„.irr.» Unterhaltung unö Ä9lssen
Der Erfolg öes öeutfthnationalen Parteitags.
Wie Grabhügel entstehen! von Wsewolod Zwanow. (Au, dem Russischen übersetzt von.'».) Morgens sah ich, wie schweres Vauernkorn auf Schiffe vertoden wurde. Das Deck erschien ungeheuer, flach und mit zerstreutem Korn wie mS Sommersprossen bedeckt. Unnötig saubere fremdländische Matrosen gingen ans Land. Und abends lag die Steppe vor mir, der violette Frühlingswind berührt« die Schulter. Mein Freund Peter Schattin, Archäologe und Dichter, der noch an demselben Morgen von dem maximalen Belastungsvermögen, der Ein- und Ausfuhr des Hafens sprach, nahm die Mütze ab und sein früh- gelichtetes Haar schimmerte grau in der Dunkelheit. Der Grab- Hügel, den wir bestiegen, roch»ach vergangenem Herbst, dem Herbst, den mancher wohl beweinen würde. Die Erde war aber frühjährlich heiter und leer. Mein Freund sprach von Skythen , den einstigen Bewohnern dieser Steppen, von schweren, ehernen Steigbügeln und Gebissen ihrer Sättel und der einfältigen Kunst ihrer Grabhügel. Er erzählte noch, wie in Kertsch bei klarem Wetter Säulenreihen einer verschlungenen griechischen Stadt durch dos Meer zum Borschein treten, wie dieses bisweilen mit schwarzem, vermodertem Korn gefüllt« Amphoren gegen das Ufer schleudert. Di« Sonne ging unter. Die Erde wurde finster und glich selbst schwarzem vermoderten Korn. Was an herbstlichen Berücken übrig blieb, schmeckt« noch Moder. Da fiel mir ein anderer Grabhügel ein, der einst vor meinen Augen und durch mich entstand.
Im Winter 19l9 passiert« ich die Station Tatarka. Ich lag im Typhus und träumte:„Äoltfchak ist nicht erschossen, ist zurückgekehrt, und wieder fahren ungeheure Trupvenzüge nach Orsk , und wieder handeln wie einst Chinesen mit Seide. In heihe, grüne Seide sind meine Füße eingehüllt: mein« Nägel sind hart wie Nierenstein, und trotzdem bin ich außerstande, die Seide zu zerreißen. In Orsk , wo ich matt und hungrig den Wagen verlieh, versagten meine Beine. Das hinderte die Provinzial-Sowjet-Exekuttv« nicht, meine Kandidatur auf einen Posten als Leiter der Lußerfchulabteilung in dem Bolksaufklärungsamt aufzustellen. Ich hatte Shakespeare stets gern gehabt und damals, nach überstanden em Typhus, war er mir noch lieber, wer weiß, ob nicht durck seinen dreihundertjährigen Siegeszug. Roch meiner Ernennung zum Leiter schrieb ich die ganze Nacht hindurch einen Dortrag und wollte nicht mal schlafen. Ich bemühte mich, zu beweisen, daß die künstlerische Bildung der Massen von oben an, das heißt, von Shakespeare anzufangen sei. Draußen stand das Thermometer auf 49 Grad Kälte, die Wasser- leitung war eingefroren, und abgemagerte, mit Holz beladen« Bauernpferdchen sanken in den Schneehaufen. Das Stadtbild stand im Zeichen von Typhus und Kälte. Die Schauspieler fürchteten sich vor der Tscheka , denn alle hatten sie an den patriotischen Aufführungen von Kolfichok teilgenommen. Auf meinem Kopf wuchs kein Haar nach dem Typhus — nur fflaum. Ich hatte geschwollene Augen und ein mageres Mongolen- Kärtchen. Die