Einzelbild herunterladen
 

7. Beilage ües vorwärts

Mittwoch, 11. November 1925

müsegärten eine wirkliche Oase nnb ein anmutiges und ländlich anmutendes Bild, einen Uebergang zum Park einerseits und zum Grunewald andererseits, obgleich die dort errichteten Riesenbauten glücklicherweise noch nicht zu dutzendftöckigen Häuf ermonstrositäten aufgebläht sind. Auf dieser Laubenkolonie haben vor vielen Jahren Bewohner aus allen Berufskreisen sich eine Heimstätte errichtet. Hier sah man bis in die letzten Tage Schwerkriegsbeschädigte, in Ruhestand getretene ehemalige Beamte, alte Ehepaare, oh mit ihren Enkeln, jüngere Leute mit ihren Kindern, ehemalige Lehrer oder Musiker, kleine Bürger und Arbeiter ihren Kohl bauen und glücklich, die unerschwingliche Sommerreise an Ort und Stelle ersetzen zu tonnen. Aus eben diesem Terrain hat unsere volksireundliche Post« Verwaltung beschlossen, ein Verwaltungsgebäude zu errich« t e n, für das gerade ausgerechnet an dieser Stelle eine unabweis- bare Notwendigkeit gewesen sein soll. Und damit ist das Schicksal des Litzenseeparks besiegelt. Der Park nämlich liegt stellen- weile bis zu 8 Meter unter dem Straßenniveau, erhält Licht, Luftbewegung und Sonnenwärme, solange dieses Trias nicht durch Bauwerke abgeschlossen wird. Obwohl uns schon auf der Schulbank gelehrt wird, daß jede Pflanze, vom Grashalm bis zur höchstragenden Eiche, ohne Licht, Sonnenwärme und Luftbewegung nicht bestehen kann, so scheint doch in den maßgebenden Kreisen dieses Sch.lwissen nicht zu bestehen. Und somit bleibt es dabei. Die Postverwallung hat vielleicht noch nichts von Dolksgesundheit und Volkswohl gebort. Wir wollen aber die Lelesenheit der hier ausschlaggebenden Männer nicht anzweifeln, obwohl keine akademische Bildung zu diesem Schulwissen gehört, denn sonst müßten sie wissen, daß in einer Millionenstadt jeder Baum, jedes Stück Rasen dazu beiträgt, die Gefahren einer durch Rauch, Staub und Schmutz vergifteten Atmosphäre z» verbessern.

