Nr. 57$ ♦ 42. Jahrgang
1« Heilage ües Vorwärts
Vonnerstag, 3. Dezember ms
Dt« Glückspieloutomaten will der Magistrot mit ein-r wesentlich höheren Steuer belegen. Warum nicht die Spiel. l l u b s? In allen Teilen Berlins , besonder» aber im Westen, sind sie Haus bei Haus zu finden. Kennzeichen: An der Haustür eine Kangel, um nachts Eingang zu gewinnen; an der Flurtür ein Schild mit geheimnisvollen Buchstaben, die einen Bereinsnamen abkürzen sollen; ein paar angemessen möblierte Wohnzimmer, deren bezeich- nendes Merkmal ein langer mit grünem Tuch beschlagener Tisch bildet, ors dem die Schlachten au-gesochten werden. Dazu noch ein Lureauzimmer für die.Direktion", ein Kassierer, ein Kellner und je nach dem Florieren ein Croupier oder auch mehrere. Bielleicht auch Schlepper auf den Straßen zum Heranholen der Spieler, die sich ohne große Formalitäten in Bereinsmstglieder verwandeln. Der Herr kluböirettor. Die Form eines Vereins, der gesellige oder sportliche Zwecke vortäuscht, wird noch immer streng gewahrt. Worum? Interesien« ten benennen den Klub doch schlechtweg nach dem Namen des Unter« nehmers. Jeder weiß, was dahinter steckt, weih auch, daß es bei- leib« nicht um seine Perion geht, wenn er feierlich in die Liste der Mitglieder eingetragen wird, als vielmehr darum, was er in seinen Taschen mitbringt. Die Direktion will gefüttert werden. Ob sie leben kann und besonders wie sie es kann, hängt allein davon ab, welche Beträge über das grüne Tuch des langen Tilches laufen. Ein bescheidenes Minimum von 5 Proz. des Betrages, um den jeweils das Spiel geht, ist die Steuer, die sie einnimmt. Und merkwürdig, daß es den vielen, die sich mtt nicht» an» derem als mit solchen Klubunternehmmrgen befassen, durchweg gut geht, viel bester jedenfalls als der Mehrzahl der Leute, die arbeiten, was sie belrelben. ist sicher keine Arbeit, kann es auch nicht sein, denn es ist nicht zuviel gesagt, daß von allen Mitgliedern dieser Unternehmergilde die sich genau kennen und mit Etsersucht bewachen, die Mehrzahl nie arbeiten gelernt, oll« ober jede ordent- liche Tätigkeit so verlernt haben, daß es ein Zurück zu ihr für sie nicht mehr gibt. Wie schön ist es doch, noch sorglosem Schlaf in den Nochmittagsstundcn mtt dem„Geschäft" zu beginnen, das im wesentlichen darin besteht, das Geld abzuschöpfen, das durch die Leidenschast der Mitmenschen ins Haus getragen wird. Die kleine Umsatzsteuer vom Kartengeld, jetzt nur noch 1 Proz. Einkommen- steuert wer kann sie nachrechnen? Kaufmännische Bücher? Unsinn! Ein kleines Bonbuch, in dem so leicht Irrtümer unterlaufen. Und wie schön lassen sich die Unkosten zusammenrechnen. In Wahrheit: «in wenig Miete für den armen Wohnungsinhaber, der schließlich für die Störung seiner Ruhe bei Tag und Nacht und für die Beschädigung seiner Möbel, für zertrampeste und beschmutzte Decken. Brandflecke usw.— Spieler sind darin rücksichtslose Borbaren—
gedeckt sein will; was freilich auch noch entfällt, wenn der Unter. nehmer die«igen« Wohnung benutzt. Aber dann die Verbetosten: Einladungen. Gralisesten. gedruckte Anpreisungen, die dem Inter- estenten zuweilen dutzendweise ins Haus fliegen. Ein guter Abend bringt das schnell vervielfacht herein. Denn es ist merkwürdig: Gerade der Spieler ist kleinlich in bez: g auf das, was sein„Klub" ihm extra beschert und erspart. Ein gutes Esten, für das er nichts oder nur wenig zu zahlen hat, macht ihn gut gelaunt und ihm einen vermeintlichen Profit schätzenswert an einer Stätte, an der er un- mittelbor daraus Unsummen riskiert und große Abgaben anderer Art an den Gastgeber zu leisten hat.
