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Abendausgabe

Nr. 544 42. Jahrgang Ausgabe B Nr. 270

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise find in der Morgenausgabe angegeben Redaftion: Sm. 68, Lindenstraße 3 Fernfprecher: Dönhoff 292-297 Tel.- Abrcife: Sozialdemokrat Berlin

mi blo

7514

Vorwärts

1960

Berliner Volksblaft

10 Pfennig

Dienstag

17. November 1925

Berlag und Anzeigenabteilung: Geschäftszeit 9-5 Uhr

Derleger: Bormärts- Verlag GmbH. Berlin S. 63, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-297

Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Das Kabinett für Locarno .

Ausarbeitung der Vorlage an den Reichstag .

Das Reichsminifterium hat heute unter Borsitz des Reichs­fpäten Abendstunden fortgesetzten Beratungen über die präsidenten d.2 gejern vorming begonnenen und in den außenpolitische Lage abgeschloffen. Der Reidsminister des Auswärtigen wurde beauftragt, die erforderliche Vorlage an die gesetzgebenden Körper­fchaften auszuarbeiten. Die Beschlußfaffung über die Vorlage wird nach der für Donnerstag einberufenen Konferenz der Staats- und Ministerpräsidenten der Länder erfolgen. Jute

Die Rückwirkungen- ein Anfang. ,, Die Vorbedingungen für Locarno nicht erfüllt". Aber bis Februar fremde Truppen in Köln. " Locarno - Dämmerung bei den Mittelparteien." Und das ist alles." So hämmert die nationale Reichshauptstadtpresse mit fetten Schlagzeilen das ,, Nein" der Deutschnationalen in die Hirne der Leser. Locarno muß unter allen Umständen entwertet werden. Je toller die Rechte Entwertungsschmindel treibt, um so toller schlägt sie sich selber ins Gesicht. Man mag die Rückwirkungen hoa) oder gering anschlagen, die die Bo schofterfonferenz am Sonnabend und Montag beschloß. Hätten fie eine Spur von Selbstachtung, so dürften gerade die Deutsch nationalen nicht Locarno entwerten. Denn für das Maß der Rüdwirkungen sind die Deutschnationalen perant

wortlich.

Sie mögen aus ihrer nationalistischen Ideologie heraus mehr vom Reichsfabinett gefordert, mehr von Locarno perlangt haben. Sie hatten sich mit dem abgefunden, was der Kanzler, was der Außenminister ihres Kabinettes in Locarno paraphierten. Sie haben die Pattpolitik vom Februar dieses Jahres an getragen. Sie find schuldig. fie allein. an dem, was sie jekt als uncenügend ablehnen. Se Schärfer fie es verwerfen, um so mehr spotten sie ihrer selbst. wir haben gestern festgestellt, was die Rückwirtungen wert sind. Sie sind nur ein Anfang. Ein Kilometerstein auf dem Wege zum befriedeten Europa . Noch ist Deutschland von fremden Truppen nicht frei. Noch ist es nicht Mitglied im Rat der Völker. Noch besteht ein ungeheuerlicher Rüstungs­abstand zwischen Deutschland und seinen Nachbarstaaten. Das find die Auswirkungen von Locarno ; im fie gilt es zu Pämpfen. Der Vertrag von Locarno gewährt Deutschland den Eintritt auf den Kampfplatz. Er gibt ihm die Waffen des Rechts in die Hand, mit den Maffen des Geiftes für die internationale Böltergemeinschaft, für eine freie und gleich berechtigte deutsche Demokratie zu kämpfen.

Die tschechischen Wahlen.

Deutschland hebt die neuen Waffen vom Boden auf, um in seinen Rücken. Sie schieden aus dem Kabinett aus und sich zu rüsten. Einen Dolchstoß führen die Deutschnationalen schwächten die Verhandlungsfähigkeit der Regierung. Sie erschütterten das Vertrauen in das Wort, das die deutschen Delegierten in Locarno abgaben. Sie erschütterten die Frieednsfront von Locarno . Sie sind schuldig des Mord­versuchs gegen den Frieden.

Der Vertrag von Locarno ist noch nicht unterzeichnet. Noch liegt er den Barlamenten nicht vor. Noch ist er nicht ratifiziert. Noch ist er nicht rechtskräftig. Aber schon hat er tiefgehende Rückwirkungen. Schon ist der Abzug von Rehn­tausenden von Soldaten befohlen. Schon erhalten Tausende von deutschen Familien ihre Heimstätte, Tausende ihre Freiheit wieder. Schon ist die Räumung Kölns gesichert. Schon fallen die Besatzungsschifanen. Schon erfüllt sich, was heute vor einem Monat dem Heidelberger Parteitag noch ein fernes, erstrebenswertes Ziel erschien. Schon beginnt in Europa die Front der Allierten zu zerfallen. Deutschland kehrt wieder zurück in die Gemeinschaft der Völker. Der Weg öffnet sich, um um die Abkürzung und Aufhebung der Be­fatung zu kämpfen. Und schon scheiden sich die Geifter.

