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Nr. 576 42. Fahrgang

7. Seilage öes Vorwärts

Sonntag, 6. vezember 1425

Alte Sitten, die durch die Tradition geheiligt worden sind, über- brücken zuweilen soziale Gegensätze, ermöglichen es, dah sich der Reiche und Arme aus einem bestimmten Punkt tressen. Seit Gene- rationen, ja seit Jahrhunderten gehört zum Weihnachtsfest der Pfefferkuchen, der von allen Bevölkerungsschichten in dieser Zeit bevorzugt wird. Der Reiche und Verwöhnte steigt herab, Pfeffer- kuchen bedeuten ihm kaum mehr als ein Stück Brot, der Arme erlebt darin einen Feiertag, Pfefferkuchen sind ihm eine Steigerung seiner Lebenshaltung, der Ausdruck einer feiertäglichen Stimmung. Aber beide treffen sich in der Anschauung, daß Pfefferkuchen zu den wichtigsten Requisiten des Weihnachtsfeftes gehören. Schokoladen und Konfekte führen plötzlich in den Schaufenstern ein bescheidenes Proluarierdasein, sie halten sich irgendwo im Hintergrunde auf, während dicht an der Scheibe neben Teekonfekt und Marzipanherzen Pfessertuchen in allen möglichen Formen chronen. In Spezial- geschäften sieht man kunstvolle Hausbauten aus Pfefferkuchen, mit Zuckerguß verziert, und in Meiereien. Bonbongeschäften und Kolonialwarenhandlungen im Norden und Osten gibt es Pfeffer- tuchenweihnachtsmönner mit bunten Papierbildchen überklebt. Das ganze Konfitürengefchäft steht im Zeichen der Pfefferkuchen, und die Herzen mit Schokoladenüberzug füllen große Tonnen. Seit Monaten sind Vorbereitungen getroffen worden, aber während das Pfeffer- tuchengeschäft blüht und gedeiht, haben jetzt die Fabriken bereits ihr« Fabrikation eingestellt und die meisten Arbeiter entlassen. Das Weihnachtsgeschäft ist eingedeckt. Unterschiede. Unterschiede zwischen verwandten Dingen aufzudecken, ist eigent- lich die Arbeit eines ordentlichen Professors, der für diese Tätigkeit vom Staat Gehalt empfängt, aber manchmal herrschen über Dinge des alltäglichen Lebens ebenfalls schaurige Begriffs- Verwirrungen, die eine Klärung verlangen. Zu diesen Stiefkindern des Glücks gehören unbedingt die Pfefferkuchen, denn alles wäre gut und schön, wenn sie tatsächlich nur Pfefferkuchen hießen, das Schicksal aber hat ihnen noch dazu die Namen Lebkuchen und Honig- kuchen verliehen. Selbstverständlich wäre der Name Honigkuchen am vernünftigsten, da Honig einer ihrer Hauptbestandteile ist und nicht Pfeffer, die größte Schwierigkeit liegt jedoch bei den Leb- kuchen. Oertliche Unterschiede spielen hier eine ausschlaggebende Rolle. Im Osten, der die Welt durch die Schöpfung derThorner Katharinchen" einigermaßen mit seiner Existenz aussöhnte, heißen Pfefferkuchen Pfefferkuchen, ein Wort, dos im Königsberger Dialekt über kaum geahnte, klangliche Reize oerfügt. Der Süden !»at sich für Lebkuchen entschlossen, und in Berlin , das als die Haupt- tadt des Reiches ausgleichende Gerechtigkeit walten läßt, werden alle drei Formen gebraucht. Aber scheinbar beginnt die Liebe für den demschen Ölten in Berlin zu erkalten, da die Bezeichnung Leb- kuchen augenblicklich als besonders vornehm gilt. Und hier kompli- zieren sich die Schwierigkeiten beängstigend. Ursprünglich haben nämlich die süddeutschen Lebkuchen mit den norddeutschen Pfeffer- kucheo nichts gemein. Abgesehen davon, daß jeder Pfefferkuchen im Süden Lebkuchen heißt, bestehen die eigentlichen Lebkuchen, heute bekannt unter dem NamenNürnberger Lebkuchen ", aus einer Masie, die eher an Makronen als an den Pfefferkuchenteig erinnert. Vor allem aber werden Lebkuchen aus einem dünnen, flüssigen Teig hergestellt, der hauptsächlich aus geriebenen Mandeln, Nüssen, Zucker. Eiweiß und aus ganz geringen Mengen Mehl besteht. Dieser flüssige Brei wird sodann auf eine Oblate gestrichen und gebacken, hin und wieder tut man auch Rosinen oder Zitronat hinzu, versieht

