Sonntag
25. Oktober 1925
Unterhaltung und Wissen
Die Geschichte einer Bombe.
Bon B. Traven( megifo).
( Schluß.)
In den Bergwerksgegenden Merifos weiß jeder Indianer und jede Indianerin, was es zu bedeuten hat, wenn sie plötzlich eine alte Konservenbüchse sehen, an der eine schmökende Zündschnur hängt. Die Bombe sehen und raus aus der Hütte, ohne ein Wort zu sagen, ohne auch nur einen Warnungsschrei auszustoßen, dauerte nur den Bruchteil einer Setunde. Dann erfolgte eine fürchterliche Explosion, die die Hütte splitterweise einige hundert Meter weit fortschleuderte. Elvira und ihre neue Liebe waren mit dem Schrecken, der feine ernsten Folgen bei ihnen zurückließ, davongefommen. Auch die übrigen Leutchen waren heil, bis auf eine der anderen beiden jungen Frauen, die in dem Augenblick, als die Bombe auf der Bildfläche erschien, sich in einer Ecke gerade mit den Kaffeetassen beschäftigte und deshalb weder die Bombe, noch den wortlosen Abschied ihrer Gäste bemerken fonnte. Diese bedauernswerte Tochter Merifos machte die Reise der Hütte mit, und da sie sich in der furzen Zeit nicht so rasch entscheiden konnte, mit welchem Teil der Hütte sie die Fahrt machen sollte, landete sie stückweise an zwanzig verschiedenen Stellen der Umgegend.
3wei Tage später erschien auf dem Arbeitsplaße Salvatores ein Polizeibeamter. Das Berhör ging vor sich, ohne daß sich Sal vatore in seiner Arbeit viel stören ließ. Nur dann gerade, menn er sich sowieso die Zeit nahm, eine Bigarette zu rollen, gab er Auskunft.
„ Sie haben da in die Hütte des Juan Guennel eine Bombe geworfen?"
„ Das ist richtig. Das geht aber Sie gar nichts an. Das ist eine reine Familienangelegenheit." Salvatore ist in seinem guten Recht.
Bei dieser Bombengeschichte ist aber eine Frau getötet worden." „ Das weiß ich, das brauchen Sie mir nicht zu sagen. Das ist meine Frau, und ich denke doch, daß ich mit meiner Frau machen fann, was ich will, denn sie friegt doch von mir das Essen und die Kleider, und die Musik für die Hochzeit habe ich auch bezahlt." Salvatore ist abermals in seinem guten Recht.
„ Es ist aber nicht Ihre Frau Elvira, die getötet wurde, sondern die Frau des Juan Guennel."
Dann geht mich die ganze Geschichte überhaupt gar nichts an. Die Frau vom Juan tenne ich gar nicht, die hat mir gar nichts getan, und wenn die dabei draufgegangen ist, dann war das nicht meine Absicht. Das ist dann ein Unglüdsfall. Und für Unglücks. fälle bin ich nicht verantwortlich. Die Guennel- Frau tonnte besser ochtgeben."
Seine
Damit ist für Salvatore bie Angelegenheit erledigt. Sigarette ist aufgeraucht; er wirft den Stummel fort, nimmt seine Bichade und wütet gegen den Berg, daß dem Beamten die Brocken nur so um die Dhren fliegen. Acht Tage barauf ist die Gerichtsverhandlung. Salvatore hat fich wegen Mord zu verantworten. Die Geschworenen sind india. rische Arbeiter, mie er einer ift. Irgend jemand hat ihm gefagt: Im Gerichtssaal hältst bu einfach bie ganze Zeit das Maul. Ent. weder du sagft fein einziges Wort, ober, wenn du schon was fagft, ontwortest du immer nur: Das weiß ich nicht."
Daran hält sich Salvatore Sm großen und ganzen ist ihm das alles ganz egal. Wird er verurteilt, ist es ihm recht; wird er frei. gesprochen, ist es ihm audy recht. Er rollt sich seine Zigaretten und macht sich in dem Gerichtssaal einen faulen Tag. Auch die Ges schworenen rauchen frischweg. Wenn man es ihnen verbote, würden sie nach Hause gehen und man hätte teine Geschworenen.
" Der Angeschuldigte hat den Morb eingestanden. Der hier als Zeuge anwesende Beamte hat den Angejchuldigten an seinem Ar. beitsplage vernommen, und die Tat ist ohne weiteres zugegeben worden. Der öffentliche Antläger vertritt eine flare, sichere Sache; er hat so gut mie gar teine Arbeit.
