Nr. 507 42. Jahrg. Ausgabe A nr. 259
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Dienstag, den 27. Oktober 1925
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Luther- Finanzen, Finanzen, Geßler
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Amflich wird mitgeteilt: Das Reichstabinett hat seine heute mittag begonnenen Beratungen am Abend fortgefeht und ist zu folgender Stellungnahme gelangt:
Das Reichskabinett betrachtet es als feine ferbstverständ. lige politische Pflicht, auf dem in Locarno begonnenen Wege fortzuschreiten, um dem Reichstag rechtzeitig vor dem 1. Dezember, dem Tage, der für die Zeichnung des in Locarno paraphletten Bertrages vorgesehen ist, ein Gesamtergebnis. zur Beschlußfaffung unterbreiten zu können. Aus diefer Erwägung erachtet es das Reichskabinett für geboten, von einer Demiffion abzusehen und die Reichsgeschäfte weiterzuführen.
Der Reichskanzler, der im Laufe des Nachmittags Vertreter der Reichstagsfraktionen empfangen hatte, hat dem Herrn Reichspräfioenten über die politische Lage Bortrag erstattet und zugleich feine Borschläge wegen der zukünffigen Gestaltung des Reichskabinetts unterbreitet. Der Herr Reichspräsident hat die Enflaffungsgesuche der Herren Reichsminister Neuhaus, Schiele und v. Schlieben genehmigt und hat, unfer Billigung der Fortführung der Reichsgeschäfte durch das jezige Kabinett, mit der Wahrnehmung der Geschäfte des Reichsministers der Finanzen den Reidyskanzler Dr. Enfher, des Reichsministers des Innern den Reichswehrminiffer Dr. Geßler und des Reichswirtschaftsministers den Reichsverkehrsminister Dr. Krohne beauftragt.
Was wird aus dem Bertragswert von Locarno , das die europäischen Völker einander näher bringen foll? Wird der Reichstag es ratifizieren, nachdem die stärkste Regierungspartei ihr ,, Unannehmbar" verkündet hat und aus der Regierung aus geschieden ist? Das ist die erste Frage, die mit uns das deutsche Bolt und die ganze Welt stellt. Sie bezeichnet die große Berantwortung der amtlichen Führung der deutschen Politik wie der Parteien, die nun über die von den Deutschnationalen heraufbeschworene Krise beraten.
Die zweite Frage ist: Was wird die Regierung tun? Darauf lautet die Antwort nach dem Gang der Ver handlungen des heutigen Tages: sie wird abwarten. Sie wird ihre außenpolitische Arbeit fortsetzen, um schließlich noch vor dem für die Unterzeichnung in London festgesetzten Tenin eine Beschlußfassung im Reichstag herbeizuführen. Sie hat dafür und damit auch materiell für das Ergebnis die Zustimmung des Reichspräsidenten . Sie hofft, an einem späteren Zeitpunkt im Reichstag eine Mehrheit für die Berträge zu erhalten. Was kann sie hoffen?
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Die Deutschnationalen haben einen Beschluß gefaßt, den feine Partei ohne schwerste innere Krise wieder umftoßen fönnte. Trotzdem hofft man zum mindesten in den Kreisen des Außenministers, daß ein Teil der Deutschnationalen sich von dem Fraktionsbeschluß trennen werde, oder, wie die Lägliche Rundschau" schreibt:
Man darf indessen die Hoffnung nicht aufgeben, daß in den nächsten Wochen auch innerhalb der Deutsch nationa. len Partei teilweise noch eine Sinnesänderung
eintritt."
nationalen.
Das ist die Hoffnung auf eine Spaltung der Deutsch Die andere Hoffnung ist, daß die Parteien der Linken dem Friedenswert von Locarno eine Mehrheit geben würden. Die Regierung, die durch die Verantwortungslosigkeit der stärksten Regierungspartei ihre gesamte außenpolitische Arbeit bedroht sieht, hofft auf das Verantwortungsbewußtsein der
Linken.
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Die Parteien der Linken und vor allem die Sozial demokratische Partei haben seit dem Bestehen der Republik Beweise genug für ihr Verantwortungsbewußtsein gegeben. Sie haben die großen nationalen Interessen der Sicherung des Friedens für Deutschland bei allen großen politischen Ent scheidungen vorangestellt. Das staatliche Verantwortungsgefühl der Linfen ist die wesentlichste politische Tatsache der Geschichte der jungen deutschen Republik .
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Die Regierung, die jezt ihre Hoffnungen auf diese Tat fache aufbaut, hat dafür die Linfe- und im befondern die Sozialdemokratische Partei von der Mitarbeit an den großen inneren Gesezgebungsarbeiten des letzten Jahres aus geschlossen. Sie hat mit einer Parteifonstellation gearbeitet, deren Kern die Deutschnationalen bildeten, deren Bolitit sich non jedem staatlichen Berantwortungsbewußtsein weit entfernt gehalten hat. Dafür ist diese Parteifonstellation auch als der Blod der staatsbejahenden Parteien" bezeichnet worden.