"

Der Befreiungsfriede, das ist unser Kampfziel. 3ur Revision durch Erfüllung" hat Wirth vor Jahren formuliert. Ueberwindung ron Versailles , nicht durch das Schwert, sondern durch den Geift. So hat die Sozialdemo­fratie gefochten. So ist sie sich selbst treu geblieben. Den Schutt von der Brandstätte Europas hinwegzuräumen, das war die mühsame und harte Arbeit dieser Nachkriegsjahre. Der Schutt ist hinweg geräumt. Der Boden ist freigemacht. Jetzt follen die Fundamente des neuen Hauses gelegt werden. Die Grundmauern für die Bereinigten Staaten von Europa au legen, bas i bie aufgabe rationale der zu ist der kommenden die Aufgabe der kommenden Etunde. Es gilt, das neue Bölter zu errichten. Es sollten alle an diesem Werk mit schaffen. Aber noch muß in hartem Kampf das Werk ver­teidigt werden, verteidigt gegen den blindwütigen national­fommunistischen Haufen.

Noch ist der wahre Friede nicht gesichert. Der Geist von Locarno herrscht noch nicht. Er beginnt zu herrschen. Er herrscht erst, wenn die alliierten Besatzungen gänzlich ab­gezogen sind. Er ist erst dann völlig überwunden, wenn Deutschland im Rat der Völker mitwirft. Aber der Geist des Friedens ist auf dem Marsche. Wer wagt es, sich ihm zu widersetzen?

Die polnische Krise.

Eindrücke aus Amerika .

Bon Paul Löbe .

Daß Amerita Europa aus seiner Rolle als ökonomischer und technischer Pionier der Welt unaufhaltsam verdrängt, und daß einer fapitalistischen Hochkultur von riesen­bestimmenden Eindrücke, von denen der Sozialiſt nicht los­haften Ausmaßen feine irgendwie wirksame politische Ar­beiterbewegung gegenübersteht das sind die beiden ersten kommt, der einen flüchtigen Blick in die große fremde Welt wirft.

in

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Ueberall treten ihm die Zeugen eines unerschöpflich scheinenden Rohstoffreichtums entgegen. Hier reißt ungezügelte Baulust in fünf bis sechs Tagen einen würden, um in ebenso vielen Monaten Eisengerüste und Häuferkomplex nieder, den wir noch ein Jahrhundert pflegen Betondeden 30, 40 Stodwerke dem Himmel entgegen zu türmen. Dort schlägt er aus elastischem Stahlgestänge eine Riesenbrücke haushoch und filometerweit über seine Ströme und legt sechs, acht Doppelgleise von Eisenbahnschienen naben­einander, um die Verkehrszentren zu verbinden. Hier schüttet Chicago die Seenftreden vor seinem Angesicht zu, holt förmlich mit starken Armen den Grund des Michigan herauf an die Sonne, er baut meilenweite Straßen hinein, baut Barts, Museen, Stationen, Wohnviertel ins neugewonnene Land, Wohnviertel, deren Baupläne schon entworfen, deren Bau­plätze schon verkauft sind auf Strecken hinaus, die erst drei ununterbrochener Achtstundenschicht Tag und Jahre später aus dem See herportauchen merden. Dort frein Nacht die Ford- ser fe' thre zutomobue wie seujajcaens schwärme übers Land, alle vier Minuten einen Wagen, zwei millionen vom Juni 1924 bis zum Mai 1925. Auf einer Aus­sichtsbahn kann der Laie die Montage dieser Autos betrachten bis zu dem Augenblic, wo sich der Chauffeur auf seinen Sik vom Auflegen des ersten Achsengestänges auf die Laufkrane Schwingt und mit dem Wagen losfährt, das Ganze in 30 Minuten! Hier wieder versorgt ein Versandhaus neun Gebrauchsartikeln von der Nadel und Feile bis zum Damen­Millionen auf einzelnen Farmen wohnende Kunden mit allen hut und Klavier. Güterzüge mit 65 Wagen im täglichen Durchschnitt und 900 Automobile rollen täglich mit 76 000 Kisten und Bafeten aus dem Parterre dieses Etablissements hinaus nach Ohio , nach Lusiana , nach Teras, denn 120 Post­diesen Fabrikbetrieb, damit sie an Ort und Stelle einen Tell beamte entfendet die staatliche Postverwaltung in der Sortierung besorgen. Jede Bestellung, noch so groß, noch so verschieden, muß 24 Stunden nach ihrem Eingang erledigt so verschieden, muß 24 Stunden nach ihrem Eingang erledigt sein, 24 Stunden, nachdem eine Maschine, die in der Minute prozeß eröffnet. Und neben der Farm draußen im Lande, neben den wie gläsern geteerten Straßen, liegt ins Feld ge­stülpt das abgenutzte Auto, dessen einzelne Teile zu retten der Mühe so wenig lohnt, wie das Wiederabliefern der Milch­Brooklyn's Haushaltung abgibt.

