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Itf . 59* 42. Jahrgang

1. Seikage des Vorwärts

Soanabenö, 79. vezembsr 7925

Zu den»dunklen Erscheinungen' der Weltstadt gehört auch das vier- und sechsbeknige Ungezieser vom Floh bis zur Ratte. Den Wanzen, Schwaben . Kakerlaken, Mäusen und Ameisen hat der Mensch den Kampf bis auf's Messer angesagt. Aber auch nur an» gesagt und nicht restlos durchgeführt, da er eben kaum durchsührdar ist. Ts gibt noch Millionen und aber Millionen von dem, was da läuft und kreucht, und sich munter seines Paresitenlebens erfreut. Es ist kein angenehmes Scharmützel, sEcharmützei sind übrigens nur in der Phantasie von Kriegsberichterstattern und Generälen angenehm). Dieser Lerntchtungsseldzug gegen die Marodeure der Raturhartnäckigkeit und nimmermüdes Zupacken sind die Voraus- setzungen des endlichen Sieges, dreifach« Anstrengung ist notwendig, um den unheimlich fruchtbaren Außenseitern den Garaus zu machen. vas Laboratorium. Seit Jahren führen zahlreiche Kammerjäger einen unerbittlichen Feldzug gegen das Ungeziefer, mit dem Erfolg, daß das Getier zwar verminder«, sonst aber fortlebt. Zwar ähnelt der moderne Kammer-

jäger nicht mehr dem Rattenfänger von Hameln , nicht mehr jen.-r Karikatur, wie st« alt« Abbildungen brachten, bewaffnet mit Flöte und riesiger Insektenpuloerfpritze. doch der Erfolg blieb immer

zweifelhaft, wenn nicht einheitlich vorgegangen wirb. Der Ansang hierzu ist bereits mit den Rallen-Großkampftagen gemacht. Doch viel wird noch zu tun fein, um das Ungezieser auszurotten. Der moderne, geschulte Kammerjäger hat sein Bureau, in denen Zeich- n ngen, Abbildungen und Tabellen mit schreckenerregenden Ver- mchrungszifsern ler»Hauenerchen" Höngen . Dann kommt der nich­tigste Teil seines S.fchZsls da» Loboralorium. In dieser..Gift- zclle' wird der Köder, das Pulver, oder sonst ein Mittel ge-raut, gemischt und zusammengestellt. Kisten und Kästchen, riesige Metall- slaschen und Blechballons mit allen möglichen Flüssigkeiten gefüllt, stehen wohlgeordnet in den Regalen. Dort hängen sogar einige Gasaurrteu und Schutzbrillen, ohne deren Zuhilfenahme der Kammerjäger heute nicht mehr arbeiten kann. E» ist interessant, mit anzusehen, wie appetitlich aussehend« Semmelstückchen mit E i f t l a u g e getränkt werden, um dann den Ratten zum Fressen vorgelegt zu werden. Mit Giflgas. In der.... straße sind Zimmer von Wanzen zu befreien.

der behauptete, daß die Wanzen bestimmt auch an anderen Stellen säßen. Frau I. vergoß ganz, daß das Heer der Wanzen Beweg.ngs- freiheit haben muh und zu nachtschloscnder Zeit an Wänden und Decken gemütlich herumkrabbelt. In der Tat, der Kammerjäger hatte recht. Unter der Tapete jaßen einige, oben im Stuck befanden

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Die Passion. Roman von Clara XMebig.

j�eine nicht, mein Eeelchen.(Es wird bestimmt das gute Damchen zu dir kommen, von der du mir hast so viel Gutes erzählt. Bestimmt, ich schwöre dir! Und wenn du wirst gesund sein, wirst du sie bitten, sie wird uns das Geld

