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Mittwoch

2. Dezember 1925

Unterhaltung und Wissen

1920

1921

Beilage des Vorwärts

1922

Mischka.

Bon K. Trenjow.

( Aus dem Russischen überlegt von Sinaida Rabinowitsch.)

Schon im Herbst waren Fälle von Hungersnot vorgekommen, nach Weihnachten aber feierte er sein großes Fest. Er ging von Haus zu Haus und ließ dort aufgedunsene Leichen zurüd, häufiger noch schleppte er sie in die Straßen, in den Schatten der Zäune, warf sie heimlich vor fremden Schwellen nieder. Der Tod nahm alle der Reihe nach: Kinder, die sich vor ihm noch nicht ängstigten, und Alte, die in ihrem langen Leben den Tod zu fürchten gelernt haben. Und nach dem Epiphaniasfeste erschien im Dorfe jemand, der noch viel schrecklicher als der Tod war. Aus zwei Bauernhöfen verschwanden Kinder: zuerst ein dreijähriges Mädchen, eine Woche danach ein Junge. Man suchte im ganzen Dorfe umher, in den Brunnen, hinter den verfallenen Bänden, in den Schneehaufen, nirgends waren sie zu finden. Es war flar: Pie Kinder wurden von jemandem gestohlen und aufgegessen. Aber von wem? Zufällig fah man einen Zigeuner mit einer Zigeunerin durch das Dorf gehen. Sicher waren es diese! Boller Entsetzen schleppten die Mütter ihre Kinder ins Innere der Hütten, damit sie dort stürben.

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Mischka hat aber niemanden, der ihn versteden tönnte. Bater und Großmutter sind vor Hunger gestorben, an die Mutter erinnert er sich nicht. Dagegen muß man vor ihm selber die noch am Leben gebliebenen Raßen verstecken. Da friecht er durch die Straße am 3aun entlang, den Leib flach in den Schnee gedrückt. Eine graue abgemagerte Raze fizt an der Stelle des Zaunes, wo sich vormals das jetzt verfallene Tor befand. Und im Hofe, jenseits des Jaunes, schleicht ihm ein ausgetrockneter, mit Schaffellfezen bedeckter Alter entgegen. Raum erscheint Mischkas Kopf im Torweg, schwingt der Alte den Stod und schlägt auf ihn ein. Die Kaze entflieht. Mischka mühlt sich in den Schnee ein und der Schnee, der locker wie Watte ist, färbt sich schnell blutret um seinen Kopf. Der Alte verseht ihm fluchend einen Fußtritt in die Flanke. Mischka steht auf, und während er sich das Geficht mit seinem langen Aermel abwischt, läuft er weinend davon. Beim Laufen fallen ihm die ausgetretenen Schuhe immerfort von den Füßen herunter. Er bleibt stehen, steckt die geschwollenen Füße wieder hinein und läuft weiter. Auf dem Schnee aber bleiben hellrote Tropfen zurüd.

" Bas," flucht Banjka Surit, du Teufelskind hast wohl Appetit auf Razenfleisch? Warte erst bis du größer wirst."

Surit selbst ist groß und dürr wie eine Hopfenstange, nimmt große Schritte und schlägt fortwährend mit dem Kopf gegen den gefrümmten Rücken, als ob ihn eine unsichtbare Hand vor die Stirn stöße; die eingedrückte Müze fitzt ihm tief im Gesicht. Im Vorüber­gehen blickt er in das Innere der Bauernhöfe und schreit mit einer bellenden, von Kälte rauhen Stimme: Schon wieder sind die Wege nicht gefegt! Und drinnen muß der Epidemie wegen auch alles sauber sein! Sonst werde ich vom hochpolitischen Standpunkt aus vorgehen!"

Schon den dritten Tag hat Mischka nichts gegessen. Es ist vorauszusehen, daß die Loge sich auch weiter nicht ändern wird. Die kleinen Kinder werden noch hie und da färglich gefüttert; fie tun einem ja leid. Aber Mischka, der im vorigen Jahr schon die Schule zu besuchen anfing, wem sollte er leid tun?

Also muß er nach der Stadt wandern. Er geht auf die Land­Straße viel Bolf zieht dahin... Mancher wird an sein Ziel gelangen, mancher im Schnee liegen bleiben.

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Auf bekanntem Wege erreicht Mischka die Hauptstraße. Dröh­nend und flingelnd sausen dort die Straßenbahnwagen, die Autos tuten, die Glocken läuten Früher liebte er dies alles so sehr, jetzt liebt er es gar nicht mehr; die Wagen und die Autos machen ihn schwindlig, es fauft ihm in den Ohren. Plötzlich erflingt M.fit. Viele Menschen mit roten goldgestickten Fahnen. Manche Worte darauf kann er entziffern: Es lebe" Nieder"

...