Schauspieler sahen mich nicht an und willigten rasch ein, Shakespeare zu spielen. Daraufhin requiriert« ich die gesamte Seide, Samt und Papp«— und zehn Tage später spielten all« Theater. Dolkshäuser und Klubs Shakespeare . In Halbpelz, Wickelgamaschen und Soldatenschuhen ging ich von einem Schauspielhaus ins andere, und überall trafen mich die meinem Herzen, ach so lieben, festlich redenden und festlich gekleideten Helden des großen Engländer». Aus Moskau kamen inzwischen Anweisungen, und bald sah die Provinzial-Exekutio« ein, daß Shakespeare nicht vorschriftsmäßig fei und daß es auch Zeit sei. einen revolutionären Spielplan einzu- führen. Doch erwies es sich bei näherer Betrachtung, daß ich die ganzen Stoff«, Farben und Pappe für Shakespeare ausgegeben hatte, sodaß für einen revolutionären Spielplan weder Stoff noch Kleider übrig geblieben waren. Bei dieser Getegenheit kam es zu Tage, daß ich bis jetzt nicht Mitglied der RKP.(Russische Kommunistische Partei) bin und auch sonst keine Spur von Perstand besitze. Meine Freunde von der Exekutive waren sehr erstaunt, doch mich in die Partei einschreiben zu lassen, schlugen sie aus Zartgefühl nicht vor. Ich(wahrscheinlich in meiner Rekonvaleszentenfreud«) konnte auch nicht begreifen, was mir die Partei nütz«, wo ich so gute Freunde habe. Trotzdem hieß man mich die Sachen der Abteilung einem anderen übergeben. Mir war es um so lieber, als ich Shakespeare nicht weiter aufführen durste. „Geh jetzt zur Zeitung und schreib,' wurde mir in der Exekutive gesagt. „Und wenn ich e» nicht mag?' „Dann fahr« ale Instrukteur in die Provinz.' Damit war ich einverstanden. Schon am nächsten Tage bestellte man mich nach der Provin,zial-Exekutive. „Es ist bekannt geworden,' wurde mir erklärt,„daß auf der Station Tatarka, zweihundert Werst von hier, achttausend Leichen aufgestapelt sind. Um keine Provinzknoten zu verstopfen, wurden sie dorthin aus der Gegend von Rikolajewsk und Orsk gebracht. Die Packhäuser der Station sind überfüllt, die Leichen liegen auf den Gleisen. Der Frühling ist nicht mehr weit und sie müssen innerhalb von drei Wochen begraben werden, denn sonst tritt Verwesung ein, die mit Pest und allen möglichen Seuchen droht.' Der Sekretär hatte ein« exakte, telegraphenmäßig« Stimm«. Er trug hohe Filzstiefel und einen Militärmantel mit gestopftem Stiegen. Am saubersten war an ihm der Revolver. „Was hat die Provinzial-Exekutive vorzuschlagen?' fragte ich. „Die Provinzial-Exekutive gibt Ihnen, Genosse Iwanow, unbe- schränkte Vollmacht über den Tatarkakreis, drei Sprengpioniere, Dynamit, einen Schriftführer, eine Typistin. Außerdem erhalten Sie einen Extrawagen auf der Eisenbahn .' „Und wenn die Verwesung«ntritt?' „Nichts zu machen, Genosse.' „Bei solcher Angelegenheit war« Alkohol sehr angebracht.' Jetzt leierte der Sekretär mit inniger Tenorstimme:„Wenn nicht zuviel, so geht es noch. Quatsch nur nicht zuviel. Fahre nur hin, was zum Teufel sträubst du dich? Bist ja Schriftsteller, das mußt du gesehen haben.' „Sage ich denn etwas dagegen? antwortet« ich.
