Einzelbild herunterladen
 

MenKausgabe Nr. 555 42. Jahrgang Ausgabe B Nr. 275

B-zugsbediagu»ge« und Anzeigen»«!!« find w der Murgenausgab« angegeben SedakNou: S10. 6S, Cinbeaflcofe« 3 Jernlptedjet: vknhofs 292 29Z Tel.-SfOceffcSojialbemarcafBetUn

Devlinev Volksblatt

(lO PfennSg) Dienstag 24. November 1 425

Leriag und Anzeigenabteilung: Geschäftszeit 9-B Uhr Verleger: Sorroacts-Serlag SmbH Berlin STD. OS, CinScaffrafie? Fernsprecher: VSuhoff 292 297

Zentralorgan der Sozialdemokratifd�en Partei Deutfchlands

Konservative Aellenbilöung. Enthüllungen des Genoffen Wels im Reichstag Verlegenheitsrede« Westarps.

Die Auseinandersetzungen über das Vertragswert im Reichstag stehen im Zeichen grauesten Katzenjammers d e s R e ch t s b l o ck s. Er ist auseinandergebrochen. Die unheilvollen Wirkungen ihrer inneren Politik treten hervor, die Wirtschaftskrise schreitet vorwärts. Was Positives von der Wirkung des Rechtsblocks bleibt der Vertrag von Lo- carno und der Eintritt in den Völkerbund das ist zustande» gekommen nach den Richtlinien der Opposition. rte vormittag war deshalb die Stunde der Opposition. Wels legte in großen Zügen die große geschichtliche Bedeutung des Werkes von Locarno dar: Friede und Soli- darität Europas einschließlich Rußlands , Geist der Verstän- digung an Stelle des Geistes der Gewalt. Das sind die

Linien, auf denen die Politik der Sozialdemokratie führt und die zögernden Parteien rechts von ihr mit- Der Rechtsblock ist bankrott, aber Sozialdemokratie dringen

auf denen sie die gezogen hat. die Ideen der vorwärts

mit-

Genosse Wels griff die Haltung der D e u t s ch n a t i o- n a l e n scharf an. Er zeigte an der Hand eines Protokolls der Sitzung des Vorstandes der Konservativen Partei, daß die Deutschnationalen sich in die alte Konservative Partei zurückverwandeln, er geißelte die Haltung der Partei, die i'Nter der Parole:das Vaterland über die Partei" die 5tlasseninteressen des Großgrundbesitzes über die nationalen Interessen stellt. Zum Schluß entwickelte Genosse W e l s die Forderungen, die die Sozialdemokratie an eine kommende Regierung stellt, und die die Grundlage der sozialdemokratischen Politik bilden werden. Nach der Rede von Wels aber legte sich bleierne Schwere über das Haus. Westarp verteidigt die Haltung der Deutschnationalen. Er redet, geschäftsmäßig den Katalog der deutfchnationvlen Ablehnungsgründe herzählend. Seine Rede ist in der Form ein Gegen st ück zur Rede Luthers. Es handelt sich für ihn nicht darum, im P a r- l a m e n t zu kämpfen, der Weg zur höchsten Agitation im Lande unbeschwert durch Bindungen in der Verant- wortung ist ja nun frei. So trägt er Auslegungen der Ver- träge vor und operiert als echter Nationalist mit Meinungen und Aeußerungen ausländischer Nationalisten, nüchtern und schwunglos. Gegen den Schluß seiner Rede hin versucht er seinen Parteifreund Schiele zu decken und sich von dem Vorwurf zu reinigen, den derVorwärts" ihm gemacht hat, daß er oen d e u t f ch n a t i on a l e n Parteitag über die Stellung der deutschnationalen Mini st er angelogen habe. Seine Rede wird dabei zur Verteidi- gungsrede für sich und Herrn Schiele. Herr Westarp erzählt, wie es a n g e b l i ch gewesen sei. aber Herr Schiele, der genau sagen könnte, wie es gewesen ist. ist nicht da. Herr Westarp plädiert: Das I a vom 21. Oktober ist gleich dem Nein vom 26. Oktober. Wie ein Talmudist wendet er den Wortlaut der Kabinettsbeschlüsse hin und her, um daraus Material für seinen Beweis zu finden, daß die deutschnatio- nalen Minister nur die Fortsetzung der Verhandlungen beschlossen hätten, ohne den Abschluß zu billigen. Der Katzenjammer des Rechtsblocks bringt den Z w i st der ehemaligen Bundesgenossen innerhalb des Rechtsblocks mit sich. Eine starte Spannung besteht zwischen der Rumpfregierung und der ehemals stärksten Regierungspartei. Herr Luther sitzt auf seinem Stuhle, den linken Arm über die Lehne, das Gesicht Westarp zugewandt, neben ihm Strese- mann, eifrig Notizen machend. Luther wirst Stresemann einige Worte hin, der nickt. Dann einerregterZwischen- ruf Stresemann s. ein pointierter Zwischenruf des Reichskanzlers: die Spannung besteht. Aber besteht ein Kampf? Die Regierung ist nur noch eine Schattenregierung. Als Genosse Wels die Worte sprach: Die Regierung habe nur noch die Auf- gäbe, in London zu unterzeichnen und dann in Berlin zu verschwinden, da nickte Herr Luther heftig bejahend mit dem Kopf. Er wird den Vertrag von Locarno geschäftsmäßig unter Dach und Fach bringen. Aber wird die Rumpsregie- rung gegen die Darstellungen Westarps ankämpfen? So ist das Parlament in einer eigenartigen Situation. Es hat eine große Mehrheit für den Vertrag. Die Entscheidung ist bereits gefallen. Aber es ist«in Parlament ohne Regie- rung, die die Führung einer bestimmten Politik hätte. Die sachliche Führung in der wichtigsten außenpolitischen Frage. die zur Debatte steht, ist auf die O p p o s i t i o n übergegangen. » Auch heute sind Haus und Tribünen stark besetzt. Am Ministertisch: Reichskanzler Dr. Luther. Reichsauhenminister Dr. S t r e s« m an n, Arbeitsminister Brauns, Reichswehr - Minister Gehler. Präsident Lobe eröffnet um 10.20 Uhr die Sitzung. In einer Privatklagesache gegen den Abg. Dr. Moses fSoz.) wegen angeblicher Beleidigung wird die Aufhebung der Immunität beantragt. Der Antrag geht an den Gefchäftsordnungs- auifchutz. Daraus tritt das Haus in die Tagesordnung ein: Fort- fetzung im ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die

