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worden waren. Mutter und Sohn liegen in den Baracken 7a und 7 b, ihr Befinden ist verhnllnißmäßig gut. Prähistorischer Fnud. Auf dem in der Bergstraße in Rixddrs belegenen Gelände des Kiesgrubenbesitzers F. W. Körner ist deinRixd. Tagebl." zufolge kürzlich ein vorgeschichtlicher Menscheuschädel aufgefunden worden. Die Direktion des Museums für Völkerkunde in Berlin   hat sich nach gehöriger Prüfung den Schädel für die Sammlungen des Instituts erbeten. Die eigen- tbümlich flache Zahnbildung des vorzüglich erhaltenen Schädels läßt darauf schließen, daß sein Inhaber sich ausschließlich von Vegetabilien ernährt hat. In Altona   nahm am Donnerstag nach langer lebhafter Debatte das Sladtverordncten-Kollegium den kürzlich abgelehnten, neuerdings wieder eingebrachten Antrag auf Einführung des elektrischen Straßenbahnbetriebes in Altona   an. Zigeunerblut. Seit acht Tage» war der dreizehnjährige Schüler Otto Simon, der bei dem Arbeiter Neugebauer in der Möckernstraße wohnt, verschwunden. Simon war von Frau Neugebauer mit 6 M. KS Pf. weggeschickt worden, damit er in der Mauerstraße einen Krankenkassenbeitrag bezahle und von einem Bäcker beim Anhalter Bahnhof   ein Brot kaufe. Ter Junge that aber weder das eine noch das andere, sondern ging mit dem Geld aus Reisen. Ain Donnerstag nun erhielt Herr Neugebauer durch eine Post« karte die Nachricht, daß sein hoffnungsvoller Pflegebefohlener bei Parchim  , im Kreise Magdeburg  , von einem Gendarm aU gegriffen und nach Genthin   gebracht worden ist. Eine ähnliche Reise hat der kleine Abenteurer, dessen Eltern vor zwei Jahren nach Amerika   ausgewandert sind, schon früher einmal gemacht. Damals wurde er jedoch schon nach drei Tagen angehallen. Gelandet wurde am Donnerstag Vormittag die Leiche eines etwa llöjährigen Mannes, welcher alsbald als der seit etwa acht Tagen verschwunden gewesene Tischler Naumann rekognoszirt wurde. Im Forst bei Bernau   wurde vorgestern die Leiche eines Mannes gefunden; es liegt auch hier wahrscheinlich Selbst- word vor. Der Todte ist etwa 30 Jahre alt. Weil ihn seine Frau nicht mehr ausnehmen wollte, hat der 3t jährige Maler Karl Dechert aus der Fürbringerstr. 22 einen Selbstmordversuch verübt. Dechert sprang Freitag, früh gegen 1 Uhr, kopfüber in die Spree, um sich das Leben zu nehmen, wurde jedoch gerettet und auf Veranlassung des ersten Polizeireviers mit einer Droschke in ein Kraukenhaus gebracht. Wegen schwerer Sittlichkcitsvergehen, begangen an Mädchen unter neun Jahren, ist am Donnerstag ganz früh morgens der Verwalter des Hauses Nr. 43 in der Fehrbelliner- straße, namens Krackow  , verhastet worden. Im Eisenbahnzuge plötzlich gestorben ist am Donnerstag Nachmittag der 40 jährige Bautechniker Johannes Steinfeldt aus der Brandcnburgstraße 10. Steinfeldt, der im Frühjahr an der Influenza gelitten hat, befand sich seit einiger Zeit auf Sommer- wohnung in Buckow   in der märkischen Schweiz, wo er seine Gesundheit ganz wiederherzustellen hoffte. Seine Familie weilte vorläufig noch in Berlin  . Als er. um diese zu besuchen am Donnerstag Nachmittag nach Berlin   kommen wollte, ereilte ihn unterwegs plötzlich der Tod. Da die Todesursache nicht festgestellt werden konnte, so mußte behufs deren Ermittelung die Leiche in das Obduktionshaus gebracht werden. Vermuthttch hängt der Todesfall noch mit der überstandenen Influenza zusammen. Der Verstorbene hinterläßt eine Frau und drei Kinder, einen Knaben von S und zwei Mädchen im Alter von 7 und 2 Jahren. Arbeitslosigkeit und Roth haben einen braven Arbeiter, den 33 Jahre alten Maler