Str. 570 42. Jahrg. Ausgabe A nr. 291
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Donnerstag, den 3. Dezember 1925
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Fürstenknechte oder Volksvertreter?
Der Reichstag vor der Entscheidung. - Aussprache über die Hohenzollernmillionen.
Der Bergleich mit den hohenzollern, der den Entlaufenen und Abgesägten noch Befißtümer von un ermeßlichem Werte und, nach allem, was fie bisher erhielten, auch noch dreißig Millionen Bargeld zuschanzen will, rüttelt die Deffentlichkeit in stärkerem Maße auf als den für den ,, Bergleich" Verantwortlichen lieb ist. Dazu kommen die gleich anmaßenden Forderungen der fleineren Fürsten" und die ebenso unverständlichen Gerichtsentscheidungen, die ihnen Recht geben, wo sie im Unrecht sind.
Diese aufreizenden Tatsachen haben endlich eine Aus Iprache im Reichstag über die Gesamtheit der Fragen ermöglicht, die sonst wahrscheinlich unterblieben wäre. Anlaß bazu gab der demokratische Antrag, der durch Reichsgefeß den Ländern die Möglichkeit geben will, auf dem Gesetzgebungswege die Ansprüche der Fürsten " zu begrenzen. Ein fommunistischer Antrag, die entschädigungslose Enteignung allen Eigentums rehemals regierenden Häuser auszu Sprechen, bedeutet angesichts der parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse lediglich eine Demonstration, der jeder Erfolg versagt bleibt. Borauf es antommt, ist, den einzelnen Ländern das Recht zu geben, die Entscheidung über das Staatsvermögen nicht, wie Bismard das ausdrüdte, vom„ Standpunkt des Kreisrichters" aus treffen zu lassen, sondern dabei die taatspolitischen Intereffen im Bordergrund zu halten.
In der Begründung des demokratischen Antrags fchlug der Abg. Dietrich( Baden) harte Töne an, die durch die Ungeheuerlichkeit der Borgänge mehr als begründet waren. Er verlangte, daß endlich damit aufgehört werden muß, die Entscheidung über weltgeschichtliche Fragen den Amtsrichtern zu überlaffen. Hier stehe nicht eine Frage des Privatrechts, fondern eine politische Entscheidung vor uns.
Nach dem Kommunisten Reubauer, der sich nach der Moskauer Methode nicht versagen fonnte, auch in dieser Situa tion hauptsächlich auf die Sozialdemokratie zu schimpfen, nahm für die Sozialdemokratie Genosse Scheidemann das Wort, der völlische Dunnmenjungenrufe treffsicher abwehrte und dann in einer fachlich tlaren, in ihrer Eindringlichkeit bezwingenden Rede den ungeheuren Unfug darlegie, der jetzt mit den Intereffen der Länder, besonders Breußens, getrieben wird zu gunsten einer Familienfippe, deren Rechtstitel" zumeist aus ber Zeit stammen, da der Monarch" zugleich der Inhaber her abfoluten Gewalt und der Repräsentant seines eigenen Rechts" war. Daß diefes, Recht" nun auch noch in der Re publik gelien soll, deren Staatsgewalt vom Bolte ausgeht", ist ein Hohn auf die Staatsform, die das Bolt in freier Wahl fich felbft gegeben hat, als die jetzt so anspruchsvollen, Fürsten " entweder flüchteten oder doch schweigend von der politischen Bühne abtraten.
Wie nicht anders zu erwarten war, stellten sich die Deutschnationalen fajütend vor die habgierigen Gefellen, die auch jeht noch angesichts der furchtbaren Not von Millionen deutscher Arbeitsfräfte lediglich an ihren eigenen Borteil denken. Nach dem Schwindel, den die Deutschnationalen an den beirogenen Sparern und Rentnern verübt haben, fann dieses Eintreten für die fürstlichen Drohnen freilich faum noch überraschen.