WM.?iib nur! Hab' ich doch auch warten müssen lange. Bin ich schon ganzes Jahr hier. Nun werde ich aber bald gesund sein, und du auch, und wir werden froh werdenl' Ach, wer doch auch so hoffnungsvoll und so mutig sein könnte wie Wando!(Eva fühlte sich heute niedergedrückt. Be- suche waren eigentlich gar nicht» Gutes im Krankenbaus, sie brachten zu viel mit sich aus der anderen Welt, in die man jetzt nicht gehörte, und in die man sich nicht hineinfinden konnte, wenn man so lange hier lag. Dasselbe schien auch die Nachbarin auf der anderen Seite von Eva, die Frau Maurer , zu finden. Diese Frau war nicht mehr jung, aber sie hatte noch kleine Kinder. Und auch größere. Eben war ihr Mann bei ihr gewesen, der hatte das kleinste Kind auf dem Arm: fünf andere standen um das Bett herum.Und ich habe noch zwei, die sind schon ganz groß." sagte die Frau.Arme Leute sollten nicht so viel Kinder haben. Ich habe dabei zuviel gekriegt. Nu bin ich ja ope- riert. ich wäre gesund jetzt, sagen sie. Nächste Woche soll ich raus hier ach wie ich mich graule!" Sie hob abwehrend ihre Hände und seufzte tief:Dann geht wieder der alte Krach los. Hier konnte ich mich ruhen. Ich habe mich in meinem ganzen Leben noch nicht so schön ausgeruht. Die schien es so schön hier zu finden! Evas Augen, die eben noch geweint hatten, wurden trocken. Ach ja, es war auch eigentlich schön hier. Hier war man unter lauter solchen, denen es nicht besser ging, als es einem selber g'.ng. Hier waren alle gleich. Hier wurde kein Neid wach und keine Mißgunst hatte sie denn Neid empfunden, als die Tante von Irmas glücklichen Aussichten erzählte? Ach ja.-sie emp- fand das jetzt erst, so hinterher. Nicht den Herrn neidete sie der Cousine, aber daß sie eine so gute Stelle hatte, eigene Arveit machen durfte, die nicht bloß Mägdearbeit war. Wie ein unsägliche», beneidenswertes Glück schwebte das Eva vor.

sich mehrer« besonders fette und dann fand er einige Restchen mit etwa 40 jungen Rachkömmlingen in einem Viiderrahmen. Der Kampf konnte beginnen. Metallgegenstände und Blumen wurden aus dem Zimmer herausgenommen, Fenster und Türen abgedichtet. Auf dem Korridor wurde ein Schlauch an ein» Stahlflasch« onge- schlössen. In dieser Stahlbombe befindet sich Gistgas. Also Gas- maske und Giftbombe find in Ordnung die Ausrüstung ähnelt überdies der eines modernen Geldschrankknackers und die Ver- gasung des Zimmers konnte beginnen. Da» Mundstück des Schlauches wurde in das Schlüsselloch eingeführt. Nach kurzer Zeit war das Zimmer mit Gas angefüllt. Am anderen Tag«, nach zirka 24 Stunden, wurden viele tote Wanzen ausgesunden, die Beine zum Himmel gestreckt.»Auch die Br»>t ist abgetötet." oersicherte der Gas- mann,aber trotzdem werden wir noch die zweit« Vergasung vor- iiehinen. Die Wanzen samt Brut waren tot. Eine ander« Kundin behauptet«, die Wanzen kämen»durch die Zimmerdecke".»Denn

Mit Oasmaske gegen die Wanzen.

die da oben, wissen S«, die machen nischtl" Sie kamen aber nicht von oben, denn die Decken waren dicht und die Tierchen waren auf irgendeine andere Art in ihre neue Herberge gelangt. Flöhe und Läuse werden aus ähnliche Art durch Vergasung vernichtet. Mit den E lohen hat es aber seine eigene Bewandtnis. Dabei müssen die osenbcine zugebunden werden oder entsprechender Gummianzug an- gezogen werden, sonst springen sie an und piesacken ihr neues Opfer fürchterlich. Es ist vorgekommen, daß Menschen, in mehreren Fällen Frauen, wegen allzu großer Flohplage erkrankten und ins Kranken- tjaus eingeliefert werden mußten. Eine Frau soll sogar an den Flohbissen, die wahrscheinlich eine Infektion und Blutvergistung zur Folge hatten, gestorben sein. Schwaben und Ameisen werden viel- fach durch radikal wirkende Streupuloer, die mit großen Spritzen in die Schlupfwinkel geblasen werden, vernichtet.

Die Rattenplage. Die schlimmsten und schädlichsten Plagegeister der Menschen sind Rallen und Mäuse. Der Mensch verfolgt ohnehin die Ratte mit einem Gefühl des Widerwillens. Sein Gefühl hat recht, denn dieses Tier ist ein ausgesprochener wandelnder Giiischrant. Zu Millionen werden sie erschlagen, vergiftet oder vom Fangeisen erfaßt. Aber auch zu Millionen entgehen sie schlau und behende ihren Verfolgern, unterhöhlen die Bauwerke der Menschen, vergiften Futter und Vieh, zerstören die Frucht harter Jahresarbeit und schleppen die Keime vieler Krankheiten durch die Welt In Erkenntnis dieser

