Nr 564 4 42. Jahrgang
1« Heilage öes Vorwärts
Sonntag, 2�. November 1�25
Mi Gefügc des bürgerlichen Lebens ist noch immer nicht jo gefestigt, daß es sich die Vielen, die einem turzen Streiche des Schicksals zum Opfer fielen, wiederholen tonn, um flc als Schaffend« dem Organismus neueingliedcrn zu können. Wie Schnee in der Hand zerfchmelzen täglich einige Hunderttausend staatlicher, städtischer und privater Dohlfahrtsgelder in den Händen der Allerärmsten, die ohne Obdach, ohne Erwerb um Brot, Wärme und Obdach kämpfen; lange oft, bis sie wieder ihren Platz im bürgerlichen Leben erzwungen haben, oder-- es aufgegeben haben und ruhelose„Äunden" geworden sind. Feinde aller Gesetze, aller Ordnung. vor Sem Tor in öer fluaustftrahe. Fegt denn hier im Norden Berlins der Novemberwind, der kalte Regenschauer gegen die schmucklosen Mauern der engen Strohe wirft und trübe Gaslaterncn aufflackern läßt, so scharf, dah er das Dutzend armseliger Gestalten fast in die Mauer hineinpreht? Sie ducken sich rar ihm, weil sie ihn fürchten, der sich durch dünne Lumpen mit elsigen Fingern in ihren Körper krallt. Die srostblassen Gesichter erzählen eine lange Geschichte von Kälte, Elend und Hunger. Nie- mand wird kommen, ihnen helfen;— es zählt auch niemand jene, für die heute das Tor der.�Herberge zur Heimat" in der Auguststrahe geschloffen ist, weil sie nicht die wenigen Pfennige Schlaigeld in der Tasche haben.— die wenigen Pfennige, mit denen sie sich das An- recht kaufen können, acht Stunden ihre müden Glieder auf einem Lager zu bergen, das Ruhe und Wanne spendet. Wenn einer au» dnn Klumpen'sich loslöst,— In die Nacht hinauswankt, wisien die zögernd Zurückbleibenden, daß er durch die Straßen irren wird. Minuten die Wärme eines Wartesaales aufsaugend. Vielleicht findet er auch den Weg zur Fröbelskrahe. Die noch zurückbleiben vor der verschlossenen Herbergstür, sie hoffen noch alle auf das Wunder. das geschehen soll, um ihnen den Weg zu Wärme und Ruhe freizu- machen. Aber das„Sesam Öffne dich!" ist hier hartes, kaltes Geld, wenige Pfennige nur.—«in Schatz für jeden, der hier an der Mauer lehnt.
beim lllntrilt In äie sterdcree ist eine öturlre für 30 Pfennig ra lösen, die fflr Schla geld oder für Speisen and Getrinke verwendet werden kann. vle Verwaltunp.
