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Nr. 557 42. Jahrgang Ausgabe B Nr. 276

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10 Pfennig

25. November 1925

Vorwärts=

Berliner Volksblatt

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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

Ein Wendepunkt in Frankreich  .

Die Entscheidung der Sozialisten.

Paris  , 25. November.  ( Eigener Drahtbericht.) Von einem Mit glied des Parteivorstandes der Sozialistischen Partei werden unserem Bariser Bureau folgende Erklärungen über den am Dienstag ge­faßten Beschluß von Fraktion und Parteivorstand gegeben: Der 24. November wird in der Geschichte des französischen   Sozialismus ein wichtiges Datum bedeuten. Die absolute Einstimmigkeit, mit der am Dienstag nachmittag die 100 Mann starke sozialistische Kammergruppe, die vollzählig versammelt war, der Entschließung zustimmte, in der sich die Sozialisten bereit erklären, unter gewissen, genau festzulegenden Bedingungen

an der Regierung teilzunehmen,

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fich alle für eine Teilnahme an der Regierung ausgesprochen. Be jonders bemerkenswert ist, daß alte Genossen, wie Conftans, Breffe mane, Mistral und andere, die bisher gegen eine Beteiligung waren, sich energisch dafür ausgesprochen haben; ebenfalls Compère- Morel und Lebas, die den Wunsch zum Ausdrud brachten, daß die Partei die Mehrheit der Ministerpost en besetzen soll, während andere Genossen, wie Breffemane, Renaudel, Grumbach und Auriol, eine Beteiligung davon nicht abhängig machen wollen.

Es wäre verfehlt, nun anzunehmen, daß damit die Krise rasch gelöst werden könne. Denn es ist sicher, daß Kräfte, die dem Ein­tritt der Sozialisten in die Regierung feindlich gesinnt sind, sich aber bisher zurüdgehalten haben, weil sie nicht an die Möglichkeit eines bejahenden Beschlusses der Sozialisten glaubten, sich nun ans Wert machen werden, um eine von den Sozialisten beherrschte oder wesent­lich beeinflußte Regierung unmöglich zu machen. Es steht außerdem noch feineswegs fest, ob die linksbürgerlichen Parteien bereit sein werden, die von den Sozialisten formulierten Bedingungen au­zunehmen. Eine der wesentlichsten Forderungen der Sozialisten wird sein, der Finanzpolitit von vornherein einen antiinflatio, nistischen Charakter zu geben. Etmas wird von heute ab nicht mehr möglich sein: die französische Sozialistische   Partei zu beschuldigen, den Mut nicht aufgebracht zu haben, in einem

wird in ganz Frankreich   den tiefsten Eindrud machen. Bor einigen Tagen noch fonnte es scheinen, als ob es darüber innerhalb der sozialistischen   Fraktion zu tiefgehenden Meinungsverschiedenheiten fommen würde. Unter dem Eindrud der außerordentlichen Situation, in der sich Frankreich   gegenwärtig, vor allem in finanzieller Hin sicht, befindet und angesichts der Drohungen, die von faschistischer Seite gegen das republikanisch- parlamentarische Regime aus­gesprochen wurden, ist es zu einem einstimmigen Beschluß ge­tommen, dessen Durchführung nur davon abhängen wird, ob die lintsbürgerlichen Parteien entschlossen sind, das Kampf programm anzunehmen, das die Sozialisten für notwendig halten. Einstimmig hat die Fraftion beschlossen, daß jedes An­gebot an einzelne Mitglieder der Partei, in die Regierung einzu­treten, abgelehnt werden soll, mie ein von Briand   an Leon zu wollen. Welches auch der Berlauf der Krise sein mag, ob es zur Blum und Paul Boncour   gemachtes Angebot zur Ablehnung ge- Bildung eines Ministeriums mit Sozialisten tommt oder nicht, der langte. Einstimmig hat die Fraktion fich für die Festlegung franzöfifche Sozialismus hat einen Beg eingeschlagen, auf dem auch eines praktischen Reformprogramms ausgesprochen als Hauptpor. Die ärgfte Reaktion in Frankreich   ihn nicht mehr zur Einflußlosigkeit bebingung zur Teilnahme an der neuen Regierung. Einstimmigration ein außerordentlicher Parteitag dringend einberufen werden herabdrüden tann. Ob im Zusammenhang mit dem Beschluß der joll, darüber wird der Parteivorstand in seiner regelmäßigen Sigung am Mittwoch abend zu entscheiden haben,

hat sie beschlossen, ein kurzes

Manifest an das französische   Bolt

zu richten, in dem sie thre Bereitwilligkeit fund gibt, die nötige Berantwortung auf sich zu nehmen, unter der Be dingung, daß ihr die Möglichkeit gegeben wird, in der Regierung jene Maßnahmen zu ergreifen, die sie für notwendig hält.

