Abendausgabe
Str. 567 42. Jahrgang Ausgabe B Nr. 281
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Vorwärts
Berliner Volksblatt
10 Pfennig
Dienstag
1. Dezember 1925
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Condon, 1. Dezember. ( Eigener Drahtbericht.) Eine rle-| fige Menschenmenge umlagerte das Auswärtige Amt, als zur festgesetzten Stunde die Delegationen zur Unterzeichnung der Berträge von Locarno eintrafen. Als erste fuhren die Italiener vor, sodann die Vertreter der englischen Regierung. Danach kamen Briand und Vandervelde und schließlich Luther und Stresemann . Das Erscheinen der deutschen Delegierten war für die Menge das Signal zu einer spontanen und stürmischen Huldigung. Luther und Stresemann 30gen ihre Hüte und dankten lächelnd der Menge. Der englische Premierminister Baldwin betrat unbemerkt das Auswärtige Amt durch einen hinteren Eingang. Die Unterzeichnungsfeierlichkeiten begannen furz nach 11 Uhr( 12 Uhr deutsche Zeit).
SUPPO
3eit, die den Delegierten zur Berfügung stände, wäre es schwer, irgendwelche mit dem Locarnopaft im Zusammenhang stehende Fragen zu erörtern. Jedenfalls würden die Erörterungen auf die beiden dringlichsten Fragen beschränkt werden, nämlich das Datum von Deutschlands Einfriff in den Völkerbund und die Beendigung der Räumung Kölns Fragen, die nach deutscher Auffaffung miteinander verbunden seien. Da die deutsche Regierung es schwierig finden würde, vor der Räumung der Kölner 3one in den Bölkerbund einzutreten, und da fie dies andererseits erfreulicherweise sobald wie möglich zu tun wünsche, würde ange deutet werden, daß eine leichte Beschleunigung der Räumung wünschenswert sei. Der Berichterstatter findet es be. mertenswert und neu, daß auf deutscher Seite so großer Nachdruck auf die wirtschaftlichen wie auf die politischen Folgen von Locarno , nämlich auf die Notwendigkeit einer 3usammen. arbeit der europäischen Mächte, nicht nur in der Frage der Be finanzen, Industrie und Arbeitslosigkeit) gelegt werde.
Bei ihrer Ankunft im Auswärtigen Amt wurden die Delegierten vom Staatssekretär Austen Chamberlain in seinem Arbeits3immer empfangen. Es folgten sodann die furze Formalität der gegenseitigen Prüfung der Unterzeichnungsvoll- friebung, sondern auch in denen des Wiederaufbaues,( Staatsmachten. Danach begaben sich die Bevollmächtigten in den Goldenen Empfangsfaal, wo der eigentliche Unterzeichnungsaft punkt 11 Uhr erfolgte.
Der Saal bot ein fehr imponierendes Bild. Hinter den Hauptdelegierten saßen an besonderen Tischen die Sekretäre und sonstigen Begleiter der Hauptdelegierten, ferner waren besondere Plätze für die Londoner Botschafter und Gesandten der unterzeichnenden Mächte referviert worden sowie für Cord Crewe und Lord d'Abernon, die britischen Botschafter in Paris bzw. in Berlin , als Zeichen der Anerkennung ihrer beim Zustandekommen des Sicherheitspaties geleisteten Dienste
Nachdem die Delegierten ihre Pläge eingenommen hatten, erhob fich Chamberlain und las eine Botschaft des önigs Georg pot. Chamberlain erklärte:
" Auf Befehl Seiner Majestät des Königs, meines erhabenen Herrschers, heiße ich Sie willkommen in der Metropole des brilij hen Reiches. Der König hat mich beauftragt, Ihnen zu sagen, mit welchem Jntereffe er die Debatten der Konferenz von Locarno verfolgt hat, und Ihnen seine tiefe Genugtuung über deren erfolgreichen Abschluß auszusprechen. Der König beglückwünscht sich felbst zu Ihrer Wahl seiner Hauptstadt als Ort der Unterzeichnung der in Locarno vereinbarten Abkommen."