Derträg« von Locarno und den Eintritt Deutsch » lands in den Bölkerbund. Als erster Redner spricht für die Sozialdemokratie Otto Wels : Wie man auch zu dem Vertrage von Locarno und dem Eintritt in den Völkerbund stehen mag, ein jeder fühlt es. wir stehen am Scheidepunkl der europäischen Politik. Es fragt sich ob eine neue Welt, in der der Gedanke des Friedens die lebende Kraft haben soll, das Leben der Völker Europas in Zukunft beherrschen wird, oder ob die Gewalten der Vergangenheit, die auf Gewalt und kriege'ischen Auseinandersetzungen beruhen, dem mora- tischen und materiellen Wiederaufbau den Weg dauernd versperren sollen. Europäische Solidarität oder neue ffrlegsbününisse! Die ungeheure Wirtschaftskrise, die sich über die Welt erstreckt, zwingt allen Staaten, allen Bevölkerungsschichten die Er- kenntnis aus. daß der Periode des Wiederaufbaus nach den Jahren der kriegerischen Zerstörung die Wege geebnet werden müssen durch ein neues Verhältnis der Staaten Eu» rcpas zueinander, und nicht zum wenigsten erkennt die Arbeiter- k l a s s«. daß chre gesteigerte Notlage mit diesen Krisenzuständen im engsten Zusammenhange steht. Sie war und ist deshalb die vorkämpferin aller Maßnahmen. die zur Beseitigung dieser wi Ischaslllchen krisenzustänoe führen können und sie st e i g e r t ihre Bemühungen in der klaren Erkenntnis, daß aus den Krisen der Wirtschaft sich solche der allgemeinen Politik

