Nr. 568 42. Jahrg.
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Mittwoch, den 2. Dezember 1925
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Mit dem gestern in London programmäßig vollzogenen Unterzeichnungsaft hat ein wichtiger Abschnitt der Weltpolitik in der Nachkriegszeit einen würdigen Anfang genommen. Wir sprechen nur eine Selbstverständlichkeit aus, wenn wir deutschen Sozialdemokraten unserer tiefen Genugtuung darüber Ausdruck verleihen, daß die am 9. Februar diefes Jahres durch das Memorandum der Regierung LutherStresemann- Schiele eingeleitete diplomatische Aktion nunmehr tonkrete, völkerrechtlich bindende Gestalt erhalten hat. Wir begrüßen dieses Ergebnis einmal wegen der allgemei nen Besserung der außenpolitischen Lage unseres Landes, die es mit sich bringt. Nicht nur wegen der fogenannten Rüdwirtungen, die bereits eingetreten find, und die zweifellos in immer stärkerem Maße den besetzten Gebieten zugute fommen werden, bis es überhaupt teine befegten Gebiete mehr geben wird; nicht nur wegen der mit dem geftrigen Tage eingeleiteten Räumung der Kölner Zone, die durch das Zustandekommen der Verträge von Locarno zwar nicht rechtlich erwirkt, aber praktisch erleichtert und beschleunigt wurde, sondern auch wegen der for mellen Friedensgarantien, die der Sicherheitspakt und die Schiedsgerichtsverträge allen beteiligten Mächten gewährt und deren psychologische Auswirkung eine fortschreitende geistige brüstung der ehemals frieg führenden Völker fein fann, fein muß und sein wird. Und schließlich begrüßen wir das in London ratifizierte Wert von Locarno , weil es auf allen Seiten mit den legten Hindernissen aufgeräumt hat, die dem Beitritt Deutschlands zum Bölkerbunde noch im Wege standen.
Ueberblickt man den außenpolitischen Weg, den das deutsche Bolt in den letzten sieben Jahren zurückgelegt hat, von dem militärischen Zusammenbruch des Herbstes 1918 bis zum gestrigen Unterzeichnungsatt, vergleicht man die damalige materielle und geistige Isolierung Deutschlands mit der geachteten Stellung, die es heute wieder in der Welt ein nimmt, stellt man die haßerfüllte Rede, mit der Clemenceau das Friedensdiftat den deutschen Delegierten überreichte, den Worten gegenüber, mit denen Chamberlain und auch Briand den Abschluß des Sicherheitspattes fommentiert haben, dann erst erkennt man den ungeheuren Fortschritt, den die deutsche Republit auf dem Wege ihres Wiederaufstieges erzielt hat.
Damals, am 7. mai 1919, sagte Clemenceau im Namen von etwa zwei Dußend Staaten: Die Stunde der Abrechnung ist getommen!" und gestern, am 1. Dezember 1925, erflärte Chamberlain: Die Konferenz von Locarno hat zu gleicher Zeit unsere früheren Freundschaften befestigt und die Grundlagen für die Bersöhnung mit Deutschland gelegt, eine Berföhnung, von der wir überzeugt sind, daß sie uns in Zukunft einen weiteren Freund sichern wird."