Oer Potsdamer Prozeß. Zw?i Tage Ruhepause. Zu der gestrigen Nachmittagssitzuna war der Andrang wieder ungeheuer. Es wurden die beiden Nichien der Gräfin aufgerufen, die löjährige Elinor v. Pourdzinski und die 18jährige Lonni v. Pourdzinski. Erstere machte von ihrem Zeugnisver. weigerungsrecht Gebrauch, die zweite Zeugin, Lonni, plau- derte allerlei. Die angeklagte Gräfin fuhr eines Tages nach Berlin mit einem Kofier zu Jsraelski, angeblich mit Kinderwäsche für eine gräfliche Familie. Es stellte sich später heraus, daß in dem Koffer Teppiche gelegen haben. Diese Zeugin hat den Brief der angeblich sterbenden Frau im Briefkasten gefunden und sie hat auch dem Hausdiener Stangen bei seinem Besuch geöffnet. Die Zeugin führte ihn gleich in den Salon. Vors.: Ist das so üblich, daß jeder fremde Mann bei der Gräfin in den Salon geführt wird? Zeugin: Sonst ja nicht, aber der sah ja ganz gut aus. Stangen hätte dann gleich vom Polziner Diebstahl angefangen und seinen Besuch ein- oder zweimal wiederholt. Die Zeugin erzählte manches, was für die Angeklagte unbeq em werden könnte. So hat Frau v. Bothmer dieser Zeugin das Silber und kostbare Decken, olles Erbstücke, aus den Spinden genommen und einfach versetzt. Lonni war sehr erstaunt damals, ihre Sachen auf der Kriminalpolizei wiederzufinden. Gestern in der Hauptverhandlung war alles verziehen. Ihre Tante, die Angeklagte, konnte sich iür berechtigt halten, zu versetzen. Ein hochwichtiger Trauerhut mit langem Schleier, der immer im gräflichen Hause vorhanden war und im Prozeß ein wichtiges Be> weisstück gegen die Gräsin werden könnte von wegen der Beichte in der Bonijaziuskirche in Berlin , wurde von der Gräsin als ge- stöhlen gemeldet. Die Hausangestellte Emma Schulz, die so de- lastend gegen die Gräfin vormittags aussagte, bekundet dem Gericht, daß sie gleich nach der ersten Haussuchung von der Angeklagten e n t- lassen worden sei. Diese Zeugin hat die Zeitung gefunden, aus der das WortPräsident* a: sgeschnitten war. Zeuge Schiller- Berlin bekundet, daß die Angeklagte ihm einmal Silber und anderes angeboten habe. Schiller hatte auf der Potsdamer Kriminalpolizei sehr eingehend über dieses Silberangebot Angaben gemacht. Gestern erschien der Zeuge etwas gedächtnisschwach. Schiller hat seinerzeit einen Brief von dem Graten Adolf v. Bothmer(einem Schwager der Angeklagten) erhalten. Angeklagte v. Bothmer: Ja, ich brauchte damals Geld sür einen neuen Mantel und Kleider. Das Silber war von meiner Mutter und im übrigen war mein Dater außer Generalstabsarzt im Privatberus Goldarbeiter. (Lochen im Saal.) Der Staatsanwalt teilte im Laufe der Vorhand- lung mit. daß ihm gemeldet worden sei, daß jemand Fräulein Lonni v. Pourdzinski mit einem Koffer zum Heiligen See habe gehen sehen, und zwar einen Tag vor dem mysteriösen Silbersund in der Nähe des Marmorpalais. Diese Aussage soll in der nächsten Der- Handlung, die am Freitag stattfindet, nachgeprüft werden.

