Nr. 543» 42.7ahrgang
1. Heilage öes vorwärts
Vkenstag, 17. November 1925
�as Deutsche Houpt-Telegraphenamt li lieft in diesen Tagen auf sein ISjähnges Bestehen zurück. Seine Geschichte ist eng verwachsen mit der Entwicklung des modernen Nachrichtenwesens. Gerau«: jetzt werden wir fast von Tag zu Tag daran erinnert, das; die Technik in erstaunlich kurzer Zeit eine �öhe erreicht hat, die unseren Groß. vätern sicherlich unmöglich erschienen wäre und ir r wiss.n. dah alles bishu Erreichte nicht den letz.-r. Stand der Entwicklung darstellt. Die moderne Nachrichtenübermittlung arbeitet unablässig. Sie er- reicht dabei einen Wirkungsgrad, der immer die höchste Bewunderung und Anerkennung hervorruft. Unübersehbar ist die Zahl der Nach- richten, die täglich über Drahtleitungen und Kabel, oder durch den Aether geiagt werden. Unablässig wird daran gearbektet, das Tempo dieser Iago zu steigern und es hat den Anschein, als ob der Mensch nach Allwissenheit strebe. Für Deutschland , ja sogar für Europa ist das Haupt-Telegraphenamt in der Oranienburger Straße cherz und Hirn dieser Nachrichtenjagd. Tag und Nacht wird hier ge- arbeitet, um den Bedürsnissen der ewig neuigkeitshungrigen Mensch- heit zu genügen. Die Zentral-Tdegraphen-Ttation. Der den weiten Betrieb des fjaupt-Telegrophenamtes durchwandert, erhält einen tiefen Eindruck von der Größe und Wichtig- keit dieses Instituts. Man muß sich daran gewöhnen, nicht nur das Haus und seine groharligen technischen Anlagen zu sehen. Dieses Ge- bäude wächst durch die zahllosen Drähte, die Deutschland über- spannen und seine Städte miteinander und über die politischen Grenzen hinweg mit dem Auslands oerbinden, weit über seine Um- sassungsmauern hinaus. Und doch, wie klein, wie unscheinbar sind die Ansänge dieses Großbetriebes gewesen. Ein mehr als bescheide- ner Hosroum im Hauptpostgebäude in der Königftraße Nr. 60 war seine Wiege. Nur 14 Beamte arbeiteten in dieser.Zenlral-Tele- graphen- Station", die man wohl nur als ein Anhängsel des übrigen recht umfangreichen Postbetriebes betrachtete..Jüns Telegraphen- Unien, die der Potsdamer-, Anhalter-, Stettlner- �und der nieder- schlesisch-märkischen Eisenbahnstrecke folgten, wurden von hier aus bedient. Die Linien waren mit elektrischen Zeigertelegrophen aus-
gestattet, trotzdem bereits 1848 die Linie Hamburg -Cuxhaven mit den vollkommeneren Morseapparaten ausgerüstet war. Alle bis dahin gebauten telegraphischen Anlagen, mochte es sich um optische oder um die ersten elektromagnetischen Telegraphen handeln, waren ausschließlich dem Staat vorbehalten. Erst am 31. August 1849 wurde die Benutzung der lelegraphenlinien der Allgemeinheit er- laubt. Dabei schloß aber der hohe Preis eine zu rege Benutzung durch Privatpersonen aus. Ein Telegramm kostete bis zu 16 Worten nicht weniger als 4,50 M., für je weitere 7 Worte wurden 1,26 M. Zuschlag erhoben. Zur Nachtzeit wurde bis Mitternacht di« doppelte und dann sogar die dreifache Gebühr verlangt. Mehr als 166 Worte zu telegraphieren war überhaupt untersagt. Die Telegraphier-