die Lebkuchen mit einem Zuckerguß, Dinge, die aber nicht zum eigentlichen Wesen der Lebkuchen gehören. Die Honig- resp. Pfeffer- kuchen sind dagegen aus härterem Stoff gemacht. Mit dem uiibear- beiteten Pfefferkuchenteig kann man ohne große Anstrengung einen Menschen in jenes Land befördern,aus des Bezirk kein Wanderer wiederkehrt". Der Teig wird lange, bevor er gebraucht wird, unge­fähr ein halbes llahr vor Weihnachten, zubereitet. Er besteht durch- schnittlich aus 50 Proz. Mehl und SO Proz. Honig, doch dieses Ver- hältnis verschiebt sich je nach der Bestimmung des Teiges. Selbst- verständlich ist es, daß die billigen Pfefferkuchen zwanzig Pfennige ein Päckchen, nicht reinen Bienenhonig enthallen können, man gibt dann der Mischung einen Zusatz von Kunsthonig oder Zucker, hinzukommt Pimentpfeffer, nach dem ja die Pfeffer- kuchen ihren Namen erhalten haben, Zitronat, Rosinen und für manche Spezialitäten später Marmelade. Katharinchen bestehen z. B. aus reinem Bienenhonig, die Dickthorner haben dagegen einen SO-Proz.-Zulatz von Mandeln und Zitronat. Nachdem diese Mischung ein halbes Jahr in den Bottichen abgelagert hat, ist sie steinhart geworden: fühlt man sie an, bleibt es unverständlich, wie hieraus Kuchen gemacht werden können, die Farbe ist tief dunkelbraun. die Konsum-Pfefferkuchenfabrik. Eine der größten Pfefferkuchenfabriken ist die der Berliner Konsumgenossenschaft in Lichtenberg . In den Kellern des großen Bäckereigebäudes lagert in Hunderl großen, zementierten Bottichen der Pfefserkuchenteig, nach seiner Bestimmung gemischt. Im Laufe eines halben Jahres ,st er steinhart geworden und muß mit Stemmeisen aus den Bottichen gehauen werden. Nebenbei, der Teig lagert so lange, damit die einzelnen Bestandteile sich völlig durchdringen, die Härte ist nur eine unangenehme Folgeerscheinung. Dieser harte Teig muß aufgelockert werden, damit er verwendungs- fähig wird. Er kommt deshalb in die Wirkmaschine, die ungefähr aussieht wie eine zu groß geratene Waschmaschine. Breite Eisen- flügel beginnen im Innern zu rotieren und pressen den Teig solange, bis er weich geworden ist. Auch die verschiedenen Formen der Pfefferkuchen werden auf maschinellem Wege hergestellt. Neben der

An der Honlgkucbea-Dresslermascblae, Wirkmaschine steht die drei Meter lange Ausstechmoschine mit aus- wechselbaren Stempelformen. Die ganze Maschine ist etwa nur einen halben Meter hoch und trägt an dem äußersten Ende einen Aufbau, der aus einem Trichter und zwei Walzen besteht. Der Teig kämmt zuerst in den Trichter und wird durch die Walzen