Das Zentrum hat fich bekanntlich seit Windthorsts, des Hanoveraners, Zeiten immer für eine Partei des Rechts auch gegenüber den abgedankten oder abgefägten Fürsten bezeichnet. Es hat seinerzeit gegen Bismard Stellung genommen, ber das Eigentum der welfischen und der kurhessischen Fürsten einfach dem preußischen Staat einverleibte, ohne nach ,, Rechts " gründen lange zu fragen. Deshalb glaubt das Zentrum auch heute noch, das die Grundsäge des Privatrechts auch gegen über den Hohenzollern und den übrigen Landesvätern anzu menden seien, mit denen uns das Schicksal in so überreichem Make beschert hatte. Aber selbst der Sprecher des Zentrums, Abg. Bell, mußte erilären, es fei nachgerade ft anda. los, wie die ehemaligen Fürsten ohne jede Rücksicht auf die Not des Landes und des Boifes ihre Forderungen stellten. Schließlich beantragte Bell die Ueberweisung des Antrages an den Rechtsausschuß. Das wird wahrscheinlich heute auch beschlossen werden, nachdem die gestern abgebrochene Debatte zu Ende geführt ist.
Der Reichstag trat gestern nach einer Debatte über die verschiedenen Handelsverträge, über die wir in der Beilage beichten, in die erste Beratung des von den Demokraten einge brachten Gelegentwurfes über die vermögensrechtliche Aus. einanderlegung mit ben früher regierenden Fürstenhauseru ein. Die Kommunisten beantragen dazu bie entschädigungslose Enteignuna der früheren Fürstenhäuser.
Abg. Dietrich- Baden( Dem.) verlangt, daß die Länder ermächtigt| werden sollen, die vermögensrechtliche Auseinanderseßung mit den früher regierenden Fürftenhäusern, soweit fie noch nicht stattgefunden hat, durch Landesgefeß unter Ausschluß des Rechtsweges zu regeln. Wird durch ein Landesgeseh eine Ent eignung ausgesprochen, so tann die Entschädigung ebenfalls durch Landesgesetz unter Ausschluß des Rechtsweges festgelegt werden. Die Regelung dieser Frage sei durch die Vorgänge in Thüringen besonders dringlich geworden. Es werden dort jetzt Fürstenprozeffe um Waldbestände geführt, auf denen ein großer Teil der Finanz fraft des Landes beruht. Auch im Falle Breußen muß die Grundlage für eine endgültige Regulierung geschaffen werden. Man muffe fich dagegen wenden, daß die Fürsten ihre Ansprüche in zwei Teile spalten, in staatsrechtliche und privatrechtliche. Wir sind der Meinung,
daß es sich hier nicht um zivilrechtliche, fondern um politische Fragen handelt.( Sehr richtig! links.) Der Redner erinnert daran, in welcher Weise im Jahre 1866 der König von Hannover durch Breußen abgefunden worden ist. Fürst Bismard habe im Herrenhause erflärt, daß der König von Hannover überhaupt nichts zu beanspruchen habe ( hört, hört, lints), daß es fich nicht um eine private, sondern um eine politische Angelegenheit handele. Es ist ganz gleich, fuhr der Redner fort, ob Krieg oder Revolution bie Ursache für solche Aus. einanderlegungen find.( Dha! rechts.) Entscheidend für diese Dinge ift nicht das Rechtsempfinden, sondern das Staatsempfinden. Die Zeit ist endlich gekommen, um diesen unhaltbaren Zuständen ein Ende zu machen. Es wäre auch eine Ungerechtigkeit, wenn man den unerhörten Ansprüchen der Hohenzollern und der Thüringer nachlommen wollte, gegenüber jenen Fürsten , die sich nach der Revolution mit bescheidenen Renten abfinden ließen. Nun sollen die, die landflüchtig wurden, und die schlauer Weise abgewartet Dingen aber davor hüten, daß nachträglich von den deutschen Gehaben, doppelt fchadlos gehalten werden. Wir sollten uns vor allen
richten die Weltgeschichte gemacht wird.( Bravo lints.)
Abg. Neubauer( Romm.) begründet den tommunistischen
Antrag.