aeschwindigkeit der Zeigertelegraphen reichte bald nicht mehr aus. Die Zentral-Telegraphen-Statioy ging daher bereits im ersten Jahre ihres Bestehens zum Morsebetrieb über. 1852 waren alle Linien den Fortschritten der Technik entsprechend umgestaltet. So un- bedeutend der erste Telegraphenbetrieb anmuten mag, so erkannte man doch bereits, daß er berufen war. die nationialen Grenzen zu sprengen. 1856 wurde der Deulsch-Oeslerreichlsche Telegraphen- verein gegründet, dem Preußen, Ocstereich und Sachsen angehörten. Diese zwischenstaatliche Verbindung wurde später durch' Belgien und Frankreich und bald darauf durch Ruhland erweitert. Infolge der geographischen Lage Deutschlands wurde die Zentral-Ielc- graphenflalion jetzt der ZNitlelpunkt de» gesamten europäischen Telcgreaphenwesens.— Die ersten Leitungen waren unterirdisch ver- legt. Allein das brachte bei der mangelhailen technischen Durchbil- dung zahllose Betriebsstörungen mit sich. Die Isolation der Drähte bestand aus vulkanisiertem Guttapercha. Der Schwefel dieser Mast« ging mit dem Kupfer der Leitungen eine höchst unerwünschte Ver- binoung ein. die die Isolierung des Guttaperchas aufhob. Dazu kamen dann noch andere Mängel, die die Telegraphenoerwaltung zwangen, ihr Leijungsneh oberirdisch zu verlegeiü Das brachte zu- nächst eine wesentliche Erhöhung der Betriebssicherheit, dann aber auch die Möglichkeit mit sich, statt der teuren Kupferleitungen Eisendrähte von 3 bis 5 Millimeter Durchmesser zu verwenden, die ein« erhebliche Berbilligung der Anlagekosten mit sich brachten. Aber mit den Fortschritten der Technik kehrte man wiederum zur unter- irdischen Leitung zurück. Als man es gelernt Hatte, die Kabel ein- wandfrei zu isolieren, wurde aus strategischen Gründen wiederum
beschlossen, das gesamte Leitungsnetz unterirdisch zu verlegen. Dos geschah in den Jahren 1876 bis 1881 mit einem Kostenaufwand von 36 Millionen Mark. 256 deutsche Städte wurden so miteinander verbunden. Bei dieser Gelegenheit möge erwähnt werden, daß das erste deutsche Unterseekabel bereits im Jahre 1854 zwischen Stralsund und der Insel Dänholm verlegt wurde. Das flmt in üer Zranzoftschen Straße. Fast ein halbes Menschenalter arbeitete die Telegraphenverwal- tung in der Königstraße. Manche technische Verbesserung wurde in dieser Zeit durchgeführt und mit dem Anwachsen von Handel und Verkehr nahm trotz der hohen Tarife di« Zahl der übermittelten Telegramme ständig zu. Vor allem der Börsenverkehr hatte«ine ungeahnte Zunahme erfahren. Die alten Räume in der König- stroß« genügten den gesteigerten Anforderungen längst nicht mehr, als endlich eine großzügige Aenderung beschlossen ward«: Im Jahre 1963 übersiedelte die Telegraphenstalion in das heute so altertümlich anmutende Gebäude in der französischen Straße. Schon damals wurde es als ein schwerer Uebelstand empfunden, daß für das An- und Abliefern der Telegramme zu viel Zeit benötigt wurde. Das machte sich besonders im Telegrammverkehr der Börse unangenehm fühlbar und darum wurde 1865 zum erstenmal eine Rohrpostanlag« bei Siemens und Halske in A'. ftrag gegeben, die von der Expedition in der Zentral-Telegraphen-Station zur Expedition im Börsen- gebäude führen sollte. Das war der Anfang des jetzt so weit ver- zweigten Berliner Rohrpostnetzes, das in naher