Der Stuöent und Sie Friseuse. Menschen, die vom Wege abkommen. Eigentlich haben die Beiden nichts miteinander zu tun. Sie kennen sich wahrscheinlich gar nicht. Nur ihr beider Schicksal, da? sie auf jene Wege trieb, die alle einmal früher oder später vor dem Gericht zu enden pflegen, ist sich ähnlich. Von beiden behaup- ten die medizinischen Sachverständigen, daß sie geistig nicht sür vollwertig zu erachten sind, teils schon in Nervenanstalten waren, teils dem Z 51 schon bedenklich nahe gestanden haben. Der Student der Mathematik Rudolf P. ist 24 Jahre alt. Schon als Obersetundaner kommt er mit den Gesetzen in Konflikt, S Monate Gefängnis sind die traurigen Folgen. Der leicht- sinnige junge Mann hatte viel Glück. Niemand erfuhr etwas von seiner Vorstrafe, ja, er konnte sogar vor einer Prüsungskommission das Abiturium ablegen und bestehen. Er bezieht die Universität und studiert Mathematik. Als er wieder einmal die Gewalt über sich verliert, wahrscheinlich in Gemeinschaft mit einem Kollegen, muß er nochmals eine Gefängnisstrafe, diesmal von 6 Monaten, über sich ergehen lassen. Daß alle beide Ver- fahren� später niedergeschlagen wurden, weilberech- tisite* Zweifel an seiner geistigen Zurechnungsfähig- k e i t entstanden, ist deshalb sehr interessant, well P. trotzdem wieder die Universität mit seinem Besuche beehrte und weiter Mathematik studierte! In diese zweite Studienzeit fallen nun seine neuesten Straftaten. Im Studentenheim hat er seine eigenen S t u d i e n g e n o s s en auf jede erdenk- l i ch e W e i f e b e st o h l e n. Als der Angeklagte entlarvt wurde und bei ihm die wertlose ften Gegen st ände vorgefunden wurden, die er sorgfältig auf dem Boden versteckt gehalten hatte, tauchten wieder jeneberechtigten Zweifel* an seinem Geisteszustand auf. Der Staatsanwalt verlangte harte Bestrafung. Das Schöffen- gericht war aber noch einmal anderer Meinung. Da die Sach- verständigen den Studenten der Mathematik für einen Psychopathen hielten, kam der Angeklagte recht milde davon, er erhielt 7 Monate Gefängnis, und da er schon 9 Monate lang in Unter- suchungshoft sitzt, gilt die Strafe als verbüßt. Die kleine schmächtige Friseuse Margarete B. hatte vor dem Schöffengericht Charlottenburg nicht ganz so viel Glück. Sie stammt von einer nervenleidenden Mutter, war selbst viel krank und längere Zeit in einer Nerven- Heilanstalt. Im Untersuchungsgefängnis soll sie sich wie ein ungezogenes Kind benommen und ständig über die kleinsten Sachen Beschwerden eingereicht haben. Der Gefängnisarzt, der die An- geklagte beobachtet hat, hält sie für hysterisch und geistig auffallend zurückgeblieben. Angeklagt ist die B. wegen mehrerer Betrügereien, durch die sie sich Garderobe und in zwei Fällen Beträge von ins- gesamt 17,50 Mark erschwindelt hat. In den geschädigten Geschäften gab sich die Angeklagte für die Nichte einer bekannten Kundin aus. die sich mehrere Kleider zur Ansicht erbat. Schickten die Inhaber einen Boten mit, so mußte dieser vor der Haustür warten, während die B. durch eine andere Tür mit den Kleidern verschwand. Die Friseuse, die sich noch längere Zeit als Gelegen hestsarbellerin betätigte, dann aber keine Stellung mehr fand, legte ein r e u m ü t i g e s(3 e st ä n d n i s ab, sie wollte in bitterster?tot gehandelt haben. Das Gericht folgte wohl dem Urteil des Smh- verständigen insoweit, als es die Angeklagte für minderwertig hält. Da sie aber schon vorbestraft sei und auch eineverbrecherische Neigung unverkennbar vorläge*, dürfe die Strafe nicht zu gering ausfallen. Urteil: Die Angeklagte wird zu einer Gesamtstrafe -von 1 Jahr Gefängnis und zum Verlust der bürger- lichen Ehrenrechte aus die Dauer von 3 Iahren ver- urteilt, 2 Monate werden auf die Untersuchungshaft angerechnet. War nun das Schöffengericht Berlin-Mitte gegen den Studenten zu milde oder das Schöffengericht Charlottenburg gegen die Friseuse zu hart?__ Bayern baut in Berlin ein BierhauS i Bekanntlich mag der Bayer, besonders der Südbayer und der Münchener , die Berliner nicht gut leiden. Die infame völkische Hetze, die 1922 und 1923 in München gegen Bertin getrieben wurde, vergißt sich nicht so schnell. Aber der bayerische Staat will vergessen machen, reicht über 899 Kilometer weg dem Berliner die rechte deutsche Bruderhand, und in der linken schwingt er einen echten Münchener HB.-Schoppen. Unmittelbar an der Stelle nämlich, wo die wenigen aus Bayern nach Berlin kommenden echten Bayern und die vielen aus Bayern zurückkommenden Berliner boarischen Buam und Madeln* wieder Berliner Boden betreten, am Anhalter Bahnhof , will der bayerische Staat ein echtes Mllnchener Hafbräu erstehen laflen, und die Münchener Firma Heilmann und Littmann, die einst Theater baute, soll in Berlin das Bräu bauen. Und zwar