Abg. Scheidemann( Soz.)
wird von den Bölkischen mit dem blöden Buruf Berdorrte Hand" empfangen, worauf er schlagfertig antwortet: Wenn ich Sie auf die Schnauze hauen wollte, würden Sie bemerken, daß fie nicht verborrt ist."( Stürmische Heiterkeit.) Dann beginnt er seine
Rede:
Millionen unserer Boltsgenossen hungern und frieren, Hundert tausende haben teine richtige Bohnung, teine richtige Kleidung und
tein richtiges Schuhwert. Die Zahl der Erwerbslosen hat innerhalb eines Monats um fünfzig Prozent zugenommen. Die Erwerbs. lofengiffer ist bereits jekt auf eine Million gestiegen, die Zahl der Kurzarbeiter beträgt mehrere Millionen. 459 Geschäfte sind im September, 633 im Ottober unter Geschäfts. aufsicht gegangen. 940 Banterotte waren im September, 1164 im Oftober zu verzeichnen. 5480 Personen sind im September, 6650 im Oktober nach Uebersee ausgewandert. Die Zahl der Selbstmorde beträgt in 46 Großstädten auf 100 000 eẞrsonen berechnet zurzeit im Durchschnitt 30, und das Elend ist weiter im Steigen begriffen. Dieses ausgehungerte und notleidende Bolt foll fegt für wenige Menschen zahllose Schlösser, Häuser und Großgrundbefig, viele Goldmillionen herausgeben,
herausgeben an die, die die meiste Schuld am Elend haben! Die Kommunisten haben heute den agitatorischen Antrag auf Enteignung der ehemaligen Fürsten gestellt. 3u spät! Benn die von den fommunistischen Führern mißleiteten Arbeitermassen im Jahre 1918 anstatt uns zu befämpfen, mit uns die Reaktion betämpft hätten, wäre zweifellos manches anders geworden. Die bisherige Entwicklung ist allerdings unerträglich, sowohl was die Forderungen der Fürsten als auch die Gutachten der fürstlichen Berater und die Urteile der monarchistischen Gerichte anbelangt. Die Landesväter" haben leider im Jahre 1918 gar fein Berständnis dafür gehabt, wie milde man mit ihnen umsprang.( Sehr richtig bei den Eoz., Burufe von den Romm.) Die ehemaligen Fürften sind offenbar zu der Meinung gelommen, fie fönnten bes halb nun gegenüber dem Bolte um o unanständiger fein. ( Sehr richtig bei den Soz.)
Es ist geradezu aufreizend, wie die Gerichte die maßlofen Forderungen der Fürffen auch noch unterfiühen. So hat bas Obero landesgericht Braunschweig im Fall des Cumberländers einen Bergleichsvorschlag gemacht, den felbft die Herzogsfamilie nicht aufgeartet war, wenn sie auch noch ungeheuerlich genug ist. Mit dem rechi erhielt. Es tam eine Einigung zustande, die wesentlich anders
Fürsten von Gotha , einem englischen Herzog, bat dos Land noch vor Schaffung der Reisverfaffung eine 2bmachung getroffen, an die sich der Herzog nach Zustandekommen der Reichsverfassung nicht mehr halten wollte. Das hat der dan lige Reichsminister damalige Jarres aufs eifrigfte unterstüßt und auch das Reichsgericht schlug sich auf die Seite des Fürften, indem es außerordentlich böse Urteile und Vergleiche herbeiführte. Der Herzog erhält die ganzen Befigtümer wieder zurüd, während das Land Thüringen die seiner zeit von der Gothaer Regierung übernommenen erheblichen Lasten, insbesondere die Bersorgung der zahlreichen ehemaligen Hofbeanten, weiter zu tragen hat!( hört, hört, lints.) Durch die Fürsorge des Herrn Jarres find dem englijden Prinzen 80000 morgen
Helft den Arbeitslosen!
Die Regierung muß sofort handeln!
Seit vielen Wochen fordern die Gewerkschaften die Erhöhung der Unterstügungssäge für Erwerbsiose. Die Regie rung weigerte sich, etwas zu tun. Ihre Attivität war erstaunlich, folange es gait, durch Steuer- und Zollpolitik den Besitz zu schüßen. Jezt tommt sie vor lauter Bedenken zu feinem Entschluß. Mit aller Deutlichkeit sei es deshalb gefagt: jede weitere Verschleppung steigert die bereits ins llebermaß gewachsenen Spannungen.
