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Mr. 149.

Erscheint täglich außer Montags. Preis pränumerando: Viertel­jährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 Mt., wöchentlich 28 Pfg. frei tn's Haus. Einzelne Nummer 5 Pfg. Sonntags- Nummer mit illustr. Sonntags- Beilage Neue Welt" 10 Pfg. Post- Abonnement: 3,30Mt. proQuartal. Unter Kreuz­ band : Deutschland u. Desterreich­Ungarn 2 Mt., für das übrige Ausland 3Mt. pr.Monat. Eingetr. in der Post- Zeitungs- Breisliste für 1895 unter Nr. 7128.

Vorwärts

12. Jahrg.

Insertions- Gebühr beträgt für die fünfgespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pfg., für Vereins- und Bersammlungs- Anzeigen 20 Pfg. Inserate für die nächste Numiner müssen bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition abgegeben werden. Die Expedition ist an Wochen­tagen bis 7 Uhr Abends, an Sonns und Festtagen bis 9 Uhr Vor­mittags geöffnet. Fernsprecher: Amt 1, Nr. 1508. Telegramm- Adresse: " Sozialdemokrat Berlin !

Berliner Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands .

Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.

Abonnements- Einladung.

Mit dem 1. Juli eröffnen wir ein neues Abonne­ment auf den

Vorwärts"

mit der illustrirten Sonnto gs- Beilage

Die Neue Welt".

Sonnabend, den 29. Juni 1895.

Das Lied

vom braven Hammerschmied.

Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.

wie weiland jener Kurfürst von Hessen , der die Revolutions­jahre einfach aus der Geschichte herausstreichen zu können vermeinte. Den Klassenkampf, den Gegensatz zwischen aus­gebeuteten Arbeitern und arbeitausbeutenden Kapitalisten Hoch klingt das Lied vom braven Mann, wie Drgelton hält er für eine freie Erfindung teuflischer Hezer und und Glockenklang- eine herzinnige Freude bereitet es proklamirt dafür seine und seiner liebevoll bevaterten Ar­jedem fühlenden Menschen, es anstimmen zu hören, be- beiter Zugehörigkeit zu dem alten ehrenhaften Stande der sonders, wenn der lobpreisende Sänger sothaner braver Hammerschmiede". Für unseren Hammerschmied haben nun Mann in eigener Person ist. Kizelt doch Eigenlob, wie aber Worte häufig einen ganz anderen Sinn als für andere ein wohlbewährtes Sprichwort sagt, gar lieblich die Nasen Menschen. Da lesen wir:" Selbst ist der Mann" ist der gleich citel Ambraduft und Myrrhen. Grundsatz jedes tüchtigen Arbeiters, mit dem er auch seinem Arbeitgeber gegenüber am weitesten kommt...." Böllig einverstanden!

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Die Weltlage ist so bewegt, daß sie mehr und mehr Das Interesse jedes denkenden Menschen in Anspruch Bum alten ehrenhaften Stande der Hammerschmiede" nehmen muß. Die Umsturzvorlage ist zwar gefallen, allein hat sich unser braver Mann stets und allerorten mit Stolz bekannt", Freiherr von Stumm- Halberg ist sein Name und Verlaßt euch nicht auf Unternehmer und Bureaukraten! der Umsturz von oben wird eifrigst fortgesetzt. Die Saar- und Blies- Zeitung" stellt ihn, indem sie sein Aber wie kommt König Stumm zu dieser Einsicht? Ja, Namentlich richten die Anstrengungen der reaktionären eigenstimmiges Loblied durch den Druck weiter verbreitet, das meinen Hochdieselben eben ganz anders, denn weiter Parteien sich gegen das allgemeine Wahlrecht. uns vor als bewährten Arbeiterfreund", und die muß es lesen wir:.... während sein Zusammenschließen zu Das deutsche Volk, die deutsche Arbeiterklasse soll politisch ia wissen, denn sie ist zugleich amtliches Kreisblatt für Kampforganisationen, welche früher oder später immer unter den Kreis Ottweiler" und somit von amitswegen lauterster die Botmäßigkeit fremder Agitatoren gelangen, feine Selb = entrechtet werden. Und der Kampf um das allge- Wahrheit beslissen. ständigkeit vernichtet..." Na, da haben wir die Offen­meine Wahlrecht, um die Rechte des Volkes muß vor allem in der Presse geführt werden. Die Presse ist die mächtigste Waffe des Volkes- und diese Waffe zu

stärken, ist Pflicht des Volkes.

