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Abendausgabe

Nr. 55142. Jahrgang Ausgabe B Nr. 273

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreife fino in der Morgenausgabe angegeben Redattion: Sm. 68, Lindenstraße 3 Fernfprecher: Dönhoff 292-297 Tel- Adresse: Sozialdemokrat Berlin

10 Pfennig

Sonnabend

21. November 1925

Vorwärts=

Berliner Volksblatt

Beriag und Anzetgenabteilung: Gefchäftszeit 9-5 Uhr

Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin S. 68, Cindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-20%

Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands

Weitere Rückwirkungen.

Metz Hauptquartier der Besatzungsarmee.

Paris , 21. November. ( WIB.) Figaro" will erfahren haben, daß die durch die Räumung der Kölner Zone nötig gewordene Umgruppierung der Besatzungstruppen in den Rheinlanden weitere Folgen nach sich ziehen werde.

Man schreibt dem franzöfifchen Oberkommando die Absicht zu, Im befehten Gebiet einen schwachen Teil des Befahungs­heeres zurüdzulaffen und den Reft in Cothringen und im Unterelsaß unterzubringen.

Unter dieser Bedingung sei die Anwesenheit eines komma n- dos in Mainz nicht mehr nötig. General Guillau­mat werde sein Hauptquartier in eine Stadt an der Mosel verlegen, wahrscheinlich nach meh.

Man tündigt an, daß Genereal Guillaumat demnächst seine Stellung aufgeben und nach Paris zurückkehren werde, um die Stellung eines ftellvertretenden Chefs des Oberften Kriegsrates einzunehmen.

Amnestie im besetzten Gebiet.

Ueber die Amnestie im befetten deutschen Ge. stet und die Gegenleistung der Reichsregierung durch Amnestierung von Separatisten und dergleichen stehen Einzelheiten noch nicht feft. Es ist der Reichsregierung befannt geworden, daß die Alliierten, die bei der Londoner Dawes Ronferenz vereinbarte Amnestie für den Ruhrkampf bis zum 1. Dezember 1925 für Bergehen gegen die Befagungsgefeße und Vorschriften ausdehnen wollen. Es ist außerdem angeregt worden, durch Austausch von Regie rungserklärungen den Bewohnern der befeht bleibenden Ge­biete noch bekanntzugeben, daß sie durch loyales Verhalten gegen über alliierten Behörden nicht mit deutschen Gesezen oder Gerichten und durch loyales Verhalten gegenüber deutschen Behörden nicht mit den Befagungsgerichten in Konflitt tommen tönnen. Bereinbart ist darüber noch nichts, es soll zunächst eine Aussprache der beiderseitigen Sachverständigen veranstaltet werden.

Das Reichskommissariat in Koblenz. Koblenz, 21. November .( WTB.) Das Reichskommissariat für die besetzten rheinischen Gebiete wird als Dienstgebäude das Generaltommando, am Castorhof erhalten, morin es bereits vor dem passiven Widerstand untergebracht war, nachdem nunmehr die französische Besagung das Gebäude freigegeben hat.

Sozialdemokraten bei Luther. Der Kanzler über seine Absichten.- Frenken verfchwindet.

In Bertretung der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion waren heute vormittag die Genossen Wels und Cris pien beim Reichskanzler Dr. Luther, der sie über die politischen Absichten der Reichsregierung informierte.

Reichsjustizminister Dr. Frenten wird gleichzeitig mit den anderen Reichsministern nach der Unterzeichnung der Locarno- Berträge zurücktreten, wie das vom Reichs­fabinett beschlossen ist. Er hat aber erklärt, ein Ministerium nachher nicht wieder annehmen zu wollen. Offiziös wird dazu bemerkt, daß dieser Entschluß nicht mit dem, übrigens recht hohen Alter oder mit dem Gesundheitszustand Dr. Frentens zusammenhänge. Diese offiziöfe Erklärung ist negativ und dunkel. Warum sagt man nicht geradeheraus, warum Frenten gehen will?

Montag Reichskanzlerrede.

Dienstag Debatte im Reichstag.

Der Heltestenrat des Reichstags trat heute zur Beratung ber Gefchäftslage zusammen. Er beschloß, daß am Montag um 11 Uhr vormittag die große politische Aussprache über die Regierungsvorlage bezüglich des Bertrages von Locarno und den Eintritt Deutschlands in den Bölterbund beginnen soll. Die Verhandlungen werden durch eine Rede des Reichstanzlers Dr. Luther eingeleitet werden. Nach der Rede des Reichskanzlers wird sich das Plenum auf Dienstag ver­sagen. Um Montag nachmittag wird aber der Auswärtige Ausschuß des Reichstages zufammentreten, um über die Ent­waffnungsfrage zu beraten. Die Vollfigung des Reichstages am Dienstag, die die Reden der Parteiführer bringen wird, foll fchon um 10 Uhr vormittags beginnen.