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Warihan, 17. November .( WTB.) Der Präsident der Repu. flaschen, die der Ausfahrer der Molkerei Tag um Tag in

blit hat den Grafen Strzynski mit der Neubildung der Regie­

Die Niederlage der tschechischen Koalitionsparteien. Prag . 17. November .( WTB.) Die bei den Wahlen für das Ab.rung betraut. geordnetenhaus auf dem Gebiete der Republik abgegebenen Stimmen verteilen sich auf die einzelnen kandidierenden Parteien

folgendermaßen:

Stimmen

1. Republikanische Agrar- und Kleine Landwirte- Partei 971 389 2. Rommunistische Bartei

3. Tschechoslowakische Bolkspartei

4. Tschechoslowakische Sozialdemokraten

5. Tschechoslowakische Sozialisten.

6. Bund der Landwirte und der Ungarisch- Nationalen

7. Slowakische Volkspartei( Hlinka )

8. Deutsche Sozialdemokratische Arbeiterpartei

9. Deutsche christlich- foziale Volkspartei.

10. Gemerbepartei

11. Nationaldemokraten

12. Deutsche Nationalpartei

13. Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei ..

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931 769 689 970 631 113 609 096

566 911 474 017 411 774

313 906

287 889

284 233

240 893

167 312

Prag , 17. November .( Bom Vertreter des BTB.) Angesichts der im Wahlausfall zum Ausdrud kommenden Nieder lage der bisherigen tschechischen Roalitionspoli tit ist die Stimmung der Koalitionspresse äußerst gedrückt. Eine Vereinigung der tschechischen Klerikalen mit den slowakischen fleri­falen Autonomisten würde die Katholiten zur stärksten Partei der Tschechoslowakei machen, wobei noch die katholischen Stimmen ber übrigen Nationalitäten nicht mit eingerechnet sind. Damit er­fährt insbesondere die bisherige Batitanpolitit Beneichs eine elementare Ablehnung. Die nationaldemokratische Bresse sieht im Wahlausfall eine Gefährdung der Konjol dierung des Staates. Die Aufforderung der Kommunisten als verstärkter Arbeiterpartei zur Bildung einer sozialistischen Einheitsfront findet bisher bei den übrigen sozialistischen Parteien tein Echo. Die tommende tschechische Roa li tion, welche aus den tschechischen Agrariern, den tsche chischen Nationalsozialisten, den tschechischen So. zialdemokraten den tschechischen Nationaldemokra ten, den tschechischen Kleritalen und den tschechischen Ge. werblern bestehen soll, wird höchstens über eine Mehrheit von 6 Stimmen verfügen. Sie wird deshalb gezwungen sein, ihre Tattit entweder gegenüber den slowakischtleritalen Autonomisten eder gegenüber der deutschen Opposition zu mäßigen.

mit der Bildung des Rabinetts beauftragte Graf Alexander Warschau, 17. November .( WTB.) Aus Erklärungen, die der Strzynski Preffevertretern gegenüber abgab, geht hervor, daß er die Absicht hat, eine auf eine breite Roalition geftügte Regie. rung von Parlamentariern zu bilden und bei vollem Ge­lingen seiner Miffion sogar unter Umständen auf den Vorsiz im Rabinett zu verzichten. Er betrachte die Regierungsbildung, wie er sich ausdrückte, als diplomatische Mission nach innen. Er hoffe, noch im Laufe des heutigen Nachmittags bzw. Abends flar zu sehen, ob sich eine Regierung in der von ihm gedachten Form verwirklichen laffen werde oder nicht.

Locarno im Unterhaus.

