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Abendausgabe

Nr. 57342. Jahrgang Ausgabe B Nr. 284

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Vorwärts

Berliner Volksblatt

10 Pfennig

Freitag

4. Dezember 1925

Beriag und Anzeigenabteilung: Gefchäftszeit 9-5 Uhr

Berleger: Vorwärts- Berlag GmbH. Berlin   S. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Donhoff 292-297

Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Erwerbslosenaktion in Dänemark  .

Ein Erfolg der sozialistischen   Regierung.

Kopenhagen  , 3. Dezember.  ( Eigener Drahtbericht.) Endlich, auf Bewilligung von fünf Millionen zur Jnangriffnahme geplanter nach sechs Wochen schwerer Berhandlungen, nach einer heftigen Deichbauten, Eisenbahn- und Boft arbeiten im Reichs. Preffetampagne und nach vielen Aenderungen hat die dänische tag eingebracht. Weiter steht ein Regierungsentwurf zur Unter­Regierung ihren Borschlag, durch Zuschuß an Kommunen stügung von notleidenden Industrien bevor. Die Konservativen, als und Private Arbeit für das Arbeitslosenheer zu Partei der Industriellen, verlangten ursprünglich einen 3 ollschutz schaffen, zur Annahme in beiden Rammern gebracht. für solche Industriezweige, da aber die Sozialdemokratie verlauten Es war ihr gelungen, dem Vorschlag eine solche Form zu geben, ließ, daß ein 3oll für sie nicht in Frage kommen fönnte, haben daß Radikale, Sozialdemokraten und Konservative für ihn stimmten, sich die Konservativen bereit erklärt, auch sachlich mitzuarbeiten", während die Bauernpartei, Venstre  , bis zulegt an ihrem menn die Regierung ein System staatlicher Unterstügung der In. Standpunkt festhielt, Gelder für außerordentliche Arbeiten nur zu duftrie in der Deflationsperiode vorschlägt. Vor allem wird die bewilligen, wenn die Arbeiter einen Lohn abschlag zubilligten. sozialistische Regierung eine Kontrolle des Unternehmer. Ilm   die tonservative Unterstützung zu erhalten, ohne die bas Gefeß gewinns und der Preise für solche Industriezweige verlangen, in der ersten Kammer nicht angenommen worden wäre, nahm die die auf Staatsunterstützung Anspruch erheben. Davon wollen die Sozialdemokratie eine Reihe von Verschlechterungen Ronservativen natürlich nichts wissen. in Kauf. Sie fand sich, der Not gehorchend, z. B. damit ab, daß statt der ursprünglich angesezten 14 Millionen nur neun für diesen Zwed ausgeworfen wurden. Beachtenswert auch außerhalb der Grenzen Dänemarts ist, daß in dem endgültigen Gefeß eine Bestimmung aufgenommen wurde, nach der Kommunen und Private Staatszuschuß nur zu solchen Arbeiten erhalten fönnen, bei denen fie fich verpflichten, in Dänemart hergestelltes Material zu benutzen.

Mit diesen neun Millionen ist natürlich die Arbeitslosig feit in Dänemark  , die nunmehr 51 139 Mann umfaßt( dazu kommen ungefähr 20 000 Mann, die statistisch nicht erfaßt werden), nicht be. feitigt. Die sozialistische Regierung ist entschlossen, auch von Staats wegen alle nur möglichen Arbeiten in An griffzunehmen. Der Berfehrsminister hat schon einen Antrag

Rückkehr der deutschen   Delegation.

Heute in Berlin   eingetroffen.

Die deutsche   Delegation, die in London   den Locarno  - Bertrag unterzeichnete, ist heute mittag 12 Uhr 30 Minuten mit Sonderzug am Lehrter Bahnhof   in Berlin   wieder eingetroffen. Zur Be grüßung der Delegierten hatten sich zahlreiche Bertreter des Aus­wärtigen Amtes und der ausländischen Botschaften in Berlin   ein­gefunden.

Die Vermögenssteuer gefährdet.

Ansturm des Unternehmertums.

Der Anftarem des Großbefizes gegen feine Steuerleistungen hat ein neues Ziel gefunden. Mit allen Kräften wird darauf hinge arbeitet, die Bermögenssteuer zu beseitigen. Erst fürz­lich hat der leitende Geschäftsführer des Reichsverbandes der deut schen Industrie, Geheimrat Kast 1, auf einer Frankfurter   Tagung die vollständige Beseitigung der Vermögenssteuer gefordert, da fie die Kapitalbildung erschwere. Praktisch ist die Vermögenssteuer bereits bedeutungslos geworden. Ihr Ertrag ist im Reichshaushalt für das Jahr 1925 auf 500 millionen festgesetzt. Einge. gangen find bis zum 31. Oktober aber nur 88 millionen Und da die Borauszahlung, die im November fällig ist, nicht ge­

leistet wird, so ist jetzt auch nicht mit erheblicheren Nachzahlungen

zu rechnen.