Nr. 55? 42.�ahrgaag

Kohlrüben. Es läßt sich hundert gegen eins wetten, daß schon diese Ueber- schrift automatisch die Kriegstage herausbeschwört und den meisten ein Gefühl der Abneigung hervorruft. Das ist kein Wunder, denn für was die Kohlrübe olles herhalten mußte: Marmelode. Kaffee, Drotzusatz und was sonst, noch alles, außer dem täglichen Gemüse und Salat ohne ein bißchen Schmolz, gehört zu den traurigsten Kapiteln der Durchhaltejahre. Der Tisch der Besitzenden war besser gedeckt, hatte doch zum Beispiel der Durchhaltekaiser gleich sein ganzes Schloß zum Hamsterloger eingerichtet, doch das Volk dra' ßen und drinnen mußte sich kärglich mit Kohlrüben durchhelfen. Dabei verdient die Kohlrübe oder Wrucke, besonders die gelben Sorten, wirklich nicht den Abscheu, den sie bei den meisten erweckt, denn sie gibt gut geschmalzt ein vortreffliches Gemüse. Dach die verhaßte Erinnerung ist bei de« meisten stärker. Eher noch wissen sie die Wohlhabenden zu schützen, die sich an ihr nicht so überessen mußten. So war zu beobachten, daß in einer Kantine ausgezeichnet gekochte Kohlrüben fast überall eine Art Psychose hervorrief, die mehr oder weniger lebendig und drastisch sich in abwehrenden Worten äußerte. Diejenigen, die über die ersten Lössel hinwegkamen, aßen mit Appetit weiter, doch einige verließen nach dem ersten Lössel die Schüssel mit dem größten Widerwillen, ja, beinahe mit Brechreiz. Es ist merkwürdig, wie eindringlich hierbei in manchem die Ver- gangenheil lebendig wurde, gerade so, als ob sich im Gefühlsleben die ganzen Entbehrungen der Kriegsjahre auf die Kohlrübe konzen- rriert hätten. Ein psychologisches Moment, das einen beinahe in Versuchung bringen könnte, diktatorisch am Tage des Kriegs- beginns für die ganze Bevölkerung einen Kohlrübentag alten Musters, mit Kafjee und Marmelade aus Kohlrüben, fettlosem Kohl- rübengemüse. kurz, all dem Hungerelend der eisernen Zeit einzu- führen. Das gäbe eine Propaganda gegen den Krieg, die mehr als Worte wirken würde. Doch damit ist natürlich nicht zu rechnen, doch wenigstens in Gedanken sollte man diese Zeit einmal wieder herausbeschwören, denn die Menschhnt ist zumeist von einer Ver- geßlichkeit gegen Gewesenes, die, so glücklich sie an sich sein mag, sie doch viel zu wenig aus ihrer Geschichte lernen läßt.

Der park im Schatte«. Das Schicksal einer Großsladllunge. An dem schönsten Punkte der Stadt Charlottenburg befindet sich der Lietzenpark mit See. Wer einmal in dieser auch nach der künstlerischen Seite hin überaus gelungenen Stelle Umschau gehalten hat, findet ein Panorama, wie es selbst weder Paris noch Wien innerhalb seiner Mauern aufweisen kann. Wer einmal aus einer Bank dieses Parks dos schöne Waiserbild, den glatten Spiegel, dem hohe Häuser einen unvergleichlichen Rahmen geben, gesehen, wer einmal die große Zahl der Spaziergänger, spielende Kinder und aus den vielen Bänken beschaulich sitzende Aste oder jüngere Leute be- obachtet hat, empfindet es sicherlich immer wieder, daß man hier dem Länn der Großstadt wirklich entrückt ist. Man hat dann den Eindruck, daß Menschen aller Stände und jeden Alters dieses schönen Stückchens Natvr sich erfreuen. Und dies alles soll nun dem Untergang preisgegeben werden? Diese Oase in der Großstadthäuserwüste ioll zum Verschwinden ge- bracht werden! Nicht etwa, daß eines Tages eine Anzahl Arbeiter mit Säge, Art, Schaufel und Beil aui der Bildiläche des Ließen. seeparks erscheinen, um Bäume zu fällen. Sträucher auszuroden, Bänke zu entfernen, nein, so barbarisch geht man selbst setzt nicht mehr gegen ein Stück Bolksfreude vor. Das kommt erst später noch. Die Sache wird ganz anders angefaßt. Man bringt den Lietzensee- park langsam zum Absterben und in spätestens einem Jahrzehnt kann an Stelle des Parks unter Oberleitung unserer Postnerwaltung* zu einem zweiten solchen Gebäude, sür welches e-lsdann das Bedürfnis vorhanden sein wird, geschritten werden. Denn der Park ist bis dahin völlig abgestorben, der See ausge- trocknet und versumpft, und in den nächsten 15 oder 29 Iahren wird keiner mehr glauben, daß zwischen zwei Monstrumgebäuden einst ein schöner Erholungeplatz gewesen ist. Zwilchen Dernburg- und Herbart st raße befindet sich ein ziemlich großes Terrain Laubenkolonien. Seit etwa 19 Jahren haben dort eine Anzahl Umwohner aus einem wüsten Sandhaufen ein kleines Paradies geschaffen, aus Lauben. Blumen- und Ge-