Die Debatte foll spätestens am Mittwoch zu Ende ge­führt werden.

Der Aeltestenrat beschäftigte sich bann noch mit dem tommu nistischen Antiage auf Wiederzulaffung der während der Zoll­debatten ausgeschloffenen tommunistischen Abgeordneten. Die Angelegenheit wurde zunächst dem Geschäftsordnungsausschuß zur generellen Prüfung überwiesen, ob eine solche zurücknahme eines Ausschlusses überhaupt möglich ist.

Die Locarno- Verträge im Reichsrat.

Sigung hente mittag.

TU. teilt mit: Die ursprünglich auf gestern nachmittag ange­Jezte Sigung des Reichsrats findet nunmehr heute um 12 Uhr miftags flatt. Borher trefen die Ausschüffe des Reichsrats zur Be­rafung der Gesetzesvorlage über die Cocarnoverträge zusammen. Die Borlage wird jedenfalls in der geutigen Sigung des Reidsats becabichiedet werden.

Bie weiter verlautet, wird die gesamte Abteilung 1 des Reichs. minifteriums für die besetzten Gebiete nach hier verlegt, um als Reichskommissariat in Tätigkeit zu treten. Der Tag des Eintreffens des Reichstomissars und seiner Beamten ist noch nicht bekannt.

Die französische Gendarmie bleibt. Koblenz, 21. November .( WIB.) Die Gerüchte, daß mit dem Abbau der Kreisbezirksdelegation auch die französische Gendarmerie in die Heimat abtronsportiert würde, trifft nicht zu. Die Gendar­merie wird im besetzten Gebiet nach wie vor der Besatzungsarmee unterstellt bleiben. Als Unterkunftsort fommen Garnisonen in Frage. Die Verwendung und Aufgaben der Gendarmerie decen sich mit denjenigen, die feinerzeit die amerikanische Militärpolizei innehatte. Die Patrouillen und Streifen werden auch für die zu tunft beibehalten.

Radioapparate im besetzten Gebiet grundsätzlich erlaubt. Koblenz, 21. November .( WTB.) Die Verordnung der Rhein­landtommission über die drahtlose Telegraphie, die am 1. Dezember in Kraft tritt, bestimmt u. a:

Auf Grund des Artifels 11 des Rheinlandabtommens, der ausschließlich den Militärbehörden die Bollmacht gibt, Genehmigungen zur Errichtung funfentelegraphischer Anlagen im besetzten Gebiet zu erteilen, und in Erwägung deffen, daß die Ober befehlshaber der Besagungsarmee die Absicht befundeten, grund fäßlich den Gebrauch funtentelegraphischer Empfangsapparate 3uzulassen, vorbehaltlich der Beobachtung eines Verfahrens, das geeignet ist, die Sicherheit der Armee zu gewährleisten, wird angeordnet:

Gesuche um Erlaubnis zur Anlage funfentelegraphischer Empfangsapparate sind an die zuständigen deutsch. Behörden zu

richten.

Die von den deutschen Behörden erteilten Genehmigungen oder Genehmigungslisten sind aber erst dann gültig, wenn sie ent­weder einzeln oder in Bausch und Bogen von den Militärbehörden gegengezeichnet sind, die die Ermächtigung dazu durch die Ober­befehlshaber befizen. Eine zweite Ausfertigung der Genehmigungen muß in den Händen der obengenannten Militärbehörden verbleiben.

Knappe Mehrheit für Painlevé.

Die Sozialisten stimmen für die Regierung. Paris, 21. November .( Eigener Drahtbericht.) Der neue