Gefahr Ist jetzt auch bei uns das Gesundheitsamt dazu übergeganaen, gegen die zunehmende Rattenplage in» Feld zu ziehen. Interessant ist ein au, der»Times" entnommener Bericht:»Der Schaden, den die Ratten in England und Indien anrichten, ist unübersehbar groß. Allein in Indien wird die Zahl der Ratten auf LÜl) Mit« lionen geschätzt. Der Schaden, den sie dort in den letzten 20 Iahren anrichteten, ist fünfmal größer als Indiens Rakionaljchuld vor dem Kriege. Man nimmt an, daß in Indien jährlich mehr als

ein« halbe Million Menschen an den von Ratten oerbreiteten Giften 7' sogar.'''' I wie Menschen aus der Erde gibt, wenn nicht gar die tn der.Times" ........~' triff........

sterben." Man glaubt

daß es mindesten» ebensoviel Ratten

veröffentlichte Nachricht zutrifft, daß es allein in Indien etwa 800 Millionen Natten gibt. And jede» Rattenpärchen vermag diese Armee gesährlichstcr Schädlinge um mehr als 800 Zunge z» vermehren. Einige interessante Zahlen geben Aufschluß über den Schaden, den die Ratten anrichten. Hunderte von Millionen in allen Währungen werden den Ratten geopfert. Zn Deutschland kostet jede Ratte etwa 4,50 Mark. Ein mit hundert Rotten besetztes Gehöft hat also im Jahre 450 M. aufzubringen nur um den Hunger der Ratten zu stillen. Man hat berechnet, daß in Deutschland etwa 300 000 Menschen ununterbrochen nur zur Wiedergutmachung des Rattenschadens ar­beite,, müssen. So nennt z. B. Großbritannien einen jährlichen Raltenschaden von etwa 15 Millionen Pfund, Dänemark von etwa 10 Millionen Kronen Amerika beziffert den Verlust auf die riesige Summe von etwa 200 Millionen Dollar. Diese Statistiken sind aber noch ungenau und würden bei der Zusammen- sassung aller Länder geradezu erschreckende und phantastische Zahlen ergeben. Es dauert oft mehrer« Wochen, bis die Ratten, die äußerst vorsichtig sind, vertilgt sind. Der Erfolg einer Jagd, die sich z. B. auf«in kleinere« Fabrikgebäude erstreckte, waren 78 ausgewachsene Ratten, die hinter Holzstückcn und Brettern tot aufgefunden wurden. Und vielleicht vier- bis fünfmal soviel dürften noch in den Schlupf» winkeln verendet sein. » Eeltsaml In Europa » Laboratorien sst dl« Intelligenz der Ehennker an der Arbeit, tödlichste Giftgasessenzen zu mischen, um unerbitterliche Kämpfe von Mensch gegen Mensch, Volk gegen Volk zu ermöglicpen. Der Feldzug gegen die Armee des Ungeziefers jedoch ist gewissermaßen ein Gasangriff der Vernunft gegen die sinnlos zerstörenden Schädlinge der Natur. Ist es nicht wie ein Symbol? Auch anderswo wuchert das Unkraut, wühlt da» Un- geziefer, schüren die Ratten de» Kulwruntsrgangs Vernichtung und Haß. Aber nicht mit Giftgasattacken wollen wir diesen Echäd- llngen ans Leder gehen, sondern mit der überlegeneren Waffe der Aufklärung. Grohe Verspätungen im Zugverkehr aus dem Osten. Der aus Pommern und Ostpreußen kommende Zugverkehr hat am gestrigen Frcitaq in sehr starkem Maße unter den Schnee- füllen zu leiden gehabt, die in Pommern und O st preußen niedergegangen sind und zahlreick>e Schneeverwehungen der Gleise hervorgerufen haben. Vor allem ist der v- Z u g- V e r k e h r aus Stettin durch die Schneestöruiigen stark behindert gewesen und

War sie denn von solchem Glück ganz ausgeschlossen? Ihre Augen, ihre Ohren hinderten sie daran. Ach wenn man doch die Ohren abschneiden könnte, die Augen herausnehinen, sich andere einsetzen lassen! Bloß Mägdearbeit?! Ach, selbst jede Mägdearbeit würde sie gern machen, wenn sie nur erst kräftiger wäre. Aber würde sie je kräftiger werden?!