Fluch"

,, Alles für die Kinder"

Die Blumen des Lebens" Ein Lastauto bleibt stehen aus seinem Innern ragen, gleich Stöden, nach allen Seiten naďte, starre Arme und Beine heraus. Hinter den großen Schaufenstern, an allen Wänden ein und dasselbe Bild: ein Herr mit aufgeworfener Nase zeigt seine Zähne- Max Linder ".

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Su, dieser verfluchte Imperialist!... Eigentlich müßte man ausspuden, aber Mischka hat keinen Speichel im Mund. Fenſtern und neben ben Pat

Welt­friede

Weld friede

1923

Well Friede

Well friede

3

1924

Welt­frede

Welt friede

Der deutsche Bürger im Wandel der Zeiten.

Mischka begibt sich zum anderen Ende des Marktes. Dort wandern stumm und Gespenstern gleich Hunderte von abgezehrten Menschen, behangen mit allerlei Beug. Er sieht Manila Surit sich einer Dame mit lehmfarbenem Gesicht nähern; die Dame trägt in

den Händen eine Gitarre und einen Wecker und über der Schulter hängt ihr noch ein Unterrod herunter. Wanjka betaftet ben Unter­rod, besichtigt die Gitarre und den Becker. Mischka bleibt stehen, um zuzuhören, aber es ist ihm, als ob der Wecker sich in seinem Kopf eingebohrt hätte und dort unaufhörlich flingelte. Er hält sich mit den Fingern die Ohren zu und geht weiter.

Plößlich riecht es nach Bret: eine Reihe von Tischen mit Brot. laiben darauf, die so schwarz wie Rot find. Am äußersten Tisch schneidet ein rotbärtiger Mann das Brot mit einem langen Meffet, mit der einen Hand wägt er das Brot und rechnet mit den Käufern ab, mit der anderen fuchtelt er mit dem Messer vor den fich an den Tisch Drängenden herum. Am benachbarten Tisch stehen zwei Ber fäuferinnen, eine verkauft, die andere wehrt sich mit einem Gewicht. Drei flechtenbedeckte Jungen führen zu ihrer Erwärmung einen wilden Tanz um den Tisch auf. Der eine singt:

Als fein Sowjet war vorhanden, Bar es Nacht in unsern Landen.

Der andere antwortet:

Seit der Sowjet uns entstand,

Ist es hell im ganzen Land.

Mischka drängt sich vorsichtig an den Tisch heran, padt das am äußersten Rande liegende Brot, bohrt seine Zähne tief hinein und ergreift die Flucht. Man holt ihn ein, schlägt ihn auf den Kopf, auf die Augen, in die Zähne, er aber, den Kopf zur Erde ge­beugt, ist und ist ohne aufzuhören. Als man ihn zu schlagen auf­gehört hat, war die eine Hälfte des Brotes aufgezehrt, die andere lag aber tief im Innern seiner Hosen versteckt.

Am Abend ging er zurüd und spuckte mit luftiger Miene Blut aus. Als er in die Nähe des Dorfes fam, musch er sein verschwol lenes Gesicht mit Schnee.

Heida! Fort vom Weg!"

Ein Schlitten überholt ihn. Drinn sigt Surit und eine Dame mit lehmfarbigem Gesicht, die mit dem Wecker und der Gitarre. Die Sonne sinft zum Schlafe in den rosigen Schnee nieder, über Mischkas Haupt neigen sich die mit Brillanten behangenen Weiden. Seit der Sowjet uns entstand, Ist es hell im ganzen Land,

Auf dem Bürgersteig unter den Fenstern und neben den Laden­türen liegen Menschen und stöhnen. Die einen tauter, die anderen leifer. Manche schweigen. Gerade unter Mag Linder wälzt sich ein Bauer mit langem Bart und entblößtem Rücken. Er heult laut, wie ein Welf in der Steppe hinter dem Dorf. Die Borbei­gehenden weichen vor ihm scheu zur Seite. Hinter der Türe eines großen Ladens fucht sich Mischka nach seinem Geschmad ein sonniges fingt fröhlich Mischka und stopft sich den Mund voll mit Brot.

Plätzchen aus; er legt sich hin und fängt an sich zu wälzen und zu schreien. Schreit lange; Hunderte und Taufende von Menschen gehen vorbei, die Sonne versinkt hinter dem großen Hause, aber niemand gibt ihm etwas. Man sieht ihn nicht einmal an. Vielleicht schreit er nicht laut genug? Nun beginnt er so durchdringend zu schreien, daß es ihm selbst in den Ohren gellt.

