Einzelbild herunterladen
 
  

Dienstag

10. November 1925

Unterhaltung und Wissen

Reit- und Fahrturnier.

Bellage des Vorwärts

Geh deine Bahn...!

-

-

Geh deine Bahn und laß die Leute schwägen, die Bahn ist lang die Leute schwägen viel! Mag Unverstand von Ort zu Ort dich hezen geh deine Bahn! Dent an dein hohes Ziel! Mag mancher Hieb dich hart und schwer verletzen, der schonungslos in deine Seele fiel,

wirf ab von dir, was deine Seel' umwittert! Geh deine Bahn, aufrecht und unerschüttert!

Geh deine Bahn, ob sich mit tausend Krallen

der blinde Haß an deine Ferse hängt,

-

ob die Verleumdung dich, geflohn von allen, bis an den Rand des tiefsten Abgrunds drängt. Geh deine Bahn! Du kannst, du darfst nicht fallen, cb's deine Seele auch zusammenzwängt. Kopf in die Höh! Mit keinem Glied gezittert! Geh deine Bahn, aufrecht und unerschüttert! Geh deine Bahn! Laß die Philister schwägen, daß dies nicht möglich, das nicht tunlich sei, laß sie getrost sich hintern Ofen setzen mit ihrer blöden Kannegießerei.

Geh deine Bahn und folge den Gesezen, in deren Sieg die Welt wird schön und frei, vor deren Macht das Sklavenjoch zersplittert Geh deine Bahn, aufrecht und unerschüttert! Geh deine Bahn! Sie muß zum Siege führen, schon weicht die Nacht, der Himmel färbt sich rot, fchon hört man morgenfrisch die Trommeln rühren, der unterdrückten Massen Aufgebot.

Schon dröhnen Schläge an der Zukunft Türen, das Sturmgeheul des Volkes um sein Brot.

-

--

Das Schloß springt bald, ob's noch so start vergittert! Geh deine Bahn, aufrecht und unerschüttert!

Hermann Greulich .

Die Fahne.

Reisebrief von Kurt Heinig .

Washington , Ende Oktober.

-

Das große amerikanische Problem ist die Amerikanisierung der Amerikaner. Das flingt absurd, aber eine einfache Zahl bestätigt die Logik dieser Formel: Seit der Gründung der Bereinigten Staaten sind hier rund 30 Millionen Einwanderer aufgenommen morden! Diese 30 Millionen Menschen über ein Viertel aller Einwohner- waren Deutsche , Iren, Italiener , Schweden , Ungarn eder Polen . Ueberall, wo in Europa seit hundert Jahren der Ar. beitsraum zu eng, die Freiheit der Gesinnung oder Religion gepeinigt wurden oder Sehnsucht nach fernem Land und Glüd die Menschen erregte, wurde ausgewandert.

1

-

So zog und zieht Jahr um Jahr wenn auch jest dosiert und ftreng tontrolliert ein Heer von Landfremden in Amerita ein. Sie denten wohl alle zuerst nur an sich und nicht an die neue politische

-

"

Mutter, Pferde haben doch bloß einen ganz gewöhnlichen Stall"

Gemeinschaft, zu der sie nunmehr gehören werden, an die Bermals soll unachtsam mit ihr umgegangen werden, noch soll sie nach einigten Staaten von Amerita". Aber über den Weg der Einheit läffig irgendwo liegen gelassen werden. Es ist darauf zu achten, der wirtschaftlichen Kräfte und der kulturellen Zusammenfassung daß sie nicht auf dem Boden schleift, wenn sie fortgebracht oder aufge­tommt das Staatsgefühl. Wird es beim Einwanderer zur politischen Wesensgemeinschaft führen?

Ueber diese Frage, über die Tatsachen und über die praktischen Möglichkeiten einer bewußten Entwicklung des staatsbürgerlichen Ge­fühls beim Einwanderer ist in Amerika und auf dem europäischen Rontinent viel geschrieben worden. Hier sei es ebenso unerörtert ge­lassen, wie der hart fühlbare Tatbestand, daß der Weltkrieg dem Deutschtum in Amerifa einen gewaltigen Schlag versegt hat. Um so mehr sei unterstrichen, wie den einwandernden Massen das Gefühl für die Staatsgemeinschaft nahe gebracht wird.