Adolf Otto, in den Tod getrieben. Seil langem ohne Subsistenzinittel, ging er am Dienstag Morgen in den Thiergarten und brachte sich dort mit einem Revolver eine tövtlich wirkende Wunde bei. Otto, der unverheirathet war, galt unter seinen Bekannten und Berufsgenossen als braver und pflichttreuer Mensch, dessen tragifches. i» unserer herrlichen Welt- Ordnung begründetes Schicksal allgemeine Theilnahnie erregt. Polizeibericht. Am 27. d. M. abends sprang an der Fischerbrücke ein Mann in der Absicht, sich das Leben zu nehmen, in die Spree. Er wurde jedoch noch rechtzeitig aus dem Wasser gezogen und nach der Charitee gebracht. In der Nacht zum 23. d. M. wurde an der Ecke der Koppen- und Großen Frank- furterstraße ein Schuhmacher durch einen Thorwagen überfahren und am Unterschenkel erheblich verletzt. Im Laufe des Tages fanden zwei unbedeutende Feuer statt. Witterungsiibersicht vom 28. Juni l89Z. Wetter-Prognose für Sonnabend, 2». Juni 18SZ. Ziemlich warmes Wetter mit veränderlicher Bewölkung, etwas Regen und schwachen westlichen Winden. Berliner   Wetterbureau. Tlzenkov. Die Niederländische Schauspielgesellschaft im Deutschen  Theater führte am Donnerstag Abend ein interessantes Experiment aus. Gerhart Hauptmann's  Einsame Menschen", jenes in seiner psychologischen Entwickelung ebenso meisterhafte wie im technischen Ausbau bedenkliche Drama wurde gegeben. Man muß es den niederländischen Gästen nach- rühmen, daß sich auch an diesem eigenartigen Stück ihr tüchtiges Können vollauf bewährte. Vermißte man natürlich auch die Feinheiten, die der Dichter durch Anwendung der Tialektsprache in das Werk hineingelegt hat, so wurden dafür doch die Charaktere in einer zum großen Theil rühmenswerthen Darstellung verkörpert. Prächtig in seiner würdigen Bigotterie war das alte Vockerat'sche Ehepaar, welchcs>von Herrn v. Westerhoven und Frau Klen gegeben wurde; kernig charakterisirt war auch der alte Pfarrer Colli» von Herrn v. d. Horst. Eine frappirende Auffaffung bekundete auch Fräulein v. d. Horst von ihrer Rolle als Frau Käte; ist ein Tadel an- gebracht, so wäre er darüber auszusprechen, daß die Künstlerin »n ihre, vom Dichter passiv gezeichnete Rolle eine Größe und Herzensinnigkeit hineinlegte, die fast mehr aus der wegen ihrerUnbedeutendheit" gramerfüllten Gattin machte, als vom Autor beabsichtigt worden. Farbloser waren der Johannes des Herrn Chrispyn und die Anna Mahr des Fräulein Apel. Ließ elfterer das Publikum ziemlich im Unklaren über die Ursachen der Zerrissenheit seiner Scele und seines Unbefriedigtseins, so war in der Studentin weit weniger das lebenserfahrene, denkende, als das vom Gefühl über- mannte Weib wiedergegeben. Aber selbst diese Mängel traten in »iuer Decenz zu tage, die den Eindruck des Ganzen nur in gering« fügigcm Maße zu beeinträchtigen vermochte. Erwähnt sei noch die Leistung des Herrn Apel, der den durch die fatale Wucht der Thatsachen an seiner Gottähnlichkeit irre werdenden Cyniker Braun in Maske und Spiel lebenswahr und ohne poffenhafte Aufdringlichkeil gab. Nicht ganz auf der Höhe war die Regie. Etwas weniger Italien   in Berlin  , als man es im Deutschen   Theater am Gestade des Müggelsees er- schauen konnte, wäre wünschenswerth gewesen. Erwähnen wollen wir die merkwürdige Thatsache, daß das Drama in Amsterdam   einige 70 Aufführungen erlebt hat; was sagt unser blasirtes Premiörenpublikum mit seiner erklärlichen Ab- neigung gegen Stücke, bei denen man denken muß, zu dieser Erscheinung? GerWtks-Bcttmig. Eewcrbegericht. Der Zigarrenfabrikant Zachert hatte eine Wickelmacherin entlassen, weil diesezu spät gekommen" war. Gegen