5ür Sas Spiel ist immer Geld vorhanden l Es gibt Spieler aus Leidenschaft, aus Gewohnheit und aus Erwerbssucht und Erwerbsnot. Zuweilten oereinigen sich alle Mo- tive in einer Person. Gewerbsmäßige Spieler sind solche, bei denen die vermögensrechtlichen Grundlagen itzres Lebens von den Ergeh- nisten des Spiels abhängig sind. JnArckt sind es auch die Spiel- Unternehmer. Das Stammpublikum solcher Klubs besteht über- wiegend au? Gewerbsspielern, die zuweilen am gleichen Tage von Klub zu Klub wandern, deren gatrzes Leben nur von diesen Be- suchen ausgefüllt wird, deren ganzes Sinnen und Trachten sich nur daraus richtet, die Zufälligkeiten des Spiels zu ihrem Glück auszu- nützen. Denn es handelt sich beim Ekarlö, das sich allen Wider- ständen zum Trotz zum allgemeinen Berftandesspiel hcraufgerarbestet hat, immer noch um ein Spi«l„bei dem der Zufall eine ganz hervorragend« Rokle einnimmt, besonders für die Wetter, die das Spiel selbst nfcht beherrschen. Die Gesellschaft ist bunt, sehr bunt sogar. Merkwürdig wieviel Geld sich immer noch für diesen Zweck zusammenfind et, auch bei denen, die vielleicht am gleichen Tage die Bezahlung dringender Berbindllchtetten unter Berufung auf die allgemeine Geldknappheit abgelehnt haben. Dos SpielJapital ist eben werbendes Kapital, dos man auch deshalb niemals verleihen oder zur Linderung auch der dringendsten Not weggeben würde. Noch bunter ist das Bild ge- worden, seit den Frauen der Zutritt nicht mehr verwehrt wir» Wie sollte man auch! Seltsam nur, daß unter den Frauen, die zu meist noch leidenschaftlicher spielen als die Männer, ausnahm>l» nur solche zu finden sind, die ihr Geld sehr, sehr leicht verdii ne und kaum eine wirklich ehrbare und ernste Frau. Und am(Z r.d sind sie sich alle darüher einig, daß bei der ganzen Sache nicht herauskommt, daß fie alle nur die Gerupften sind und daß da hleibend« und sichere Erträgnis nur in die Hände des Unternehn.ee. fließt, den sie deshalb auch alle mit gleichem Haß bedenken, um ihm am nächsten Tage wieder ebenso in die Arme zu laufen.
Des besonderen Schutzes sind Spieler dieser Art gewiß nicht wert. Aber schließlich ist man doch auch bestrebt, Trunksüchtigen, Morphinisten, Kokoinisten die Gelegenheit, ihrer Leidenschaft zu frönen, zu entziehen. Hier hat die Gelegenheit beinahe den Glorienschein der Konzession. Und es sollte nicht Mittel geben, all diesen Personen, die verderbliche Leidenschaften anstacheln, um sich«in arbeitsloses Wohlleben zu verschaffen, ihr Handwerk so zu erschweren und zu verleiden, daß die dabei leicht- sinnig vertanen Vermögen gespart, gesunde Kräfte notgedrungen zur Arbett zurückgeführt werden? Solange noch die Gesetzgebung
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Die Passion. Roman von Clara vleblg.