Man spricht ihm nicht nur von der Verfassung und von seinem Recht, von dem Vorteil, amerikanischer Bürger zu sein, man spricht mit ihm vom Symbol seines neuen selbstgewählten Vaterlandes, von der Fahne.

Jedem Einwanderer drückt die Nationale Gesellschaft der Töchter der amerikanischen Revolution" ein Taschenbuch" in die Hand. In ihm spricht man unter anderem etwa so mit dem Ein­

wanderer:

Bilde Dir nur nicht ein, daß du das hohe Spiel des amerita nischen Lebens gut spielen fannst, wenn du die Spielregeln nicht fennft: Eine Flagge, ein Land, ein Volk."

Die Spielregeln soll der Einwanderer, der Landfremde, der zufünftige Bürger tennen lernen. Deswegen erläutert man sie ihm. ,, Alle Kulturländer haben Wahrzeichen, welche das betreffende Land bedeuten. Wenn wir die Flagge sehen, stellen wir und die Regierung tes Landes vor. Wir denken an seine Geschichte, und es fällt uns ein, daß die Flagge für die Grundsäge des Landes weht. Wenn diese Grundsätze hohe find, fühlen wir für die Flagge Verehrung. Die Flagge eines Voltes bedeutet jeden in diesem Lande, der für die Flagge wirkt und sie lieb hat. Sie bedeutet jeden ein zelnen, der für sie sein Leben gegeben hat. Durch unser Wirten und unser Todesopfer tragen wir dazu bei, unser Land groß und gut zu machen."

" Die Flagge bedeutet Freiheit, Gerechtigkeit und Brüderlichkeit, und wird The Star Spangled Banner " genannt. Als Wahrzeichen der Freiheit weht sie im ganzen Lande über jedem öffentlichen Ge­bäude. Es ist ein strafbares Verbrechen, sie zu entstellen, zu ent­weihen, zu beschädigen oder zu zerstören. Die Kinder lernen in der Echule, was sie bedeutet, ihre Geschichte, und daß wir sie in Ehren halten müssen. Es ist gesetzlich vorgeschrieben, daß sie auf jedem öffentlichen Schulhaus aufgezogen sein muß."

" In allen Staaten ist es Sitte, am 14. Juni Flaggentag zu feiern. Dieser Tag entwickelt sich immer mehr zu einem National feiertag."

" Amerika ist von Freiheitsfreunden zu einem kultivierten Lande gemacht worden. Amerika erwartet, daß die Ankommenden diese Flagge als Wahrzeichen eines freien Boltes in Liebe und Verehrung halten."

Die Regeln für die Behandlung der amerikanischen Flagge sind: Die amerikanische Flagge ist das Wahrzeichen unseres Landes. Jeder Bürger soll sie in Ansehen halten. An den folgenden Tagen soll sie aufgezogen werden: Lincolns Geburtstag, 12. Februar; Washingtons Geburtstag. 22. Februar; Gedächtnistag( Memorial Dan), 30. Mai; Flaggentag, 14. Juni; Unabhängigkeitstag, 4. Juli; Verfassungstag, 17. September, und Waffenstillstandstag, 11. November."

"

Wenn nicht in Benutzung, soll die Flagge ordentlich aufgerollt oder zusammengelegt an einem passenden Ort fortgelegt werden. Nie­

zogen wird."

Wenn die Nationalflage zusammen mit den Flaggen von Einzelstaaten oder von fremden Ländern an derselben Stange auf gezogen wird, soll sie immer an der Spize wehen. In einer Gruppe mit anderen Flaggen soll sie am höchsten in der Mitte hängen. Wenn die Nationalflagge in Aufzügen zusammen mit anderen Flaggen herumgetragen wird, oder von Gebäuden oder Redner­bühnen herunterhängt, soll sie immer den Ehrenplatz rechts haben."