In diesen beiden Daten und Zitaten liegt das fast greif bare Symbol des deutschen Wiederaufstiegs. Leider ist das Gedächtnis breiter Schichten des deutschen Boltes erstaunlich schwach, sonst würden viele Millionen unserer Volksgenossen, die das Werk von Locarno fritisieren oder gar ablehnen, seinen Wert und feine Bedeutung sofort erkennen. Denno: haben die Abstimmungen im Reichstag bewiesen, daß die überwiegende Mehrheit der Deutschen den Frieden will und den eingeschlagenen Weg zum Frieden als den einzig richtigen billigt. Die deutsche Sozialdemokratie bekennt sich in dieser Stunde mit Stolz zu der Führer rolle, die sie auf dem außenpolitischen Weg der sieben ver gangenen Jahre eingenommen hat. Oft glich dieser Weg einem Golgatha und besonders die Sozialdemokratie hat ihren Befennermut mit dem Berlust pieler Anhänger büßen müssen, die, durch deutschnationale oder kommunistische De magogie aufgeputscht und irregeführt, ihr Heil in gedanken lofen Gewaltparolen zu finden wähnten. Dadurch aber, daß sich unsere Bartei durch keine Schmähungen von der richtigen Bahn abdrängen ließ und den Mut zur Unpopularität auch in den fritischsten Stunden aufbrachte, hat sie den stärksten moralischen Sieg errungen, der je einer politischen Partei beschieden war: sie hat ihre gehässigsten Gegner ge= awungen, den von ihr eingeschlagenen Kurs fortzusetzen. Die Deutschnationalen haben zwar im Reichstag gegen Locarno geftimmt. Aber diese Tatsache ist für die Geschichte des Sicherheitspaktes völlig belanglos. Entscheidend und nicht aus der Welt zu schaffen ist dagegen die Tatsache, daß das Memorandum vom 9. Februar von der Regierung Luther . Stresemann Schiele ausging, daß die Antwortnote vom 20. Juli non der gesamten Rechtstoalition im Reichstag
ausdrücklich gebilligt wurde, daß die Entsendung der deutschen | alle Bölter dringend brauchen als Grundlage ihres Wiederaufstiegs. Delegation nach Locarno auf Grund eines einstimmigen Rabineitsbeschlusses erfolgte, daß die Paraphierung in Lo carno ohne Widerspruch der deutschnationalen Kabinettsmitglieder vorgenommen wurde, und daß das Ver tragswert im Reichskabinett zunächst das laute freu dige Ja" des deutschnationalen Reichsministers Schiele gefunden hat. Alles andere ist Lug und Trug, Spiegelfechterei und Heuchelei mit einem Wort: deutschnational!
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Nur eins ist an dieser nachträglichen Oppositionspoffe der Westarp- Partei ernst zu nehmen: das ist die feierliche Er flärung ihres Führers, daß sie die Rechtmäßigkeit der Berträge von Locarno niemals anertennen werde. Damit haben sich die Deutschnationalen bis zum ebenso feierlichen Widerruf dieser törichten Erklärung die Rüdtehr in die Regierung unmöglich gemacht. Das wäre an sich tein Schaden für das deutsche Volk, sondern im Gegenteil, wie die innerpolitische und die wirtschaftliche Entwicklung des Jahres 1925 deutlich genug aufweist, für 90 Proz. der Bevölkerung ein Glüd. Aber da wir wissen, daß Herr Luther, der auf seine Wiederbetrauung mit dem Reichsfanzleramt offenbar start rechnet, für diesen Fall die Wiederkehr der verlorenen Söhne in die Bürgerblodfamilie nach einer möglichst furzen Bußezeit für wünschenswert hält, so sei bereits jetzt darauf hingewiesen, daß ein Wiedereintritt der Westarp Schiele- Partei ins Reichskabinett schon aus außenpolitischen und völferrechtlichen Gründen einen Widerruf jener törichten Erklärung voraussetzt. Diese Burücknahme dürfte der Fraktion Mampe umso weniger schwer fallen, als es das eigene Kind ist, das sie verflucht hat und wieder segnen soll.
