Einzelbild herunterladen
 

Abendausgabe

Nr. 528 42. Jahrgang Ausgabe B Nr. 262

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreife find in der Morgenausgabe angegeben Redaktion: 53. 68, Cindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-29% Tel.- Adresse: Sozialdemokrat Berlin

10 Pfennig

Sonnabend

7. November 1925

Vorwärts=

Berliner Volksblatt

Berlag und Anzeigenabteilung: Geschäftszeit 9-5 Uhr

Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin Sm. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-297

Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Die Vertuschung eines Skandals.

Verfahren gegen Kußmann- Knoll tatsächlich eingestellt!

Das Berfahren gegen den Staatsanwaltschaftsassessor Kuß mann und seinen Komplizen, den deutschnationalen Spionageagenten Knoll wegen Ueberlassung der Atten des Barmat. Falles an ein deutschnationales Hezbureau ist durch den Amis gerichtsrat Ahlsdorf eingestellt worden. Damit ist die Be­fürchtung, die wir vor wenigen Tagen aussprachen, daß eine Ber tuschung dieses ungeheuerlichen Standals im Gange sei, vollauf bestätigt worden.

Herr Amtsgerichtsrat Ahlsdorf, von dem dieser Beschluß herrührt, ist kein Unbekannter. Er ist der gleich e Gerichtsvorsitzende, der in dem Prozeß gegen den Landgerichtsdirektor Kroner, den Vor­fizzenden des republikanischen Richterbundes, wegen Beleidigung des Herrn Bewersdorff von dem Angeklagten als befangen abge= lehnt wurde, weil er bereits im Boraus geäußert hatte, daß mindestens sechs Monate Gefängnis für Kroner herauskommen würden. Herr Ahlsdorf selber hat sich trotz dieser Aeußerung für unbefangen erklärt, und an der Verurteilung Kroners in erster Instanz mitgewirkt. Die Berufungsinstanz hat jedoch anerkennen müffen, daß der Ablehnungsantrag gegen Ahlsdorf vollauf begründet war, sie hat das Urteil aufgehoben und an die erste Instanz zurückverwiesen, weil der befangene Herr Ahlsdorf an dem Urteil mitgewirkt hatte.

Hier wurde bereits ausgeführt, daß die Einbeziehung des Falles Kußmann Knoll unter das preußische Amnestiegesez nach dessen Sinn und Wortlaut nicht zu rechtfertigen ist. Die

Ueberlassung amtlicher Aftenstücke an Knoll durch Kußmann fann weder als öffentliche Kundgebung", noch als Aeußerung" im poll­tischen Kampfe ausgelegt werden, selbst wenn man der juristischen Aus legungstunft weitesten Spielraum läßt. Wir erwarten und verlangen daher, daß dieser Einstellungsbeschluß von der Staatsanwaltschaft mit

Die Rückwirkungen kommen in Gang. Der Reichskommiffar ernannt. Amtlich wird gemeldet: In Anschluß an die Verhandlungen in Locarno war die Reichsregierung mit den an der Besetzung des Rheinlandes beteiligten Mächten wegen der Wiederernennung eines Reichskommiffars bei der Interalliierten Rheinlandtommiffion in Berhandlungen eingetreten.

Die Reichsregierung hatte diesen Mächten davon Mitteilung gemacht, daß fie für den Posten den deutschen Botschafter in Madrid , Freiherrn Langwerth von Simmern, auserfehen habe, und hat nunmehr die Nachricht erhalten, daß diefer Ernennung 3 u- gestimmt werde.

Hierbei ist seitens der Besatzungsmächte zum Ausdrud gebracht worden, daß, ebenso wie fich nach ihrer Ueberzeugung der neue Reichskommissar von dem Geifte der Verhandlungen in Locarno leiten laffen werde, auch die Interalliierte Rheinlandkommission fich ihrerseits diesem Geiffe getreulich anpaffen wolle.

Baldiger Amtsantritt des Reichskommissars. Koblenz, 7. November .( Mtb.) Wie in hiesigen unterrichteten Kreisen verlautet, rechnet man damit, daß der Reichskommiffar für tie besetzten Gebiete, dessen Ernennung unmittelbar bevorsteht, Mitte nächster Woche in Roblenz eintreffen wird.