die Lohn- entschädigungsllage der Frau erhob er den Einwand, er habe ihr wiederholt zu erkennen gegeben, daß ihm das Späterkommen nicht passe; trotzdem sei sie am Entlassungstage wieder zu spät gekommen. Beklagter mußte auf Befragen zugeben, daß die Ar- beiter in ihrer Beschäftigung durch das längere Ausbleiben der Klägerin nicht aufgehalten wurden, sondern daß der Vorrath fertiger Wickel ein genügender war. Auf die Frage nach dem Beginn der Arbeitszeit antwortete er. es seiregulär", daß um 8 Uhr angefangen werde, gesagt habe er der Klägerin nicht, um 8 Uhr beginne die Arbeitszeil. Z. wurde v e r u r t h e i l t. Das Ge- richt war übereinstimmend der Ansicht, daß für den Begriff der Unpünkllichkcit oder des unbefugten Verlaffens der Arbeit die Angabe einer bestimmten Stunde nöthig wäre, welche im Gegensatz dazu die Pünktlichkeit fixirt. Soweit nicht mit dürren Worten gesagt sei, um so und soviel Uhr beginnt die Arbeits- zeit, könne auch eine Verspätung oder ein unbefugtes Verlassen der Arbeit nicht festgestellt werden. Im übrigen habe es nicht an Wickeln gefehlt. EinLeichenbegäugttisi eine Versammlung unter freiem Himmel. Die Rede, welche der Genosse Vogtherr am Grabe des verstorbenen Parteigenossen Kohlhardt hielt, hatte zur Folge, daß ihm ein Strafbefehl über 50 M. zugestellt wurde, womit das Vergehen, in einer nicht polizeilich genehmigtenVer- sammlung unter freiem Himmel" als Redner aufgetreten zu sein, gesühnt werde» sollte. In der Verhandlung vor dem Schöffen- gericht wurde eine Strafe von 20 M. festgesetzt. Beide Parteien, Staatsanwalt und Angeklagter legten Berufung dagegen ein. so daß die Sache nunmehr der K. Kammer gestern nochmals zur Berathung vorlag. Reichstags-Abgeordneter Vogtherr wandte ein, daß das Begräbniß von K. durchaus in hergebrachter Form vor sich gegangen sei; er habe im Laufe der letzten Jahre mindestens ein Dutzend Fälle erlebt, wo die Beerdigung einer bekannten Persönlichkeit denselben Charakter getragen habe. Eine politische Demonstration, wie der Vorderrichler angenommen, sei nicht be- zweckt worden, nicht im Auftrage seiner Partei habe er dort eine Ansprache gehalten, sondern ans das Ersuchen der Familie des Verstorbenen hin. Die freie Gemeinde, deren Mitglied Kohl- Hardt war, habe keine fest angestellten Sprecher, darum konnte es nicht auffallen, daß ein anderes Mitglied der Gemeinde einige Worte am Sarge des Entschlafenen gesprochen habe. Die Polizei habe sich am Tage vorher beim Friedhofs- wärter über Art und Umfang der Leichenfeier er- kundigt und danach ihre Anordnungen getroffen. Der Kriminal- schutzmann Boge, der als Zeuge geladen war, hat nichts von derRede" gehört, er will etwas Auffälliges darin erblickt haben, daß einzelne Theilnehmer der Leichenfeier rothe Kravalten resp. rothe Schleifen getragen haben. Auf weiteres Befragen konstatirt der Zeuge: Obwohl der Friedhof sehr gefüllt war, sei alles in größter Ruhe und Ordnung ver- laufen. Dem Staatsanwalt lag viel daran, zu be- weisen, daß diese Leichenbegängnisse, wie sie in der proletarischen Welt üblich sind, etwas sehr Ungewöhnliches seien. Wie kommen die Hunderte dazu, dem Sarge eines Mannes zu folgen, den sie doch persönlich nicht näher kennen, wenn damit keine Demonstration beabsichtigt werden sollte? Der Staatsanwalt war der Meinung, daß V. mit der Wendung, die Anwesenden sollten in dem Geiste wirke». in dem ttohlhardt gelebt und in dem er seine Kinder erzogen habe, politische Propa- ganda treibe. Er beantragte 50 M. Geldstrafe. In ausführlicher Weise begründete Rechtsanwalt Heine seinen Antrag auf Freisprechung des Angeklagten. Er wies an