Drianü vor der Reaierunqsbildung. Entscheidung der Sozialisten heute nachmittag. pari,. 24. November.(Eigener vrahkberlchl.) Briand. der im Lause de« Montagabend mit zahlreichea Parlamentariern, vor allem auch mif Herriol, Loucheur. Paul Boncour und dem präsi- denken de» Senats De Sclves konferierte, hat sich seine end- güllige Entscheidung aus Dienstag vormittag vor- behalten. Räch der.Ere Rouvelle" soll Briand erklärt haben, daß er da» neue Kabinett nur bilden werde, wenn herriot und painleve bereit sind, ein Ministerium zu übernehmen. Die sozialistische Fraktion und der soziaNstische parteivorstaud treten am Dienstag nachmittag zu einer gemeinsamen Sitzung zusammen, um sich über die Beteiligung an der Regierung zu entscheiden. entwickeln müssen, die schließlich alle Bemühungen vergebens machen, der wirtschaftlichen Zerstörung, die auf den Krieg folgte, ein Ende zu bereiten Wir brauchen nur an die ungeheure Arbeit slosigkeit zu denken, unter der E n g l a n d seit Jahren leidet, die in Deutsch - land i» Verbindung mit der Inflation nur zeitweise unterbunden wurde, und sich jetzt von neuem aus uns herabwälzt. Wir brauchen nur an die Finanzschwierigkeiten Frankreichs und anderer Länder zu denken und an die politischen Schwierigkeiten, die sich aus dem Bemühen, ihrer Herr zu werden, jetzt wieder in Frankreich ergeben. Die deutsche Arbesterschast, so schwer sie mit dem ganzen Land« unter der Teuerung und den gegenwärtigen Krisen leidet, hat diese Zusammengehörigkest europäischer Wirtschaft und Politik seit langem erkannt. Diese Erkenntnis war insbesondere seit dem Zusammen- bruch der Leitstern der Politik der deutschen Sozialdemokratie. Das Bedürfnis der Well nach Ruhe u n d S t a b i l i t ä t darf nicht vorübergehen, ohne das wir es den Bedürfnissen Deutschlands und seiner Arbeiterklasie nutzbar gemacht haben. Die Stunde zwingt zum handeln. Die Zahl der verpaßten Gelegenheiten ist in Deutschland gerade groß genug, als daß sie vermehrt werden dürste. Was seit Jahr- zehnten in Europa fehlte, das Bedürfnis einer europäischen Soli- darität. es ist heute«in sichtbares Bedürfnis aller Völker geworden. Es zeigt sich allerdings jetzt mehr denn je die Notwendigtest, daß die Allgemeininteressen Europas , die mit denen jedes einzelnen Landes zusammenfallen, den selbstsüchtigen In. t e r e s s e n bestimmter Cliquen. Gruppen und Parteien vorangehen müssen. Das sage ich vor allen Dingen gegenüber der Agitation der deutschnationalen Volkspartei, die jetzt nach allem Schwanken und Zögern laut in die Welt hineinschreit, daß sie mit ihrer Ablehnungspolitik allein von allen Deutschen das Vaterland wahrhaft liebe. wir fragen Sie. wiffen Sie, was kommt? wissen Sie. was Deutschland zu leiden haben kann? wissen Sie. was Deutschlands Arbeiterklasse, seinem proletarisierten Mittelstand, seinen Bürgern und seinen Beamten droht, wenn Locarno abgelehnt würde, ab­gelehnt von Deutschland ollein. nachdem seine Annahme in allen ondereu Parlamenten Europas zur Tatsache wird? Wenn Deutschland sich isoliert, wenn Deutschland damit zum Ausdruck bringt, daß es dem Geist der neuen Zeit keinerlei Kon- Zession zu machen bereit ist? Wenn es sich zwar ohnmächtig und ent- woffnet dem Prinzip des Friedens entgegen zum Prinzip der G e w a l t bekennt??lber S i e g la u b e n ja selbst nicht, daß es gleichgültig ist, ob die Verträge von Locarno im Reichstage ad- gelehnt werden oder nicht. Zlls Herr Stresemann am 9. Fe- bruar 1925 sein Sicherheuspaktangebot, das die Herren Deutsch - nationalen als«in« Privatarb«st anzusehen bemüht waren, absandte,

