Nr. 529 42.Jahrgang
1. Beilage des Vorwärts
Sonntag, 3. November 1925
J1] 77117
DIEZWINGBURG
Auch etwas zum Gedächtnis des 9. November.
Der 9. November 1918 brachte wahrlich feine Belireno-| Bolf Dornen aus der Christustrone, ein Stüd von Jeju Tischtuch, lution und fannte sie und sollte sie nicht bringen. Aber er schuf die das er beim Abendmahl gebraucht, ein Stück von dem Brot, das er Deutsche Republit, unsere Republif! Wir haben keine Beran babei gebrochen hat und manche andere Kuriosität in hundertfacher laffung, auf den heutigen Staat restlos stolz zu sein; neue Formen Auflage für schweres Geld verkauft. Gewissensstrupel sind den schufen teine neue Gesinnung bei denen, die wie Kletten am Ueber Hohenzollern Lurus . Joachim I. findet nichts dabei, für Geld in lebten hängen und mit denen man oftmals unbelohnt anständig und also mit seinen Landeskindern zu handeln. Erklärlich, daß im Herr feinem Kurfürftentum Soldatenwerbungen für Frankreich zuzulassen, viel zu tolerant umgegangen ist. Wenn wir die Republik mehr noch von Ottenstedt, der dafür gehenkt wurde, einmal an die Schlafzimmer als bisher mit dem Geiste wahrhafter Freiheit und Ge- tür schrieb: finnungsgröße erfüllen wollen, dann ist es nötig, die Massen über den Jochimfe, Jochimke, hüte di, schwarzweißroten Un geist aufzuklären: er diene zur War, nung. Die Gegner der Republit machen uns unsere Arbeit nicht schmer, und am meisten wird sie uns erleichtert von den Hohen. zollern selbst. In den Feiertagen findet man Zeit zu einem kleinen Spaziergang, befehen mir uns also heute einmal das angeftammte Herrscherhaus" in seinem Heim, im Berliner Schloß.
Wenn zwei sich streiten.
Der erste Bauherr des Plates an der Spree , auf dem das Berliner Schloß heute steht, war Kurfürst Friedrich II. Einen Zwist zwischen den Zünften von Kölln und Berlin benußte er dazu, sich als Schiedsrichter aufzuwerfen und eine 3wingburg zwischen den Parteien anzulegen. Die Bürger konnten sich durchaus nicht damit abfinden, daß man ihnen ihre Selbständigkeit rauben mollte. Sie verjagten die Bauleute des Kurfürsten und seine Richter und Zöllner, sie alarmierten auch die anderen märkischen Städte zum Widerstand. Der Fürst war schneller, er überfiel die Städte und überwand die Bevölkerung. Die Patrizier wurden ihres Bermögens beraubt, sie erschienen in dem fleinen Stüblein über dem Torhause zu Spandau " und haben ir liep und alle ir gut in mennes gnedigen hern hand gejezet und gegeben". So endete der Berliner Unwillen", genau vierhundert Jahre vor der Revolution von 1848. Drei Jahre später war die Burg vollendet und eine freie, unabhängige Stadt fürstliche Residenz geworden. Kurfürst Joachim II. ließ diese Burg, von der geringe Ueberreste im Unterbau des Grünen Huts", eines Rundturmes am Fluß, heute noch vorhanden find, niederreißen. Ein neues drei Geschoß hohes Gebäude wurde an der Spreefeite und nach der heutigen Breiten Straße zu mit zwei Flügeln errichtet. Damals wurde auch die sogenannte Wassertunst" gebaut, ein ziemlich hoher Turm, in dem Wasser aus der Spree in Die Höhe getrieben und ins Schloß geleitet wurde. Weitere Ges bäude wurden im Laufe der Zeit angegliedert, aber es blieb erst dem berühmten Hamburger Baumeister Andreas Schlüter vorbehalten, aus einer Menge ineinander gehäufter Gebäude einen glänzenden Barockbau zu schaffen. Sein hierzu entworfener Blan entsprach den Absichten des prachtliebenden Kurfürsten Friedrich III. 1702 war das große Gebäude von außen und zum Teil auch von innen vollendet. Der alte Münzturm mit der Basierkunst sollte auf Befehl König Friedrich I. von Schlüter erhöht und zu einem Glockenspiel eingerichtet werden. Schlüter warnte rechtzeitig, allein der König bestand auf der Ausführung. Das Fundament war zu schwach, und ehe der Turm fertig war, zeigten fich solche Risse, daß er schleunigst abgetragen werden mußte. Das zog Schlüter die Ungnade des Königs zu. Die Leitung des Schloß baues wurde ihm genommen und seinem Nebenbuhler, dem Baron Eosander , aufgetragen. Die lezte Bollenbung geschah dann im Jahre 1716 unter Friedrich Wilhelm I. Die Wohn- und Festräume des Oberstocks zählen zu den bedeutendsten Schöpfangen der Innendeforation des deutschen Barod um 1700. Bom Marmorfaal zu den Paradekammern und dem Rittersaal steigerte sich die Wanddekoration und die Dedenbildung zu immer größerem Reich tum. Unter Friedrich Wilhelm IV. ift 1852 über dem Eofander Portal die fuppelbekrönte Schloßtapelle Stülers auf gebaut worden, während sich die Bautätigkeit Wilhelms II. mit nur teilweisem Glück auf den Innenausbau richtete.