Die Herren Luther und Stresemann haben gestern in London ihren großen Tag gehabt. Die Ovationen der Menge waren zweifellos verdient. Denn die Gerechtig: teit gebietet, ihnen das Zeugnis auszustellen, daß es nicht leicht war, mit einer Regierung des Bürgerblods- wohl gemerkt mit der ersten Reichsregierung, in der deutschnationale Minister saßenjene Politit zum Abschluß zu bringen, die den Verzicht auf den Revanchekrieg zur Grundlage hat. Nun beginnt auch für Deutschland , besonders für Deutschland , ein neues Zeitalter, das reich an Berantwortung, aber auch an Erfolgen sein kann. Durch seinen Eintritt in den Völferbund wird es auf allen Gebieten des Friedens eine führende Rolle spielen können. Die deutschen Minderheiten im Auslande warten sehnfüchtig auf den Tag, an dem Deutschland im Genfer Rat der Völker seine Stimme zu ihrem Schuhe, überall dort wo ein folcher nottut, erheben wird. Vielleicht wird schon die Tat fache der Anwesenheit Deutschlands im Bölkerbunde genügen, um ihr Los zu bessern, weil man unangenehmen Debatten, in denen die Bertreter der deutschen Republik die Stimme des Rechtes und der Demokratie erheben würden, vorzubeugen geneigt sein wird. Schon aus diesem Grunde muß von der Reichsregierung gefordert werden, daß sie den Eintritt in den Bund unverzüglich vollziehe und bei ihren heutigen Be sprechungen in London dem Wunsche der Gegenseite nach baldigster Einberufung der außerordentlichen Völkerbunds verjammlung teine dillatorischen Winkelzüge entgegenstelle.
Deutschland als geistig führende Macht unter den demokratischen Nationen, das ist das nationale 3bel der deutschen Sozial demokratie in den kommenden Jahren. Im friedlichen Rat der Völker soll sich Deutschlands Mission als Bannerträger des Friedens und des geistigen und sozialen Fortschritts erfüllen. Wer am heutigen Tage erkennt, daß der Weg, den die Sozialdemokratie in den letzten Jahren unter schweren Opfern gegangen ist und er zwungen hat, der richtige war, wer das hier gekennzeichnete nationale Ziel als erhaben und erstrebenswert empfindet, der trete jekt erst recht ihren Reihen bei, stärke damit die Macht ihrer Ideen und beschleunige dadurch ihre Erfüllung!
Die Reden der Delegierten.
Reichs anzler Dr. Luther
Wir hoffen ernsthaft, daß die Wünsche sich verwirklichen mögen, die der englische Außenminister zum Ausdruck gebracht hat, insbesondere auch über das Verhältnis der hier vertretenen Nationen zu meinem Vaterlande. Herr Chamberlain hat mit Recht hervorgehoben, daß auf dem Wege zu dieser Versöhnung auch neue Freundschaften erstehen sollen und Hindernisse zu überwinden sind. Alle Böller müssen sich vereinigen, um die Vorurteile und das Mißtrauen in die Vergangenheit zu verweisen, um den Weg frei zu machen für eine Zukunftsentwicklung, an der wir alle mitarbeiten müffen.
Dazu ist notwendig, daß auch alles verschwindet, was seine Urfache hat in nicht mehr berechtigten Nachwirkungen einer vergangenen Kriegszeit.
Die Tatsache, daß Gebietsteile meines Beterlandes unter den Auswirtungen des Krieges noch zu leiden haben, muß in absehbarer Beit der Vergangenheit angehören. Noch höher als der Inhalt des Vertrages muß die Einheit des Willens zu gemeinsamer friedlicher Arbeit fein, die ihren Ausdruck im Wert von Locarno findet, zu dem sich Deutschland auch heute gern bekennt. Möge aus dieser Willenseinheit das Zusammenwirken all der Völker er. wachsen, die hier vertreten sind!"
