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Abendausgabe

Nr. 563 42. Jahrgang Ausgabe B Nr. 279

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10 Pfennig

Sonnabend

28. November 1925

Vorwärts=

Berliner Volksblatt

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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands

Hindenburg unterzeichnet.

Locarno - Gesetz im Reichsrat mit 49 gegen 15 Stimmen angenommen. Bor der Unterzeichnung durch den Reichspräsidenten beschloß| neue Krieg, und nach dem Krieg der Frieden. Wer also für men, von dem Gesehentwurf über die Zustimmung zu den Locarno - ist, der will nur den Frieden. Nach dieser unwiderstehlichen der Reichsrat in öffentlicher Bolligung mit 49 gegen 15 Stim- den Frieden ist, der ist für den Krieg, und wer für den Krieg Berträgen und den Eintritt Deutschlands in den Böllerbund Kenntnis fommunistischen Logit hat Klara Bettin, bie zum zu nehmen, ohne Einspruch zu erheben. Gegen diesen Beschluß Kriegs bündnis aufrief, eine Friedensrede gehalten, und ftimmten Ostpreußen , Brandenburg , Pommern , Niederschlesien, Breitscheid , der für die Verständigung Sprach, eine Bayern und Medlenburg- Schwerin. Kriegsrebe. Und es gibt noch Leute, die sich so frech anlügen lassen!

Der Reichspräsident wird das Gefeh noch heute unter­zeichnen.

Die Rechte nach der Niederlage.

Eine Blütenlese von Beschimpfung.

Die Rechtspresse reagiert auf die Niederlage der Locarnos Opposition nicht einheitlich. Deutsche Tageszeitung" und Kreuz 3eitung" nehmen die Niederlage sehr ruhig auf- man fühlt, wie erleichtert die Herren sind, daß der Locarno- Bertrag unter Dach und Fach ist. Die Presse jedoch, deren vornehmster 3wed ist, an die Instinkte bes Spießbürgers zu appellieren, ergeht sich in Variationen von Beschimpfungen. Voran die Hugenberg- Presse.

Der Lotal Anzeiger" schreibt:

Bas gestern noch Anfündigung war, ist heute schon Tatsache: der Reichstag hat mit dem legten Restchen unserer politi fchen Bewegungsfreiheit auch auf Jahre hinaus, auf mindestens neun Jahre, die 3utunft unserer Brüder am Rhein und an der Saar dem Erfüllungstaumel auf geopfert."

Das sind die Tone, wie sie in den Zeiten der Mordheze gegen die Politit der Berständigung beliebt waren. Der Tag" schändet ein Märchen von Andersen, um die Re­gierung als Betrüger zu bezeichnen in einer Form, die er juristisch für unfaßbar hält:

Aber die Geschichte vom Locarnofleide, ist in anderer Hinsicht noch märchenhafter als das Märchen. Bei Andersen spannen allein die Betrüger und sorgten dafür, daß teiner aus des Kaisers Hofstaat ihnen helfe, daß feiner hinter ihre Schliche fäme. Beim Locarno Bertrag aber hielten sich die Betrüger im Hintergrunde und ließen des Reiches Außen. minifter fpinnen. Das hatte selber Andersen nicht voraus gesehen. Denn der deutsche Außenminister glaubte an die Sache, wenn er aus den imaginären Fäden von Hoffnungen und Vertrauen das Paragraphenwert knüpfte und alle Fäden zog, die es erst er­möglichten, daß auch die anderen Klugen und Weisen im Lande das Luftgebilde als greifbares Ergebnis ansahen. So fann Dr. Strefes mann wohl sagen, daß, abgesehen von der Idee, Luft überhaupt zu einem Vertrage spinnen zu fönnen, für die London und Paris ver antwortlich zeichnen, das Locarnofleid sein Wert sei."

Auch eine Form der Heßze! Die Absicht, zu beschimpfen, ift offenfundig, die Feigheit vor der Verantwortung aber auch! Diese Helden, die so tapfer von hinten herum ver­leumben, können es gar nicht erwarten, daß andere wieder auf den Schlachtfeldern Helden sein werden. Man lieft im ,, Tag":

Und es wird doch trotz allem einst der Tag tommen, mo Europa in Flammen steht und wo in diesen Flammen das Papier von Locarno samt den Namen feiner Unterzeichner verfohlt."

Die Deutsche Tageszeitung" bemüht sich, den fleinen Ilmfall der Deutschnationalen bei der Abstimmung über den Ausfegungsantrag zu verteidigen:

Ehe wir sterben müssen."