Frau Lefsel stand an Evas Bett. Der ganze Saal gaffte hinüber, was die kleine Wilkowski für einen feinen Besuch hatte. Mit großen, oerzückten, vor Beseligung schwimmen- den Augen sah Eva drein: sie war gekommen, sie war ge- kommen! Es war eine solche Inbrunst in EoasIch danke", daß Frau Lessel ganz oerlegen wurde und sich innerlich Vorwürfe machte. Wirklich, sie hätte eher zu dem armen Kind kommen sollen. Zehn Wochen lag die Ena nun schon hier. Aber oor ein paar Wochen erst hatte Herr Wilkowski es ihr mitgeteilt, und denn war sie eben nicht eher dazu gekommen. Den Sommer über war ich verreist." sagte sie zu Eva, sonst hätte Ich selbstverständlich an dich geschrieben, mich ein- mal erkundigt, warum du denn so gar nichts von dir hören läßt. Daß du krank liegst, das ist sa leider eine traurige Ueberraschung. Aber es wird schon bald wieder besser werden, nicht wahr? Und dann feiern wir Genesung bei uns draußen im Garten, nicht wahr?" ..Ich bin schon gesund." flüsterte Eva. Der Garten der Garten Frau Lesiels Haus und vor allem sie felberi Das mußte ja gesund machen. Sie suhlte sich auf einmal gar nicht mehr schwach, wie neue Lebenskraft, neuer Lebenswille rann es ihr durch die Adern...Ich stehe jetzt schon alle Tage ein paar Stünden auf," sagte sie stolz.Zur Untersuchung gehe ich auch ins Sprechzimmer, das kann ich schon ganz gut. Bald werde ich rauskommcn!" Ja, das wollen wir hoffen," sagte Frau Lesiel, als sie sich verabschiedete. Sie gab Eva Geld.Ich habe dir nichts mitgebracht, weil ich nicht wußte, was du essen darfst. Cs kann dir gewiß hier jemand das holen, worauf du gerade Appetit hast, und was dir zu essen erlaubt ist. Und dann laß dir auch eine Briefmarke holen und schreibe mir, wie es dir geht." Sie beugte sich über Eoa und strich ihr das ver»' wirrte Haar aus der Stirn, die schon den Ansatz einer Falte bekommen hatte, querüber, den blaugeäderten bleichen Schlä- fen zu.Leb wohl, mein liebes Kind, Gott behüte dich! Wir sehen uns bald wieder." Sie ging mit einem Lächeln, das die Grübchen in ihren weichen Wangen vertiefte, und nickt«

im Fortgehen auch den anderen Nächstliegenden zu:Gute Besserung! Sie waren alle entzückt von ihr. Es war wie ein Auf- rühr im Saal. Wer konnte, reckte den Hals, oder richtet« sich ein wenig auf, um ihr noch nachzusehen. Die hat leicht freundlich sein," sagte das hexenhaste alte Weib, das jetzt statt der Frau Maurer auf der anderen Seite von Eoa lag, und streckte ihre mageren Greisenfinger wie Krallen aus.Wenn ich so aussähe und so'n feines Kleid anhätte und so reich wäre, dann wollt' ich wohl auch freund- lich sein. Kein Kunstück für so eine! Meine Frau Lessel," flüsterte Eoa selig vor sich hin. S o hatte sie die noch nie geliebt. Eva," flüsterte Wanda von der anderen Seite,Eva, die wird uns auch geben das Geld für nach Haufe! Ich bin gewiß." Sie war ganz aufgeregt.Sieh nach, was sie ge- geben hatl" Es war viel Geld: ein Goldstück, zehn Mark! Eoa knüpfte es in ihr Taschentuch ein und verbarg es so unter ihrem Kopfkissen: sie lag auf dem Schatz. Aber Wando konnte heute gar nicht zur Ruhe kommen: immer wieder fing sie von der Dame an: war die schön, war die reich, sah aus wie die Gottesmutter im Gnefener Dom. Und das Geld, das viele Geld, damit kam man schon bis»ach Hause! Sehnsüchtig gingen ihre Augen zu Eva hinüber, sie oerwandte keinen Blick. Ueber Eva war es wie eine Verzückung gekommen. Sie konnte es nicht mehr bei sich behalten, das, was ihre Seele aus dem traurigen Einerlei erhob und entrückte in den Garten voll Sonne und Blumen, in das Haus, durch das die schöne Dame wandelte wie eine Fee. Sie erzählte laut von all dem Glück, das sie da genossen hatte und wieder genießen würde, sie pries ihre geliebte Dame, pries alles, was sie umgab, schilderte es noch weit schöner, weit prächtiger, als es wirk- lich war, übertrieb, steigerte sich immer mehr und prahlte recht. Freilich, noch lag sie hier auf dem rotgewürfelten Kissen, unter der groben, grouwollenen Decke, aber bald lag sie da zwischen weißem Linnen, Stickerei am Kissen, einen rosa Himmel mit Spitzen über sich, mit atlassener Steppdecke zu- gedeckt. Sie erzählte es wie ein Märchen, aber sie glaubte selber fest an die Wirklichkeit. Einige lauschten hochachtungsvoll, andere lachten sie aus: wer das glaubte! So eine Aufschneidereil (Fortsetzung folgt.)