Die Passion. Roman von Clara vicbig. Ich muß jetzt gehen," sagte cherr Katzte. strich das Mädchen über die Wange, winkte von der Tür aus noch einmal mit der Hand und ging ab. Olga hatte den Eindruck: der drückt sich. Finden Sie ihn nett, Fräulein?" fragte Lenchen plötzlich und hörte aus zu weinen. Olga war einigermaßen in Verlegenheit.Ich kenn« ihn ja so wenig." sagte sie ausweichend. Ich kenne ihn auch so wenig," sagte die andere.Hütt' ich gewußt, daß es so kommt, da hätf ich ihm was anderes gesagt, als er mich anquasselte an der Kranzlerecke. So'n Fettwanst, denkt bloß an sich!" Und dann fing sie an zu schimpfen, hemmungslos, so ohne Scheu alle Ausdrücke der Straße gebrauchend, daß Olga fassungslos zu ihr hinüber- starrte. Von jener dort war auf einmal alle Kindlichkeit abgefallen, all das, was Olga, war sie erst noch so zurück- gestoßen, immer wieder mit ihr aussöhnte: schade um dieses Mädchen! Aber in einem hatte die recht: Herr Katzke war widerlich. Sie fühlte einen Zorn gegen diesen Mann, einen Zorn, der viel, viel größer war als der, den sie auf Manfred hatte. Ach. der war doch ein anderer Mensch gewesen! Er hatte ihr zwar auch nicht beigestanden in ihrer Not. er hatte sie verlassen, feige im Stich gelöstenfeige", das sagte sie sich alle Tage vor. aber er war hundertmal eher zu ent- schuldigen als dieser wohlgekleidete behäbige Mann, der sickzer in den Derhältnisten war. all das wenigstens, was mit Geld leichter zu machen war, auch leichter zu machen. Und der kein junger, hilfloser Mensch mehr war, so einer wie Manfred. der selber nicht aus noch ein wußte. Ach, sie sah Manfreds Gesicht plötzlich vor sich, seine ganze Jugend, seine erschrockenen Augen, sah seine Verstörtheit, hörte die Verzweiflung aus seiner Stimme:Was sollen wir tun?!" Ach. und er hatte sie doch viel lieber gehabt, als jener Kerl dort das Ding hatte.O Gott, was machen die Männer aus uns," murmelte sie vor sich hin und fallet« dabei khre Hände. Fräulein, was sagten Sie? Sie haben ja�die Hände gefallet, beten Sie?" tönt« die Stimm« von drüben.

Nein." Es klang herb.Wozu beten? Ich habe so viel gebetet: jetzt bete ich nicht mehr." Nehmen Sie's nicht übel, ich dachte," sagte Lenchen wieder in ihrem früheren gutmütigen Ton.Ach, Fräulein, ich fühle mir ganz scheußlich. Ach, Fräulein, ich habe Angst! Ach. Fräulein Olga, darf ichdu" zu Ihnen sagen?"