Aufrecht, aber vorsichtig.

In der Deutschen Zeitung" feiert Otto v. Schilling den nächsten Weltkrieg mit folgenden tiefempfundenen Worten: den nächsten Weltkrieg mit folgenden tiefempfundenen Borten: Der Aufrechten einzige Hoffnung flammert sich nur noch Dimüz von Locarno noch die Stunde kommen, wo Deutschlands an den Tag von Sedan. Möge auch einmal auf unser zweites entweihte Fahnen wieder stolz in den Lüften wehen und mir jubeln den Herzens fingen fönnen: D Deutschland hoch in Ehren". Ehe wir sterben müssen.

Daraus geht unwiderleglich hervor, daß wir das mit einem Weltkrieg min einmal unvermeidlich verbundene große Sterben auch das nächstemal zu überleben fest entschloffen sind.

Hindenburg , ein verlöschender Funken.

Die Lehren einer Wahl.

Bon Josef Hofbauer Teplitz .

Das für den Sozialismus nicht sehr erfreuliche Ergebnis der Parlamentswahl in der Tschechoslowakei gibt der Sozial­manche eindringliche Lehre. Fragt sich nur, ob die tschechische demokratie dieses Staates, vor allem der tschechischen Partei, ausganges geneigt und imftande ist, diese Lehren zu würdigen. manche eindringliche Lehre. Fragt sich nur, ob die tschechische Sozialdemokratie unter dem unmittelbaren Eindruck des Wahl­

Die Wahlen haben mit einer Niederlage des So= zialismus geendet. Denn wenn es auch den deutschen Sozialdemokraten unter schwersten Mühen gelungen ist, die Stimmenzahl seit den Gemeindewahlen von 1923 etwas zu erhöhen, so muß doch zugegeben werden, daß sie nicht im­stande war, über den Kreis ihrer treuen Anhängerschaft hin auszubringen. Der Wählerzuwachs tam fast ausschließlich den bürgerlichen Parteien zugute. In manchen Gebieten, so im fefter einzunisten. Eine Wahl, bei der nur der Befihstand der deutschen Westböhmen, vermochten sich auch die Kommunisten Bartei behauptet werden kann, fann aber nicht befriedigen, muß fast als Niederlage gewertet werden.

Bon allen abgegebenen deutschen Stimmen entfielen 24 Proz. auf die Sozialdemokraten, die tschechische Go­zialdemokratie aber betam nur 12% Broz. der tschechischen Stimmen. Die tommunistische Partei aber ist sehr start ge­wachsen. Sie wird mit ihren 41 Mandaten die zweitstärkste Fraktion des Abgeordnetenhauses sein. Sie ist im Verhältnis zur Bevölkerungszahl zweifellos die stärkste kommunistische Partei Europas , abgesehen natürlich von Rußland , wo andere Parteien nicht bestehen dürfen. Wie ist dieses Bahlergebnis zu erklären? Gewiß, die Stimmenzahlen von 1920 waren nicht zu halten. Damals haben, noch unter dem Eindruck des Kriegserlebens und des Zusammenbruches der bürgerlichen Politit, Behntausende sozialdemokratisch gestimmt, die feine innere Beziehung zum Sozialismus hatten. Damals gab es noch feine Kommunistenpartei; aber sie hätte, wenn nicht die alltschechische Roalitionspolitik seine Wegbereiterin geworden

In der Medlenburgischen Barte" erinnert Bulle daran, daß der Reichspräfident in seinem Eibe gelobt, Schaden vom Reiche zu menden. Dazu deklamiert er: Schaden von ihm menden! Locarno , Todesstreich gegen Deutschlands Haupt. Reichspräsident, bie Stunde ist da Und wenn auch der Funken verlischt?" Hindenburg ein Mann, der seinen Eid nicht hält! Hindenburg , wäre, nicht so start werden können. ein verlöschender Funken! Aber noch strahlt uns ulles Licht!

Rückwirkungsdebatte in London .

Einigung über die Truppenverminderung notwendig. London , 28. November.( Ep.) Der diplomatische Bericht. erstatter des Daily Telegraph " ist in der Lage, mitteilen zu fönnen, daß außer Mussolini alle Minifter, die in Locarno waren, nach

London kommen würden.