Der Bräutigam brachte sie zur Bahn..Auch Eva mar mitgekommen; sie stand stumm dabei, mit einem ganz kleinen bleichen Gesicht, als Blechhammer seine Braut vielmals küßte und sie ermahnte, recht Acht auf sie zu geben.„Es ist ein rechter Unsinn, daß du fährst— aber na!" Er riß den Hut ab, schwenkte ihn und warf ihr noch eine Kußhand zu:„Komm mir nur gesund wieder!" Olga sah aus dem Wagenfenster noch einmal zurück zu dem Mann und dem Kind, ihre Lieben beide, die nun so eng zu ihr gehörten, und dann schloß sie das Fenster und setzte sich in ihrer Ecke zurecht. Auch sie war bleich: diese Reise wurde ihr nicht leicht. So sehr sie auch noch ihr begehrt hotte, nun sie Wirklichkeit geworden war, ging sie schwer dagegen an. Wenn sie nun von Manfred hörte?! Oder wenn sie ihm gar selber begegnete?! Ihm begegnen— ach nein, lieber nicht! Es fröstelte sie, und sie drückte sich fester in ihre Ecke. Sie war sehr müde, sie hatte sich heute noch sehr abhetzen müssen?ch«erde im Zug schlafen, hoffte sie. Aber nun schlief sie doch nicht. Der Zug raste schnell dahin in nächt- liche Wetten, ihre Gedanken waren ihm noch schneller vorauf, sie waren bereits in der Heimat. Alte wohlbekannte Wege, Straßen die sie oft gegangen. Häuser, die sie oft gesehen. Glocken die sie oft gehört. Und ob die Menschen sie noch kannten» Und sie die Menschen? Sie hatten sich alle ver» ändert. Aber sie selber ja auch. Eine große Bangigkeit zog ein in ihre Brust, sie begann sich zu fürchten vor einem � OlÄttl' beTn Gärtner Zwei Kränze gekauft. C» war «och derselbe Gärtner wie früher, dicht be.m Ktrchhof, sie erkannte ihn wieder, obgleich er sehr alt geworden war. Aber er sah sie fremd an. Das war gut. sie wollte auch von nie. wanden, gekannt fein, ganz allein bleiben mit sich und den Toten, die sie zu besuchen kaim Die weit voneinander, manche Reihe von Grabern hatten die fünfzehn Jahre zwischen den Mann und die Frau gelegt. Der Mutter Grab fand Olga, das hatte sie noch tn der Erinn-rung, des Vaters Grab mußte sie sich zeigen lassen, sie hatte ss nicht finden können. Daß sie diesem Grab h'« fr fremd war. als gehörte sie gar nicht zu ihm, das schmerzte sie ttef. Es schneite. ®U stand an ihre« Daters Hügel, lange unbeweglich, hielt
ihren beschneiten Kranz noch in Händen, sah auf ihn nieder und weinte so heiß, daß der Schnee schmolz, wohin diese Tränen fielen. Endlich mußte sie gehen. Sie sah noch oftmals zurück: das war wohl zum ersten- und zum letztenmal, daß sie hier gewesen war, es sei denn, daß sie vielleicht Eva einmal herbrächte. Vielleicht! Ach. Eva, Eva! Sie seufzte, und der Gedanke an ihr Kind, und an den Vater ihres Kindes trieb sie in die Stadt zurück. Es war um die Mittagsstunde, als Olga an der Woh- nungstür von Frau Malwine Berndorff die Klingel zog, sie hatte leicht erfragen können, wo die wohnte. Mehrmals schon war sie am Hause vorübergegangen, wieder umgekehrt und doch noch nicht hinaufgestiegen: ihr Hin- und Herwandern war in der todstillen Straße bereits aufgefallen, es zeigten sich Neugierige an den Fenstern. Nun hatte sie sich überwunden, den Mut. der ihr gesunken war. wieder gefunden.„Du mußt es wn. Evas, Evas wegen." flüsterte sie sich zu. Frau Berndorff war zu Hause. Die ginge überhaupt nicht mehr aus, sagte eine ältliche Person, die die Tür öffnete. Olga wußte nicht recht, war es eine Pflegeschwester oder ein Dienstmädchen: vielleicht beides. Run fand sie sich Frau Berndorff gegenüber. Wenn sie nicht gewußt hätte, das ist Frau Berndorff— schlank, fein, wenn auch ein wenig kränklich aussehend, so trug sie die Dame, die sie in ihrer Jugend einst bewunderte, in der Erinnerung—, sie hätte die nicht wieder erkannt. Dies war ja ein Häufchen Elend, das da ganz zu» sammengesunken in einem Lehnstuhl, der an den überheizten Ofen gerückt war, hockte.