Darauf folgte die bedeutende Rede des französischen Ministerpräsidenten und Außenministers
all Briand.
zeichnet werden, dazu bestimmt, die Nationen Europas fester zu binEr sagte, nicht ohne Rührung würden die großen Berträge unter den, und die Eröffnung einer neuen Aera des Friedens anzuzeigen. Sie drücken die tiefsten Gefühle und Wünsche aller Nationen aus, die
so furchtbar unter dem Kriege gelitten haben. Der Redner erzählte, wie er einen einfachen Brief von einer Frau aus dem Bolke erhalten habe, in welchem sie ihn zu dem erfolgreichen Abschluß der in Locarno babe, in welchem sie ihn zu dem erfolgreichen Abschluß der in Locarno getanen Arbeit beglückwünscht habe. Sie schrieb wörtlich: Endlich ist es mir möglich, mir meine Kinder ohne Besorgnis für ihre Butunft anzusehen und endlich kann ich sie mit einiger Sicherheit lieben." Dieser Brief, sagte Briand , mache auf etwas aufmerksam, womit er während feines ganzen politischen Lebens eng verbunden gewesen sei. Der Vertrag verkörpere die Tatsache, daß jetzt gegenseitige Hilfe und menschliche Solidarität Blaz greifen werde. Zu der deutschen Delegation gewandt, fagte er:„ Mir gegenüber sitzt die deutsche Delegation. Ich will damit nicht sagen, daß ich kein guter ich bin dessen ficher gute Deutsche Franzose bleibe, wie Sie bleiben werden, aber angesichts der Verträge sind wir nur Europäer. Die Sonderheiten unserer Länder sind jetzt durch diesen Vertrag ausgelöscht. Unsere Nationen haben sich oft auf den Schlacht feldern gegenübergestanden. Der Locarnovertrag soll den Wert haben, daß
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derartige Metzelelen nicht noch einmal vorkommen sollen. Wir müssen jetzt mitarbeiten in der Arbeits. gemeinschaft des Friedens und unsere Nationen, welche auf dem Schlachtfelde gleiches Helbentum gezeigt haben, werden jezt menschlichere Mittel zu einem friedlichen Wetteifer finden. In diesem Sinne unterzeichne ich als französischer Delegierter die Ver träge. Und hier gebe ich die feierliche Erklärung ab, daß ich darauf vertraue, den Sprecher der überwältigenden Mehrheit meines Boltes zu sein. Ich sehe in dem kommenden endgültigen Frieden den Beginn der friedlichen Arbeit zur Erneuerung Europas . Durch einen allgemeinen Völkerbund soll dieser Friede gesichert werden und dieser Friede soll eine Weihung der Intelligenz und des Verstandes sein. Briand sagte noch, die Verträge von Locarno feien nur wertvoil, wenn der Wille, den Krieg zu beseitigen, bei allen Nationen vorhanden sei. Frankreich werde auf Grund des Locarnopattes alles versuchen, was ihm möglich sei, um einen Krieg zu vermeiden und den Frieden zu fördern. Die soeben unterzeichneten Schriftstücke müßten Europa erneuern.
Außenminister Dr. Stresemann
führte aus: In dem Augenblick, in dem das in Locarno begonnene London , 1. Dezember. ( Eigener Drahtbericht.) Nach der Be- Wert durch unsere Unterschriften in London vollendet ist, möchte ich vor allem Ihnen, Sir Austen Chamberlain , den grüßungsiede Chamberlains nahm der deutsche Dant aussprechen für das, was wir Ihnen schulden in Anerkennung der Führerschaft bei dem heute vollendeten Werf. Wir haben in Locarno , wie Sie wiffen, feinen Vorsitzenden gehabt, haben ohne Borsitz gehandelt; das aber ist das Große in der wunderbaren Tradition Ihres Landes, das auf eine vielhundertjährige parlamentarische Erfahrung zurüdbliden tann, daß ungeschriebene Gefeße weit beffer mirten als bie Form, in der man glaubt
das Wort. Er dankte zunächst für den Empfang in London und führte u. a. aus: Bon ganzem Herzen begrüße ich die Feststellung Seiner Majestät, daß Locarno ein Wert der Befriedung und Ver. föhn ng sein soll, eine Grund'age für eine aufrichtige Freundschaft zwischen den Nationen, ein Wert, das den Frieden sichern soll, den