Der Flagge soll eine Ehrenbezeugung von allen Anwesenden gemacht werden, wenn sie aufgezogen oder abgenommen wird. Eben­so sollen sich alle erheben, wenn das Lied The Star Spangled Banner ", unfere Nationalhymne, gespielt wird. The Star Spangled Banner " soll nie in einem musikalischen Potpurri oder als Marsch gespielt werden."

,, Die Flagge soll nie für irgend welche Reflame benutzt werden. nicht einmal eine ähnliche Fahne soll auf Spielzeugen, Fächern, Sonnenschirmen, Zeltwänden, Sofatiffen oder Stuhlbezügen sein welcher unwürdigen Weise gebraucht werden." oder auf Papierservietten oder Taschentüchern gedruckt noch in irgend

Es ist strafbar, die Flagge mit Füßen zu treten oder fie irgend wie zu beschädigen, oder schimpflich oder verächtlich zu behandein, oder irgendwelchen Gegenstand oder ein Blafat oder eine Aufschrift darauf anzubringen oder daran zu hängen."

Alte oder ausgebrauchte Flaggen sollen nicht länger benutzt und in geziemender Weise verbrannt werden."

Gelöbnis an die Flagge: Ich gelobe Treue zur Flagge und zur Republik, für die sie weht. Ein einiges Volt, mit Freiheit und Ge­rechtigkeit für jeden."

Hier handelt es sich um die amerikanische Flagge. Und ihre fymbolische Bedeutung wird Zuwandernden näher gebracht. Wie wenig haben wir doch in Deutschland den gleichen Willen, die Farben der Weimarer Verfassung durchzusehen, auch nur deren Achtung bei den eigenen Bürgern zu erreichen? Man spotte nicht und meine, daß es weder auf die Fahne noch auf deren Farben ankomme, es geht in der ganzen Welt nicht nur darum, daß, ganz gleich in welchem Lande, die höchsten Löhne ge­zahlt werden aus Staatsgefühl, aus der Kraft fultureller Ge­meinschaft wächst der Wille zur sozialen Gestaltung. Nur diejenigen vermögen einen Staat umzuwälzen, zu dem ihrigen zu machen, die sich ganz als Miteigentümer dieses Staates betrachten. Und zum Eigentumsgefühl gehört die Fahne, sie ist ein Symbol des Willens, mit zu gestalten. Und deswegen achten und schützen mir roten Sozialdemokraten die Farben unserer Weimarer Ber­faffung.

-

Lehmanns Genugtuung.

Bon R. Krause.

Eigentlich heißt der Held dieser Geschichte nicht Lehmann. Aber seinen richtigen Namen will ich nicht nennen, weil die Geschichte wirk­lich passiert ist, und zwar in der Reichshauptstadt Berlin . Auch der Name Manste ist nicht richtig, der Mann heißt ebenfalls anders, aber ich will ihn nicht bloßstellen. Sie werden bald sehen, weshalb. Herr Manste wohnte in der Königgräßer Straße, Vorderhaus, eine Treppe. Er war Weinhändler von Beruf und verstand etwas von Weinen, wie er ständig mit dem Brustton der Ueberzeugung versicherte.

Unten, hintenhinaus, wohnten Lehmanns. Herr Lehmann war

|

Leh­

Portier. Auch er versicherte, etwas von Weinen zu verstehen. Allerdings nur von solchen, die mart felbft macht". Sie wissen schon, von solchen mit allen möglichen Sorten Weinhefen ." mann behauptete, daß seine Weine besser seien als die Manste= fchen, und Manske, dem dies zu Ohren gefommen war, ärgerte sich zur Rede und verbat sich ganz energisch, weiter solchen Unsinn zu sehr darüber. Eines Tages stellte Herr Manske sogar den Portier behaupten. Lehmann bat ihn, er möchte doch einmal seinen Lieb­frauenmilch aus Feigen probieren, aber Manske schüttelte sich und fagbe, da brächten ihn feine zehn Pferde dazu. Schließlich schied man so verärgert, daß Herr Manste ficher Herrn Lehmann gekündigt haben würde, wenn es sein Portier gewesen wäre. aber nicht, denn er wohnte selbst nur zur Miete.