Beispielen nach, daß die Gewohnheiten der verschiedenen Religionsgemcinschasten sehr erheblich von einander abweichen. Tie freireligiöse Gemeinde halte lediglich an ihrer Gewohnheit fest, wenn sie ihre Tobten in der geschilderten Weise begrabe. Tie Zahl der Theilnehmer sei schließlich ganz neben- sächlich; dadurch werde der Charakter einer Ver- sammlung nicht gegeben. Ter Verlheidiger legt nun klar, aus welchem Grunde sich gerade zu diesem Leichenzuge eine ziemliche Anzahl von Theilnchmern eingefunden hatte. Lokale Gebräuche wären nicht verletzt. Daß Laien An- sprachen halten, sei nicht wunderbar; damit befand man sich im Einverständniß mit dem Gesetzgeber; auch die Rede selbst sei durchaus so gehalten, wie sie dem Rahmen des§ 10 des Ver­einsgesetzes entspreche. Wenn aufgefordert wurde, im Sinne des Entschlafenen zu wirken, so konnte das den obwaltenden Um- ständen nach nur auf das religiöse Leben, die sittliche An- schauung bezug haben. Die Berufung des Angeklagten hatte Erfolg. Er wurde freigesprochen und die Kosten der Staatskasse auferlegt. Es sei kein Beweis erbracht, so verkündete der Vorsitzende in der Urtheilsbegründung, daß man diese Leichenfeier als Ver- sammlung im Sinne des Gesetzes halten könne. In früheren Entscheiden fei festgestellt, daß der Maßstab für den Charakter einer Begräbuißfeier als Versammlung der sei, daß über die Zwecke der Leichenfeier hinaus- gegangen werde. Im vorliegenden Falle treffe das nicht zu. Eine politische Demonstration könne der Gerichtshof in einem Leichenbegängniß, an dem viele Menschen theilnehmen, nicht ohne weiteres erblicken, ebenso wenig fei die Ansprache als eine poli- tische aufzufassen. Da die Ordnung in keiner Weise verletzt sei, erscheine Freisprechung angemessen. Ter erste Preffprozest gegen denSozialistischen Akademiker" hat dem verantwortlichen Redakteur Sassen- dach zwei Monate Gefängniß«ingetragen. In der Nr. 6 war ein Artikel, betitelt:Zum 18. März" erschienen, den die Anklaaebehörde zum Gegenstand strafrechtlicher Verfolgung machte. Am gestrigen Freitag fand vor dem Landgericht, Kammer VII, unter Vorsitz des Landgerichts« Direktors Voigt, die Verhandlung statt. Auf Befragen be- merkte der Angeklagte, daß er mit dem in Frage stehenden Artikel nicht ganz einverstanden sei, er mißbillige einiges darin. Da die Zeit zu kurz war, um Ersatz zu schaffen, habe er den Artikel, nachdem er ihn auf der Reise flüchtig durchgelesen, in Druck gegeben; der Verfasser sei ein Student. Tie Beweis- ührung des Staatsanwalts, der nach Verlesung des Artikels das Wort ergriff, gipfelte darin, daß derselbe an mehreren Stellen die Kriterien des angezogenen§ 130 enthalte. Das jugendliche Alter des Verfassers komme darin deutlich zum Ausdruck. Trotzdem hält der Staatsanwalt den Artikel für sehr gefährlich, weil er für die jungen Leute, die Studenten berechnet war. Er verherrliche die körperlichen Kämpfe von 1843 sc. und gebe denAnreiz", diese gewaltsame Revolution fortzusetzen seitens dessogenannten"(!) Proletariats gegen die besitzende Klasse. Es sviirde darin ziemlich offenherzig aufgefordert, die bestehende Ordnung gewaltsam zu stürzen; nebenbei sei die gesammle Justiz darin aufs schwerste beleidigt. Gegen die Verunglimpfung des Rechtsbewußtseins, des sichersten Bollwerkes de? e-taaleS. empfehle sich eine exemplarische Strafe, die auf 4 Monte fest- zusetzen sei. Der Vertheidiger Rechtsanwalt F r e u d e n t h a 1 plädirte für Freisprechung. Unter einem anderen als unter dem Ministerium Köller, meinte er, wäre wohl kaum Anklage erhoben. Daß der Umsturz nur bildlich gemeint sei, ergebe sich u. a. daraus, daß