getrieben. Er läuft dann flach ausgewalzt aus einem breite« Irans - portband zu einem zweiten Aufbau, der die Stempel enthält. Di« ausgeformten Suchen fallen aus selbsttätig lausende Bleche, während die Abfallstücke von neuem in den Trichter geworfen werden. Dies« Maschine verarbeitet stündlich sechs Zentner Teig. Daneben steht eine Tressiermaschine, die in der Stunde vier Zentner Pfeffernüsse und Baumbehang in kleinen Teigtupsen aus die Bleche fallen läßt. Darauf gelangt alles in den Backofen, einen gewöhnlichen Doppel- auszugsofen, der sonst zum Brot- und Schrippenbacken verwandt wird. Der Vackprozeß dauert etwa zehn bis sünszchu Minuten, abhängig von der Dicke der Kuchen. Jeder Ofen bat zwei groß« Backbleche, von denen jedes z. B. dreihundert Pfefferkuchenherzen fasten kann. Da die Konsumgenostenschaft vier solcher Oefen i» Betrieb häll, kann sie in zehn Minuten 2400 Herzen fertigstellen. Die sogenannten Schokoladenpfefferkuchen erhalten nun ihr Schoko- ladenbod. Die Kuchen, die auf kleinen Gittern lagern, werden in die dickflüssige Schokoladenmaste, bestehend aus einer Mischung von Schokolade und Kakaobutter, mit der«inen Seite hineingetaucht. Die fertige Ware wird sodann verpackt und in die Verkaufsstelle geschickt. Die Fabriken ruhen bereit«, wenn die Pfefferkuchenhauste«in- setzt. Vielleicht keine andere Backware oder Kcnsitüre erlebt auf kurze Zeit«ine derartige Nachfrage. Merkwürdig, wie hier eine bestimmt« Festzeit für den Konsum entscheidend bleibt. Nur noch im Januar kauft man Pfefferkuchen in Erinnerung an das Fest. Die nicht ver« kauften Pfefferkuchen wandern dann in Blechbüchsen und warten, bis eine neu« Weihnachtszeit sie ihrer Bestimmung zuführt, dort ruhen sie, in ihr Schicksal ergeben, Berühmtheiten, die die Zeit ab- gebaut hat, die aber bestimmt mit einem neuen Aufstieg rechnen dürfen. Die Sparkasse der Sousum-Seuosseuschost Berlin und Amgegeud teilt un« mit, daß Einzahlungen und Abhebungen sowohl in den 181 Lebensmittelabgabe stellen als auch in den vier großen Warenhäusern der K o n s um« G e n o s s« n« s ch a f t Berlin und Umgegend vorgenommen werden tonnen, und zwar in der Zeit von 8 Ubr morgens bis 7 Uhr abends. In den Warenhäusern werden Einzahlungen und Abhebungen sofort im Sparbuch eingetragen. .Ilaler«ottstun.- Der« e r b e s i l m der Konsnmgenossen- I ch a t t Berlin und Umgegend. der größten Berbrauchererganiiation in Deutichland, über den wir bereit» in unseier Nummer IW berichteten, geht am DienStaz, den 8. De ember, ab-nds 8 Udr, wiederum im.O r- vheum", Hastnhcide 32/38"(Eingang SrSjesiraße), über die Leine- wand. E» ist an diesem Tage jedermann Melegenheir geboten, den Film anzuiehen und sich über die vorbildlichen Einrichtungen der Konsum- genostentchaft zu tnfoimirren. Jeder Parieigenoss-, jeder gewertschaitlich »rganitierle Arbeiter, Angestellte und Beamte tollte sich die Konsum- genoilenschast wenigstens im Film anjebcn. Devfclbe Film läuft am Montag, den 7., abends 7 Uhr, jür die 121. und 58. Berlaufsstell« in der Schulaula Dunckerstr. 64. Wieder ei« groster Pelzdiebstahl. In der Niederwallstraße, in der Nähe des Spittelmarkte», drangen Einbrecher mit Gewalt in ein Gesckäft ein. nachdem sie versucht hatten, zwei Türen mit einem Nachschlüssel zu öffnen, und stahlen für etwa 60 000 Mark Pelzwaren und Fell«, darunter 200 schwarzgesärbte Persianerselle, 30 Breitschwanz., 100 Biiam-> 180 Nutria-, 120 Hermelin-, viele Fuchsfelle, darunter echte Blaufüchse u. a. m. Auf die Ergreifung dieser Verbrecher und die Wiederbeschaffung des gestohlenen Gutes ist eine Belohnung von 9000 M. ausgesetzt.

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Die Passion.