Er mar es

Lehmann sann auf Rache. Die Gelegenheit hierzu bot sich ihm daß Manske Weinhändler mar und etwas von Weinen verstand, ge­bald, und er führte einen Plan aus, der in Anbetracht der Tatsache, radezu teuflisch zu nennen war. Er verbündete sich mit dem Küfer des Herrn Manste und bat diesen einmal, wenn bei Manstes wieder probiert würde, eine Flasche seines Weines mit einzuschmuggeln. Ueber das ,, Wie" hatte Lehmann seine eigenen Ansichten. Tatsäch­lich wurde bereits am nächsten Tage im Borderhaus probiert, und zwar zufälligerweise Liebfrauenmilch . Der Küfer hatte eine Flasche heraufgeholt, diese entkorkt und fein säuberlich im Eistähler zu seinem Brotgeber gebracht. Nach einer Viertelstunde bekam er den Auftrag, eine weitere Flasche derselber Sorte vorzubringen. Er nahm die leere Flasche mit zurück und wollte gerade in den Keller steigen, als ihn Lehmann abfaßte. Mensch" sagte Lehmann, hol ruhig die andere Flasche rauf, aber inzwischen füll ich in die leere Flasche meinen Liebfrauenmilch aus Feigen und den bringst Du dann zu Mansken." Küferkarl meinte, das fönne ihm Kopp und Kragen" fosten, aber Lehmarn sagte: Wenn sie wirklich wat merken, denn sagste, det de die beeden Pullen vawechselst haft, id hette vor dir de leere mit meinen Wein gefüllt, und die hettste in die Rasche jejriffen."

"

Und also geschah es. Küferkarl hatte zwar etwas Angst­Bammel", sagte er I aber er tat nach Lehmanns Rat und brachte als zweite Flasche die erste, die mit Lehmanns Feigen- Liebfrauen milch gefüllt war. Und nun kam das, was Lehmanr später immer

als Klamaut" bezeichnete:

Nach etwa 5 Minuten wurde Küferkarl zu Herrn Manske be­ordert. Karl." sagte Herr Manske ,,, was war das mit dem vorigen Wein?"" Karl fragte: Mit dem vorrichten?" Jawohl," jagte Herr Manste, haben Sie den aus demselben Fach wie diesen ge­nommen?"" Na jewiß doch, Herr Manske," meinte Karl mit dem Brusttor der Ueberzeuung. Karl, daß ist einfach unmöglich, die sind wie Tag und Nacht." Dies muß entschieden ein 87er sein, der passiert?" Da ging Karl ein Licht auf: Manske glaubte, daß Leh­andere wird der 24er sein, der Unterschied ist zu groß, was ist da manns Wein der ältere und bessere sei!! Nun sollte fein Freund Lehmann glänzend gerechtfertigt werden. Und deshalb lat er um so dümmer, je heller ein Berliner ist, und sagte, indem er ganz verzweifelt tat. Ach herrjeh, Herr Manske, da hob if wahr. haftig die falsche Bulle erwischt, det mar ja der Wein von Lehmann, den er mir zum Kosten rübergebracht hatte." ,, Was, die erste Flasche war das Zeug von Lehmann? Pfui Teufel! Wie konnten Sie nur solches Zeug trinken?"" Nee, nee, Herr Manste, erstens habe id et ja gar nich jetrunken, sondern Sie, und zweitens mar nich de erste, sondern de zweete Bulle die von Lehmann. Idk wer man schnell die richtje holer, ufijezogen is se schon."

Manste saß starr. Seine beiden Geschäftsfreunde bogen vor Lachen. Und das Ende vom Liede war, daß Lehmann hinzuge zogen wurde und noch mehrere Flaschen seines Selbstjemachten" spendieren mußte. Nachher drückte Herr Manske unserem Lehmann einen neuen Zwanzigmartschein in die Hand mit der Bitte, doch über diese unliebſame Affäre zu schweigen. Lehniann tat dies auch. Ich habe diese nette Geschichte selbst als einer der Besucher mit­erlebt und fann daher nicht umhin, sie hiermit zum besten zu geben, allerdings, mie eingangs gejagt, unter Abänderung der Namen. Prost, Herr Manste!

-