Nun hat inzwischen der allgemeine Vorstoß von zwei Seiten Unterſtügung erhalten. Obwohl die Abgabe der Bermögenssteuer. erklärung vom 15. November auf den 15. Dezember verschoben worden ist, sind jetzt die Spizenverbände der unter nehmer beim Reichsfinanzministerium vorstellig geworden. Sie verlangen, daß die Abgabe der Vermögenssteuererklärung abermals hinausgeschoben wird und die Steuerkurse für die Aftien nie. briger festgelegt werden. Was dieser Vorschlag in Wirklichkeit beabsichtigt, zeigt ein Antrag des demokratischen Abgeordneten Dr. Fischer Röln. Er fordert die Reichsregierung auf, fofort eine Gesegesvorlage einzubringen, burch die von einer besonderen Bermögenssteuerveranlagung für das Jahr 1924 abgesehen wird. Die Beranlagung soll für die Jahre 1924 und 1925 gemeinsam er. folgen und zwar nach dem Stichtag vom 31. Dezember 1925.

Für die Bornahme einer gemeinsamen Steuererklärung für die beiden Jahre 1924 und 1925 sprechen gewiß manche praftischen Er mägungen. Aber der Sinn dieser Vorstöße ist weniger die Berein­fachung der Veranlagung als die Ermäßigung der Steuer. Summe. Die Bermögenssteuer ist dem Großbesig unangenehm. Seine Absicht ist, die gegenwärtigen Teilschwierigkeiten der Wirt schaft zu benutzen, um den gefunden Gedanken der Heranziehung der Bermögen zu den Staatslasten zu beseitigen.

Es ist zu fürchten, daß das Reichsfinanzminifterium wie schon so oft, so auch diesmal dem Drängen der Unternehmer nachgibt. Ein solches Berhalten fönnte um so weniger gebilligt werden, als die Steuerlaften ohnedies bereits in der Hauptsache von ben Maffen des Boltes getragen werden und die ungeheuer an fchwellende Not erhöhte Mittel des Reichs beansprucht.

Weitergang der Finanzberatung. Die Senatskommiffion zieht alle Anträge zurück. Paris  , 4. Dezember.  ( Eigener Drahtbericht.) Rammer und Senat haben die Beiterberatung des Finanzgefeßes auf Freitag. nachmittag vertagt, nachdem die Finanzfommiffion des Senats, deren Sigung fich non 2 Uhr nochmittags bis gegen 9 Uhr abends hinzog, bie ursprünglichen Dispositionen über den Haufen ge­merfen hat

Wer seinen Willen durchsetzen wird, hängt schließlich davon ab, wem zuerst der Atem ausgeht, der Regierung oder den Industrie­herren, von denen in der Tat vielen das Messer an der Rehle steht. Abseits wird bei diesem Kampf wieder die Benstre als Bauernpartei stehen. Das dänische Bauerntum, daß in den Jahren seit dem Kriege unheimlich verdient hat, und seinen Arbeiterbedarf noch mit Leichtigkeit deden tann, dessen England. export von der Deflation nicht so sehr wie der der Industrie bedroht ist, spielt eine weit reattionärere Rolle wie die geld­hungrige und absagleidende Industrie, die mehr oder weniger auf Staatshilfe in der einen oder anderen Form angewiesen ist. Daher die eigentümliche parlamentarische Konstellation des Augenblids, die die nationalliberalen Bauern rechts von der fon. fervativen Industrie stellt!

Die Finanzfommission hatte die Borlage zunächst in zahlreichen Bunften abgeändert, auf die Erklärung Briands aber, daß das Kabinett zurüɗtreten werde, wenn der Senat den Gefeßentwurf nicht in der von der Kammer verabschiedeten Form annehmen würde, sämtliche Abänderungsanträge zurüdge gogen und die Borlage in ber ursprünglichen Form mit 18 gegen 3 Stimmen angenommen.

Das irische Gespenst gebannt. Das Abkommen zwischen Irland und Ulfter. London  , 4. Dezember.  ( EP.) Gestern abend ist im Parlaments­gebäude zwischen der englischen   und den beiden irischen Regierungen ein blommen unterzeichnet worden, bas, soweit sich voraus lehen läßt, die irischen Schwierigkeiten endgültig regelt.