Borna « von Clara viebig. �lga hatte die Einladung zu dieser Hochzeit abgelehnt unter dem Vorwand, sie hätte noch zu viel für die eigene zu tun. Als sie nach langer Zeit wieder einmal nach der Alexanderstraße gekommen war sie mußte doch ihren Bräutigam dem Bruder vorstellen da war sie überrascht. wie Grete sich verändert hatte. Die Weichheit des Glückes war über die ausgegossen: nichts mehr von Mauligteit. nichts mehr von Schnippi�keit war da. und auch nichts mehr von der Widerwilligkeit, die sie früher gegen die Tante gezeigt hatte. Sie umarmte diese herzlich und gab ihr einen Kuß. Sie war so schön in ihrer strahlenden Bräutlichkeit, daß Olga dachte: du darfft dich nicht zusammen mit ihr zeigen, unwill- kürlich zieht ein jeder sonst Vergleiche zwischen den zwei Bräuten. Hans konnte denn auch gar nicht genug erzählen von der Fröhlichkeit dieser Hochzeit und der jungen und reizenden, munteren Braut. Der Bräutigam war wirklich heneidenswertl, Olga war eine sehr ernste Braut. Braut wie hatte sie sich das einstmals anders gedacht, als sie daheim mit an- deren Töchtern der kleinen Stadt das Schneidern erlernte und sie sich darüber unterhielten, wie sie sich dereinst das eigene weiße Brautkleid schneidern würden! Heut aina Olga in Dunkel, nur mit ein wenig weißem Spitzenauspuß an Hals und Aermeln. sie hätte am liebsten ihr schwarzes Kleid angezogen, das stand ihr gut, aber der Bräutigam litt es nicht...W.e ne olle Tunte m Schwarz, das fehlte noch nee, nee!" Eva war zur Schule gegangen wie immer; die Mutter hatte einen Feiertag für sie erbitten wollen- wozu? Eoa sah das nicht ein: sie ging ja. doch mcht m.t nach dem Standes- amt, und wenn die Mutter von dort zurückkam, war sie ja auch wieder da. Sie ging fort mit der Buchermappe, die Frühstücksbüchse umgehängt, auf der mit großer Schrift stand. Guten Appetit". Heimlich nahm sie d-n Spitz m.t, der unter der Haustür stand und in den dickfallenden Schnee hinaus- blinzelte. Er hatte nicht große Lust, sich das Fell naß zu machen, aber als Eva ihm zuflüsterte:Komm mit, trippelte er hinter ihr her. behutsam die kleinen Pfötchen setzend. Sie ging nicht in die Schule nein, das konnte sie nicht. O, ihre Mutter, ihre lieb« Mutter! Schon gestern war das Bett,

ihres Großvaters großes Bett, i h r Bett, das sie von dem geerbt hatte, neben das der Mutter geschoben worden: da sollte nun von morgen ab Herr Blechhammer drin schlafen. Ihr Bett! Die Mutter hatte ihr ein neues, kleineres gekauft, das stand nun in der Wohnstube hinter einer spanischen Wand. Schon diese Nacht hatte sie da geschlafen, vielmehr nicht ge- schlafen: kein erlösender Schlummer hatte sie mit fortge- nommen ins Land der Träume. Schweres drückte sie. Sie hatte es im letzten Gute-Nacht-Kuß der Mutter gefühlt, daß auch sie bedrückt war, so heiter sie sich zu sein mühte. Der Bräutigam war noch lange dagewesen, man hatte Frau Bull- mann herübergebeten, als nächste Nachbarschaft. Frau Bull- mann hatte den jungen angehenden Ehemann weidlich ge- neckt, er war auf ihre Späße eingegangen: sie hatten sehr gelacht. Und dann hatte die Nachbarin, die wußte, was sich gehörte, noch gepoltert. Sie hatte ihren irdenen Waschkrug, der schon einen großen Sprung hatte, vollends geopfert, und ihn so von außen gegen die Tür geworfen, daß die drinnen zusammenfuhren. Scherben klirrten, denen des Kruges folgten noch einige schadhafte Teller und Tassen ohne Henkel; Eva fing vor nervösem Schreck zu zittern an. Olga hatte den ganzen Abend dagesessen wie eine Träu- mende. Sie hatte Ferien im Geschäft genommen, man hatte der geschätzten Direktrice gern ein paar Tage Urlaub be- willigt. Im Atelier war gesammelt worden; die Arbeite­rinnen hatten ihr ein Geschenk gemacht: eine Schwarzwälder- uhr, die sagte alle Nase langKuckuck". DiesKuckuck" auälte Eoa in dieser Nacht. Warum schrie der Vogel so laut? Sie empfand sein helles Kuckuck wie einen Hohn auf ihre Qual. Und Oual wäre es heute auch, in die Schule zu gehen, sie konnte ja doch nicht aufpassen; Oual war es heut«, über- Haupt zu sprechen, zu antworten, zu sehen und zu hören. Ihre Mutter, o ihre liebe Mutter! Wie blind, ohne irgend etwas zu sehen, rannte sie die Querstraße, darin sie wohnten, zu Ende, die breite Längsstraße hinunter, die am Tiergarten mündete. Wäre die Elektrische, durch den Schnee gehemmt, nicht so langsam vorangekommen, sie wäre überfahren wor- den. Der Hund tippelte immer hinter ihr drein. Im Tiergarten spazierte heut niemand. Kein Lebender hier, es war wie ein Kirckchos. Eva erhob plötzlich ihre Stimme und schrie in die weiße Einsamkeit hinein:Mutter!" Aber der Schall verklang kaum hörbar, wurde verschluckt von der großen Lautlosigkeit. Große weiche Masten waren über ihr, das waren sonst Bäume, heute senkten sie sich wie sch«>er>