⚫ von hohen Herren und niedriger Gesinnung.
Georg Siegesmund, der Feigling, ist ja nur einer; es lohnt, die ganze Reihe durchzugehen. Die Worte des früheren Universitätsdirektors Roethe, daß die Hohenzollern ihre fürstliche Würde nie als Quelle des Gewinns oder Genuffes angesehen haben man muß den Sag zweimal lesen verdient immerhin eine Untersuchung. Schade, daß der Plogmangel nur ganz wenig Bei fpiele anzuführen gestattet. Da ist der Kurfürst Friedrich II. , ein Frommler, der sich gern und nachhrücklich um tirchliche Angelegenheiten fümmert, besonders, wenn dabei etwas zu verdienen ist. An einem 9. November feiern wir das Jubiläum gleich mit hat er originellerweise abgebant. Albrecht Achilles war auch nicht gerade ein untüchtiger Finanzmann. Großzügig wurde mit Tegel der Ablaßhandel inszeniert, die Taren hat der Kurfürst, wie in jeder guten Luther Biographe nachzulesen ist, der Einfachheit selber festgesetzt. Als durch das Vorgehen Luthers nicht mehr genug zu etwas mußte ja immerhin auch noch an den Bapst abgegeben werden da warf Albrecht sich auf das einträglichere Geschäft der Wallfahrten. So wurden zu Halle ans abergläubische
berdienen war
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Fange wi di, so hange wi di. Gehenti murde der Kurfürst nicht, aber beinahe wäre er ersoffen. Sein Leib- und Magenafstronam hatte ihm für den 15. Juli 1525 eine Sintilut prophezeit. Der Kurfürst behielt feine Weisheit für sich, mochte das Bolt ruhig zugrunde gehen. Biere lang fuhr er inklusive Familie und Hofstaat im Morgengrauen des 15. Juli aus dem Schloß, der Tempelhofer Heide zu und die alpine Höhe des Kreuzbergs hinauf. Die Historifer berichteten, daß der Kurfürst am Abend unter Hohn und Wut des so treulos verlassenen Volles zurückfuhr; die Sache mit der Sintflut war ein Irrtum gewesen. Joachim II. , sein Nachfolger, entwickelte sehr hübsches Talent zum Landesverräter. Um persönlicher Interessen willen verschacherte er Mez, Toul , Verdun und Cambrai an den König von Frankreich und erzählte dem Bolk dafür, daß der allerchriftlichste König in diefer Sache nicht allein wie ein Freund, sondern ein treuer Bater an den Deutschen handle". Johann Georg interessiert sich mehr für die Juden; unter den unsinnigsten Be schuldigungen läßt er den Bankier Lippold in vier Teile zechauen und beraubt seine Glaubensgenossen ihrer Heimat und ihres Gutes. Georg Wilhelm zieht es vor, sich seine vierzehn Millionen Taler, die er zur Befriedigung seiner geradezu wahnsinnigen Verschwendungsfucht braucht, durch allgemeinen Soldatenverkauf, an dem fich jeder europäische Staat als Kunde beteiligen fann, zu verdienen. Friedrich Wilhelm schafft zunächst einmal Geld, indem er Das Brot verteuert. Die armen Leute werden dadurch abgehalten, allzu progig zu werden." Im übrigen erzieht er das Bolf nur auf dem Prügelwege. Er prügelt auch seine Kinder, er prügelt feine Räte, er prügelt jeden, der ihm gerade über den Weg tommt. Eine Spezialität von ihm war, wie seine Tochter berichtet, mittags, nachdem er sich selbst einen gehörigen Teller gehäuft hatte, in die SpeiseSchüffeln zu spuden, damit für die Kinder nichts Genießbares übrig blieb. Der fächsische Gesandte Graf Manteuffel nennt das Preußen dieser Zeit eine Galeere"; jeder Untertan fei ein Stlave, über den der Herr beliebig verfügen tann. Dann kommt Friedrich II. mit dem Beinamen der Große". Hegemann und andere moderne anerkannte Geschichtsforscher