Die Lage Deutschlands nach dem Kriege hat in der Außenpolitit von allen Parteien erhöhtes Berantwortungsbewußt fein gefordert. Die Deutschnationalen haben es vorgezogen, die Berantwortung den anderen zu überlassen und die Rolle der nationalen Opposition" zu spielen. Auch eine wirkliche nationale Opposition fann von hohem Berantwortungsbewußtsein getragen sein; man weiß, wie Rathenau darüber
Amtlich wird gemeldet: Die Zahl der Wahlberechtigten beträgt 2935 908, abgegebene Wahlscheine 124, Zahl der ungültigen Stimmen 16 658, 3ahl der gültigen Stimmen 1853 115. Der Wahlquotient ist 8 236.
Bon den gültigen Stimmen haben erhalten: 1. Sozialdemokratische Partei 604 704.
2. Deutschnationale Bollspartei 385 326.
3. Deutsche Bolfspartei 111 432.
4. Kommunistische Partei 347 382.
5. Deutschdemokratische Partei 171 961.
8. Unabhängige Sozialdemokratische Partei 24 60S. 9. Deutsch - Böltische Freiheitspartei 27 534. 10. Deutschsoziale Partei 25 200.
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13. Deutschnafionaler Bund der
11. Evangelischer Gemeinschaftsbund 17 161. 12. Die Arbeiterpartei 627. Hauswirte 147.Hauswirte 147.- 14. Der Sparerbund 4 101.- 15. Nafional liberale Reichspartei 1309.liberale Reichspartei 1309.- 16. Deutsche Mittelstandspartei 2 479. 16. Deutsche Mittelstandspartei 2 479. 17. Deutsche Arbeitnehmerpartei 554.- 18. Nationale Wirtschaft liche Vereinigung 648.- 19. Entschiedene Demokraten 164.20. Partei für Mieterschuh und Bodenreformer 1249.
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( Siehe auch 3. Seite.)
urteilte. Die Grenze einer von Berantwortungsbewußtsein getragenen nationalen Opposition wird überschritten, wenn sie um der Opposition willen entscheidende, im nationalen Intereffe liegende Fortschritte gefährdet. Die deutschnationale Oppofition unter Helfferichs Führung hat diese Grenze immer wieder überschritten.
Sie wird nicht erstaunt sein, daß uns dabei eine bittere Empfindung überkommt. Die Situation wird der vom Jahre 1923 immer ähnlicher. Damals hatte die Regierung Cuno, deren politischer Berater Helfferich war, die deutsche Politit in die Katastrophe am Ende des Ruhrkampfes hineingeführt. Als der Zusammenbruch da war, blieb als einziger Ausweg der Appell an das staatliche Berantwortungsbemustsein der Sozialdemokratischen Partei. Die Sozialdemokratie hat sich der Berantwortung nicht entzogen. Sie trat in die Große Koalition ein. Nach wenigen Wochen schon, nachdem das Schlimmste abgewendet, der gefährlichste Krisenpunti mit gierung wieder herausgedrängt. Es waren die Führer der ihrer Hilfe überschritten worden war, wurde sie aus der Re Regierung Luther, die diese Wendung herbeiführten und die Schwenkung zum Rechtsturs einleiteten.
Erziehung der Deutschnationaien zum staatlichen Verantwortungsbewußtsein? Zunächst scheinen uns die Führer der Regierung Luther selbst dieser Erziehung bedürftig. Sie müssen lernen, daß die Deutschnationalen nicht mit den Methoden ihrer blen politischen Geschäfte erzogen werden können. Für die Billigung des Vertragswerts von Locarno ist im deutschen Bolte unzweifelhaft eine große Mehrheit vorhanden. Eine Regierung, die sich auf diese Mehrheit stühen will, fann nicht gegen diese Mehrheit gemeinsame Sache mit den Deutsch nationalen in den wichtigsten inmenpolitischen Fragen machen.
Soll der Wille diefer Mehrheit durchgesetzt werden, so muß sie selbst zur Entscheidung aufgerufen werden. So muß den Deutschnationalen flar gemacht werden, daß sie sich nicht mur in politischer Isolierung von der Mehrheit des deutschen losen Gefährdung der nationalen Interessen selbst einen Volkes befinden, sondern daß sie mit ihrer verantwortungsKordon der moralischen Isolierung um sich ziehen. Das scheint uns entschieden die bessere Erziehungsmethode zu sein.
Wenn die Regierung Luther hofft, daß die Sozialdemokratie ihr helfen würde, den Deutschnationalen ein paar Wochen Ferien von der Verantwortung zu geben, so ist sie sehr im Irrtum.