Bwischenfall, zu dem es am Freitag abend in der Kammer getom fizung hat Painlevé auf Grund von Besprechungen eine neue Er men ist, hat eine rafche Beilegung erfahren. In der Nacht fizung hat Painlevé auf Grund von Besprechungen eine neue Er. Stabilisierung und Aufwertung des Franken in Angriff zu nehmen flärung abgegeben, daß die Regierung fest entschlossen sei, die und auf diesem Wege vor feinem Mittel zurückzuschrecken. Die Regierung habe nicht ohne Mühe ihre Kreditforderungen auf 1,5 milliarden eingeschränkt und auf jede Erhöhung des jezigen Notenumlaufs verzichtet. Genoffe Blum teilte mit, daß die sozia­die zweite Lesung zu stimmen, aber die Bartei halte daran fest, daß iftische Fraktion mit 38 gegen 14 Stimmen beschlossen habe, fur die neuen Borschüsse der Bank von Frankreich an den Staat unter feinen Umständen den Betrag von 1,5 Milliarden übersteigen dürfen. Die Fraktion erkläre schon jetzt, daß sie auch in Zukunft jeden Antrag auf Erhöhung des Notenumlaufs ablehnen werde. Darauf wurde gegen Mitternacht mit 294 gegen 250 Stimmen die zweite Lefung befchloffen. Ein Antrag der Rechten auf Bertagung wurde mit 287 gegen 267 Stimmen abgelehnt. Die Kammer be­handelte dann zunächst die Gegenvorschläge. Der von den Kommu­nisten eingebrachte Finanzvorschlag wurde mit 499 gegen 56 Stim men abgelehnt.

Keine Verschiebung der Unterzeichnung. Nur Absage von Festlichkeiten. London, 21. Nov.( WTB.) In London find anläßlich des Todes der Königin- Mutter Alexandra viele Feste und andere öffentliche Ber­anstaltungen abgesagt worden Aus allen Teilen des britischen Reiches treffen Beileidskundgebungen am Hofe ein. Sämtliche Morgenblätter haben heute in herzlichen Worten gehaltene Leitartikel und ausführliche Lebensbeschreibungen der Berstorbenen gebracht.

Die Beranstaltungen, die für die Unterzeichnung des Bertrags in London in Aussicht genommen waren, werden zum Teil nicht stattfinden. Wahrscheinlich wird das Feſt und der Empfang im Bulinghampalast am 1. Dezember abgesagt werden.

Ein Sicherheitspakt für Minifter. Bei einem unpolitischen Essen in London erzählte Chamberlain, daß zu Anfang der Konferenz von Locarno einer der deutschen Delegierten über Briand sagte: Wenn Briand immer französischer Außenminister sein würde, dann brauch­ten wir feine schriftlichen Abmechungen treffen. Darauf habe Briand erklärt, wenn er sich darauf verlassen könne, daß die deutschen Delegierten Deutschland immer ber. treten würden, dann würde dieser Borschlag für ihn annehmbar fein. In London erklärte Chamberlain jegt unter Heiterteit der Anwesenden: Er habe bam: Is eingeworfen, vielleicht sei die Erörte­rung am pertehrten Ende begonnen worden; es sei vielleicht gescheiter, für die Erörterung des Sicherheitspattes für die Natio= nen einen Gigerheitspatt für bie anmesenden mi. nister zu entwerfen.

Der

Schwarz- Weiß- Rot in Amerika.

Zur Psychologie der Deutschamerikaner.

Bon Wilhelm Sollmann.

Die Reise der Reichstagsabgeordneten zur Konferenz der Interparlamentarischen Union in Washington gab den deut­ schen Volksvertretern Gelegenheit, auch mit zahlreichen Deutsch amerikanern in Berührung zu kommen. Mit reicher Gastlichkeit famen sie überall den Sendboten der Heimat entgegen. Insbesondere wurden der Reichstags= präsident Paul Löbe und der Reichskanzler a. D. Joseph Wirth durch Ehrungen ausgezeichnet, obwohl sie, wie die große Mehrheit der deutschen Delegierten, zu den überzeugten Republikanern gehören. Dies hervorzuheben ist notwendig, weil es scheint, als ob die Vereine und Klubs drüben bisher noch niemals unter den Einfluß deutscher Republikaner ge­

tommen wären.

Staaten die Flagge des Deutschen Reiches: inmitten vierzig Nur einmal grüßte uns auf dem Boden der Vereinigten anderer nationaler Fahnen im Sigungssaale des Kapitels zu Washington. Der deutsche Botschafter hatte pflichtgemäß dafür gesorgt, daß das Hoheitszeichen seines unter schwarzweißroten Fahnen, leider nicht nur unter dem Landes nicht fehlte. Die Deutschamerikaner selbst leben noch Fahnentuch, sondern auch in der Gedankenwelt des Deutsch­ lands Wilhelms des Zweiten. Keiner der führenden Deutsch­amerikaner, der ein Wort der Achtung, geschweige denn der Liebe für Deutschlands neue Staatsform über die Lippen ge­bracht hätte, taum einer, bei dem ausreichendes Verständnis für den außenpolitischen Leidensweg der Republit vorhanden wäre. Bo etwa ein deutschamerikanisches Blatt, so am Grabe des ersten Reichspräsidenten, einem republikanischen Staats­manne gerecht zu werden versuchte, flogen die Protestbriefe stoßweise in die Redaktionsftube.