An der Diskussion, die von 3 bis 8 Uhr dauerte, nahmen hauptsächlich teil: Constans  , Mistral, Compère- Morel, Hubert Rouger  , Lebas, Barrabaet, Goude, Renaudel, Paul Faure  , Bressemane, Marquet, Valière, Auriol, Blum, Boncour und vom Parteivorstand Grumbach. Mit Ausnahme von zwei Rednern haben

Völkerbundsentscheid gegen Griechenland  .

152 000 Pfund Entschädigung an Bulgarien  . Rom  , 25. November.  ( WIB.) Secolo" erfährt aus Athen  , daß die Bölkerbunds tommiffion in Sachen des griechisch bulgarischen Konflikts eine für Griechenland   ungünstige Entscheidung getroffen habe.

Beiteren Meldungen aus Athen   zufolge geht die Entscheidung der Bölkerbundskommission, die sich nach Mazedonien   begeben hatte mit dem Auftrage, an Ort und Stelle die Berantwortlichkeiten für den jüngsten Grenzzwischenfall festzustellen, dahin, daß Griechenland  an Bulgarien   152000 englische Pfund bezahlen muß, und zwar: 85 000 als Entschädigung für die Familien der 20 ge­töteten Bulgaren   und 57 000 als Ersatz der Kosten des bulgarischen Truppentransports.

Der griechische Ministerpräsident Bangalos hat sofort die sämtlichen Parteiführer zu einer Sigung einberufen, um die Ent­scheidung der Regierung gemeinsam mit der Opposition zu treffen. Zweifellos wird fich Griechenland   dem Spruch. des Völkerbundes unterwerfen.

Mussolini   protestiert in Belgrad  . Gegen die Rede Naditschs. Belgrader   Meidungen zufolge hat der italienische Gesandte in Belgrad   gegen die scharfen Angriffe Raditsch auf Mussolini   in

feiner Laibacher Rede protestiert.

Raditsch hat daraufhin einen Rückzug antreten müssen, in dem er erflärte, die Zeitungsberichterstatter hätten ihn mißver standen und seine Wendungen über den Faschismus unrichtig in der Presse wiedergegeben.

Die Abwürgung des Matteotti- Prozeffes. Rom  , 25. November.  ( WTB.) Der Tribuna" zufolge dürfte der Matteotti Prozeß nicht vor nächstem Februar statisinden, da die Verteidiger die große Zahl der Aftenbände nicht früher durch­

arbeiten fönnen.

Nachdem die Hauptschuldigen, soweit sie nicht mit Regierungs­hilfe über die Grenze abgeschoben wurden, durch Mussolini   am nestiert wurben, gilt es, den Prozeß gegen die sonstigen Täter fo lange zu verschleppen, bis irgendein Bormand gefunden wird, das ganze Verfahren überhaupt niederzuschlagen.

Wetterlés Ende.

Der Protest- Elfäffer aus der Vorkriegszeit. Paris  , 25. November.  ( Eigener Drahtbericht.) Am Dienstag ist in Rom   einer der Führer der effäffischen Klerifalen, der frühere Reichstagsabgeordnete Abbé Weiterlé gestorben. Betterlé gehörte vor dem Kriege zu den elfäffischen Mitgliedern ber Reichstagsfraktion des Zentrums. Sein Herz und seine Politik waren wohl schon damals nach Frankreich   gerichtet. Noch im Jahre

höchst fritischen Augenblid die Regierungsverantwortung übernehmen

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Die Pariser   Morgenpresse bestätigt ohne Unterschied der Partei. richtung, daß Doumers Auftrag aussichtslos ist. Sowohl die Herriot   wie die Painlevé  - Partei erflären, daß fie nur eine Re­gierung der Linken, aber keine Regierung der Mitte unterstützen werden.

Inzwischen ist durch den Beschluß der Sozialisten eine neue Lage gefchaffen, zu der die sonstigen Startellparteien am heutigen Vormittag in Fraktionsfizungen Stellung nehmen sollen.

1913 hat er als deutscher   Reichstagsabgeordneter eine lange Bor tragsreise durch Frankreich   unternommen. Seine Reden richteten sich gegen die deutsche   Politik im Elsaß  , die freilich sehr viel Anlaß zu Angriffen bot. Sofort nach Ausbruch des Krieges flüchtete er ebenso wie der sozialistische Abgeordnete Georg Beill nach Paris  , um von dort aus sich start an der Propaganda gegen Deutschland  zu beteiligen. In den letzten Jahren ist sein Name öffentlich faum mehr genannt worden.