Englische Parlamentssession. London , 17. November .( Eigener Drahtbericht.) Das englische Barlament ist am Montag zu einer furzen Tagung zufammenge. treten. Die Arbeiterpartei unternahm gleich in der ersten Sigung des Unterhauses durch Ramsay Macdonald einen Vorstoß gegen die Regierung. Sie forderte noch vor Weihnachten Aussprachen über verschiedene innen- und außenpolitische Probleme, wie die Arbeits­lofigteit, die Wohnungsnot, die Mossulfrage usw. Baldwin forderte jedoch ausschließlich Beratung der Gesetzentwürfe der Regierung und stellte die Vertrauensfrage. Mit 278 gegen 121 Stimmen wurde der Regierung das verlangte Vertrauen ausgesprochen. Im Ober­haus hatte die Regierung anfünden lassen, daß am Mittwoch nächster Boche eine große Aussprache über die Berträge von Locarno stattfinden soll.

Die Nürnberger Polizei verbot ein von der Sozialdemo. fratischen Bartel veröffentlichtes Versammlungsplakat, das den Titel trug:" Der beabsichtigte Hoverrat der Köniosmacher". dem gleichen Schicksal verfielen die Worte Republitaner, seid wachsam!" Dagegen werden die Heßplakate der National sozialisten in jedem Umfang und jeder Aufmachung von der Nürn­berger Polizeidirektion geduldet.

Der neue Gouverneur des Memellandes dürfte Dr. Bilius werden, der litanider Koniul im preußischen Memel gewefen ist. Die litauische Regierung verfchleppt in memelstatutwidriger Weise die Einberufung des neugewählten Landtage. Sie erklärt aber alle Meldungen, daß fie ibn auflöien wolle, für falich. Jbre Methode gebt vielmehr dahin, daß die Memeler ihren Landtag und ho feinen Landtag haben. Wenn sich der Böllerbund das gefallen

j

Amerita als ganzes genommen scheint mit seinen Rohstoffen zu wüsten. Noch sieht es so aus, als seien Aber wir fahren meilenweit durch Strecken, die noch keine Hand sie unerschöpflich. Das Land ist vergeben, heißt es seit Jahren. berührt zu haben scheint, die jedenfalls jetzt unbebaut liegen. Gar nicht zu reden von den Sümpfen New Jerseys, Birginias, von dem steinigen Boden Ontarios . Und doch sind wir noch hier im Osten. Drüben im Westen, wo das Land fruchtbarer, das Klima günstiger, der Boden noch reicher ist, dort wächst Das neue Amerifa empor so sagen uns die Männer im nahen Westen, in Chicago , die auch etwas geringschäßig auf die europäisch beeinflußte Ostküste, auf New York , Boston , Baltis more bliden.

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An der Naturnotwendigteit, an der Zwangsläufigkeit, an der Bernünftigkeit dieser Entwicklung scheint niemand einen Zweifel zu hegen. Technit, Organisation, Höchstleistung, Massenerfolg regieren alles. In hochtapitalistischer Gliede rung, an der auch Fords Gewinnbeteiligung, auch Swifts Altersversorgung nichts ändern. Gewiß lebt der arbeitende Broletarier in Amerita beffer als in Europa , auch wo nicht 65 Proz. der Arbeiter und Angestellten ein eigenes Auto befizen, wie bei Ford, auch wo nicht 40 Broz. der Proletarier im eigenen Häuschen wohnen, wie in Philadelphia ( in Hamilton sollen es 65 Proz. sein), tann sich die große Masse viel besser nähren und fleiden als bei uns. Ohne Frucht und Fleisch beginnt kaum ein Bes schäftigter fein Tagewert. Aber darüber hinaus? Wenn er neben dem Notwendigen, das reichlich ist, Grammophon, Radio und Rinobesuch hat, sind seine Ansprüche fürs Leben gedeckt. Alles übrige gehört dem Manager, dem Unternehmer, dem Truſtherren, dem Bantmagnaten. Unten im Erdgeschoß führt der unheimlich stämmige Schlächter in jeder Minute zwei bis dreimal den tödlichen Stich gegen das Schwein und wird von seinem Blute überströmt zehn Millionen solcher Tiere wurden 1924 in Chicago angetrieben, oben im 15. Stoc thront der Betriebsmonarch, ein Gentleman mit vornehmen Umgangsformen und wohlgepflegten Händen und schöpft seine Millionen aus dem graufigen Tagwert derer da unten, um die sich ein Personal von 50 000 Röpfen fammelt.

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Und das Ganze ist mit jener merkwürdigen Frömmig feit übergossen, die auf jeden Nachttisch der 2200 Fremden­zimmer im Welthotel eine Bibel legt, die jede Barlaments­fihung mit einem Gebet eröffnet, für die es aber wie ein Symbol wirft, menn vier Geschäftshäuser von 200 Meter Höhe