Besprechungen beim Reichskanzler.
Die Auffaffung der sozialdemokratischen Vertreter.
Der Reichstanzler lub im Laufe des Montagnachmittag Vertreter der sozialdemokratischen Frattion zu einer Besprechung über die politische Situation ein, die durch die Demission der deutschnationalen Minister entstanden ist. Bei der Unterredung, an der die Genossen Hermann Müller , Wels und Hilferbing teilnahmen, teilte der Reichskanzler seine Absicht mit, Don der Gesamtdemission des Kabinetts abzusehen und auch teine Ergänzung der Regierung vorzunehmen. mit der Führung der erledigten Refforts sollen Mitglieder des Kabinetts beauftragt werden.
Die Erziehung der Deutschnationalen zum Berantwortungsbewußtsein mag gewiß eine große politische Auf gabe sein, aber die Regierung Luther war alles andere als eine Erziehungsanstalt für so schwach mit Verantwortungsbewußtsein begabte Politifer wie die Deutschnationalen. Sie hat die Deutschnationalen auf die Verantwortung locken wollen, indem sie ihnen die oppositionelle Haltung in außen politischen Fragen abkaufte durch die Einbeziehung in die Regierung, durch die entschiedene Rechtsschwenkung des Kurses in der Innenpolitit wie in der Wirtschaftspolitit. Statt zu erziehen, hat sie mit den Erziehungsbedürftigen üble Handelsgeschäfte gemacht, die mit dem Wesen eines normalen und anständigen parlamentarischen Kompromisses nichts mehr zu tun haben. Wenn den Führern der Regierung Luther die Erziehung der Deutschnationalen zum Verantwortungsbewußt- zialdemokratischen Reichstagsfraktion für Mittwoch einberufen set. sein als politische Aufgabe vorgefchwebt hat, so haben sie gehandelt wie Leute, die mit Opfern einen Erpresser zur Moral zu erziehen versuchen. Ist eine Regierung, die mit Zollgeschenken um Berantwortung gegenüber dem eigenen Bolle fchachert, ein geeigneter Erzieher?
Die Regierung Luther hat von den Deutschnátionalen ihren Fußtritt dahin. Die Deutschnationalen haben sich gestellt, als ob sie auf dem Wege der Befehrung wären, um die Gegengeschente zu sichern. So, wie die Kreuzzeitung " gestern abend in einem mehr als offenherzigen Artikel schrieb:
" Bielleicht wird man jetzt zugeben müssen, daß die Deutschnationalen schon beffer damals aus der Regierung aus ge treten wären, andererseits aber wird man dem entgegen halten tönnen, daß das ganze Wert der inner politi. schen Gefeßgebung, das äußerst dringend war, sonst nicht hätte erledigt werden fönnen."
Das also find nun die Resultate, die die Regierung Luther mit ihren Methoden der Erziehung an den Deutschnationalen erzielt hat! Jeht, nachdem sich der Schaden befehen läßt, feßt sie ihre Hoffnungen auf das Verantwortungsbewußt sein der Linken.
Sobald sich die endgültige Gestaltung der sogenannten Rückwirfungen des Vertrages von Locarno übersehen ließen, würde die Regierung endgültig zur Rafifizierung des Vertrages Stellung nehmen und die Entscheidung des Reichstages herbeiführen. Um die Rückwirkungen abwarten zu können, hält der Reichskanzler eine frühere Einberufung des Reichstages nicht für angezeigt.
Unsere Vertreter verwiesen darauf, daß der Borstand der SoFrüher sei eine definitive Stellungnahme nicht möglich. Sie ließen aber dem Reichskanzler teinen 3 weifel an ihrer Auffassung, daß die Sozialdemokratie nicht daran denken könne, die Deutschnationalen aus der Verantwortung in diefem Reichstag zu entlaffen. Wenn die Deutschnationalen den Bertrag ablehnen, würde nur übrig bleiben, das Bolt felbft entscheiden zu laffen und den Reichstag aufzulösen.
Stresemann über die Krise.
, 26. Oftober.( Eigener Drahtbericht.) Der Berliner Korrespondent des Politiken" hatte am Sonntag nachmittag nach dem Rücktritt der deutschnationalen Minister eine Unterredung mit dem Reichsaußenminister. Stresemann erklärte wiederholt und fategorisch, daß der Vertrag von Locarno " auf jeden Fall von Deutschland ratifiziert werde. Selbst wenn der gegenwärtige Reichstag den Vertrag nicht annehmen sollte, würde die Regierung Luther- Stresemann am 1. Dezember unterzeichnen. Man würde in diesem Falle neu wählen lassen und dann würde der neue Reichstag den Vertrag genehmigen. Er ließ aber auch die Möglichkeit offen, daß man ohne Auflösung zum Ziel
fommen werde