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Wie haben wir doch so wenig bisher unseren braven barung: Die organisationslosen Hüttenarbeiter im Königs Hammerschmied von Neunkirchen gekannt! Da sieht man, reich Stumm, die keine Wirthschaft, keinen Kaufladen be­Pann. Feierlich erklärt uns der brave Hammerschmied, daß Zeitung lesen, die ihm nicht nach dem Schnabel redet, bie wie üble Nachrede selbst das lauterste Menschenbild entstellen suchen dürfen, den ihr Brotherr geboykottet hat, keine er sich vor Gott verantwortlich fühle, das praktische nicht Mucks sagen dürfen ohne dürfen ohne obrigkeitliche Ge­Wir fordern die Genossen auf, nach Kräften für die Christenthum zu bethätigen, und doch hat die böse Welt nehmigung, das sind freie, selbständige Männer Verbreitung des Vorwärts" thätig zu sein. Mitglieder feinen Anstand genommen, überall herumzuerzählen, besagter und großer Kampforganisationen, Nach Beendigung der Berliner Märztage" Hammerschmied und praktischer Christ habe noch vor kurzem gleichberechtigt im Kampfe um die Arbeitsbedingungen werden wir eine in Südamerika spielende Original- einem alten bebrillten Professor auf dem Duellwege mit dem den Unternehmern gegenüber treten, die Mitglieder des Schießprügel den Garaus machen wollen, weil derselbe seine Bundes britischer Bergleute" z. B., sind unselbständig und Erzählung, die ebenso spannend als belehrend ist, ver- sozialpolitischen Leistungen unliebsam fritifirt hatte. Da unfrei. Das Beispiel ist übrigens nicht willkürlich gewählt öffentlichen, und dann mit dem in der Gegenwart nun eines bewährten Arbeiterfreundes, alten Hammer- von uns. Herr v. Stumm hat die Güte selbst darauf hin­spielenden Roman: Der Verrückte" beginnen, welcher schmiedes und praktischen Christen ein solcher ebenso lächer- zuweisen mit den Worten: Die englischen Gewerkvereine, die Vernichtung eines hoffnungsvollen Menschenlebens durch licher wie feiger Mordplan ganz und gar unwürdig wäre, welche uns von den falschen Propheten stets als Muster tirchlichen Fanatismus darstellt und ähnliche Zu- sondern nur allerhand Hanswürften zuzutrauen wäre, die vorgeführt werden, liefern dafür den besten Beweis." den schneidigen Lieutenantston im bürgerlichen Leben zu Da erscheint allerdings der Einwurf berechtigt: Spricht stände beleuchtet, wie sie jüngst durch einen sensationellen fopiren suchen, damit ein Strahl der militaristischen da aus des edlen Freiherrn Munde wirklich nur noch die Prozeß aufgedeckt worden sind. Gnadensonne auch auf ihren geölten Ehrenscheitel falle, so platte Unwissenheit und Unfähigkeit, allbekannte Beit­muß die ganze Geschichte vom Duell Wagner- Stumm er- erscheinungen zu verstehen, oder haben wir es da mit einem zwar unsagbar plumpen, aber doch böswilligen Versuch zu funden sein nichts als eitel Wind und Fabelei. Und es freut uns von Herzen, das hier einmal auf thun, den Neunkirchener Arbeitern ein für ein U vor­grund des selbsteigenen Leumunds- Zeugnisses unseres zumachen? braven christlichen Hammerschmieds ein für allemal feststellen zu können.