Nach diesem Willkommengruß des Königs, den Chamberlain in französischer Sprache vortrug, hielt Chamberlain seine eigene Begrüßungsrede. Er führte aus:
Meine Herren!
Ich will nun hinzufügen, daß der Premierminister und ich uns ebenfalls zu Ihrer Anwesenheit in diesem Saale zum Zwecke der Unterzeichnung des Vertrages von Locarno und der sonstigen dort vee barten Abkommen beglückwünschen.
Wir bedauern sehr(?), daß seine Exzellenz Herr Mussolini nigt in der Lage war, hierher zu fommen, um eigenhändig den Vertrag zu unterzeichnen, den er in Cocarno parapaiert hat, aber wir find glüdlich, in der Person des Herrn Scialoja den Vertreter des Königreichs Jtalien als einen Gacanten diefes Friedenswertes zu begrüßen.
Die britische Regierung identifiziert sich vollständig mit den malchen, die Seine Majestät mich beauftragt hat in feinem Namen
Ihnen auszudrüden.
Die Konferenz von Locarno hat auf der einen Seite frühere Freundschaften befestigt und ist auf der anderen Seite die Grundlage einer Wiederverföhnung mit Deutschland gewesen, einer Wiederverföhnung, die, nach unserer Ueberzeugung, uns forfan einen neuen Freund sichern wird.
Meine Herren! Wir sind uns deffen völlig bewußt, daß noch vieles gefan werden muß, damit diese Hoffnungen vermirtlicht werden. Wir alle werden noch zahlreichen Schwie rigkeiten begegnen, ehe unfere Borurteile der Bergangen heit überwunden, unsere Bedenken zerffreut sein werden. Aber für unseren Teil find wir unerschütterlich entschlossen. dieses Friedenswert in dem gleichen Geiste fortzusetzen, der unfere Berhandlungen in Locarno beseelt hat. Nachdem wir unsere Hand an den Pflug gelegt haben, werden wir nicht nach rüdwärts schauen. Die britische Regierung wird alles fun, was in ihrer Macht liegt, um einen erfolgreichen Abschluß unserer Arbeiten zu sichern,
damit der Haß und das Mißtrauen der Vergangenheit begraben werde, und damit den fünftigen Geschlechtern eine Wiederholung des Unglücks und der Leiden erspart bleibe, die die Welt von heute als Zeugin und Opfer erlebt hat!" Nachdem die Führer der anderen Delegationen in furzen Ansprachen auf die Rede Chamberlains geantwortet hatten, wurde der Vertrag durch den Rechtsberater des englischen Auswärtigen Amtes, Sir Cecil Hurst, um den Tisch herumgereicht und von den Delegierten unterzeichnet, ebenfo die fonftigen Schiedsgerichtsverträge. Schließlich wurde noch ein Telegramm an die Gemeindeverwaltung von Locarno gerichtet, worauf Chamberlain die Sigung für geschlossen erklärte.
Die Londoner Erörterungen. Condon, 1 Dezember. ( IB.) Der diplomatische Bericht erftatter des„ Daily Telegraph " fübrt aus, angesichts der Kürze der
Nationalistische Traner auch in Frankreich . stehenden Unterzeichnung der Abkommen von Locarno schreibt Echo Paris, 1. Dezember. ( WTB.) Zu der heute in London bevor de Baris": In der Geschichte Europas wird bas ein großer Tag sein. Die Geschichte wird sagen: Bon diesem Tage an wird der Verfailler Bertrag rasch abbrödein; und wir werden erkennen, daß Deutschland seine Wiederherstellung durchführt. Der Reichskanzler und der deutsche Reichsaußenminister find nach London gereift, um, foviel an ihnen liegt, den Bruch mit der Bergangenheit dadurch zu bezeugen, daß fie die Bergangenheit in Vergessenheit geraten laffen. Gaulois schreibt: Die Berträge von Locarna enthalten mirtliche Vorteile, aber auch Nachteiliges, weil sie das Reich gegen jede Sanktionsmöglichkeit im Falle neuer Berfehlungen durch Frank reich fichern, und weil die Zukunft des Friedensvertrages, wenn man so sagen darf, pretär wird.