„O mein Gott, was hat die Zeit aus dieser hübschen Dame gemacht," dachte Olga erschrocken. „Ich bin Olga Wilkowski." sagt« sie. nähertretend. Die alte Frau fragte:„Wer?" und sah sie mit fremdem Blick an. Plötzlich aber flog eine Erinnerung über das ver» grämte Gesicht, das ganz klein geworden war und so blutlos. als sei die Haut Pergament. „Olga Wilkowski?" sagte sie mit schwacher Stimme.„Wilkowski— ach ja. war der Lehrer. draußen bei unserem Gut! Der Lehrer, bei dem mein Man- sred zuletzt in Pension war!" „Jawohl, gnädige Frau." Olga erbebte: das hätte sie nicht gedacht, daß gleich zu Anfang dieser Name fallen würde! „Ich erinnere mich Ihrer nicht." sagte die Dame.„Aber Ihren Herrn Dater kenne icb. Wie geht es ihm?" „Er ist tot, schon seit sieben Jahren tot." antwortete Olga, und es wurde ihr klar, daß vieles versunken war vor dieser alten kranken Frau.„Gnädige Frau erinnern sich meiner nicht mehr," sagte sie rasch.„Aber ich erinnere mich
Ihrer sehr gut. Und auch der Zeit, in der Ihr Herr Sohn bei uns wohnte, als er hier auf Prima war." Es lohte etwas in ihr auf, es stieß ihr die Frage hervor: mit plötzlichem Entschluß, allen Mut zusammenraffeud, sagte sie:„Darf ich fragen, wie es Herrn Manfred geht?" Ueber das Gesicht der zur Greisin Gewordenen flog ein Zucken.„Ich danke," sagte sie vornehm. Es klang sehr ab- lehnend. Sie zupfte an ihrem Taschentuch, und dann wurde ihr matter Blick plötzlich argwöhnisch:„Wollen Sie etwas von ihm? Er ist nicht hier. Ich kenne Sie ja gar nicht. Warum kommen Sie her? Emma, Emma!" Sie rief ängstlich nach der Pflegerin.„Wo sind Sie? Bleiben Sie doch hier!" Die älttiche Person erschien und stellte sich hinter den Lehnstuhl. Sie wechselte einen Blick mit Olga, und dann sagte sie mit der Offenhett einer, der das Herz es nicht eingibt. rücksichtsvoll sich auszudrücken:„Frau Berndorfs ist ein bißchen komisch. Das kommt vom ewigen Jm-Stuhl-sitzen, und daß sie gar nicht mehr unter Menschen kommt. Und besonders von" dem Kummer mit dem Sohn." „Kummer?" wiederholte Olga. Kummer! Sie bekam einen Schreck. Was war geschehen mit Manfred, warum hatte die Mutter Kummer um ihn, solchen Kummer, daß der sie förmlich zerstört hatte! War er vielleicht gestorben? Fragen drängten sich ihr auf die Lippen, aber sie durfte ja nicht allzu beteiligt fragen, sich dadurch nicht verraten.„O," machte sie nur langgezogen und bedauernd. „Kummer," wiederholte auch die kranke Frau, und betupfte mit dem Taschentuch ihre einst so schönen, jetzt unter Lidfalien fast versunkenen, wie ausgeweinten Augen.„Hat er mal wieder geschrieben?" fragte sie, wie ein Kind, die Pflegerin. Diese beugte sich über sie:„Sie sollen sich nicht aufregen. sagt der Doktor. Sonst kriegen Sie wieder Ihre Herzgeschichten, Sie wissen doch. Es ist wohl besser, wenn dos Fräulein geht?" „Nein, nein! Olga Wilkowski— Wilkowski, so hieß der Lehrer, bei dem mein Manfred zuletzt in Pension war— nein, nein, sie soll nicht gehen!" Frau Berndorff richtete sich aus ihrer Zusammen- gesunkenheit auf und faßte mit ihren dünnen Händchen Olgas Hand:„Mir wollen �von der Vergangenheit sprechen. Sprechen Sie, sprechen Sie, Fräulein Wilkowski, ich höre es gern, wenn Sie von damals sprechen. Ach, Sie haben ihn auch gekannt!"
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(Fortsetzung folgt.!