zerstören die Fridericus- Legende und weisen nach, daß Friedrich geradezu als Reichsfeind gehandelt hat, feinesfalls aber, und das fann man allerdings auch schon seinen eigenen Aufzeichnungen entnehmen, als friedliebender Patriot. Troßdem war Friedrich II. ein außerordentlich großes Talent, ein Charakter, wenn auch ein fomplizierter, und seine Alterseinsamkeit ist gewiß nicht ohne Tragit. Aber daß er in Friedrich Wil helm II. einen politischen Nachfolger hinterließ, von dem der König selber jagte:„ Mein effe ist ein Schwachkopf, der die Sitter: nicht achtet, sich von Welbern, Günftlingen, Scharlatanen lelten läßt, der Arbeit scheut und die Menge der faulen Könige vergrößern, wird", num, das ist teine geringe Tragit, wenn auch nur eine fürs Bolt. Das blieb Immer nar Stieffind nnter den Hohenzollern , welche erlauchte Unfähigkeit über Friedrich Wilhelm Nummer, drei und Nummer vier zu Wilhelm Nummer eins und zwel, über die alle Bände zu schreiben sind, hin nun auch noch an die Spitze fam. Leisteten Deutsche trotzdem so Bedeutendes in der Entwicklung der Welt, der Geist der Swingburg an der Spree und der Geist von Potsdam find wahrlich unschuldig daran.
Unter Wilhelm dem gehten.
Ueber den letzten Kaiser braucht faum noch viel gesagt zu werden. Das Unglüd, das er mit herbeiführen half, ist uns leider zum allerpersönlichsten Erlebnis geworden, und zweitens gibt es trotz der Herren Rosner und Sylvester- Biered genügend objeftive Ge Schichtsschreiber, die fein Bild feltaehalten haben; zuletzt tat es Emil Ludwig mit viel iffen, Können, Geschmed und Liebe zur Sache. Muß ein Mensch nicht alle Unbefangenheit, Natürlichkeit und heiterteit verlieren, wenn er ewig in einem riesigen, ungemütlichen Schloß wohnt, wisten prunkvollen Möbeln, repräsentieren muß in glasalizernden Wänden, immer Saltung" bemabren foll beim findischsten Zeremoniel? So fah einmal alter Rathenau, 2um Bortrag befohlen, den Kaiser in seinem Heim: Ein jugendlicher Mann in hunter Uniform, mit seltsamen Würdezeichen, die weißen Hände voll farbiger Ringe, Armbänder an den Handgelenken, zarte Haut, weiches Haar, fleine, weiße Rähne. Ein rechter Brinz: auf den Eindruck bedacht, dauernd mit sich selbst fümpfend, seine Natur
Die heutige Romanforthegung finden unsere Lefer auf der ersten Seite in der zweifen Bellage.
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bezwingend, um ihr Haltung, Kraft, Beherrschung abzugeminnen. Kaum ein unbewußter Moment; unbewußt nur und hier beginnt das menschlich Rührende der Kampf mit sich selbst; eine ahnungslos gegen sich selbst gerichtete Natur." In solcher Pose„ arbeitete" Wilhelm vom Morgen bis zum Abend. Er reiste, feierte Feste, Tatutata ging's per Auto ins Schloß, wo sich devot vor IHM meihte ein, spielfe Soldaten, vor allem aber wurde gerebet. Mit auch der höchstbeamtetste Rücken zu beugen hatte. Im Galopp wurden Befehle ausgegeben, a tempo die schwerwiegendsten Entscheidungen gefäll, und die Schreibtischarbeit" war, wie man jo fagt, auch hier nicht ohne". Daß der Kaiser vor feinem Schreibtisch auf einem regulären Reiljattel faß, ist immerhin Symbol. Und wer wissen will, was da so entstanden ist, lese die Randbemerkungen in den Akten des Auswärtigen Amts: Blech"," Blödsinn". Selbstverständlich, daß die Bibliothek von E. M. einen geradezu „ Schwein“,„ Halunke" es wimmelt von Liebenswürdigkeiten. beschämenden Eindruck machte, als man sie nach der Revolution fand. Novemberflürme.