Die tschechischen Sozialdemokraten mußten in der Koalition, um sie erhalten zu fönnen, mancher undemo­fratischen und mancher unsozialistischen Maßnahme zustimment. Schweren Herzens wohl zumeist, aber doch. Und wenn sie auch manchen sozialpolitischen Erfolg erzielten im Denten der Arbeiter mogen bie Sozialversicherung und das Arbeiterurlaubsgesek meniger schwer als das Terrorgeseh, als das Gesetz zum Schuße der Republik , die völlig unbedroht ist, als die Verschlechterung des Preßgefeßzes, die Einführung der Getreidezölle und die willkürliche Handhabung des alt­abbau haben wahrscheinlich auch tausende Staatsbeamte ver­nicht im Denken der Arbeiter allein! Lohn- und Beamien österreichischen Vereins- und Bersammlungsgesetzes. Und anlaßt, fommunistisch zu wählen, und jene Intellektuellen, die mit der Verzerrung der Demokratie durch das Biesta­

fel, daß die Deutschen Wert darauf legen, die Rüdwirtungen Die deutsche Delegation wird die stärkste sein, woraus zu schließen des Locarno- Bertrages in London eingehend zu befprechen. Jus befondere handle es sich um das Rheinlandregime, die Einschränkung der deutschen Luftschiffahrt, den Eintritt Deutschlands in den Bölker- System( Bjet= 5; der Fünfer- Ausschuß der Koalition war das bund und die Abrüftungsfrage.

Da die letzte Botschaftertonferenz teine Einigung über die herabfehung der Befaßungsstätte erzielen konnte, hätten auch die franzöfifchen und belgischen Delegierten ein Intereffe an einer Kon­ferenz mit den englischen Staatsmännern.

Reichswehr und politische Vereine.

Ein Mißerfolg des Boltsentscheids aber wäre nicht nur eine Riederlage der Gegner von Locarno , sondern zugleich eine Niederlage des Reichspräsidenten , dessen Mandat ja unmittelbar vom Bolle ftamint, an das er vergeblich appelliert hätte. Der Beg des Antrags auf Ausfegung der Berkündung des Locarno Gesetzes führte also nicht zu seinem Fall, sondern er führte dirett in den Sumpf. Dem Reichspräsidenten aber würde mit einem solchen Beschlusse eine Berantwortung zuge. schoben, die ihn nach dem bekannten vulgären Ausbruck in die Dredlinie ftellte. ohne daß ihm die Reichsverfassung ein taugliches Mittel an die Hand gäbe, in Fällen wie dem vorliegenden einen bedentlichen Reichstagsbeschluß wirksam zu verhindern." Sie wollten alfo den Reichspräsidenten nicht noch mehr Schwarz- Rot- Golb in die Dredlinie stellen, als sie es schon getan haben. Die Tatsache aber, daß Hindenburg aus innerer Ueberzeu gung für Locarno ist, verschweigen fie immer noch fein gung für Locarno ist, verschweigen fie immer noch fein fäuberlich.

Die Bundesgenossen der Rechten, die Kommunisten, führen in der Roten Fahne" merkwürdige Tänze auf. Es heißt dort:

Im Reichstag ftimmten die Bertreter des tapitalistischen Systems, bie Führer des Großtapitals und der Schwer industrie, die Unternehmer Syndizi und die sozial demokratischen Unternehmerlataien für den Locarno­Batt. Jenseits aller Massenbewegungen, jenseits der Interessen des Proletariats, entschieden die Soldlinge des bürgerlichen Barla. mentarismus für den nächsten imperialistischen Krieg."

Natürlich: die Sozialdemokraten find Unternehmer lafaten, und die Bundesbrüder der Kommunisten gegen Lo­ carno , die Deutsch nationalen und die Böltifchen, find alles tapitalfeindliche traffen bewußte role tarier, mit Herrn Hugenberg an der Spige! Außer bem: es ist doch ganz logisch: nach dem Frieden kommt der