Für Berlin nehmen sämmtliche Zeitungsspediteure, so­wie unsere Expedition, Beuthstr. 3, Bestellungen ent­gegen zum monatlichen Preise von

1 Mark 10 Pfennige frei ins Haus. Für außerhalb nehmen sämmtliche Postanstalten Abonne­ments zum Preise von

3,30 M. für die Monate Juli- September entgegen.( Eingetragen in die Post- Zeitungsliste für 1895 unter Nummer 7128.)

Redaktion und Expedition des Vorwärts".

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Feuilleton.

[ Nachdruck verboten.]

Berliner Märztage. 50

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Und weiter wird mancher unserer Leser fragen: Wozu in aller Welt befaßt ihr euch des längeren und breiteren mit den Kapriolen dieses seichten Burschen? Haben wir nicht bessere Dinge zu thun in dieser ernsten Zeit?

Was der brave Hammerschmied sonst noch an sozial­politischer Weisheit zu tage gefördert hat, erreicht leider nicht ganz die schwindelfreie Höhe seines duftenden Eigenlobes. Nein, das ist ja gerade ein Zeichen dieser ernsten Zeit, Da weiß er leider nichts Neues zu erzählen. Als echter daß unter unseren Gegnern ein solcher seichter Bursche eine Vertreter eines ancien régime , der Verfallsära des Kapi- führende Rolle spielen kann, daß seine sozialpolitischen talismus, hat er nichts gelernt, aber auch rein gar nichts. Kapriolen als Aussprüche überwältigender Weisheit gläubig Er trägt noch immer mit Stolz seinen Zopf zur Schau, hingenommen werden von dem rathlosen Haufen, der sich

Und nachdem die jubelnde Bourgeoisie ihre tauben des Unrechts, ein gellender Aufruf zum Kampfe für die Nüsse in Empfang genommen, da brachte das Volk von beleidigte Ehre des Volkes. Berlin seine eine und einzige Forderung zum Ausdruck: Und von Straße zu Straße, von Viertel zu Viertel feine Forderung sozialer Hilfe oder politischer Rechte, pflanzt er sich fort mit der Schnelle des Windes, und sondern eine billige, rein formale Forderung des Augen- dumpfes Sturmgeläut tönet grell in den lachenden Früh­blicks, die einfach seine beleidigte Menschenwürde erheischte ling hinein, und aus dreihunderttausend Kehlen schallt es die kurze, lakonische Forderung: Militär fort!" wie Antlage und Urtheil zugleich:" Verrath! Berrath! Militär fort!" scholl es alsbald durch die ganze, nach Bu den Waffen!" zehntausenden zählende Menge. Auch die jubelnden Bürger Und siehe, die Schwachen und Wehrlosen werden plötzlich besannen sich, daß sie ursprünglich die Zurückziehung des zu reisigen Helden. Das geschärfte Auge sieht sich auf ein­Militärs und die Bürgerbewaffnung verlangt hatten, und mal rings von Waffen umgeben, nach denen die Faust kurz ermuthigt durch die Erfolge, die sie eben erst so leichten entschlossen greift, um die Brust vor dem Feinde zu schützen. Kaufes errungen zu haben meinten, stimmten fie in Zur Wehr und Waffe wird, was den Zwecken friedlicher den donnernden Ruf des Volkes ein-- in den Ruf: Arbeit sonst diente- Aerte und Spaten, Stackete und Militär fort!" Balken, die Eisenstangen an den Thoren und die Schwengel an den Straßenbrunnen. Wer Flinten und Säbel hat, giebt sie willig hin, die Schwertfeger räumen ihre Läden aus, die Waffensammler opfern ihre theuer bezahlten Helle­Die barden , Damaszenerklingen und Ritterschwerter. Wachen und Posten vor den öffentlichen Gebäuden sind im Nu überwältigt nur die Waffen gilt's ihnen zu nehmen, sie selbst läßt man laufen.