Der Posten hatte eine Hasenpelzmütze an. eine sehr weiße und sehr neue. Er schien außerordentlich vergnügt zu sein. Als ich ihm nähertrat, sprach er von etwas ganz anderem, mir so verständlichem. „Das Rauchen ist nur vor Pulvermagazinen verboten und hier ist ja Fleisch, das fliegt nicht in die Luft." Dabei zeigte er auf seine Murmanpfeife.„.„ Und die Leichen lagen in Stapeln. Alle zwei Kloster waren große Pfosten in die Erde geschlagen, dazwischen befanden sich die Leichen. Man hatte sie hierher auf offenen Eisenbahnwagen gebracht. Mehrere von ihnen waren eingefroren und von einem schimmeligen Häutchen wie Kuchenteig bedeckt. Es wird oft von toten Augen geschrieben, doch scheint es mir, sind die Arm« vor allem am peinlichsten anzusehen, vielleicht, weit
.Wir werden die Millionen national denkender Massen zusammentrommeln, auf dah sie--
wir sie sonst angekleidet sehen, und hier waren sie alle nackt, mit aschfahlem Schimmer auf den spitz hervorragenden Knochen. Mich überkommt jetzt stets ein befreiendes Freudegefühl, wenn ich vom Fleische befreite Knochen sehe. Dort lagen die Leichen ungleichmäßig gekrümmt, mit dem Rücken zu den Pfosten. Als ich zu meinem Wagen ging, lief ein fuchsähnlicher Hund vorbei und verschwand hinter dem Schnee. In dem Maule hielt er einen Unterschenkel mit bis auf die Knochen ausgefressener, durch- frorener Wade. Im Wagen bemächtigte sich meiner für einen Augenblick eine weiche, eisige Uebelkeit. Die Typistin schrieb schon einen Befehl über Fuhrwerkaus- Hebung, und die Frühlingssonne schien auf die Tasten der Schreib- Maschine. So kam es, daß drei Tage später die Station von blauen Kufen der Bauernschlitten umzingelt wurde. Ausseher liefen zu meinem Wagen.„Wohin zu fahren?' schrien sie. Doch weder ich noch die Kreisexekutive wußten, wohin die Leichen zu bringen waren. Die Pioniere hatten zwar versucht, eine Grube mit Dynamit zu sprengen. Der Poden, Lehm und Sand- schichten, aalle sich aber, glitt wie Schlamm und ging nur in die Breite auseinander. Von den sämtlichen Viertausend der Stadtbevölkerung hatten sich nur dreihundert arbeitsfähige Menschen mit Schaufeln zu- sammengefunden. Graben?— Graben konnten sie nicht. Das Grab sollte mächtig werden, der Lehmboden war aber in diesem Jahr unheimlich durchfroren und zwischen den Lehmschichten lag fast warmer, wie auf Säcke geschütteter Sand. Die Bauern warteten drei Tage und fuhren schweigsam auseinander, denn alle kannten sie schon den Vorschlag des Vorsitzenden der Kreisexekutive Medwedjew. die Leichen unter die Dörfer zu verteilen. Er war ein gebückter Eisenbahnarbeiter mit steifem Mund und haßte grimmig die Landbevölkerung:„An Koltschaks Seite haben sie gekämpft, an seiner Seite sollen sie auch in die Erde wandern durch die Hände eigener Anverwandten.' Der Kreis war fünfhundert Werst breit und die Leichen überall hinzubringen, hatten die Bauern keine Zeit. Und so blieb ich wieder in meinem Wagen allein, weitere Be- fehle zu verfassen. Mittags, als die Sonne am stärksten schien, schwärzten sich die Leichengesichter. Der Feuerwehrmann aus dem Wachtturm schlug zwölf und Schildwachen schössen vor lauter Wut mtr nichts dir nichts auf vorbeilaufende Hunde. An einem solchen Mittag, wo mir schien, die ganze Station rieche nach Perwesung, und die seltenen Züge huschen besonders rasch vorbei— versammelte ich die Pioniere. Wir kamen zum Be- schluß, das Eis auf dem Tatarkaflutz zu sprengen und die Leichen daninter zu werfen. Der Fluh zog über die Tajga(Sibirischer Wald) und Dörfer standen an ihm so gut wie gar keine. Die Pioniere griffen freudig nach Zündschnüren und Dynamit. Kleine Pferdchen mit dicken Hufen sausten, als ob sie purzeln müßten, berg - abwärts. Und selbst die Lokotnotivsignale, schien es mir, heulten nicht mehr so heiser._(Schluß folgt.) Der tzof öer Königin Luise. Der soeben erschienenen Schrift Dr. Grablsoffs „Dos walire«esickt der Kohen, oller n" lBerloo Guslov Biemsen. Berlin ) mit Eenehmiauna des Berlages entnommen. Es muß festgestellt werden, daß an, preußischen Hefe nie, weder vorher noch nachher, so glänzende Feste geseicn worden sind, wie zur Zeit der höchst vergnügungssüchtigen Königin Luise, die selbst das böse Wort von dem„Schlaraffenleben" geprägt hatte. Im Ver- ein mit ihrem phantastischen Bruder Karl war sie unermüdlich, die
-- in gewaltiger Demonstration ihren starken willen gegen da« lasche Versöhnungswerk von Oocarno ausdrücken.'