Nur noch Formfragen in der Entwaffnung. Paris, 7. november.( WIB.) Havas meldet: In der gestern durch die Botschafterkonferenz an die deutsche Regierung ge­richteten Note handelt es sich um Formiragen, über die fich die deutsche und die allierten Regierungen rasch einigen dürften. Es scheint, als ob schon ein bestimmtes Datum für die Räumung von den alliierfen Regierungen ins Auge gefaßt worden ist.

den gegebenen Rechtsmitteln angefochten und eine öffent. liche Gerichtsverhandlung über den Fall durchgesetzt wird. Die Bertuschung des Falles wirkt geradezu grotest. Zu nächst hat der sogenannte Barmat- Ausschuß ein tieferes Einsteigen in die Materie abgelehnt mit der Begründung, daß in ein schweben des Gerichtsverfahren nicht eingegriffen werden dürfe. Runmehr wird das schwebende Gerichtsverfahren auf Grund der Amnestie eingestellt, nachdem es zum Vorwand gedient hat, dem Untersuchungsausschuß die Materie zu entziehen. Dabei schwebt das Verfahren seit mehr als drei Monaten, es hätte daher schon seit Wochen über die Gesichtspunkte der Amnestie hin geprüft werden

fönnen.

Die Herrschaften aber, die auf eine Vertuschung des Falles spekulieren, werden sich gründlich geirrt haben. Es besteht noch eine ganze Anzahl Möglichkeiten, das Versäumte nachzuholen. Erstlich durch Anfechtung des Einstellungsbeschlusses; sodann, in­dem das Plenum des Preußischen Landtags, das am 11. d. m. über den Bericht des Barmat- Ausschusses verhandelt, die Materie, soweit sie die Angelegenheit Kußmann- Knoll betrifft, an den Aus schuß zurückverweist, der jetzt nicht mehr durch ein schwebendes Verfahren an der Untersuchung gehindert ist, oder sie einem neuen Untersuchungsausschuß überweist, was das richtigere wäre, da die total unfähige Leitung des bisherigen Ausschusses ein vernünftiges Arbeiten doch nicht erwarten läßt.

An Material für die neuen Arbeiten wird es nicht fehlen. Vor allen Dingen wird sich herausstellen, daß es sich nicht um einen Fall nur der Herren Rußmann und Knoll handelt, sondern um einen Juftizskandal ersten Ranges, in den noch ganz andere Bersonen und Organe der Justizbehörden in schlimmster Beise verstrickt sind!

Mussolinis Polizeimache.

Londoner Meldungen zufolge erklärte das Arbeiterblatt Daily Herald", daß das Attentat" gegen Mussolini von Anfang bis zu Ende von der Polizei inszeniert worden ist. Das ist wohl inzwischen die Ueberzeugung aller denffähigen Menschen außerhalb des faschistischen Italiens geworden. manis led s Siegesbericht.

Rom, 7. November .( BTB.) Die Anordnungen der Regierung auf Belegung der Freimaurerlogen und Auflösung der unitarisch sozialistischen Organisationen sind im ganzen Lande durchgeführt worden. Zu Zwischenfällen ist cs nicht gekommen.

Wer nicht daran glaubt, wird verboten! Rom, 7. November .( WTB.) Durch eine Verfügung von heute ift die Zeitung Voce Republicana" bis auf weiteres verboten worden mit der Begründung, daß sie gestern die Mel dung über das Attentat gegen Mussolini als ein angebliches Attentat" gebracht habe. Das Organ der Katholischen Bolts partei, Jl Popolo", ist gestern und heute nicht erschienen. Man weiß nicht, ob es verboten ist oder aus eigenem Antrieb nicht erschien. Die oppositionelle Zeitung Il Mondo" wurde be. fchlagnahmt...

Oder verhaftet.

Rom, 7. November .( WTB.) In Genua wurden der Bericht erstatter der kommunistischen Unita" und der des Avanti" ver. haftet. Sie find Mitglieder der Loge in Livorno.

Konjunktur!

den

Labour im Vormarsch.

Die englischen Gemeindewahlen.