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Nach einem Goethischen Wort sind die revolutionären Aufstände der unteren Klaffen eine Folge der Ungerechtigkeiten der Großen. Als am 9. November 1918 die rofe Fahne über dem Portal am Cuffgarten aufgezogen wurde und die Masse dann ins Schloß eindrang, da war das nur die Erfüllung dessen, was fünfhundert Jahre lang von einem degenerierten und unfähigen Dynaftengeschlecht vorbereitet worden war. Der Kaiser war nicht als Sieger hoch zu Roß durchs Brandenburger Tor eingezogen, er hatte sich auch nicht an die Spize feines Heeres gestellt, er zog es vor, bei Nacht und Nebel im Auto über die holländische Grenze zu fliehen. Als diese, Nachricht im Schlosse eintraf, wer unter den trauernden Hinterbliebenen" die Verwirrung nicht gering. Das Polizeikommando und die 250 Mann starke militärische Bejagung zog am Nachmittag des 9. November mit nach unten gefehrten Gewehren ab. Auch die Herren Offiziere empfahlen sich, als ob das so selbstverständlich wäre. leh, äh, mit Böbel schlägt man sich doch nicht. Biel ist nun ichon geschrieben und dabei gelogen worden über den Bandalismus" der eindringenden Stürmer". Es war wirklich halb so schlimm, und feinesfalls stimmt der Vergleich mit den Horden der Bauernkriege, der englischen und französischen Revolution. Da wurde doch so mancher Gegner niedergemegelt und unerfeßbares Kunstgut nicht immer geschont, wovon die Tuilerien, der Louvre und das Palais Royal beredtes Zeugnis ablegen. Die Leute aber, die in den Tagen des Zusammenbruches das Schloß besetzten, tochten nicht por Wut, die ihre Opfer verlangt, hatten feine blutbesudelten Hände, sie schrien nicht nach Laterne, Galgen und Guillotine, fie perlangten auch nach feinem Hohenzollernprinzen, um an ihm ein Mütchen zu fühlen. Nicht einmal ein Thronsessel flog am 9. NoDember 1918 zum Fenster hinaus, obwohl es mehrere solcher Dinger gab und eine Nachahmung des französischen Beispiels gar keine üble Geste gewesen wäre. Erklärlich, daß die Privaträume des Kaisers durchstöbert wurden und daß dabei auch manches„ Andenten" mitging. Seltsam genug war die Psyche der revolutionären Aktivisten von 1918 ohnedies. Die Lioreekammer wurde arg mit genommen, vielleicht. well sie gebrauchte Kleidungsstücke enthielt, aber auf viel leichter erreichbare Werte und Vorräte, die ganz andere Gewinne im Falle des Verkaufs hätten abwerfen können, perzichtete man. Selbst die größten Wertobjekte, mie das berühmte Silberbüfett, funstvolle Gemälde und Gobelins, der Kronschat, die Silber- und die Weißzeugfammer, der Weinkeller mit geradezu phantastischen Borräten alles blieb unversehrt! Am 13. November besetzte die Bolksmarinedivifion unter Führung des Grafen Metternich im Einverständnis mit den Boltsbeauftragten das Schloß. Metternich gab sich Mühe, jede Ausschreitung der natürlich auch mit unlauteren Elementen durchseßten Truppe zu verhindern. Sehr richtig war auch, daß er die wertvollsten Kunstschäze in Museen cbtransportieren ließ. Nach ihm übernahm das Kommando ein Fünferkollegium unter Führung des Matrosen Radtke, der gegen alle ihm bedenklich erscheinenden Bersonen entschieden anfämpfte. Es fam zu Reibereien mit der Regierung, um Weihnachten stellten sich Entlohnungsschwierigkeiten ein. Berhandlungen mit dem Stadtkommandanten scheiterten, und am Abend des 23. Dezember fam es zu einem Sturm auf das Schlok. Nicht nur Eisentore, Mauerwerk und Fensterscheiben, auch Menschenleben hat es da aefrallt und zerschlagen. Die eingedrungenen Sturmmannschaften, Botsdamer Gardeiäger, liehen fich im Hof entwaffnen, zumal von draußen her die Maffe weitere Angriffe zu verhindern wukte. Verhandlungen schafften endlich Frieben nach aufgeregter Beit, von Dautistel in dem Roman„ Das Opfer" mit großem Können beschrieben. Nach zweimonatigem, durch den Lagerverwalter wohlgeregeltem Berbrouch fonnten an die Krankenhäuser, Anstalten und Lazarette der Stadt Berlin immer noch abgegeben werden: 20 600 Allogramm Weizenmehl, 4150 Kilogramm Roggenmehl, 3332 Kilogramm Zuder, 11 795 äilogramm Gemüsekonserven, 1305 Flaschen Sahne und, abgesehen von einer Fülle Trüffeln, auf die man verständlicherweise verzichtete, noch Unmengen anderer foft. barer, Lebensmittel. Denn auch bei Hofe hat man während des Krieges nur nach der Karte gelebt.... Im Frühjahr 1919 sollte es
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