Olga Wilkowski fand im Atelier des feinen Modebasars in der Leipziger Straße das heißt in der Nähstube Beschäftigung. Lenchen hatte ihr noch einen Zettel für den Nayonchef geschrieben und gesagt, den solle sie da nur abgeben. So"gekritzelt diese Empfehlung auch war und so fehlerhaft die Orthographie, die Arbeitsuchende wurde vorgelasten. Also Schneiderarbeit?" Jawohl." Wo haben Sie schneidern gelernt?" In meiner Heimat." Haben Sie Zeugnisse?" Nein." Sind Sie selbständig tn der Schneiderei?" Ich verstehe alles." Sie können bei uns eintreten als Zuarbeiterin. Zwan.zig Mark die Woche. Anfang morgens acht eine Stund« Mittag Schluß: abends sieben. Was darüber ist, wird als lieberstunde bezahlt." Jawohl." Sie brachte es kaum heraus, der Schrecken verschlug ihr die Stimme: zwanzig Mark die Woche, wie sollte sie davon sich und das Kind ernähren?! Wenn sie Ueber- stunden machte, dann konnte es vielleicht glücken. Aber würden Ueberstunden zu machen fein, Und wo sollte sie das Kind lasten? Das alles schwirrte ihr durch den Kopf und betäubte sie fast, sie hörte kaum, daß der Nayonchef noch fragte:Wird Fräulein Lenchen bald wider kommen?" Da würde der wohl noch lange warten müssen. Das arme Lenchen! Mit Schaudern dachte Olga an jene Nacht zurück, die sie mit der in unendlichen Qualen sich Windenden, in ihrer Pein sich an sie Ankrallenden in der muffigen Hinter- stube zugebracht hatte. Die Lehmann ging ab und zu, tröstete. schimpfte, war ziemlich ratlos, ging in ihr Küche, braute sich «inen Kaffee, um wach zu bleiben, setzte sich, nur einen Augen- blick wje sie meinte, auf ihre Lagerstatt und Mief, trotz des Kaffees, fest ein. Sie war alt. Ganz allein wachte Olga bei der in verzweifelter Not Vergehenden. Es grauste sie. Sah

so vielleicht der Tod aus? Fast schien es ihr so. Scheu sah sie hinter sich: im bleichen Schein der Lampe bewegt« sich ihr Schatten riesengroß an der Wand, und es kam ihr vor, als sei da noch ein anderer, ein Dritter. Sie bewegte sich der Dritte nickte. Sie beugte sich über die Ringend« der Dritt« beugte sich auch. Berlass mich nicht," keuchte Lenchen. Ich verlast' dich nicht." Ich will nicht sterben!" Du stirbst ja nicht." Doch, ich sterbe. Ich will ja auch gern sterben. Ich halt's nich mehr aus!" O Gott, was machen die Männer aus uns, dacht« wieder- um Olga. Zuletzt mußte man doch den Arzt holen, die Lehmann hatte eilen müssen. Der Morgen graute mit trübem, traurigem Licht. Der Doktor schwitzte, die Lehmann schwitzte, Olga zitterte, die kleine Eva wimmerte. So unruhig war die noch nie gewesen, sie bäumte sich wie in Krämpfen, sie streckt« ihre Händchen aus, als wehre sie sich vor etwas. Lenchen war still geworden, beängsttgend sttll. Auf einer Bahre war sie dann in den Wagen der Ret- tungsstelle geschafft worden. Sie war von einem Knaben entbanden woroeu, dessen Körper behaftet war wie der eines Aussätzigen, und lebend war er schon nicht mehr gewesen. Die Lehmann hob höchst überrascht und ganz außer sich beide Hände:Rich zu glauben! Na. ich sage schon, sollte der Katzke" weiter sprach sie ihre Befürchtung nicht aus. Sie sagte nur nach einer Weile:Die hat ober n Pech!" Olga, noch schwach auf den Füßen, übermannt von Er- müdung und Anstrengung, sah sie an nnt ganz verglasten, stieren Augen: was meinte die Lehmann, wie wqr das zu verstehen?! Halb ohnmächtig sank sie aus ihren Bettrand. Sie hatte die Lehmann nicht verstanden und auch das nichl, was der Doktor zu der gesprochen hatte, aber es war etwas in ihr aufgedämmert, das ihre Seele wie ein düsteres Geheimnis beschattete. Sie wußte das nicht zu benennen, was sie entsetzte war es Berbrechen, Unglück, etwas, das heran- schlich und die Menschheit anfraß wie ein giftiges Tier? Rur unklar und sich selber noch unbewußt, ahnte sie es und fürch- tete es. (Fortsetzung folgt.)