"
Die Räumung Kölns begonnen. Die englischen Truppen auf dem Abmarsch. Köln , 1. Dezember. ( Eigener Drahtbericht.) Die Räumung Kölns vollzieht sich von der Deffentlichkeit fast nicht bemerkt. Nach dem bereits am Montag ein kleinerer Truppenteil in Köln verladen wurde, um nach seinem neuen Bestimmungsort in die füd. liche Zone abtransportiert zu werden, verließen am Dienstag morgen abermals britische Truppen Köln .
Auch am Mittwoch wird wieder eine fleinere Abteilung britischer Truppen abtransportiert.
Um Donnerstag geht das erste Bataillon des ManchesterRegiments und andere Formationen nach Königstein ab. Die Rheinflotte, beffehend ans 5 Schaluppen und sechs fleineren Booten hat Dienstag früh ihre Operation eingestellt.
Aufhebung von Schiffahrtsordonnanzen. Mannheim , 1. Dezember. ( Mtb.) Wie der deutsche Unterdelegierte für Schiffahrtsangelegenheiten in Mannheim mitteilt, find von heute ab die Rheinordonnanzen 37 und 85 für die
Schiffahrt aufgehoben. Die Aufhebung dieser beiden Drbon nanzen bedeutet eine wesentliche Bertehrserleichte rung in der Rheinschiffahrt.
Brüffel, 1. Dezember. ( Eigener Drahtbericht.) Das Antwerpener Sozialistenblatt Boltsgazet" bricht in den letzten Tagen eine Lanze für Berhandlungen mit Deutschland , die die 3urüd gabe Don Eupen Malmedy an Deutschland zum Ziele haben. In der Kammer sei eine Mehrheit für die Zurückgabe zu schaffen, wenn Deutschland die im Befiz der belgischen Nationalbant befindlichen 4 milliarden Papiermart zurückaufe und damit das belgische Finanzproblem löse. Das Blatt bemerkt, daß der Versailler Vertrag deutsche Grenzverschiebungen vorsehe Die Bevölkerung Neu- Belgiens fei deutsch und wolle zu Deutschland zurüd.
Also doch Inflation?
8 Milliarden Papierfrank dringend benötigt. Paris , 1. Dezember. ( Eigener Drahtbericht.) Der„ Matin" will wissen, daß die Regierung schon in den nächsten Tagen genötigt sein werde, dem Parlament einen Gefeßentwurf zu nicht weniger als acht Milliarden Frank erhöht. Davon seien, unterbreiten, der den Notenumlauf vorübergehend um nachdem die Regierung sich gegen die Konsolidierung der kurzfristi nachdem die Regierung sich gegen die Konsolidierung der kurzfristi gen Schulden ausgesprochen habe, 2½ Milliarden notwendig zur Einlösung der am 8. Dezember fälligen Schabwechsel, 2½ Milliarden zur Dedung des durch verschiedene außerordentliche Ausgaben, darunter die Kosten der Kriegführung in Maroffo und Syrien , verursachten Defizits und etwa 1½ Milliarden für laufende Bedürfnisse von Handel und Industrie, was zusammen mit den bereits in der vergangenen Woche bewilligten 1% Milliarden neuer Borschüsse bei der Bank von Frankreich 8 Milliarden aus macht. Um Rüdwirtungen dieser neuen Umlaufsmittel auf den Kurs des Franten zu verhindern, sei die Regierung entschlossen, eine rasche Zurüdzahlung der Borschüsse sicherzustellen durch zu. schläge auf die bisherigen Steuern in einer Höhe von 5 Milliarden Frant, die bereits in den nächsten zwei Monaten erhoben und zur Surüdziehung der neu ausgegebenen Noten aus dem Berkehr verwendet werden sollen.
Die Katholiken lösen sich nicht auf. Katholische Gewerkschaften gegen Faschistenmonopol.
polari , die in Mailand tagte, faßte folgende Beschlüsse: Die Partei löft lich nicht auf. Die Partei bleibt den christlich. demokratischen Idealen treu. Sie gibt zu, daß jetzt die Ausübung des Abgeordnetenmandates fehr beschränft ist, erlaubt aber trotzdem die Niederlegung des Mandates nur, wenn seine Ausübung mit der Würde der Partei und der Achtung vor den Wählern un vereinbar ist.