da war jene Denkschrift bereits fertig gestellt, die unter dem Datum des 20. Februar 1925 die Grundlinien der Außenpolitik des Herrn Austen Chamberlains feststellte. Jene Denkschrift, die klar als Ziel der englischen Polttik die Errichtung einer neuen Entente festlegte. Jene Denkschrift zeigt klar, daß nach der Ablehnung von Locarno durch den deutschen Reichstag Europa durch England zu einer neuen Bündnispolitik zusammengeführt würde und daß Deutschland von dieser neuen Entente schon heute nach der Maßgabe einer künftigen militärischen Größe behandelt würde; denn jener Satz läßt Zweifel nicht übrig, mst dem die Stellung gegenüber Deutschland eingeleitet wird: Obwohl Deutschland zurzeit völlig außerstande ist, Angriff-- Handlungen zu unternehmen, so wird es doch sicherlich mst seinen großen Möglichkeiten der Krieaschemie früher oder später wiedc- rum eine bedeutsame militärische Größe darstellen." Die Tatsache, daß man sich in England über das Unsinnige der deutschen Ost grenzen völlig im Klaren ist, geht au» dieser Denkschrift im weiteren hervor und wenn die Denkschrift schließt, daß die wesentlichen Interessen der englischen Reichsver- teidigunq aufs engste mst einer europäischen Sicherheitspolitik ver- knüpft sind, so findet dieser Schluß eine Krönung in dem Satz: Die vornehmste Hoffnung ans eine Besesligung der Verhältnisse in Europa liegt in einer neuen Entente zwischen dem britischen Reich und Frankreich ." England hat ein lebendiges Interesse daran, Deutschland als einen gesunden Faktor in der europäischen Mächtegruppierung zu sehen. Diese Situation zu benutzen, ist deshalb die erste politische Aufgabe des Reichstages. England ist, das beweist jene Denkschrift, gezwungen, an seine Sicherheit zu denken. Lehnen Sie Locarno ab. dann wird dieses Dokument vom 20. Februar 1925 wiederum lebendig und es tri« on die Stelle der Verträge von Locarno . Kußlanö unü der völkerbunS. Die Kommunisten aber mögen bedenken, daß dar Vertrag von Locarno kein Wort gegen Rußland sagt, daß jene Denkschrift aber in chrem Ausgangspunkt sich nnt dem russischen Problem befaßt. Im Gegensatz zur Denkschrift sagt Chinnberlain in seiner Rede im englischen Unterhau» über Locarno : Locarno ist ein Pertrag, dar auf niemand abzielt, gegen niemand eine Spitze hat und niemand bedroht." Offenbar hasten Deutschnatt onal« und Kommunisten gerade dies für das Tadelnswerte an dem Vertrag. Sie kündigen ihm deshalb erbitterte Fehde an. Das aber sollten die Kommunisten doppelt be- denken, die die Entscheidungsfrage gegenwärtig so stellen: Locarno und Weswerträge oder Ostorientterung, Völkerbund oder Bündnis mit Sowjetrußland! Das ist ein Rückfall in die Methoden des imperialistischen Denkens in der Außenpolitik, die das verhängnisvoll« System der großen Kriegsbündnisse in Europa gegründet und den Weltkrieg heraufbeschworen haben. Es gill bei dieser Entscheidung nicht nur die Frage Ost- und Westorientierung, sondern es geht darum, eine Etappe zu gewinnen auf dem Wege, nicht uur de» Westen, sondern auch den Osten Europas in ein großes Vertragssystem znsammenzuführen. Wir brauchen kein Bündnis mst Sowjetrußland. Deutschland und Rußland haben den Vertrag von Rapallo miteinander ab- geschlossen, vor den Tagen von Locarno gelangte der deutsch - russische Handels- und Wirtschaftsvertrag zum Abschluß. Hinter diesem Vertrage steht aus deutscher Teste der Wille, nnt Rußland in Frieden und Freundschaft zu leben, wirtschaftlich« Dorteile aus der Verbindung mit Rußland zu ziehen und ihm beim Ausbau seiner Wirtschaft zu helfen. Rußland kann nicht aus der europäischen Wirtschaft und seinem Völkerleben ausgeschastet werden ohne schwere Schädigung der übrigen Welt. Deshalb denkt kein Mensch in Deutschland daran, sich nach dem Westen deshalb zu orientieren, weil er zwischen Rußland und Deutschland einen Kordon ziehen wollte.(Sehr richtig! bei den Soz.) Welches Bündnis soll über dem Rapallo-Vertrag, über dem Handels- und Wirtschaftsvertrag denn noch zwischen Deutschland und Rußland geschlossen werden? Soll Deutschland und Rußland etwa ein Schutz- und Trutzbündnis gegen die westliche» Staaten Europas schließen? Etwa eine Militärkonoention zwischen der Roten Armee und der deutschen Reichswehr ? Man braucht nur daran zu denken, um die Unsinnigkest de» Gedanken» zu erkennen. Die Verantwortung für den Frieden Europas liegt nicht nur bei den Westmächten, sie liegt auch bei der russischen Regierung. Der weg zum Frieden führt für Rußland wie für Deulschland über den Eintritt in den Völkerbund.(Sehr richtig! bei den Soz.) In der Außenpolitik der Sowjetregierung vollzieht sich«in« bedeutsame Wandlung: In der asten Politik ist sie schwankend ge- worden, einen neuen Weg hat sie noch nicht gefunden. Man kann deutlich sehen, daß in dem Zentralkomitee der bolsche- wistischen Partei sich ein heftiger Kampf abspiest, der noch unent­schieden ist, dessen Ausgang jedoch durch die innere Entwicklung Rußlands und durch die gegenwärtige internationale Lage präd< stiniert ist. Die traditionell« Politik der B o l s ch e wi k i bestand darin, daß man sich auf ein« Weltreoolution(die in Europa oder in Asten ausbrechen soll) orientierte und Sowjet- rußland zu einem Sammelzentrum für all« in Europa und Asien unterdrückten Nationen und Völker machen wollte. Dazu gehörte, daß man dem unter dem Einfluß des angelsächsischen Kapitals stehenden Völkerbund als einem Bund der Sieger, einen r e v o- lutionären Bund der Besiegten unter der Hege- monie Rußlands entgegen stellte. Am Ende dieses Weges stand der Krieg.