Unsere Monarchisten pflegen auf diese politische Haltung des Deutschtums im Auslande" mit besonderem Stolze hin­zuweisen. Nach unseren Erfahrungen in Nordamerita haben fie dazu schwerlich ein Recht. Bunächst ist drüben die Klassenscheidung innerhalb der Deutschen unverkenn bar. Die Masse der Vereinsmitglieder sind nicht Arbeiter, sondern Kleinbürger und Bourgeois. Männer und Frauen mit harten Arbeitshänden fanden wir in den deutschen sozialistischen Versammlungen, nicht bei den Ban­Trotzdem: wo sozialdemokratische, demokratische und Zentrums­tetten und auf den Rundgebungen der Deutschamerikaner. abgeordnete fich in den Versammlungen zu dem neuen Deutsch land, zur sozialen schwarzrotgoldenen Republik befanden, gab es ein Aufatmen, ein Aufjauchzen bei vielen. Endlich gaben Deutsche dem in Morten Ausdrut, mas fie lange empfunden, aber bei der scheinbar alles beherrschenden nationalistischen Bhraseologie in sich verschlossen hatten. Was sich auf dem Gebiete eines verstiegenen Nationalismus heute noch in Amerika tut, begreift man, wenn man im Jahre 1925 drüben hört, daß am deutschen Wesen noch einmal foll von der Rednertribüne das hohle Wort Emanuel Geibels die Welt genesen. Man mag zugleich ermessen, mie ftarf in den Reiten von Dames und Locarno durch solche Redensarten bei den Amerikanern Sympathien für Deutsch­ land reworben merden.

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oder mar es nichts? getan, um die Deutschamerikaner über Die Republik und die Republikaner haben zu menig die Ursachen und die Bedeutung des Umschwungs in Deutsche land aufzuklären. Die Monarchisten scheinen in dieser Pro­paganda ein Monopol zu besitzen. Dabei haben sie, von engstem Parteifinne abgesehen, noch nicht einmal nennens werte Erfolge gehabt. Es fann jeden internationalen Marristen jammern, wenn er deutschamerikanische Mon­archisten geisterte Bürger des amerikanischen Freistaates sind und sich die übrigens feit Jahren und Jahrzehnten he ihren Monarchismus nur für Deutschland reservieren mit start stem englischen Akzent für Schwarz- Weiß- Rot, für die Hohenzollern, für neuen deutschen Militarismus rad e- brechen hört. Es tommt sogar vor, daß sie ihre deutsch­nationalen Reden in englischen Lanten vortronen, weil ihnen die deutschen Mutterlaute entschwunden sind. Sehen wir von einigen rühmlichen Ausnahmen ab, so fanden wir die unverminderte Beherrschung der deutschen Muttersprache drüben eigentlich am meisten bei Juden, Sozialdemokraten und Kommunisten, selbst solchen, die seit Jahrzehnten sich nicht soviel erwerben fonnten, um die sehnsüchtig geliebte Heimat wiederzusehen.

In den bürgerlichen Deutschamerikanern lebt ein Deutsch land, das nicht mehr besteht und, von jeher Ueberzeugung aus betrachtet, nicht mehr aufgerichtet werden kann. Hinzu tommt, daß viele Deutschamerikaner in den verhängnisvollen Fehler verfallen, von drüben aus die innerpolitischen deutschen Brobleme lösen zu wollen, ftatt ihre ganze Kraft auf die viele deutsch ameritanische Sozialisten sind beffer Beeinflussung der amerikanischen Bolitik zu richten. Auch in unserer Innenpolitik zu Hause als in der des amerikani fchen Reiches, dessen Bürger sie sind. Mit europäischen oder gar mit deutschen Maßstäben dürfte aber in Nordamerika schwerlich großer Einfluß möglich sein, und mit dem Schimpfen auf die Prohibition allein ist auch nichts getan.

In Versammlungen und Privatgesprächen erfuhren wir, daß sehr wohl auch für das neue Deutschland Verständnis bei den Deutschamerikanern zu meden ist. Es wäre eine Aufgabe für das Reichsministerium des Aeußeren und feiner Organe in Amerita, mehr an Au flärung über den neuen deutschen Staat zu leisten. Bis jetzt hat man den Eindrud, daß unsere