von einemSturm" gesprochen werde, der im März 1890 den Fürsten Bismarck von seinem Platze fegte, man könne doch unmöglich Herrn v. Lucanus als Mann des gewaltsamen Umsturzes hinstellen. Mit dem Worte Revolution meine der Verfasser zweifellos eine geistige Strömung. Nach kurzer Berathung verkündet der Vor- sitzende nachfolgendes Urtheil: Der Hinweis auf die revolutionären Kämpfe in den Jahren 1343 und 1871 lasse die Absicht des Ver- sassers erkennen, verschiedene Klassen der Bevölkerung gegen einander aufzureizen. Der Gerichtshof halte eine Strafe von zwei Monaten für angemessen; außerdem sei die Vernichtung der vorfindlichen Exemplare, der Platten und Formen auszusprechen. Daß dasSchmuhmachen" der Schneider als eine Unter« schlagung angesehen wird, lehrte eine Verhandlung, welche gestern vor dem Schöffengericht stattfand. Der Schneidermeister H. wandte sich im verflossenen Herbst an die Firma Baer   Sohn um Arbeit. Er erhielt zunächst Stoff geliefert, aus dem er 19 Beinkleider herzustellen hatte. Dieser Auftrag wurde zur Zufriedenheit aus geführt. H. erhielt nun Stoff zu LS Beinkleidern. Als er diese ablieferte, zeigte es sich, daß sie nicht die vorschriftsmäßige Weite hatten und deshalb entwerthet waren. Der Meister erklärte auf Vorhalt, daß er den gesammten Stoff ver- schnitten habe. Man glaubte ihm nicht. Einer der Angestellten der Firma mußte sich zu H. begeben und sich ein Beinkleid nach Moaß bestellen. Der Meister ging in die Falle, unter den Stoffen, die er dem Besteller vorlegte, befand sich auch solcher, den er von der Firma geliefert erhalten hatte underspart" haben mußte. Er wurde wegen Unterschlagung angeklagt. Im Termin vertrat er den Standpunkt, daß einem uralten Brauch zufolge der Stoffrest, der durch geschicktes Zu- schneiden erübrigt werde, immer Eigenthum des Schneiders werde. Es könnten tausend Schneider aus Berlin   geladen werden, übereinstimmend würden sie dies bekunden. Der Chef der Firma Baer Sohn habe ganz übertriebene Forderungen an ihn gestellt und da er hierauf nicht eingegangen sei, sei die An- zeige wider ihn erfolgt. Durch die Beweisaufnahme wurde fest- gestellt, daß dem Angeklagten ausdrücklich zur Bedingung gemacht worden war, die Ueberbleibsel zurückzuliefern. Der Gerichts- hos war mit dem Staatsanwalt der Ansicht, daß ein vielleicht üblicher Mißbrauch den Angeklagten nicht entlasten könne.Selbstverständlich" habe ein Schneider alle Ueberbleibsel von dem ihm anvertrauten Stoffe zurückzuliefern. Bei der bis- herigen Unbeschollenheit des Angeklagten seien ihm aber mildernde Umstände zugebilligt und sei nur aus eine Geldstrase von 30 Mk. erkannt worden. Aus Hamburg   wird berichtet: In der Fortsetzung des Prozesses gegen die Banknotenfälscher Thies und Genossen wurde das Zeugenverhör beendet. Die Angeklagten erklärten sich des ihnen zur Last gelegten Verbrechens in den Hauptpunkten für nicht schuldig. Der Staatsanwalt beantragte das Schuldig gegen Thies und Cronemeyer wegen Münzverbrechens, gegen Neftler wegen versuchter Verausgabung falscher Banknoten, Weber wegen der unterlassenen Anzeige bezüglich Thies und Cronemeyer, da- gegen das Nichtschuldig hinsichtlich des Angeklagten Gentsch. Der Gerichtshof verurtheilte die Angeklagten Thies und Cronemeyer zu je 8 Jahren, Nestler zu 4, Dechow   zu 3 Jahren Zuchthaus und Weber zu 4 Monaten Gefängniß; die Strafe des letzteren wurde als durch die Untersuchungshaft verbüßt erachtet. Der Angeklagte Gentsch, der 11 Monate unschuldig in Untersuchungs- Haft gesessen hat, wurde freigesprochen und aus der Hast ent- lassen. Der Autrag des Veriheidigers, Gentsch das Reisegeld