Rom , 1. Dezember. ( WIB.) Die Parteileitung der Bo.
Rom, 1. Dezember. ( TB.) Die in Mailand verfammelten fatholischen Gewerkschaften fritisieren die neuen sozialen Bor. lagen der Regierung, weil dadurch den faschistischen Ge. mertschaften eine Monopolstellung verliehen merde,
Hilfe für die Erwerbslosen.
Die Beschlüsse des Stadtverordnetenausschusses.
Ueber die geftrigen Beratungen des Stadtverordnetenaus. Schuffes, der die Anträge zur Linderung der Erwerbslosennot be raten hat, erhalten wir noch genauere Mitteilungen. Danach hat der Ausschuß folgenden Beschluß gefaßt:
„ Die Versammlung ersucht den Magistrat: a) der Versammlung in der nächsten Sizung eine Vorlage zu unterbreiten, durch die zur Bekämpfung der Not der Erwerbslosen und der fonftigen Unterftügungsempfänger zunächst die Summe von 10 Millionen Reichs matt flüssig gemacht wird, die den Wohlfahrtsämtern ber Bezirke entsprechend den in den Bezirken vorhandenen Unterstügungsbedürftigen zur Verfügung gestellt werden;
b) bei Reich und Staat darauf zu drängen, daß zur Befämpfung der Arbeitslosigkeit alle geplanten Arbeiten unverzüglich in Angriff genommen und begonnene Arbeiten weiter geführt werden;
c) bie im Haushaltsplan vorgesehenen Arbeiten im Hoch- und Tiefbau fofort in Angriff zu nehmen und beim Reich porstellig zu werden, daß mittel für weitere Notstandsarbeiten zur Verfügung gestellt werden;
Bon einer Beschlußfaffung zu dem sozialdemokratischen Antrag auf Instandsegung des Arbeitsnachweis ift abgesehen worden, weil der Magiftratvertreter die Erledigung im Dezernatswege zuge fichert hat. Für den Antrag a) stimmten die Kommunisten, Sozialisten, Demokraten und ein Deutschnatio. naler, für den Antrag b) stimmten alle Barteien, für c) eben falls, für d) desgleichen, für e) dito und f) wurde mit mehr. heit angenommen.
Aus dem Ergebnis diefer Beratungen geht hervor, daß die aus reichende Unterstügung unserer von der furchtbaren Erwerbslosig. feit betroffenen Volksgenossen für die Statt eine reine in anfrage geworden ist. Oberbürgermeister Böß hat somis so in seiner Einführungsrede für die neuen Stadtverordneten be tont, daß Berlin vor der Notwendigkeit stünde, seine Steuers zu erhöhen. Die sozialdemokratische Fraktion hat bereits in einem besonderen Antrag auf die für die Dauer unerträgliche un gerechte Steuerverteilung des preußischen Staates zu ungunsten Berlins hingewiesen. Troßdem wird die Stadtverord netenversammlung nicht umhin tönnen, sobald als moglid sich aud, über die Beschaffung von Mitteln schlüssig zu werden. Es werden dann leider wieder alle möglichen Schwierigkeiten entsteher und gemacht werden. Ber aber in diesem Winter sozial Hilfsarbeit leisten will, muß auch bereit sein, für die Beschaffung von Mitteln einzutreten. Die Lazialbemolvatiche Graftion, wird sid ricbenfalls nicht scheuen, dafür die Berantwortung st
d) den Erwerbslofen, sowohl den Unterstügten als auch den Ausgefteuerten, je Familie und Monat, mindestens zwei 3entner Rohle zu liefern;
e) den Steuerausschuß fofort zusammenzurufen, um über die Bereitstellung der Mittel für eine großzügige Unterstützungsaftion für Erwerbsloje, Kriegsopfer, Sozial- und Kleinrentner, sowie fämtliche Unterstügungsempfänger Borschläge zu machen; f) bei der Reichsregierung verstellig zu werden, daß fie für bie schleunige Beratung des Gelegentwurfes über bie beitslosenversicherung eintritt."
übernehmen.