Zukunft nach modernsten Grundsätzen noch erheblich ausgebaut werden soll. Als 1878 ein neuer großer Apparatesaal eingerichtet wurde, arbeiteten hier neben 36 Typendruckmaschinen von Hughes 164 Morseapparate für den Fernsprechverkehr und 46 Morseapparate für den Stadt- oerkehr. Von jetzt ab trat die Wichtigkeit der telegraphischen Nach- richtenübermittlung immer deutlicher hervor. Der Platzverkehr der Zentral-Telegraphen-Station wuchs von Jahr zu Jahr. Die Ab- teilung II des Reichspostamtes, die mit ihm die Räume in der Französischen Straße teilte, mußte 1876 nach der Leipziger Straße übersiedeln. Bon Zeit zu Zeit machten sich Ilm- und Anbauten notwendig, bis endlich jede Erweiterungsmöglichkeit erschöpft war. Im Jahr« 1916 wurde mit dem Bau des jetzigen Gebäudes in der Oranienburger Straße begonnen. Im neue» Heim. Trotz der Kriegsjahre und der dadurch bedingten Borzögerungen tonnte bereits 1916 ein Teil des Haupt-Telegraphenamtes, wie es sich seit 1876 nannte, in das neue Gebäude übersiedeln. Seit dem 1. November 1918 ist der, gesamte Betrieb hierher verlegt worden. Nicht weniger als 1665 Leitungen sind hier vereinigt. Davon dienen 948 dem Inlandverkehr und 57 dem mit dem Auslande. Direkte Auslandsdrahtverbindungen bestehen mit folgenden Städten: Ant- werpen, Brüssel . Fredericia , Kopenhagen . Danzig , Wien , London , Paris , Straßburg . Rom , Mailand , Amsterdam , Haag, Rotterdam , Ri({a. Oslow, Posen, Thorn, Warschau . Gotenburg. Malmö , Stock- Holm, Helsingfors , Basel , Zürich , Budapest , Brünn , Prag , Bukarest . Konstantinopel . Odessa . Teuris, Tiflis , Teheran . Durch funk- linlen sind über Königswusterhausen als Sendestelle und Zehlen- dcrf als Empfangsstelle folgend« Städte mit dem Haupt-Telegraphen- amt verbunden: Sofia . London , Hopsal, Bukarest , Oradeamore (Peterwardein ). Serajewo, Belgrad . Budapest , Moskau , Barcelona . Wien , Rom und Riga . 1922 wurde die Betriebszentrale der Trans- radio-A..G. für drahtlosen Ueberseenerkehr in dem Gebäude des Haupt-Telegraphenamtes untergebracht. Durch ihre Vermittelung wird der Funkverkehr über Nauen mit New Bork, Buenos Aires . Abuß-Zabal sin Aegypten ), Mukden und Java aufrechterhalten. Ein Heer von 2066 veamlen. deren Dienst so geregelt ist, daß der Betrieb Tag und Nacht aufrechterhalten weiden kann, sind zur Abwicklung des unerhört gesteigerten Telegrammverkehrs, der heute di« Zahl von 166 666 pro Tag, einschließlich 34 666 Auslandstele- gramme, übersteigt, tätig. Das Haupt- Telegraphenamt ist auch Uebertragungsstation der großen 8652 Kilometer langen Tele- graphenleitung London -Wien , die 1876 tn Betrieb genommen wurde und 1969 bis nach Eurrachee in Indien verlängert wurde. Bei der Organisation des neuen Haupt-Telegraphenamtes ist vor allem Beoacht genommen, menschliche Arbeit, soweit es irgend denkbar ist, durch mechanische zu ersetzen. Rohr-, Band- und Seilpost beför- dern die Telegramme innerhalb des Gebäudes zu ihren Bestim- mungsorten, Telegraohiersysteme aller Typen sind in den Dienst genommen. Und wieder steht das Amt vor neuen großen Aufgaben.
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"Die Passion. Roman von Clara Vitbig.