nach seiner Heimath Leipzig   zu erstalten, wurde jedoch vom Gericht abgelehnt, da das gesetzlich nicht zulässig sei. DersÄtNtnlungen: Im Fachverein aller i« der chirurgische» Prauche Beschäftigten sprach am 13. Juni Herr Dr. Weyl in einem sehr belehrenden Vortrag über die Heilung der Tuberkulose. Nach einer kurzen Diskussion über den Vortrag bewilligt die Versammlung den Streikenden in Püttlingen   eine Unterstützung von SO M. Den Rest der Tagesordnung bildeten einige interne Vereinsangelegenheilen. Für die Mechaniker, Optiker, Büchsen- und In- strumeutenmacher tagte am 20. Juni eine Versammlung, die vom Verband aller in der Metallindustrie beschäftigten Arbeiter einberufen war. Nach einem recht beifällig aufgenommenen Vortrage des Genossen N ä t h e r gelangte die Wahl eines Bei« sitzers für den Vorstand zur Erledigung. Das Amt wurde dem Mitgliede G ö t s ch übertragen. Bei der Besprechung der Werk- statl-Angelegenheiten wird besonders über die Verhältnisse bei der Firma Bergemann u. Ko. Beschwerde geführt. Mit den Zu- ständen in dieser Fabrik wird sich die nächste öffentliche Ver« sammlung befassen. Tie Freie Vereinigung der Kansleute hielt am 20. Juni eine Vereinsverjemmlung ab, in der Genosse Ad. Hofsmann über das ThemaGesetz und Recht" sprach. An der Diskussion be- lheiligten sich die Mitglieder Albert Kohn, Blum, Herzberg, Simonsohn und Teichmann, die sich im Sinne des Referenten äußerten. Teichmann forderte zum Schluß die Mitglieder auf, recht eifrig für die Agitation zur Erlangung der Gewerbegerichte einzutreten. Der Verband der Buchbinder hatte in seiner Mitglieder- Versammlung am 20. Juni einen recht interessanten Vortrag des Herrn Dr. Wurm über die Erhaltung der Sehkraft auf die Tagesordnung gesetzt. Nach einer recht regen Fragebeantwortung. die sich dem Referat anschloß, gelangte die Abrechnung von der Sammlung für den Maifonds zur Verlesung. Die Einnahme betrug 262,37 M.; davon sind SO M. an die Arbeitslosen ver- ausgabt. Die Abrechnung von dem Vergnügen, das am 27. April stattfand, weist eine Einnahme von 121,S0 M. und eine Aus­gabe von 72,40 M. auf, mithin einen Ueberschuß von 49,10 M. Zu dem am 15. Juli stattfindenden Sominersest sind die BilletS ausgegeben. Eine Anfrage des Mitgliedes Schmidt über die Artikel derBuchbinder-Zeitung" soll als erster Punkt auf die Tagesordnung der nächsten Versammlung gestellt werden. Die Bibliothek ist des Mittwochs von 7 3Vs Uhr und Sonnabends von 69 Uhr geöffnet. Vom Vorstand wird noch auf das OrganSolidarität" hingewiesen und zum regen Abonnement aufgefordert. Tie Konsumvereine alö Kampsmittel deS Proletariats. Hebet dieses Thema sprach am 22. Juni Herr Cleinbart im Fachvercin der Musikinstrumenten-Arbeiter. Der Vortragende sührte etwa folgendes aus: Zwei Kampfmittel, die politische und wirthschaftliche Bewegung besitze die Arbeiterklasse. Die Be- deutung der politischen Bewegung sei unbestreitbar. Den wirth- schaftlichen Kampf führen die Arbeiter 1. als Produzenten, und 2. als Konsumenten. Die Bewegung der Arbeiter als Produzenten äußert sich als organisirter Widerstand gegen das Unternehmer- thum, serner in der Aufhebung des Instituts der Arbeiigcber durch Gründungen von Produkliv-Genossenschaften. In der Eigen- chast als Konsumenten stehe den Arbeiters: der Boykott zur Verfügung, und können sie die Organisirung des Konsums durch die Gründung von Konsusngenosseuschasten betreiben, die eine Auf- Hebung der das Volk ausbeutenden Zwischenhändler zur Folge haben würden. Redner setzte nun des rveileien auseinander, wie aussichtslos die Streils bei schlechtem Geschäslsgange seien. Die