Die bisherigen Grenzen zwischen Ulster   und dem Freis staat bleiben bestehen. Sollten Verhandlungen notwendig werden, so ist das Sache der Beteiligten. Die englische Regierung fcheidet als britte Partei in dieser Angelegenheit aus.

Gewissermaßen als Entschädigung für seinen Berzicht in der Grenzfrage wird der irische Freistaat von allen finan. ziellen Verpflichtungen befreit, tie von ihm bisher auf Grund seines Anteils an den englischen Kriegsschulden erhoben

wurden.

Sozialisten gehen mit der Abrüstung voran. Dänemarks   Rüftungsausgaben fünftig nur ein Drittel.

Kopenhagen  , 4. Dezember.  ( Eigener Drahtbericht.) Der sozia listische Verteidigungsminister Rasmussen brachte im Folkething den Abrüstungsvorschlag ein, auf den sich die bürgerlichen Radi­falen und die Sozialisten geeinigt haben. Der Borschlag sieht die Abrüstung Dänemarks   bis auf einen Grenzschuh vor, mie ihn Deutschland   in seiner Reichswehr   und Reichsmarine hat Die militärischen Ausgaben finten dadurch von 46 auf 17,5 millionen Kronen.

Der Minister bezeichnete die Veröffentlichung dieses Borschlages einen Tag nach ber Unterzeichnung der Locarnoverträge als ein Entgegenkommen gegenüber der nationalliberalen Bauernpartei, die erflärt hatte, über eine Herabsetzung des dänischen Heeres mit sich reben zu laffen, wenn Locarno   mirtlich unterzeichnet würde. Er führte über den Einfluß ber Locarnover. träge auf die Weltlage aus:

Es ist eine Besensverschiedenheit zwischen den 2ocarnoverträgen und den früher geschlossenen Bündnissen. Früher bezeichneten folche Bündnisse einen be waffneten Frieden. Heute sagt man nicht mehr: Laßt uns rüsten, um den Frieden zu bewahren, sondern man ruft: Laßt uns abrüsten!

Der Minister erklärte schließlich, daß die beiden Linkspartelen bereit seien, auf Wunsch der Rechtsparteien über die Abrüftung eine Boltsabftimmung durchzuführen ober, wenn die erste Rammer es wünsche, auch eine Neuwahl des Follethings vor­zunehmen.

Bekler roll wiederkommen. Der Reichswehrminifter Dr. Gegler läßt die Mitteilung, daß er bei ber Reubildung des Kabinetts endgültig auszuscheiden wünsche, dementieren.

Der neue Geschäftsführer des Städtetags. Der preußische Ministerialdirettor im Innenministerium Dr. Bublert wurde vom Borstand des Deutschen Städtetages zum leitenben Geschäftsführer gewählt.

Bekhwechsel des Reuterbureaus. Das Reuternachrichtenbureau ift in den gemeinsamen Besitz der Breffeassociation und bes Reuter. Trust übergegangen.

Schramet, der Führer der tschechischen fatholischen Boltspariet, gab dem Präsidenten den Auftrag zur Rabinettsbildung zurük.

Imperium des Wahnsinns.

della Sera".

Das Gesetz gegen die Emigranten.  - Ende des ,, Corriere Lugano, 2. Dezember.

In der Kammer hat der Abgeordnete Gray das Gesetz gegen die Emigrierten den ersten Ring zur Gefeßgebung des italienischen Kaiserreichs" genannt. Bisher verband man mit dem Begriff des Imperiums" den der Ausdehnung des eigenen Machtbereichs, der Gewinnung neuer Bür­ger; heute genügt die Aus stoßung der Bürger, um im­perialistischen Gelüften genug zu tun. Eine gewisse moralische Genügsamkeit verförpert der Abgeordnete Gray übrigens Schon in seiner Person; er wurde nämlich von einem Ehren­gericht als nichtsatisfattionsfähig bezeichnet, weil er von dem Unternehmerverband seiner Provinz( Novara  ) 500 Lire im Monat für seine parlamentarische Tätigkeit zu ihren Gunsten

betam.

Ein wesentliches Merkmal des neuen Gesezes, das mit 278 gegen 20 Stimmen( die der Giolittianer und der Kommu nisten) angenommen wurde, besteht darin, daß es eine Rechtsstrafe verhängt: 1. unter Umgehung der ordentlichen Gerichte, 2. für eine im Sinne des Strafgesetzbuches nicht strafbare Handlung. Die Strafe felbft ist auch neu und den anderen europäischen   Gesetz­gebungen unbekannt: Berlust des Bürgerrechts, Beschlag­nahmung und Einziehung der Güter.