Anmaßungen des Reichsrats.

Der Konflikt zwischen Reichstag   und Reichsrat. Bon Willi Steintopf.

Mit dem Zusammentritt des Reichstags tommt hoffentlich auch die Zeit zur Austragung des chronischen Kon­flifts zwischen diesem und dem Reichsrat heran. Anlaß dazu gibt der Einspruch des Reichsrafs gegen das vom Reichs­tag beschlossene Gesetz über die Abänderung der Fürsorge­pflicht.

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Es handelt sich dabei um folgendes: Bei der Beratung des Aufwertungsgesezes beschlossen die Parteien des Kabinetts Luther- Schiele, daß bei der Berechnung von sozialen Fürsorgeleistungen Einnahmen aus aufgewertetem Bermögen bis zum Betrage von 270 m. jährlich außer Ansatz bleiben sollten. Was lag näher, als daß die Sozialdemokratie dieselbe Bergünstigung für die Leistungen auf Grund der sozialen Versicherungsgefeße und der Fürsorgegeseze verlangie und auch durchsezte. Der Reichsrat erhob gegen dieses Gefez auf Grund des Art. 74 der Reichsverfassung mit einer Mehrheit von zwei Stimmen Einspruch, fodaß es nochmals dem Reichstag zur Beschlußfassung vorgelegt werden mußte. Diese zweite Beschlußfassung erfolgte am 12. August, dem Tage der Bertagung des Reichstags, mit der vorgeschriebenen 3meidrittelmehrheit der Anwesenden, womit der Einspruch des Reichsrats erledigt war. Nach dem genannien Ver fajjungsartikel mußte der Reichspräsident nunmehr das Gesetz in der vom Reichstag beschlossenen Fassung binnen drei Monaten verfünden oder aber den Boltsentscheid anordnen. Reins von beiden ist geschehen. Reichsregierung und Reichs­präsident haben sich zum Schaden der Sozialrentner der Zwei­ftimmenmehrheit des Reichsrats gefügt; das Gesetz ist nicht verkündet und in Kraft gesezt worden.

Als Ausmeg haben der Reichsarbeitsminister und der wiffen lassen, daß das Reichstabinett am 26. Auguſt folgendes Reichsinnenminister( gez. Geßler) den Reichstag   nunmehr beschlossen habe:

Ein Gesez, das zu verkünden war, liegt nicht vor. Der Reichskanzler wird über den Tatbestand und den Beschluß des Kabinetts dem Herrn Reichspräsidenten   berichten."

Begründet wird diese eigenartige Haltung des Reichs­tabinetts damit, daß der Reichsrat eigentlich recht habe, wenn er gegen die überstürzte" zweite Beschlußfassung durch den Reichstag   Protest erhebe und diese als eine nochmalige Be­schlußfassung über das Geset" nicht anerkennen fönne. Der Reichsrat sei ferner der Meinung, daß diese nochmalige Be­schlußfassung ebenso wie die sonstige Verabschiedung von Gesetzen drei Lesungen haben müsse.

Zu diesem merkwürdigen Verlangen des Reichsrats hat das Reichskabinett ein Gutachten vorgelegt, dessen Tenor in folgender Auffassung gipfelt.

Nach der Geschäftsordnung des Reichstags werden Gefehentwürfe, Haushaltsvorlagen und Staatsverträge in drei Lesungen erledigt. Wenn auch im vorliegenden Fall es zweifelhaft sei, ob es sich um einen Gefehentwurf" handle, so sei die Rückverweisung an den Reichstag doch eine Vorlage der Reichsregierung oder des Reichsrats und müsse nach der Geschäftsordnung des Reichstags ebenfalls in drei Lesungen behandelt werden, weil dies für solche Vorlagen grundsätzlich Dorgesehen sei. Ausnahmen also einmalige Beschlußfassung -sei nur mit Zustimmung des Reidsrats ober der Reichsregierung zulässig. Eine solche Zu­

Badische Regierungsbildung. Koalition aus Zentrum und Sozialdemokratie. Karlsruhe  , 25. November.  ( WTB.) Die Wahl der neuen Re­gierung wird in der am Donnerstag nachmittag statt findenden Landtagssigung vor sich gehen. Heute finden Berhand- stimmung liege aber nicht vor. Wünscht der Reichstag fünftig lungen zwischen den Fraktionen der Sozialdemokratie und des Zentrums über die Zusammensetzung der Regierung statt. Die Regierungserflärung erfolgt voraussichtlich am Dienstag nächster Woche.