Ein Pförtner unterstreicht mit festem Griff in den Rockärmel eines jeden, der durchschlüpfen will, jedes der Worte diese« Plakates, da» wie eine erhobene Hand den Eintretenden bannt. Für Z0 Renten- Pfennige wird der Weg in den Tagesraum der Herberge frei, wo Heizung und unzählige Menschenleiber Wärme spenden, wo man Stuhl und Tisch findet, die schmerzenden froftschloiternden Glieder zu ruhen. Niemand fragt danach, wer du bist, was du--- warst. Für deinen Namen Interessiert sich allein der Herbergsvater, der dich kritisch detrachtet und ausfragt. Auch die„feine Schale" ist hier kein» Legitimation für Stand und Rang,— hier hat sie nur Handelswert. — wenn du willst oder mußt. Dom frühen Morgen bis zum Schlafengehen hält Elend und Derzweistung hier Börse. Die Not bat hier ein Gewerbe geschassen, selbst sie vermittelt noch Gewinn. Isian handelt— man„verschalt" Mantel, Rock . Haje. Schuhe vom Körper herunter für Pfennige an den, der zahlen kann. Man handelt, die meisten, die hier sind, handeln: laut, flüsternd, humorvoll, sachlich, grob. Regen. Kälte, Wind und Hunger sind die besten Per- mittler für die Geschäfte, die getätigt werden. Hunger! An der„Theke" lehnt ein junger Mensch, die Hände in den Manteltaschen verkrampft.„Hunger" steht auf dem eingefallenen Gesicht geschrieben, ober nur resigniertes Schweigen hat er für die. welch« gewinnhungrig mit Kennergebörde seine Kleidung wie jelbst- verstöndlich besühstn. von vorn und hinten prüfen. „Mal kost'n die Pelle?" „Du.—— du. Emmes, wat joll'n der Hut kosten?" „Pakoosste die Schuhe, do?" ——____ Sckweigen. Die blutlosen Lippen pressen sich nach mehr zusammen. Man läßt ihn stehen.— nichts zu machen. Hunger tut weh:— Kälte auch. Der Kampf ist hart— bis einer kommt, der sein Geschäst versteht. Armselige Stümper stnd die anderen, nichl wert, daß sie ihr Schlaf» geld im„ehrlichen" Handel verdienen. � „Willst'n Mantel verkoofen,— wa, eröffnet er mit mitleidig sorgendem Ton das Geschäft. �,,,,.... „Komm her. Kleener. ich jeb'n Daler.- leß man seh n!" Einen Taler, drei Mark, do, ist sünizehnmal«uppc— ach Suppe— ein ordentliches Mittagesien, Schrippen, Kanee, Zigaretten und ein Bett bedeutet dos.— Möglichkeiten erschließt das Ungebat — Möglichkeiten.... ,e.»> Ein müdes Ausrichten— dann wird der Mantel abgestreitt. Der Andere dreht um, greift, zern— wendet wieder und wieder: kein
Fehler bleibt verborgen. Aber kein Geschäst ohne Organisation. — auch hier nicht. Ein Zweiter stellt stch ein.— greift, zerrt und wendet genau wie der Erste. Jeder, selbst der kleinste Fehler löst ihm einen ganzen Schwall von Ausrufen des Bedenkens aus.— Er macht mies. das ist sein Geschäft, wosllr er von seinem Ches.— fünf, zehn, manchmal 20 Pfennige erhält, je nach Art und Güte des Objekts. Schließlich ist der Preis auf 2 Mark herunter. Geld und Mantel wechseln ihre Besitzer. An der„Theke" steht ein junger Mensch— ohne Mantel— kaut, trinkt und genießt eine kurze Freude des Besitzenden. Wer hier zu Hause ist, weiß, daß morgen dem Mantel, der Anzug, übermorgen die Schuhe folgen werden,— gegen Lumpen und Pfennige als Auf- geld getauscht. So werden hier Geschäfte gemacht. Anzüge, Jacken, Westen, Schuhe, Strünwse, Kragen— gewaschen oder nicht—. Taschentücher, Mützen, Bürsten, Kämm«, Seife in jedem Zustande des Gebrauches sind die Ware, die hier mnläuft. Das Elend hält Börse. die Verwaltung. Wer liest das verstaubte Schild, das ein solches Gesetz kündet, wen kümmert es. Rur wenn durch Rauch und Dunst ordnungfchaf- send der Pförtner auftaucht, hält das Getriebe für Minuten— nur Minuten, dann geht das Feilschen, Anbieten und Locken weiter,— so Tag für Tag. Viel« stnd gekommen mit Koffern, mit Habe bepackt. — Nicht lange,— dann sind sie wieder verschwunden,— in Lumpen, als Lumpen. Irgendwobin. Wer fragt danach? Es ist abends— halb acht. Die Fülle des Aufenthaltsraumes hat die äußerste Grenze er- reicht, die Lust ist dick zum zerschneiden. Man ißt, man raucht, man handest.