Eine geschichtliche Erzählung von Michel Deutsch. Waren sie denn blind, diese jauchzenden Bürger, sahen fie nicht die blizenden Bajonnete der Garderegimenter da drinnen im Schloßhof und die blinkenden Helme der Dragoner an der Stechbahn, und die drohenden, von Haß und Ver­achtung zeugenden Gesichter all der Soldaten und Offiziere, die diese schweifwedelnde Bürgerfanaille am liebsten mit Fußtritten regalirt und angespien hätten? Man hatte nichts, aber auch gar nichts bewilligt, so Und siehe, schon schwenken die Dragoner an der Stech­Lange diese geschlossenen Massen bis an die Zähne bewaffneter bahn, als ob sie abrücken und die gerechte Forderung des Männer einer wehrlosen Menschenmenge gegenüberstanden, Volkes erfüllen wollten, und ein lautes Bravo! aus tausend die in vollem Vertrauen gekommen war, um mit ihrem Rehlen begleitet ihren Rückzug. König über die neue Lage der Dinge zu verhandeln.

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Doch nein was ist das? was ist das?

,, Vertrauen gegen Vertrauen!" das war die natür- Mit einer plötzlichen Wendung machen sie Front und in liche Folgerung, die der schlichte Verstand des einfachen scharfem Galopp, mit geschwungenem Säbel, jagen die Reiter Voltes stellen mußte. Wenn es schon selbst bei der Neu- des Königs hinein in die dichtgedrängte Menge, die soeben gestaltung der Dinge übergangen war, wenn diese satten mit hellem Jauchzen den Morgenschein der neuen Freiheit Existenzen bei ihrem Handel mit den Machthabern im begrüßt hat.

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Inzwischen reißt die Jugend, Knaben und Mädchen, das Straßenpflaster auf, und in Körben werden die Steine emporgeschleppt auf die Dächer, die Dächer selbst aber ab­

Schlosse nicht mit einem Wort der Hungernden da draußen Und fast im gleichen Moment rücken aus den Portalen gedeckt und die Dachziegeln in hohen Schichten als Ge­in den Vorstädten, der arbeitslosen, darbenden, durch Krant - des Schlosses die Franz- Grenadiere hervor und mit ge- schoffe aufgestapelt. Ganz Berlin ist nur noch ein einziges heit und Entbehrungen dezimirten Proletarier, gedacht hatten, fälltem Bajonnet und wirbelndem Trommelschlag schwenken gewaltiges Arsenal, in dem mit fiebernder Gile ein be­fo verlangte der gerade Sinn des Volkes wenigstens nach fie links nach der Kurfürsten- Brücke und im Sturmschritt leidigtes Bolt sich rüstet, um das ihm angethane Unrecht der gesunden, reinen Luft der Wahrheit, nach Ehrlichkeit geht's vorwärts, den Fliehenden nach, bis dicht vor die mit mannhafter Kühnheit von sich abzuwehren. und Offenheit, diesen alterprobten sittlichen Schätzen, die es Brücke. Nicht fragen diese Menschen nach den Chancen des zu jeder Zeit hochgehalten. Und während zugleich Schweizer Scharfschüßen mit Sieges, nicht ziehen sie Vergleiche zwischen den Waffen der gespannten Büchsen an der rechten Schloßseite zum Fluß- Gegner und den eignen, die vielfach nicht besser sind als Sie wissen und ufer schleichen, springen zwei Mann auf Kommando vor die Waffen der Wilden des Urwaldes. die Front der Grenadiere und feuern zwei Schüsse ab über fühlen nur das eine: daß sie nicht anders handeln die Köpfe der Menge. fönnen, als sie handeln, und daß sie werth wären, an Ein einziger wilder Schrei dringt hinauf zu den gespieen zu wenden, wenn sie anders handelten. Sie wissen Fenstern des Schlosses kein Schrei des Entsezens, der und fühlen, daß sie schuldlos find an dem, was geschehen, Angst und des Schreckens, sondern ein Schrei nach Sühne was geschieht, und was geschehen wird, daß all das Blut,

Was standen diese Regimenter noch in den Straßen herum, nachdem doch der König mehr bewilligt hatte, als verlangt worden", nachdem er die eine Hand auf sein Herz gelegt und die andere zum Himmel erhoben hatte"? Wohlan benn, fort mit ihnen, mit diesen Infanteristen und Kavalleristen -oder sollten sie etwa ein fünftes Massakre, ein fünftes blutiges Resseltreiben auf das Bolt im Sinne haben?