Für Locarno  !

Die Stimme des beften deutschen   Mannes". Koblenz  , 25. November.( TU.) In einer Bersammlung der Deutschen Bolkspartei sprach gestern abend Reichsminister a. D. Dr. Jarres. Er erläuterte zunächst die Aufgaben des Provinzial landtages in bezug auf die innere Verwaltung der Rheinproving. Dr. Jarres gab dann einen Ueberblick über die Geschicke Deuschlands blommen, den Dames. Plan, das Bertragswert in den letzten Jahren. Er behandelte namentlich das Londoner

von Locarno   und die bekannten Borwürfe, die gegen ihn er: hoben wurden. Es sei sehr wohl möglich, so führte Jarres aus, trotz des Locarno- Bertrages mit Rußland   in einem guten Verhältnis zu stehen. Daß der Vertrag von Locarno   mit besonderer Begeisterung aufgenommen werden könne, wäre niemals behauptet worden. Es sei jedoch zu bedenken, daß mit der Unterzeichnung ein Wandel erzielt werde. Die Reichsregierung sei einen fchwierigen Beg gegangen. Man müsse Locarno   als eine Etappe betrachten. Wegen der Erleichterungen hätten wir allerdings Grund, enttäuscht zu sein. Der Eintritt in den Völkerbund stehe uns noch frei, die Regierung solle noch abwarten, mie sich die Dinge ent­frei, die Regierung solle noch abwarten, mie sich die Dinge ent­wideiten. Nach reiflicher Ueberlegung sei er aber zu der Ueberzeugung gefommen, daß es richtig fet, dem Bertrag zuzustimmen.

Wie wird dem Lotal- Anzeiger", wenn er diese Stimme des besten deutschen   Mannes hört? Wie hat er Jarres bei den Verhandlungen über seine Kandidatur ge­feiert und in den Himmel gehoben, und jetzt trttt auch die fer " beste deutsche Mann" neben Hindenburg  , den Abgott aller Monarchisten, dem Retter aus tiefster Not", für das dritte Versailles   ein. In der Tat, schlechte 3eiten für nationalistische Phrasenhelden!

die Dinge anders zu handhaben, so muß er seine Geschäfts­ordnung ändern. Daß die Frist von drei Monaten, in der das Gesetz nach der Reichsverfassung hätte verkündet werden müssen, nicht eingehalten worden ist, verschlägt nichts, denn diese Frist beginne erst dann zu laufen, wenn ein geschäfts­ordnungsmäßig zustandegekommener Beschluß des Reichstags vorliege", und das sei eben nicht der Fall. Der Reichstag mag durch Nachholung der bisher verabsäumten zweiten und dritten Lesung die Bedenken des Reichsrats und der Reichsregierung ausräumen ober, wenn er in diesem Fall sich mit einer Lesung begnügen will, einen entsprechenden besonderen Beschluß faffen.

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Man wird zugeben müssen, daß sich in diesem Gutachten Haltung der Reichsregierung und des Reichssrats gegenüber selbstverständlich bestellte Arbeit, um die rigorose den armen Sozialrentnern zu decken die ganze juristische Spitfindigkeit des Geheimrats wilhelminischer Schule offen­bart. Daß in der Braris bereits mal wie im vorliegenden Fall verfahren ist, ohne daß Reichsregierung und Reichsrat Beiterungen machten, hat für die Herren natürlich keine Bedeutung. Reichstagspräsident Löbe, den man wahrhaftig als vorzüglichen Kenner und Praktiker der Reichsverfassung und der Geschäftsordnung des Reichstags wird anerkennen müffen, hat nollständig recht, als er vor der zweiten Beschluß­faffung dem Hause erklärte: Damit tein Irrtum aufkommt: mehrere Lesungen über den Beschluß gibt es nicht." Es zeugt Don menig Respekt, daß man dies sachverständige Gutachten ignorierte. Doch hier geht's eben wie manchmal beim Kabinett Luther: der 3med heiligt die Mittel!

Natürlich wird die Sache im Reichstag ausgetragen merden müssen. Dies schon aus dem Grunde, meil, um es mit dürren Worten zu sagen, sich der Reichstag   einfach nicht länger aefallen laffen fann, daß der Reichsrat ihm mit oder ohne Reichsregierung auf der Nase herumianzt, sobald es ihm paßt. Man fehe sich einmal die Reihe der Einsprüche des Reichsrats an. Was hat es da schon alles gegeben. Manch­mal find es Etatspositionen, die er zu Fall bringt, weil ver­

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