Und so geschah es. Nach einer Auseinandersetzung mit Stefan, die sich bis zu einem erregten Wortwechsel steigerte, halte sich Olga gefügt. Manchen kleineren Stoß hatte die Liebe zu ihrem Bruder schon bekommen, ein Riß war bisher nie dagewesen, dazu erkannte Olga zu sehr an, was er für sie getan, nun aber war einer da. Noch zeigte er sich freilich nicht an der Oberfläche, die erschien noch glatt. Olga begleitete den Bruder zum Nachtzug und trug ihm solange den Kranz, der groß war und schwer und duftend von kostbaren Lilien und Tuberrosen. Aber als sie dem Zug nachblickte, der den Sohn zu dem toten Bater hinbrachte, nach dem er nicht mehr viel im Lebtn gefragt hatte, und sie, die Tochter, die viel, viel mehr am Vater gehangen, die gerade in letzter Zeit so viel an ihn gedacht hatte, hierbleiben mußte, bäumte es sich in ihr- Schmerz, Empörung, Trotz. Am liebsten hätte sie ihre Eva von den Wilkowskis weggenommen, wäre mit ihr fort weit fort, hätte sich nie mehr sehen lassen in der Alexanderstraße. Aber das ging ja noch alles nicht.-- ffrau Ella trug Schwarz. Auch für Gretchen sollte Olga etwas Schwarzes zurechtschneidern: es ging doch nicht an, daß so ein aroßes Mädchen noch im bunten Kleid herumlief, wenn der Großvater gestorben war. Wenigstens sechs Wochen soll* sie trauern, und das tat Gretchen auch ganz gern, denn ihrer blonden Hübschheit stand das Schwarz aus- gezeichnet. Es gab Olga einen Stich durch Herz, als sie am nächsten Sonntag ihrer Eva das mit besonders mel Rot karierte schottische Kleidchen anzog. Sie hatte das Kind sonst immer so gern in dem Kleid gesehen- aber jetzt, war jetzt Eva nicht viel eher berechtigt, m Schwarz zu gehen, als das Mädchen, das den Großvater, den es betrauern sollte, mcht bekannt, gar nicht verwandt war?!„. „Dein lieber Großvater ist gestorben, sagte sie weinend zur kleinen Eva. � Die machte ihr ernsthaftestes Gesicht— gestorben, was war das: gestorben? Sie war noch zu rlkm, als daß wun ihr das hätte erklären können, aber der stete Ernst, der über ihr lag. paßte zu den Tränen der Mutter. Es war, als ob sie diese Tränen verstünde— alle Trauer verstünde.— ..'n komisches Kind,' sagte Frau Ella immer.„Sei doch nicht so tranig, immer'n bißchen vergnügt!«ie wollte die Kleine aufmuntern. Aber Eva hatte die Tante nicht gern;
sie war wie ein scheues Tierchen. Nur bei Albert und Irma taute sie auf, da wußte sie etwas zu sagen. „Sie ist mächtig helle/ sagte anerkennend der Wil- kowskische Stammhalter. Er war ein gutmütiger Junge, sah seinem Bater ähnlich und hatte auch im Wesen manches von dem. Olga hatte Gretchen gebeten, Sonnabends ihrer Eva die Haare immer in Lockenwickel zu drehen, dann waren sie zum Sonntag so wunderschön, dafür tat sie dem Mädchen ja auch manchen Gefallen. Aber es war der Halbwüchsigen unbe- quem, sie riß unlustig an den Haaren der Kleinen herum, und wenn die sich auch gar nicht muckte, nur unwillkürlich zusammenzuckte, schrie sie doch gleich:„Halt stille!" Das zahlte ihr aber Albert heim. Er boxte die ältere Schwester, sowie sie nicht freundlich mit Eva verfuhr, sprang ihr behend auf den Rücken, bearbeitete sie so mit den Fäusten, daß sie laut schrie und die Mutter ihr zu Hilfe eilen mußte. Es endete dann mit einer Tracht Prügel für Albert und einer Unstimmigkeit zwischen den Eheleuten. Der Junge hatte beim Bater geklagt. „Nichts wie Aerger hat man von der Jähre," sagte Frau Ella. Mit der„Jähre" meinte sie das Kind, das nicht zu ihnen gehörte. Und die kleine Eva hörte es und verstand es. 7. Fräulein Helbling, die langjährige Direktrice im Mode- basar, war abgegangen, sie hatte noch einen Mann bekommen. Olga war Direktrice geworden. Die ganze Nähstube staunte: und so was