftfekte, wurde vom Magistrat abgelehnt. Der Schiedsden Delegierten für die Berziehung ungenügende Lohnerhöhung von 3 Pf. die Stunde ständigungsarbeit ihren Dant" ausgesprochen. fpruch für die Städtischen Werte verlängerte für einen Monat die jetzt gültigen Löhne und lehnte somit jede 2ohnerhöhung ab. Trotzdem haben die städtischen Arbeiter, obwohl inzwischen durch Urabstimmung mit erdrückender Mehrheit die Arbeitsniederlegung beschlossen wurde, im Interesse der Bevölkerung die Durchführung des Beschlusses immer wieder verzögert.
Hätten diefe patentnationalen Ländervertreter auch einer Regierung Wirth Hermann Müller- Rathenau ihren Dank ausgesprochen, wenn diese einen Bertrag von gleichem Inhalt vorgelegt hätte?
Das besetzte Gebiet bei Hindenburg . Beschwerde der Arbeiterschaft über die Reichsregierung Der Reichspräsident empfing am Mittwoch die Vertreter und Wünsche zu informieren. Als erster vertrat der rheinische des Rheinlandes, um sich persönlich über deren Ansichten Zentrumsmann Mönnich die Auffaffung der Zentrumspartei , die von dem Ausgang in Locarno einen pofitiveren Abschluß für das Rheinland erwartet habe.
Der Gewerkschafter Thomas( Mainz ) brachte eine ganze Reihe von Einzelbeschwerden vor und stellte, abgesehen von den all gemeinen Bedrückungen fest, daß erst in diesen Tagen wieder 154 Wohnungen von den Besatzungsbehörden angefordert worden sind. Der deutschnationale Abgeordnete Dryander blies natürlich in das Revanchehorn, ohne daß ihm Hindenburg besondere Aufmerksamkeit schenkte. Auch der bayerische Volksparteiler Beyersdörffer zeigte sich sehr wenig befriedigt, während der 3entrumsabgeordnete Kaas neben allen Enttäuschungen auch die positive Seite des Bertrages von Locarno " aufzuzeigen verfuchte. Das gleiche geschah durch den Wirtschaftler Luis Hagen, der mit der Wirtschaft von Locarno weitere Erleichterungen er
Als Bertreter der freigewerffchaftlichen Arbeiterschaft des Rheinlandes kam der Genosse Dr. Meier Düffeldorf zu Wort. Er verwies auf den Geist von Locarno , der weiterhin die Richtschnur für alle politischen Handlungen der Reichsregierung bilden müsse und befaßte sich dann mit einer großen Zahl von Mißständen, die teilweise auch durch die Politik der Reichsregierung hervorgerufen worden find. Meier verwies u. a. darauf, daß an der deutsch - holländischen Grenze infolge der Bollgefeßgebung mehr als 5000 Arbeiter in Gefahr stehen, brotlos zu werden. Es handelt fich hauptsächlich um die Angestellten und Arbeiter der Marga rinefabriten. Die von ihnen zur Produktion benötigte holländische Milch ift durch den deutschen Zoll um 5 Pf. pro Liter verteuert worden. Alle Verhandlungen mit dem Finanzminister, wenigstens an der deutsch - holländischen Grenze den Milchzoll auf zuheben, verliefen bisher ergebnislos. Meier gedachte dann noch der Winzer im Mosel - und Nahetal , die ebenfalls unter der Politif der Reichsregierung bitter zu leiden haben. Er gab der Be fürchtung Ausdruck, daß die Separatisten diesen Umstand zu neuen Bühlereien benutzen könnten, und daß deshalb un bedingt für Abhilfe Sorge getragen werden müsse. Anschließend tam noch ein Bertreter der rheinischen Landwirtschaft und der christlichen Gewerkschaften zu Wort.
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Hindenburg antwortete durch Zwischenfragen nach jeder ein zelnen Erflärung der rheinischen Vertreter. Aus seinen Ausfüh rungen war zu entnehmen, daß er fest entschloffen ist, den Vertrag von Locarno " zu unterzeichnen und daß er von ihm eine Besserung ber jezigen Lage Deutschlands erwartet. Angriffe auf die Minister mies er zurüd.
durchaus bewußt, welche Tragweite für die Bevölterung, für Die verantwortlichen Bertreter der Arbeiterschaft sind sich das gesamte Wirtschaftsleben eine Stillegung der folange noch die geringste Aussicht auf eine Einigung durch Städtischen Werte nach sich ziehen müßte. Sie haben, Berhandlungen besteht, es bisher abgelehnt, von dem Machtmittel der Arbeitsverweigerung Gebrauch zu machen. Der Polizeipräsident von Berlin hat sich bemüht, um die Kataftrophe einer Stillegung der Städtischen Werke zu verhindern, die Parteien wieder an den Verhandlungstisch zu bringen. Das Ergebnis dieser vereinten Bemühungen sind die Verhandlungen, die heute vor dem Schlichter stattfinden.
Obgleich die Rote Fahne" aus alter Tradition den im Kampf befindlichen Arbeitern in den Rüden fällt, indem sie behauptet, daß die Forderungen der Gemeindearbeiter nur bewilligt werden könnten, wenn die Tarife für Gas, Waffer und Elektrizität um 50 Broz. erhöht würden, wissen felbstverständlich die Direktionen der Städtischen Werke, daß davon teine Rede sein tann. Die Städtischen Werke sind in der Lage, die bescheidene Forderung auf Erhöhung der Löhne von 10 Bf. pro Stunde voll zu gewähren, ohne daß irgendeine Tariferhöhung notwendig ist, ohne daß der Haushalt der Städtischen Werke dadurch irgendwie gefährdet wird.
Der Widerstand der Städtischen Werke und des Magiftrats gegen die Lohnforderung der Gemeindearbeiter hat im wesentlichen zwei Ursachen: Die Städtischen Werke wollen den notwendigen technischen Ausbau und die Erweiterungsbauten nach wie vor aus laufenden Einnahmen bestreiten. Es handelt sich da nicht etwa um fleine Beträge, fondern um Riefensummen. Im laufenden Jahr haben z. B. die Gaswerte allein für 16 Millionen Erweiterungsbauten vorgenommen, die sonst nur aus Anleihemitteln bestritten wurden. Die Städtischen Werke-die Straßenbahn inbegriffen- fehen einen gewissen Ehrgeiz darein, aus laufenden Einnahmen Neuanlagen vorzunehmen, technisch die Betriebe zu vervollkommnen, ohne den Kapitalmarkt durch Anleiheversuche zu belasten. Dieser Ehrgeiz in Ehren. Er belastet aber nicht nur die Verbraucher, er geht vor allem auf Kosten der Arbeiterschaft.
Die zweite Ursache des Widerstandes gegen die Lohnforderung der Arbeiterschaft ist die Furcht des Magistrats und der Städtischen Werke, mit der Bewilligung der Forderung, der Preissenfungsattion" der Regierung in die Quere zu kommen und gleichzeitig das Mißfallen der Unternehmerverbände zu erregen. Wir glauben, daß insbesondere das letzte Argument die st är ste Wirkung auf die Entscheidung des Magiftrats ausgeübt hat. Nun ist gerade biefes Argument hinfällig. Der Wochenlohn eines