Wir warnen die Kelchsregierung vor jeder weiteren Verschleppung!
mit größtem Nachdrud hat die sozialdemokratische Mit größtem Nachdrud hat die sozialdemokratische Reichstagsfrattion gleich nach Zusammentritt des Reichs: tages Borschläge zur Neuregelung der Erwerbslosen fürsorge gemacht. Den eindringlichen Forderungen auf sofortige Hilfe fonnten auch die bürgerlichen Barteien nicht widersprechen. Allgemein wurde anerkannt, daß die gegenwärtigen Unterstühungsfäße ganz unzulänglich find.
Dennoch befigt die Reichsregierung den erstaunlichen Mut, die notwendige Erhöhung zu verschleppen. Zunächst mußte der Erwerbslofenfürsorgeausschuß des Verwaltungsrats des Reichsamts für Arbeitsvermittlung herhalten. Die Regierungsvertreter erklärten dem sozialen Ausschuß des Reichstags, daß nach der Verordnung über die Erwerbslesenfürsorge dieser Ausschuß zuvor ange hört werden muß. Damit erreichte die Regierung die Ber. tag ung im Reichstage. Die Beratungen des Berwaltungsrats im Ausschuß für Erwerbslosenfürsorge verliefen ergebnislos. Die Einberufung war finnlos, da nach§ 10 der Verordnung über Erwerbslofenfürsorge das Benehmen mit dem Berwaltungsrat herzustellen ist, wenn der Reichsarbeitsminister Anordnungen erlassen will. Diese Absicht bestand gar nicht. Und fo tonnte auch das Benehmen mit dem Berwaltungsrat nicht her. gestellt werden.
Der 3 med der Uebung war jedoch erreicht: der Reichstag hatte die Beschlußfaffung ausgelegt.
Die sozialdemokratische Fraktion drängte nunmehr erneut auf Entscheidung durch den Reichstag . Wiederum wurde die Entscheidung vertagt, weil die Vertreter der Rechtsparteien erklärten, erst die Stellung ihrer Frattionen einholen zu müssen. Gestern hat nun endlich der Ausschuß des Reichstags über die Er höhung ber Unterstützungsfäße entschieden. Die sozialdemokratische Fraktion hatte eine Erhöhung um 50 roz. beantragt. In Berkennung aller parlamentarischen Möglichkeiten forderten bie Kommunist en eine Erhöhung um 100 Brez. Der Antrag war nur dazu angetan, die dringend notwendige Entscheidung durch den Reichstag zu verschleppen. Die sozialdemokratischen Abgeordneten fonnten sich an einem solchen frivolen Spiel nicht beteiligen. Wie
abfeits aller Möglichkeiten diese kommunistische Forderung lag, zeigt die Tatsache, daß auch der fozialdemokratische Antrag
abgelehnt wurde.
Mit großer Mehrheit wurde dann, wie im Abendblattt schon fura gemeldet, der Antrag des Zentrums und der Bayerischen Bolts partei angenommen, der eine Erhöhung der Unterstützungsfähe um Unzulänglichkeit dieses Antrages mußten die Sozialdemokraten für 30 Proz. für die Hauptunterstühungsempfänger vorfieht. Bei aller
ihn ftiminen, um die
Regierung zu singen, das fofort gehandelt wird. Die Regterung darf mit der Neuregelung der Unterstützungssäge nicht warten, bis auch die sonst noch im sozialpolitischen Ausschuß des Reichstages zur Enid, eidung stehenden Fragen zur Ermeros losenfürsorge erledigt sind. Unaufschiebber ist die sofortige Neuregelung der Watertigungsfäge. Der Reichstag hat gesprechen; es ist Pflicht der Regierung, den Beschluß sofort auszuführen. Selbstverständlich müssen aud, die Famillenzuschläge im gleichen limfang erhöht werden. Berschleppt auch jetzt noch die Rcid; siegierung bie Erhöhung der Unterstügungsfäße, dann trägt fie allein die Berantwortung für das Clent, bas taraus en wachsen wird.