Die Methoden der alten kaiserlichen Armee. Das Reichswehrminifterium hat nun, entsprechend seiner An fündigung, die Liste der Vereine befannt gegeben, die nach §§ 36 und 37 des Behrgefeßes als politische erachtet werden und bei deren Beranstaltungen somit Bestandteile der Reichswehr nicht mitwirken dürfen. Die Liste enthält tatsächlich die be tannten rechtsradifalen Organisationen, wie den National verband Deutfder Offiziere", ben Allbeutschen Berband"," Stahlhelm, Biting", Jungbo", er wolf" ufo., auch den Reichsbürgerrat". die Bts mard iugend", ein politisches Kolleg, Berlin W., Mog. Straße 22", die Reichsflagge, Bayern und Reich die Bereinigten Baterländischen Berbände, die verschiedenen Münchener Frontbünde ufm. Aber auch entschieden republikanische Organisationen, die lediglich für die Aufrechterhaltung und Verteidigung der deutschen Reichsverfassung eintreten, wie das Reichsbanner Schwarz Rot Gold" und den Deut. schen Republitanischen Reichsbund" findet man auf dieser Berbotslifte. Ganz unglaublich aber wird es erscheinen, ist aber doch wahr, daß die freie Gemertschaft Deutscher Musikerverband und sämtliche der Zentralfommission für Arbeitersport und ferperpflege angefchloffenen Organisationen bis zum Ar betterfamariterbund, bem Arbeiterschach bund und dem Touristenverein Naturfreunde in diese Lifte aufgenommen find. Auch der Reichsbunb ber Kriegs beschädigten ist unter den folcher Art verbotenen Organi­fationen. Die einzelnen Berbote gehen bis cuf das Jahr 1921

zurüd.

Bas das Berbot des Deutschen Mufiterverbandes angeht, fo wird es wohl auf den Kampf dieser freien Musifergewerkschaft gegen bie oft als unlauter bezeichnete Rokurrenz von Militärtapellen gegen Sivilmufifer zurückzuführen sein. Die Arbeiter- Turn- und Sport verbände aller Art werden durch dieses Verbot ausschließlich auf 3iviltapellen angewiesen andere dürften sie ohnehin nicht heran, siehen. Aber merkwürdig ist es doch, daß sich das Heer der Republik menigstens in diefer Beziehung zur Arbeiterbewegung genau so zu stellen scheint wie die faiserliche Armee von anno dazumal!

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eigentliche Parlament. D. Red). unzufrieden waren, strömten der neuen tschechischen Arbeiterpartei" zu, die zwar kein Mandat gewann, aber doch gegen 100 000 Stimmen.

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Die deutsche Sozialdemokratie hat die Po­litik der tschechischen Genossen mitgebüßt. Beitgehende Tschechisierung, Berdrängung Behntausender deutscher Beamter und Arbeiter von ihrem Arbeitsplatz, Sperrung von faft 4000 deutschen Schulllaffen unter Regierungen, in denen chechische Sozialdemokraten faßen daß hat viele beutfche Arbeiter in das Lager der Nationalisten und der fich sehr national gebärdenden Christlichsozialen getrieben. Die Partei der Tschechischen Sozialisten", der auch der Außen­minister Dr. Benesch angehört, hat sich in ihrem Wahl­aufrufe mit ihren Tschechifierungserfolgen gebriüftet. Sie rühmte sich dessen, daß es ihr gelungen sei, besonders im Eisenbahnwesen den deutschen Einfluß zu verdrängen, 10 000 tschechische Beamte und Arbeiter im deutschen Sprach­gebiet anzustellen und für sie Wohnungen au bauen. Und diese Politik wird eifrig fortgefeßt. Eben jetzt wird be fannt, daß im Eisenbahndirektionsbezirk Olmütz wieder 1600 Angestellte abgebaut werden sollen unter ihnen 1300. Deutsch e! Jeder dieser Abgebauten wird zum Agitator für die nationalistischen Parteien. Der Nationalismus fann ihnen freilich nicht helfen, aber es gewährt ihnen gewisser­maßen feelische Befriedigung, fich für ihr Unglück zu rächen durch den Anschluß an eine ihnen besonders radikal er­scheinende Bartei, durch den Anschluß entweder an die Hafen­freuzler oder an die Kommunisten, oder doch wenigstens durch die Stimmenabgabe für fie.

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an

ähler toalitionsfeindlich, Gegnerin dieser Die Wahlen haben gezeigt, daß die Mehrheit der Koalition ift. 3 185 000 Wähler haben für die Koalition ge­stimmt, 3 474 139 gegen fie. Aber die Roalition, wird boch eine Mehrheit haben! Sie bekommt ungefähr zehn Man­bate durch die Zuteilung der Stimmen der durchgefallenen Oppofitionsparteien die großen Parteien. Zehn Mandate aus geraubten Stimmen! Die Koalition hat gewußt, warum sie in letzter Stunde das Wah gesetz reformierte"! Und weil das noch nicht langt, so wird man die bisher oppofitionelle tichechische Gewerbepartei in die Koalition mit einbeziehen. Denn die allnationale Koalition muß dem Staate erhalten werden. Und die tschechischen Sozialdemokraten werden, wie ein Be­schluß ihrer Parteiegefutive zeigt, wieder mit babei fein.