ohne Protektion, weder von einem der Inhaber, noch vom Rayonchef! Das war etwas ganz Erstaunliches. Noch nicht sechs Jahre arbeitete die Wilkowski hier, und schon war sie ihnen übergesetzt! Aber sie neideten es ihr nicht; das Gefühl der Kollegialität, das sie verband, war stark genug, um jeden Neid zu unterdrücken. Die Wilkowski war ja auch wirklich sehr fleißig und besonders geschickt, und dann lag auf ihr etwas Unerklärliches, das die einen mit Teilnahme, die anderen mit Neugier erfüllte. Sie sprach nicht viel, sie lachte nicht viel— warum nicht? Und warum hatte sie keinen Liebhaber? Sie sah ja noch recht nett aus und immer schick. Daß Fräulein Wilkowski ein uneheliches Kind hatte, das war doch weiter kein Unglück, und als Scstande betrachtete es hier niemand. Olga hatte niemals von ihrer Eva gesprochen; es blieb auch unaufgeklärt, woher sie alle von dem Kinde wußten. Die kleine Eva war ein Etwas in der Arbeitsstube, um das man sich kümmerte, ohne es zu kennen. Wie alt war denn die Kleine? Eine wagte die Frage
in einer Stunde, in der die Direktrice lange stumm dagesessen hatte mit einer Trauer auf dem Gesicht, die auffallen mußte. Olga wechseltet die Farbe, ihr blasses Gesicht wurde' glühend rot, und dann schoß es ihr in die Augen, sie biß sich auf die Lippen, um nicht laut herauszuweinen: ach, sie hatte ja solche Sorge um ihre Eva!> „Nanu!" Allgemeine Teilnahme. War die krank? Was fehlte ihr denn? Und in dem erlösenden Gefühl, endlich ein- mal von dem sprechen zu können, was ihre Seele ganz, aber auch ganz erfüllte, sprach Olga von ihrer Eva. Was Frau Ella Wilkowski längst gesehen hatte, was die verstorbene Lehmann auch gesehen hatte, das hatte die Mutter nun endlich auch eingesehen: ihre Eva schielte. Das rechte der langbewimperten Augen von lichtem Braun stand ein wenig starr, es sah gerade aus, während das linke Auge sich wie bei anderen Kindern leuchtend und unbehindert nach allen Seiten drehte.„Darum hält sie den Kopf ja auch immer so schief," erklärte Frau Ella.„Mir is's manchmal so, als sieht sie gar nischt drauf." Ihre kleine Eva auf dem einen Auge nichts sehen?! Ein Schreck, der sie lähmte, stürzte auf Olga, sie stand und starrte die Schwägerin an in Minuten- langem Schweigen. Aber dann fuhr sie auf, sie hätte die Frau, die das so teilnahmslos, so ganz ruhig sagte, bei der Gurgel packen mögen. Das würde man doch erst einmal sehen, wie das mit Evas Auge war. Das konnte doch operiert wer- den. Sie würde alles, alles dafür tun! Sie hatte das Kind zu sich gerufen, das am Tisch saß und große Buchstaben, zum erstenmal mit Tinte, in ein altes SchreibhefNvon Albert malle. Eva war Weihnachten sechs Jahre geworden, zu Ostern kam sie erst in die Schule, aber schon schrieb sie auf der Tafel ganz fchön. Der Better war ihr Lehrmeister gewesen, er war sehr stolz auf das, was er ihr beigebracht hatte; das heißt, das „Beibringen" war es weniger gewesen, sie Halle sich's abgeguckt.„Mächtig helle is sie," versicherte wieder der Junge. „Komm mal her, Euchen!" Die Mutter kniete vor ihr nieder und sah ihr von unten herauf in die Augen. Mit fiebernder Angst tat sie es, ihr Atem flog. Ihre zitternde Hand deckte sie dem Kind über das linke Auge, nun war nur noch das rechte, das von der Schwägerin so verdächtigte, frei. „Siehst du was, Evchen?" Das Kind nickte. Gott sei Dank! Mit einem Seufzer der Erlösung von Todesangst gab Olga das linke Auge wieder frei:„Siehst du nun mehr?"/ Das Kind schüttelte verneinend. Also dann war ja alles gar nicht schlimm, dann war es mit dem Sehen wenigstens in Ord- nung. Und das bißchen Schielen->?! Schielen ließ sich ja leicht operieren, das war weiter keine gefährliche Sache. lFortsetzung folgt.)