— oder steht geduldig nach Schlafmarlen. Eine lange Schlange defiliert am Hcrbergsvaler vorbei. Pfennig«, Sechser, Groschen, erhandelt, erbettelt, vielleicht auch ergaunert, werden ausgezählt und für Poppmarken mit Saalnummer. Bettnummer und Namen versehen eingetauscht. Um halb neun öffnen sich die Türen zu den Schlasräumen.„Zugänge", die das erstemal hier nächtlgen,
werden auf Ungeziefer unlersuchk: eine Prozedur, dl« ohne Wider- willen, mit einem resignierten Humor aufgenommen wird, lieber- Haupt besinnt man sich jetzt, wo man sich geborgen weiß, wo Niemand mehr die Lagerstätte streitig machen kann, auf das, was man heimlich mit sich herumträgt.— auf die Vergangenheit. Schicksale. Oben Im Dunkel des Schlafjaales, wenn hier und do Zigaretten noch glimmen, werden Schicksale lebendig Ein Derbknochiger hat draußen im Flur fein Hemd aewalchen— das einzige natürlich— hat es auf den Leib gezogen, damit es über Nacht trocknet. Nicht»
Aufregendes hier,— trotzdem garantiert man Grippe, Schnupfen. Krankenhaus. „Dat dut mich janischt," lehnt er die Mahnungen ab;„so'stmo die Kabylen sehen, wo man bloß so'n Buomis tragen, Winter und Sommer.„Mich dut bat nischt!" „Wat denkste, wie dich die Knochen klappern in Prison noch und noch. Dann erzähl! er: Fremdenlegion,— Kabiilenkämpfe,— heiße, heiße Tage,— katte Nächte. Er erzählt von Schinderei,— von Sausen, von Wüstensand von Prison . Das ist doch mal etwas, was für Minuten die Phantasie bewegt. Bett Nr. 123 beherbergt heute einen richtigen Doktor,— keine Seklenheit— Doppeloektor, rcr. pol. et iur. Doktorchen erzählt auch, — er ist Zyniker wie die meisten hier. Er erzählt— zählt aus, wieviel Rcntcnmork er dem Hosrat I aus„dem Kreuz geleiert" hat, was er dieser und dieser Parteikasie gekostet hat. daß sie seine Rück- anstcht ln der Tür sehen konnten.„Dokla".— wie man hter sagt. steht long. Er ist noch gut in Schale und Hot todsicher Papiere in der Tasche. Papiere, die Türen und Börsen öffnen.— Berlin soll nur Station sein, weiter nach Bremen will er, dann raus aus Deutsch land , Uebersee lockt.— Kunden tauschen Erfahrungen ihrer Klopf- fahrten aus und schwelgen iy der Erinnerung fetter Touren.— Werden sie zurückfinden in das bürgerliche Leben, das sie vielleicht einer mcnschlchein Schwäche wegen ausspie? Der eine ist 43.„Yui 20 Jahren fing es an."— so erzählt er: seitdem pendelt er halt',>»7 Herberge— Arbeitshaus— Herberge— Strafanstalt. Einige Tag«. Freiheit, manchmal eine Woche, iestcn zwei Wochen, dann„geht er wieder hoch". Sein Lo»,— er will nicht anders. Au einem Abend hört, erlebt man unendlich viel in einem solchen Schlafsaal.„Knast schieben",„ackern",„kloplen" sind Worte, die an einem Abend alt wiederkehren. Der Schlaf wischt das alles ans. Was sind aber acht Stunden der Ruhe gegen 16 lange SttiNtien voll Unrast. Die Nacht ist schnell vorbei. Der graue Morgen.