Die Umgehung der ordentlichen Gerichte bedeutet natür­lich Einbuße der Rechtsgarantien. Das Schicksal eines jeden Bürgers, ohne Garantie der Deffentlichkeit des Verfahrens und ohne Berufungsinftanz, hängt von einer von den Mi­nistern des Auswärtigen und des Innern ernannten Kom mission von Mitgliedern des Richterstandes und hohen Be­amten ab. Die Strafe wird verhängt, ohne daß die sie aus­lösende Handlung ein Berbrechen oder ein Bergehen zu sein braucht. Und dies, troßdem bis heute noch der§ 1 des ita­lienischen Strafgesetzbuches in Kraft ist, der lautet:

Niemand kann für eine Tat bestraft werden, die nicht aus­brücklich vom Gesetz als Verbrechen vorgesehen ist; gegen niemand tönnen Strafen angewendet werden, die das Gesetz nicht festsetzt."

Wie bei allen faschistischen ,, Gefeßen" werden wesentliche Dinge, so vor allem die Prozedur- Beweismaterial, Zeugen­verhör usw. den Ausführungsbestimmungen überlassen. Ueber den Geist, in dem man das Gesetz handhaben wird, gibt der Kommiffionsbericht der Rammer einigen Aufschluß:

,, Es sind zwei Kategorien schlechter Bürger, die die von dem Gefeßesentwurf eingeführte Kommission richten soll: die erfte besteht aus benjenigen, die, nachdem sie provisorisch ins Aus land gegangen sind, nicht wieder nach Italien   zurückkehrten und nun unser Land verleumden in Zeitungen und Zeitschriften, die in italie nischer Sprache geschrieben sind und die sie gratis unter den italie. nischen Auswanderern verbreiten. Hierher gehören weiter die Mit­arbeiter an fremben 3eitungen, die dort ihre Aufgabe nie­driger Berleumbung gegen Italien   erfüllen, ebenso jene, die auf Grund dunkler Protettion, und geheimnisvoller Begünstigungen außerhalb der Grenzen einen tendenziösen Nachrichten. dienst organisieren, mit dem sie im geeigneten Moment einspringen, wenn über die Baluta oder über Warenaustausch verhandelt wird. Mit ben improvifierten Führern revolutionärer Legionen beschäf

tigen wir uns abfichtlich nicht.

Italien   oft ins Ausland begeben, um den Vorsiz bei Versammlungen

zu führen, an Zusammenfünften auswärtiger politischer Organi fationen teilzunehmen, Vorträge zu halten, bei denen sogar ihr hinterliftiger Barteihaß sich das Mäntelchen der Wissen­

fchaft umhängt!"

Wie man sieht: die Beute ist reich. Wer in Italien   lebt, fann für jede der Kategorien und Unterkategorien Personen finden, auf die sie gemünzt sind. In der Kammerdiskussion wurde ein Zufaz Soleri angenommen, nach dem die Alende­rung der Staatsbürgerschaft eines Gatten die des andern und der Kinder nicht berührt. Auch wurde der Kommissionsvor­fchlag angenommen, außer der Einziehung des Ver. mögens feine Beschlagnahmung zur teilweisen Berwen­bung für die Kinder und den Ehegatten vorzusehen. Rein Blatt bringt ben endgültigen Wortlaut des neuen Ge fetzes. Das heutige Publikum darf nicht mehr so anspruchs. voll fein. Es soll Gott   danken, wenn man sein Bermögen nicht einzieht.

An demselben Tage, an dem die Rammer die Handhabe geboten hat, um den Nichtfaschisten das Bürgerrecht abzu­prechen, hat der Faschismus auch einen anderen Ausstoßungs­prozeß zu Ende geführt: die Beseitigung des Corriere della Gera". Denn der Redaktionswechsel bedeutet tatsächlich die Beseitigung dieses Weltblattes. Was unter seinem Namen weiter lebt, ist eine o ffiztöse Mißgeburt, ohne Charakter, ohne Würde, ohne Tradition, etwas Widerwär tiges und Berächtliches, wie all die Blätter, deren Gepflogen­heit, sich dem Meistbietenden zu ergeben, fie dem Faschismus in die Arme geführt hat, nachdem sie gestern demokratisch waren und morgen bereit wären, tlerital oder kommunistisch zu sein. Das alte rechtschaffene rechtsliberale Blatt, das die Gebrüder Albertint fett 1900 geleitet haben, existiert sett dem 29. November nicht mehr.

In einem Bierteljahrhundert ist es Luigi Albertini   unter Der Mitarbeit seines Bruders gelungen, ein technisch must e r- gültiges Blatt zu schaffen, das tatsächlich in der ganzen Welt Lefer hotte. Es war ein Blatt mit anständigen journa­i liftischen Gepflogenheiten. Daß es fein Sachwalter prole