hängende Wolken; überall waren solche Wolken, der Himmel war ein einziges großes Daunenbett, und in lauter weich nachgebende flockige Daunen trat sie. Man vernahm keinen Schritt, langsam hüpften ein paar Krähen, das einzig Leben- dige; dunkle Punkte auf weißer Fläche. Aber Flia rannte ihnen nicht bellend nach, er schwieg auch, zog den Schwanz ein und schlich langsam. Es war nicht kalt, das Gehen im tiefen Schnee machte sogar warm. Eva fühlte ein Brennen in den Händen, ein Brennen in den Füßen und im Gesicht, in den Fingerspitzen stachen ihr Nadeln, aber all dies Brennen und Stechen war nichts gegen das, was sie im Herzen spürte. Ihre liebe Mutter! Jetzt waren sie unterwegs nach dem Standesamt, oder ob sie schon dort waren? Ob ihre Mutter jetztJa" sagte und nun seine Frau war? Die Frau von einem fremden Mann?! Eoa hatte einen Augenblick nachdenkend stillgestanden, nun stapfte sie wieder weiter, es trieb sie etwas von bannen. Wohin? Das wußte sie nicht. Aber nur von allen Menschen fort. Sie mochte heute keinen leiden. Sie waren alle nicht gut. Nur Gott war gut, sagte die Lehrerin. Wenn er wirk» lich gut wäre, würde er sie dann so allein hier irren lasten, es zugeben, daß Herr Vlechhammer ihr die Mutter fortnahm? Wenn er wirklich der Vater im Himmel wäre, warum hatte sie dann keinen Vater hier auf Erden? Und da fiel es ihr plötzlich aufs Herz, wie eine brennende Kohle, die gleich eine Wunde einfrißt: warum hatte sie denn nie etwas von ihrem Bater gehört? Sie mußte doch einen Vater haben. Aus dem Brunnen geholt, wie man's den Kindern erzählt, hatte die Mutter sie sich doch nicht, und der Storch hatte sie auch nicht gebracht:Bater/' sagte sie laut vor sich hin,Vater! Ich möchte auch einen Vater haben!" Sie fuhr schreckhaft zusammen; sie war ganz vertieft ge- wesen, sie hatte es nicht gemerkt, daß ihr einer entgegenkam. Nun war er bei ihr. Der Mann hatte schon eine Weile nach der einsamen kleinen Gestalt geäugt. Er stapfte in seinem fadenscheinigen, schmierigen Ueberzieher, der ihm lang auf ausgetretene, viel zu weite Schuhe hing, lautlos durch den Schnee. Einen Sack trug er auf dem Rücken, einen langen Üstock mit eisernem Haken in der Hand. Der alte durchlöcherte Filzhut saß ihm tief in der Stirn, darunter hervor fuhren unruhig-scheue Blicke. Ein Strolch, ein Wild für die Polizei: aber jetzt war kein Polizist in der Nähe. Er sah sich nach ollen Seiten um. Ganz alleene?" fragt« er. (Fortsetzung folgt.)