Ein Geschworener läßt Salvatore durch den Vorsitzenden fragen, ob er den Mord eingestanden habe.
Das weiß ich nicht", sagt Salvatore. Darauf setzt er sich wieder und raucht weiter.
Ein anderer Geschworener wünscht das Protokoll zu sehen, in dem Salvatore unterschrieben hat, daß er dem Beamten gegenüber die Tat nicht geleugnet habe.
„ Das Protokoll ist nur von dem Beamten unterzeichnet, da Sal natore weber lefen noch schreiben tann. Er hat aber gestanden, und dafür haben wir das Wort und das Protokoll bes Beamten, eines ehrenhaften Mannes." Der öffentliche Anfläger wird ein wenig nervös.
Ein dritter Geschworener will wissen, warum sie, die Ge, frorenen, dem Beamten, der im Dienste und Boyn des Staates ftehe, mehr Glauben und Vertrauen schenken sollen als Salvatore, ter fich seinen Lebensunterhalt verdiene, ohne von den Steuern der Leute zu leben.
Salvatore wird sofort auf freien Fuß gefeßt. Er geht mit den Beugen, Elvira und ihren Neuvermählten eingeschlossen, in den nächsten Saloon, wo sie eine Flasche Tequila leeren, wobei fie ber Reihe nach die Flasche an den Mund führen, weil Bläser zu un bequem sind.
Am Nachmittag desselben Tages ift Salvatore bereits wieder in der Brube
Ein vierter Geschmorener verlangt. daß Salpatore hier in Gegenwart der Geschworenen erflären soll, ob er den Mord bes gongen habe, da er nicht sehe, auf Grund welcher Beweise er Salba. vatore schuldig sprechen könne.
„ Bekennen Sie sich schuldig?"
Der Bertreter der Anflage spielt seine legte Karte aus. Er läßt die Beugen aufmarschieren: Elvira, ihren Geliebten und die anderen drei Leutchen, die an jenem Abend in der Hütte waren. Sie alle wissen, was der ganze Ort meiß und morüber gar fein 3weifel herrscht, da Salvatore viel zu viel auf seine Ehre hält, als paß er irgend jemand darüber im unflqren ließe, wie er eine ungetreue Frau behandelt.
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Am Abend Salvatore ist schon längst von der Arbeit heim. gefehrt fieht sie plöglich, während sie die Frijoles auf den Tisch ftellen will, eine alte Sonservenbüchse mit einer schmökenden Zünd fchnur baran, mitten auf dem Fußboden liegen.
Beilage
des Vorwärts
Wahl der Stadtverordneten1925
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Und schmunzelnd brummt der Bár an ihrer Belte: Der farlowitzelnden Radaumufit,
Der unentwegten Mampepolitik Bescheren Heut' wir eine Riefenpleite.'
The fennt das Wort: Es darbt bei vollen Scheuern Der Arbeit Wolf in Gram und bittrer Not! Wohlan: Wollt ihr des Rückschritts Macht erneuern Und frevelnd Brot und Milch und Fleisch verteuern, So geht zur Urne, stimmt für Schwarzweißrot! Frau Berolina denkt an altes Weh
Und spricht: The fangt uns nicht mit eurem Bettel! Man hat zuviel erlebt am Strand der Spree . Rein Jaudern gibt's! Wir wählen SPD . Und kreuzen Liste 1 auf unserm Zettel!'