«u. „Guten Morgen, bitte aufstehen," so zerreißt der Weckruf höflich aber energisch um 6 Uhr früh den schönsten Traum. Einer nach dem anderen verläßt zögernd das warme Bett. Draußen klappern schon Waschschüsseln— mancher nimmt schnell noch ein Auge voll.— es ist doch so bitter kalt. Flure und Treppen bevölkern sich, und um sieben Uhr ist der Letzte unten im Tagesraum. Grau ist der Morgen, grau spiegelt er sich in all den müden Gesichtern wider. Wer sich ein Kaffee-' und Schrippensrühstück leisten kann, tut es. Vis zur Morgenandacht wird gebürstet, geputzt, geglättet und Löcher ver- deckt. Gesangbücher kommen aus die Tische, und dünne Harmonium- akkorde leiten die Andacht ein. Wer achlri aus die Btbelworte, man singt, aber die Mienen zeigen keine Teilnahme. Man sitzt hier jeden Morgen mit dem Gesangbuch in der Land, nur weil man noch nicht hinaus will auf die kalte Straße. Man fleht sowieso zu früh, viel zu früh draußen, um zu kümpfrn, um Hilse. Brot und Obdach-- wieder obdachlos. Länger als 1» Tage ist der Aufenthalt in der Herberge nicht gestattet! Was dann, wenn diese Frist herum Ist?---- vie Gäste. Trotzdem hat die Herberge ihre Stammgäste, die hier wochenlang. Monate hindurch Obdach und Verdienst finden, die sich hier wobl fühlen, nicht» vermissen..Lehn Tage, dann ruus," daran ist nicht zu rütteln. Nu, wenn schon, man bleibt zwei Tage fort, dann ist man wieder da und findet den Zugang für neue 10 Tage frei. Die aber, die hier nur eine kurze Gastrolle geben wollen,— das Schicksal ist meist stärker— treibt mir der heiße Wunsch:„Raus hier, rmi» um jeden Preis." Arbeit baben, und ein Dach Über dem Kops. Dies Ziel treibt ste am Irühen Morgen schon zum zuständigen Wohl- sahrtsamt, wo sie harren, bis ihnen Hilfe wird, bis eine neue Eni- löuschung ste zusammenschmctten. Nicht mir gegen Not und Elend kämpft städtische Wohlsahrt, ste muh auch gegen Lüge und Betrug einen horten Kamps lämplen. Abgewiesen! Ziellos irren sie grübelnd durch die Straßen. Wo sollen sie auch hin, wer kann denn nun noch helfen? Wer könnte? Sinnen und nochmal Sinnen verzehrt meist jeden Trieb zur aklioen Selbsthilfe. Man kommt nicht davon ab, dah nur der andere belsen kann. Die gewagtesten Gedanken bekommen in solchen Sittiationen Gefüge, werden Sclbsloe�ändlichkeit. „Aber nä— i," alarmiert in der Herberge ein Vstmärker seine Nachbarschaft, indem er seine harte Faust aus den Tisch krochen läßt. „Aber nä— i,— daaß ich doch gaar nich dran jedoch! Hab!" Er entsinnt sich einer Cousine seines Schwagers, die in Steglitz in Siel- lung sein soll, vielleicht mal war. Sie soll Helsen , er will sie finden, nur den Namen hat er vergessen. Maleikc oder so oder so soll sie heißen, er weiß nicht ganz genau. O bittere Komik des Elends. Kriegskameraden, ehemalige vorgesetzte, längstvergrssene Freunde. Bräute von Freunden in der Heimat, slüchtige Bekannte besserer Tage, selbst Fremde, deren Namen man sich irgendwo ein- geprägt hat, müsien zurück tn die Erinnerung: sie sollen Hilfswerke vollziehen. Hatte Ich nur, wäre ich nur. könnte ich nur, das stnd hier Stich- warte, die Hoffnung auslösen. » Obdach. Esten und Warnte, und wenn es in der Strafanstalt sei. Aerzwelflung gebiert Pläne. Der Wunsch nach dem Krankenhaus. wo man ein Bett weiß und ein gutes Esten, taucht oft auf, man hilft auch nack. um dorthin zu gelangen, nur um für kurze Zeit Ruhe �u haben, sich sammeln zu können, für dos Auswärts. Wie wenig Wünsche können zur Erfüllung ausreifen, und wieviel Elend bleibt zurück,. geistert Tag und Nacht durch die Straßen, rastlos, heute morgen— immer!