London, Anfang November. Unter einem für den fontinentalen Beobachter zunächst unbegreiflichen Mangel an Teilnahme der Bevölkerung haben in diesen Tagen in London und in einer Reihe von Ge= meinden des übrigen England die Kommunalwahlen stattgefunden. Die Zeitungen haben zwar seit einigen Wochen die übliche Wahlpropaganda gemacht, aber wer dabei an die fieberhaften Erregungen dachte, die anläßlich von Unterhaus­wahlen hierzulande üblich sind, der konnte keinen Augenblick lang im Zweifel darüber sein, daß sie, und mit ihnen die über­wältigende Mehrheit der Bevölkerung, wenn überhaupt, so für die großen liberalen Blätter, die anscheinend von der Aus­nur mit halbem Herzen dabei waren. Das gilt insbesondere sichtslosigkeit der liberalen Sache in diesem Wahlkampf so völlig überzeugt waren, daß sie durch ihre Enthaltsamkeit in der Polemit, insbesondere gegen links, mehr oder minder direkt, mehr oder minder bewußt, für die Labour Party Propaganda machten. Wie denn überhaupt, was in Parenthese vermerkt sei, von liberaler Seite in letzter Zeit ganz auffallende Annäherungsversuche an die Arbeiterpartei gemacht werden, wobei insbesondere ein so altangesehenes liberales Blatt, wie die Daily News" und ihr Abendblatt, der Star", mit gutem oder schlechtem- Beispiel voran­gehen. Alles in allem, hat weder der Wahlkampf, noch der Wahltag, noch die langfame, fich auf mehrere Tage erstreckende Verkündigung der Wahlresultate irgend welche politische Leidenschaften erregt und große Londoner Blätter haben das Ereignis für so unwichtig gehalten, das sie ihm bisher nicht einmal einen Leitartikel gewidmet haben; was schon immer­hin etwas sagen will, wenn man bedenkt, daß jede englische Beitung, die etwas auf sich hält, täglich mindestens drei Leit­artifel enthält.

-

Ist es ein Zeichen augenblicklicher politischer Apathie, parteipolitischer Müdigkeit, daß diese Munizipialwahlen sp völlig unbemerkbar waren? Wohl faum; denn sonst könnten die Zeitungen nicht feststellen, daß die 47 Prozent der Wähler­schaft, die diesmal zur Urne gegangen sind, schon einen Fort­schritt gegenüber früheren Munizipalwahlen darstellten und die heutigen Wahlen größeres Interesse erregt haben, als irgend eine Kommunalwahl seit 1913. Es handelt sich also ganz offensichtlich um eine traditionell geheiligte Interesse­losigkeit, die immerhin bei einem so poltischen Bolf, wie dem englischen, auffällig ist. Der Grund für diese Erscheinung liegt darin, daß diese Wahlen nicht nur an und für sich weniger bedeuten als die Unterhauswahlen( dieser Unterschied zwischen den Staats- und Gemeindeparlamenten ist schließlich überall vorhanden), sondern einfach darin, daß fie fachlich, inhaltlich beinahe überhaupt nichts bedeuten. Denn vergleicht man ein­mal die Befugnisse einer Gemeindeverwaltung wie etwa Wien, um das bemerkenswerteste fontinentale Beispiel zu nennen, mit ihrem ausgedehnten fommunalen Steuersystem, den zahl­reichen städtischen Betrieben und Betätigungen, mit dem Be­tätigungsfelde einer Londoner Borough(= die städtische Ber­waltungseinheit), so zeigt es sich auf den ersten Blick, daß ihr möglicher und tatsächlicher Aufgabenfreis unvergleichlich fleiner ist. Die lokalen Behörden haben in England, dem gepriesenen Lande der Selbstverwaltung und Dezentralisation feinerlei Rechte, außer diejenigen, für die sie vom Unterhaus ausdrüd­lich ermächtigt worden sind. Den Gemeindeverwaltungen fehlt somit völlig jene Elastizität des Betätigungsfeldes, mie fie die Gemeinden in den meisten Ländern des Kontinents besitzen.

Im Wesentlichen beschränkt sich die Tätigkeit der Stadt­verwaltungen Londons( London besteht noch immer aus einer Reihe selbständiger Gemeindeverwaltungen!) auf Fragen der fanitären Politik. Es sind hauptsächlich die Probleme der öffentlichen Gesundheitspflege, Beleuchtungsfragen und bis zu einem gewissen Grade Wohnungspolitit, die ihr vom Barlament überlassen. werden.

--

Im jüngsten Wahl, Kampf"- das Wort Kampf stellt standen sich auch hier eine gewaltige Uebertreibung dar! im wesentlichen die drei englischen politischen Parteien gegen­über, die Konservativen, Labour und die Liberalen, die bürger­

Die Engländer rücken nach Wiesbaden. 31n, 7. November. Wolffs weftlicher Provinzdienst meldet: Wie uns mitgeteilt wird, werden als neue Standorte für die englische Rheinarmee die Kreise Wiesbaden Stadt, Wies­ baden Land, Langenfchwalbach und die Städte Biebrich, Idstein und Königstein vorgesehen. Der englische Gebietsteil wird alle naffaut machte. Er fand bereits zahlreiche Nachahmer unter den Abgeord. lichen Parteien allerdings in Verkleidungen, die ihre Namen

fchen Teile füdlich der Lahn mit Ausnahme der Kreise Diez, St. Goarshausen, Rüdesheim und des besetzten Teils des Kreises Lim­ burg umfaffen.