Feste möglichst vielgestaltig und glänzend zu arrangieren. Roch 1799 schreibt in trüber Vorahnung die Gräfin Voh:„Man denkt an nichts als an die Redoute— Gott weiß, wie das alles gehen wird: ! gebe der Himmel, daß die Reihe nicht an uns kommt.' Lassen wir über die Zustände gm Hofe der Königin Luise Zeitgenossen selber sprechen. Ueber die damalige Demoralisation berichtet der bekannte Kriegsrat von Cölln :„Die Nation ist schon sehr verdorben. Der Hof ging in allem, was nur Luxus, Verschwendung, Liederlichkeit und Hintansetzung aller Sittlichkeit genannt werden konnte, voran. Die Hauptstadt stimmte mit ein. Die Provinzen folgten nach. Man konnte Berlin das große Bordell des preußischen Staates nennen, worin das unnatürliche Laster der Sodomie täglich übler wurde. Die Weiber sind so verdorben, daß selbst vornehme, adlige Damen sich zu Kupplerinnen herabwürdigen, junge Weiber und Mädchen von Stande an sich ziehen, um sie zu verfuhren, wobei sie die Kunst verstehen, leichte Ansteckungen zu kurieren, für Schwangerschaften aber künstliche Präservative verkaufen. Manche Zirkel von aus- schweifenden Weibern vereinigen sich wohl und mieten ein möbliertes Omartier in Kompanie, wohin sie ihre Liebhaber bestellen und ohne Zwang Bacchanale und Orgien feiern, die selbst den Regenten von Frankreich unbekannt und neu gewesen wären. Du findest oft in den Hurenhäusern noch wahre Vestalinnen gegen manche vornehme Berliner Dame, die in pudlico als Tonangeberin figuriert. Es gibt vornehme Weiber in Berlin , die sich nicht schämen, im Schauspiel- haus auf der Hurenbank zu sitzen, sich hier Galane zu verschaffen und mit ihnen nach Hause zu gehen. Der Offiziersstand, der schon früher ganz dem Müßiggang ergeben, den Wissenschaften entfremdet war, hat es am weitesten unter allen in der Gcnußferttgkeit ge- bracht. Sie treten alles mit Füßen, diese privilegierten Stören- friede, was sonst heilig genannt wurde: Religion, eheliche Treue, alle Tugenden der Häuslichkeit. Ihre Weiber selbst sind unter ihnen Gemeingut geworden, die sie verkaufen und vertauschen und sich wechselweise verführen. Das bis zu tieffter Niedrigkeit gesunkene zweite Geschlecht läuft in der Residenz sowie in den Provinzstädten nur diesen jungen Müßiggängern nach, bei denen sie kräftige Be-- sriedigung ihrer Geilheit erwarten, sehr oft ober nur erschlaffte Muskeln finden." Friedrich Wilhelm hat damals, als er den Thron bestieg, eine Fülle von Plänen im Innern getragen, die, zur Reife gelangt, vielleicht den völligen Zusammenbruch seines Staates verhindert hätten. Aber Wohlmeinen ist nicht Energie, und zögernde Halb- heit tötet den Entschluß. Die Ereignisse in der Welt gingen ihren Gang, Preußen lag nach dem schmählichen Zusammenbruch der" Armee bei Jena und Auerstedt zertrümmert am Poden. Ganz er- bärmlich ist die Haltung Friedrich Wilhelms in diesen für Preußen schwärzesten Tagen. Auf der berühmten Flucht nach Meine! ver- anstaltete der König in Osterode eine große— Clchjagd! Die Berichte der russischen und englischen Diplomaten, die in Graudenz und Osterode um Friedrich Wilhelm waren, find voll von immer neuen Klagen über seine Gleichgültigkeit, seine Apathie, seine Neigung für die Beschäftigung mit.„Futilitäten"(Nichtigkeiten), seine Scheu vor großen und raschen Entschließungen.„Er hat, scheint es, noch zehn Königreiche zu verlieren,' schreibt Benkendorff,„er verdient kein besseres Los.' Nock härter urteilt die Oberhosmeisterin, sie schreibt am 39. Oktober:„Die Unentschlossenhe't des Herxn. feine Laune, seine Verblendung für seine Umgebung sind unser Unalück!" Und des Königs Schwager, der Prinz von Oranien, schreibt einiae Monate sväter über ihn:„Das schlimmste ist, daß der größte Feind des Königs, die Hauptursache seiner Unglücksfälle, und ein aroßes Hindernis für ein? glückliche Wendung der Dinge— Seine Majestät selber ist.' Wieder in der schwersten Zeit des Landes ein völliges Versagen seines Herrn: der letzte Hohenzoller hat das Beispiel seiner Ahnen nur allzu gut nachzuahmen gewußt.