Zir
beiseite laffen und nur fragen, mer von den Mufifern das Glüc hatte, Menschen glüchaft, froh, luftbetont zu stimmen, bann steht an der Spitze dieser besonderen Kategorie von Künstlern Johann Strauß . Mozart, versteht sich, band beide Möglichkeiten, die gefchichtlich- grandiose und die menschlich- zwingende, in seinem Merk zur Einheit. Solch Genie ist Johann Strauß nicht gewesen. Aber ihm( und uns allen, die wir Mufit um ihrer selbst willen lieben) genügte der Zauber, den Musik ohne Tiefgang wirtt; er wollte Am Abend des näfien Tages ift Tanz. Salvatore ist auch nichts anderes, als durch die Rhythmik und Melodie feiner Walzer Er findet eine neue Frau, die sehr hübsch ist und noch in der die Menschheit in Bewegung, Laune, innere Gehobenheit, Freuden ftimmung verfeßen. Für eine halbe Stunde vielleicht, für eine Nacht in sein Haus einzieht. Nachmittags geht sie aus, um ihre Habseligkeiten, die sie macht. Aber der Zauber wirfte doch immer, wirfte auf alle, ob sie „ Das weiß ich nicht." Salvatore feht sich wieder und beginnt einem Schilfforbe aufbewahrt, von ihrer bisherigen Unterkunftsstelle nun mufitantische Bildung hatten oder nicht, ob sie im Geifte zu arbeiten gewohnt waren oder mit der Kraft des Armes, ob sie an einer neuen Bigarette zu rollen. zu holen und in das neue Heim zu bringen. Grübler oder Fanatiker des Bergnügens, ob sie Berstands- oder Gefühlsmenschen waren, Solche Weltarbeit an der Freude der Menschheit leistet selten ein Genie. Nach aller Gelehrsamkeit, allem Pathos, aller Wichtigkeit und Ethik in der Musik leuchtet Strauß als Befreier. Kein Zufall, daß die Meister der ernſten Kunst ihm huldigten, die Wagner, Cornelius, Brahms , Bülom, Reger; fein Zu fall, baß jeder einmal in schöpferischer Laune die Schmerblütigkeit abreagiert im Tanz, im Waizer. Wien ist die Geburtsstätte dieses Bunders der Frühlingsstimmen und der Geschichten aus dem Wald. Wiener Blut in jedem Dreivierteltatt. Schuberts Ländler flingt noch heute in der nachklassischen Sinfonie, Johann Straußens Walzer wollen im Rosentavalier" Auferstehung feiern, geben der guten Wiener Operette das Stichwort. Bieber, wie aus boltstänzerischer, schwärmerischer, auch tränenfeuchter Stimmung erblüht, Couplets mit dem sofort padenden, martanten Rhythmus, weise und füffende Untermalung fröhlicher Situationen durch das Medium eines ge tonnten Orchesters all das, all das in Schwebungen und Schille rungen über den Furchen der Erde zeigt der Zigeunerbaron ", fingt die Fledermaus". Niemals derb, immer salonhaft fein, nie zubringlich, eher feusch in der Ausnugung von Effekten. Big und Keckheit, Parodie und Ironie sind eingefangen, tlanglebendig geworden in Straußens Mufit. Schmachtendes wird durch Pausen, Einschnitte, Ausdrucksgeften der Musik zur Luft gemacht(„ D je, o je, wie rührt mich das"), Schmerz lieblich verwandelt( glücklich ist, wer vergist"), Eheprobleme einer bestimmten Gesellschaftsschicht mit dem
Die Zeugen erflären einmütig, daß sie nicht gesehen haben, wer die Bombe geworfen habe. Und auf die Frage, ob fie glauben, daß Salvatore es gewesen sein fönne, erffären sie wieder einmütig, es fönne auch ebensogut der frühere Liebhaber der Frau Guennel gewesen sein; er wohne zwar seit einem halben Jahre in Barral mit ciner Frau, aber er sei sehr eifersüchtig. Elvira fügt hinzu, sie fenne Salpatore sehr gut, da sie seine Frau gewesen sei, und eine Bombe würde er nie werfen, sicher nicht gegen eine Frau, die er gar nicht fenne.
Dem öffentlichen Vertreter der Anklage ist sein wunderschöner Ruchen zertrümelt.
Die Geschworenen ziehen sich zurild, und nach einer ViertelStunde Anstandsberatung geben sie ihr Urteil ab:„ Salvatore ist un jchuldig mit allen Stimmen,
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Sie fonnte noch rechtzeitig entweichen. Aber von Salvatore ist nicht einmal mehr ein Hosenknopf übrig geblieben, den fie als trauernde Witwe hätte bemeinen fönnen.
( 3u feinem 100. Geburtstag.) Bon Dr. Surf Singer.
Wenn man die Genialität eines schaffenden Künstlers daran er tennt, daß er fraft seines Wertes die Menschen in die Scheinregionen der Entrüdtheit, des geistigen Hochflugs, der Gedanklichkeit, bes ge steigerten Ausdruckerlebens führen kann und all diesen Reichtum an Reuem, Unerhörtem noch paaren mit dem Reiz finnlicher Lebendig feit, bann sind unsere Musitheroen Bach, Beethoven , Mozart , Bagner, Bruckner und die historisch beglaubigten Meister erster und meiter Ordnung. Wenn wir die Problematit, die Bedeutsamkeit, bas Zukunftsweisende, Entwicklungsbestimmende eines Mufitmerts