Wiederherstellung der deutschen Gerichtsbarkeit. London, 7. November.( TU.) Wie der diplomatische Korre­fpondent des Daily Telegraph" berichtet, hat fürzlich zwischen Lon­ don, Paris und Brüssel neben der Frage der deutschen Ab­rüftung und der Kölner Räumung auch ein Gedankenaustausch über die vorgeschlagenen Erleichterungen des Besatzungsregimes in der zweiten und dritten Zone stattgefunden. Die bei dieser Gelegenheit in Aussicht gestellten Versprechungen sollen in zahlreichen Fällen sehr wesentlich gewesen sein. Wie verlautet, soll die deutsche Ge­richtsbarkeit völlig wiederhergestellt werden, mit Ausnahme von Fällen, die durch oder gegen Mitglieder der Be sagungstruppen begangen worden sind, und von Fällen ernster Ruhe störungen, die unter die Militärgerichtsbarkeit fallen. Wie verlautet, foll im Laufe der nächsten Woche durch die Alliierten eine Er Plärung über die Erleichterungen in der zweiten und dritten Zone gemacht werden.

Rom, 7. November.( EP.) Die politischen Auswirkungen des Komplotts gegen Mussolini bestehen in einem allseitigen An­fchluß bisher unschlüssiger Polititer an Faschismus und dessen Erstarkung im ganzen Lande. Als erster hat der Kammerpräsident Casertano bei Mussolini persönlich die Aufnahme in die Faschistische Partei nachgesucht, was in parlamentarischen Streifen starten Eindrud(!!) neten der verschiedenen Gruppen, die bisher die Regierung unter­stützen, ohne ihre politische Selbständigkeit damit auffzugeben. So hat der Kongreß der nationalliberalen Abgeordneten und Partei führer unter Leitung des Erministers de Capitani und Sarrocchi den llebergang zum Faschismus beschlossen. Einige national­liberale Abgeordnete haben bereits bei Farrinacci ihre Mitgliedskarten nach gesucht. Die Mailander Sektion der Partei hat sich ebenfalls für den Anschluß entschieden.

,, Nur einige Zwischenfälle."

Rom, 7. November.( WTB.) Ein offizielles Commu­niqué der Breffeabteilung der Regierung gibt bekannt, daß die Ruhe und Ordnung in Italien aufrechterhalten worden sei, und das nur in Brescia und Triest sich bedauerliche 3 wischenfälle ereignet hätten. Im Zusammenhand mit der Aufbeckung des Attentatsplanes find weitere Berhaftungen erfolgt, über die Popolo di Roma" folgendes mitgeteilt: In Genua find 30 Personen verhaftet bzw. in Schußhaft genommen worden. In Neapel ist der Bruder des Generals Capello, ein früherer Poftdireftor, in Schußhaft genommen worden. In Turin

Ein Bergleichs- und Schiedsgerichtsvertrag wurde zwischen sollen ein unitarischer Abgeordneter und ein General festgenommen Bolen und Schweden abgeschlossen. worden sein, jedoch liegt eine Bestätigung dieser Nachricht nicht vor.

und ihr Wesen verschämt verdeden. Während die Labour Party auch für diese Wahlen ihren Namen beibehielt, nannten sich die Liberalen im Kampf um die Gemeinden Progressive". reformieren wissen, Kommunale Reformpartei". di. Fortschrittler, die Konservativen, die weiß Gott nichts zu

27

Die Sozialisten konnten bei der Agitation darauf hin­weisen, daß in England, wo ein Großteil der Schulen noch privat bewirtschaftet" wird, wo die meisten Spitäler auf den Zufall öffentlicher Mildtätigkeit an­gewiesen sind, wo die öffentliche Gesundheitspflege noch in den Kinderschuhen steckt und in den Armenvierteln unbeschreib­liche Wohnungsverhältnisse herrschen, noch un­endlich viel zu tun sei, ehe, auch nur vom bürgerlichen Stand­punkt aus gesehen, die Gemeinden alle jene Aufgaben erfüllt, die fie nach heutiger Auffassung erfüllten müßten und in anderen Ländern auch tatsächlich erfüllen. So ist im fommu­nalen Wahlkampf die Arbeiterpartei die einzige Partei, die bedingungslos die Interessen der Allgemeinheit gegenüber den egoistischen Besizinteressen der einzelnen ver­fritt, ein Moment, daß ihr auf der ganzen Linie ein offensives Vorgehen ermöglichte.

Sieht man nunmehr die Ergebnisse der Wahlen nach der politischen Seite hin an, so wird man feststellen müssen,