D weh! Ich muß jezt sterben, o weh, Onfelchen, o weh, Tant­chen, nur mir sollt ihr geben! Ich bin so gut wie tot! D weh, o weh,

o meh!"

Und je länger er schreit, desto lauter wird sein Schreien, bis aus dem Laden ein Mann heraustritt, ihn an den Ohren packt und fortschleppt.

Ich werde dir das Sterben schon beibringen, du Lump!" Ein alter Herr' n einem abgeschabten Pelz, mit nach außen gekehrtem Fell und weißen Leinenschuhen, betrachtet ihn durch seine goldene Brille und, während er den filbernen Bart bis an Mischkas Geficht neigt, sagt er streng:

Mit se einer Stimme stirbt man nicht, Brüderchen. Bist noch ein Kind und sim: lierst schon und lügft. Die dort, die wirklich tot find, schreien nicht."

Es ist flar: aus diesem Geschäft wird nichts. Mischka steht auf und geht weiter. Er geht die Straße entlang, biegt in eine andere

ein und fommt zum Markt.

Steine fürs Feuerzeug!" Soda für den Tee!"

Bitterer Pfeffer, Zitronensäure!" Dweh, a weh, ich sterbe!"

Hier, Bürger, hier gibt's das sichere Glüd! Es kostet mur 200 000. Lorchen, ziehe der Bürgerin den Glüdszettel heraus!"

Eva, Anna und Ilse.

Keine Liebesgeschichte von Mag Barthel.

1. Die Oberfläche.

Die Stadt Senftenberg ist ein nichtssagendes Provinzstädtchen mit kleinen Häusern, schmalen gepflasterten und breiten unge­pflasterten Straßen, den üblichen Kirchtürmen, Gasthöfen und Dent­mälern, alles zusammen auf eine Formel gebracht: freundlich und langweilig. Sonne scheint, Wind weht, Schnee fällt, das Jahr dreht sich vorüber. Im Wind des Jahres, im Regen, im Schnee weht nun der feine bittere Kohlenstaub der nahen Gruben und Brifettfabriken. Der schwarze Staub liegt auf den Wegen und Straßen, er brennt in der Kehle, jigt bitter auf der Zunge und beißt in den Augen. Und nun ist diese Stadt plößlich nicht mehr langweilig. Sie ist eingefaßt von lauter Kostbarkeiten, von den großen finsteren Gruben, in denen jedes Jahr viele Millionen Tonnen Braunkohle im Tagbau ge­wonnen werden.

Geht man am Abend durch diese Stadt und verläßt ihre Straßen, zucken am dunklen Himmel die Lampenreihen des Bahnhofs, grelles Licht und rote Signale, grüne Signale, und weiter draußen hängen im grauen Nichts die Lampen der donnernden Fabriken, die prächtigen und verlassenen Lichter der tiefen Gruben. Hochauf ragen mächtige Halden, die wie Särge in diese Landschaft hineingestellt sind. Die Landschaft ist Sand, endloser Sand, auf dem verkrüppelte Kiefernwälder, zitternde Birken, sehr traurige Bergmannfiedlungen und fleine verschmußte Dörfer wachsen.

Die großen Werte leuchten durch die Nacht. Die vielen Bressen, in denen der feine Kohlenstaub in die richtige Brifettform gebracht wird, stampfen rhythmisch, find umbampft, umffirrt, umbunſtet. Auf schmalen Bändern laufen aus den Mäulern der Breffen die fertigen

1925

| Rohlen nach den Gleisanschlüssen der Eisenbahn, hin zu den Baggons, um dann in langen Zügen abzurollen, nach Berlin , nach Dresden , nach Kiel , nach Hamburg : Industriekohle für die Fabriken und Bäckereien, Hausbrand für die großen Wohnlasernen der vielen

Städte.

Die Dunkelheit tommt mit fühlem Nebel und schwarzen Tüchern. Die fleine Stadt ertrinkt, versinkt, ist unwichtig mit ihren achtzehn­tausend Einwohnern, die dort hausen. Wichtig sind die Gruben, die Fabriken, die fünfundzwanzigtausend Arbeiter aus den Dörfern des Industriegebiets, die in den Gruben, auf den Abraumpläzen, an den Bumpen, Maschinen und in den Brikettfabriken Tag und Nacht fchuften.

Halb sechs Uhr rufen die Sirenen zur Arbeit. Um fechs Uhr Ja, schuften. ist Schichtwechfel. 3weimal jeden Tag rufen die Sirenen. Jeden Morgen und jeden Abend. Die Schreie der Gruben und Fabriken teilen den Tag. Reißen ihn in Fehen. Tag ist zweimal zwölf Stunden Arbeit. Tag ist immer, auch in der Nacht, Tag ist die Zeit, in der Kohle gebrochen wird, zermalen, getrocknet, ausgepreßt, gelagert, gefühlt, gepreßt, verladen, abgefahren.

Die gebrochene Rohle fommt aus den Gruben und der Ingenieur weiß ganz genau, wieviel Brozent Wasser sie enthält, vierzig bis fünfzig Prozent, je nach der Güte des Berges, je nach der Witterung. Bis zu vierzehn Prozent wird das Wasser in der stinkenden Fabrik ausgepreßt. Das alles weiß der Ingenieur. Kohle mit vierzehn Prozent Baffer ist auf den Laufbändern wie trodener, rieselnder Staub

Die Generation der Niederlaufiger Bergarbeiter ist durch vierzig Jahre Bergbau gegangen, durch den Krieg und die Inflation und als Arbeitstraft mohl nicht mehr hundertprozentig, trotzdem durch Statistiken bewiesen werden fann, daß die Leistung der Borkriegszeit reichlich überschritten wird( einiges davon mag auf die technische Ber­vollkommnung der Werke gehen): aber die Ausbeutung der Arbeiter, die grausame Bresse durch das Zweifchichtensystem holt das letzte Atom Kraft aus den Knochen. Bierzig Jahre fann ein Bergmann arbeiten, ehe er bergfertig", das ist arbeitsunfähig, ist. In den Geschäftsberichten von fünf der größten Gesellschaften kann man nach­lesen, wie sehr die Arbeiter ausgepreßt werden: über zwölf Millionen Mart Reingeminn in einem einzigen Jahr!

Rechnet selbst aus, wieviel die Profitrate eines einzelnen Berg­manns beträgt. Und wollte man untersuchen, wieviel nur ein einziger Mann Kohle gefördert oder Briketts gemacht hat: das End­resultat wäre höhere Mathematit und ewige Heizung einer großen Fabrik oder fleinen Stadt. Und als Profitrate? 3wölf Millionen durch fünfundzwanzigtausend( auf die Beamten und Direktoren wollen wir den verschleierten Gewinn rechnen), also sicher mehr als das teuerste Auto, mehr als vier Monate Lustreise an den Nil oder ein Tripp um die Welt.

Immer noch stampfen die Pressen, flirren die Maschinen, laufen die mit Kohle gefüllten Bänder und Waggons. In der schwarzen Tiefe der Gruben trachen und poltern die Kohlenberge zusammen. Die Lichter brennen die ganze Nacht. Bald blizen auch die Lampen der kleinen Stadt auf. Auf dem Heimweg sieht man einen schimmern­den Koloß mit dreißig erhellten Fenstern: das Krankenhaus der Kohlenstadt, das größte Gebäude, viel größer als die Kirche, größer als das Gericht. In den Fieberturven und Eingangsbüchern dieses Hauses tann man ganz genau nachlesen, zu mieviel Prozent die Arbeiter ausgepreßt werden.

Das Jahr 1924 forderte im mitteldeutschen Braunkohlenrevier 1227 Opfer: 162 Tote und über tausend entschädigungspflichtig Ber­legte. An den Motoren, Transmissionen und Arbeitsmaschinen ver­unglückten 108 Männer, durch den Bahnbetrieb 428, durch elektrischen Strom 17, durch Zusammenbruch und Hinsturz 256 Arbeiter, durch feuergefährliche und äßende Dämpfe 51, durch Fall von Leitern, Treppen und aus Luden 99 Mann und durch Splitterschlag und andere Dinge 139 Menschen.

Auch diese Statistik muß man lesen und nicht nur die schön auf­gemachten Bilanzen von Ilfe, Evo Erica, Bertha und Renate und wie sonst die Gruben des Kohlentheens alle noch heißen.

( Schluß folgt.)

3m Jahre 1925 1 Millionen Fremde in Italien . Bekanntlich ist der Fremdenzustrom nach Italien während des Krieges start zus rückgegangen; erst seit 1920 beginnt sich die italienische Fremden­industrie langsam wieder zu erholen, um voraussichtlich in diesem Jahre eine Rekordziffer zu erreichen. Dies geht am besten aus folgender Uebersicht hervor. Italien sah im Jahre 1920: 320 000, 1921: 500 000, 1922: 600 000, 1923: 700 000, 1924: 835.000 Fremde. Nach einer vorläufigen Schäzurg wird sich die letzte Zahl für das Jahr 1925 annähernd verdoppeln. Man schäßt heute die Zahl der Fremden, die Italien in diesem Jahre besuchten, auf millionen, das find dreimal so viel Frembe als der Jahresdurchschnitt vor dem, Striege ergab.