Sonnabenö Dezember 1925
nterhaltung unö ÄVissen
SeUage Ses vorwärts
EöuarA Sernstein als„Utopist�. Im Der�aa von<5 1: t ch Reiß. Berlin , erscheint in diese» Taycn ein Mcmoirenweik von Eduard Bern st ein unter dem Titel:.Kindheit und Iuqendiahre von 1850 bis 18 7 2". Dir entnehmen ihm das nachstehende Kapitel. Ich habe schon erwähnt, daß, als Willy Babing und ich oreunbfchaff schlössen, er, der Gymnasiast, schon mit einigen Studie- renden in freundschaftlichem Verkehr stand, der sich unter anderem in gemeinsamen Kneipereien kundgab, an denen dann gelegentlich auch ich teilnahm Dieser Kneipereien wurden mehr, als Willy in der Osterzeit des Jahres 1871 sein Abiturtum gemacht hatte, und eines Tages wurde der Beschluß gefaßt, ihnen eine gewisse Regel- Mäßigkeit zu geben und zu diesem Zweck einen Verein zu gründen, der. ohne sich streng an die Gewohnheiten der farbentragenoen aka- demischen Verbindungen zu binden und engherzig auf Akademiker zu beschränken, doch den besseren Geist der akademischen Geselligkeit pflegen und beim Kneipen die Regeln des studentischen Komments be- obachten sollte. Als den Namen der Vereinigung schlug Willy Ba- ding die Bezeichnung U t o p i a vor. Er wugte aus der Geschichte. daß der Kan.zler Heinrichs VIII. von England, Thomas More , lati- nisiert Morus, unter jenem Namen einen Jdealstaat beschrieben hatte, und durch Uebernahme dieses Namens sollten wir zum Aus. druck bringen, daß unsere Verbindung, wenn auch kein Jdealstaat. so doch eine ideale Gesellschaft sein und über dem Alltäglichen stehen solle. Der Vorschlag ward widerspruchslos angenommen. Daß die Utopia des vortrefflichen Morus ein kommunistisches Gemeinwesen schildert, wußte freilich keiner von uns, hätte aber auch selbst, wenn wir es gewußt hätten, kaum eine Opposition verursacht. An irgend- welche politische oder sozialistische Zwecke dachte niemand. Eher schwebte einigen von uns etwas Aehnliches wie die Phantasie vom Schlaraffenland vor, das Ideal eines sorglosen Geraißlebens. Eine Gesellschaft, die sich.Schlaraffia * nannte, und von deren Festen man wußte, daß es auf ihnen sehr vergnügt und frei zuging, gab es schon in Berlin , und wenn wir auch nicht im Traum daran dachten, es ihr in solchen Festen nachmachen zu wollen, kam der Begriff, den wir mit dem Namen Utopia verbanden, der Idee einer Schlaraisia näher als der einer sozialistischen Gesellschaft. So war es denn auch kein Widerspruch zur Idee unserer Utopia, wenn die Utopen. um ihrer Ueberalltäglichkeit recht drastisch Ausdruck zu aeben, sich— allerdings nur am Kneiptisch— den Titel.Fürst" bellegten. Es ahnte keiner, daß für einige von uns über diese Utopia der Weg zum Sozialismus gehen sollte. Einstweilen ließen wir uns, als eines Abends ein zeichnerisch begabter Freund von mir unser Gast war, von ihm ein Wappen der Utopia zeichnen, das dann nach dem Bei- spiel farbentragender akademischer Vereinigungen die Ueberschrist erhielt:„Utopia sei's Panier!" Di« erste Zell hiellen die Utopen Mittwochs und Sorrnabends Kneipabend ab. Da wurde unter der Leitung eines jedesmal neu» gewählten Präsiden nach dem Komment gekneipt, wurden an jedem Teil des Abends ihm entsprechende Studenten- oder Volkslieder ge- jungen, Bierduelle und dergleichen ausgekämpft und einmal wöchent. lich auch eine.Bierzeitung" zum Vortrag gebracht, die aber nicht nur nicht gedruckt oder sonst mechanisch vervielfältigt, sondern auch nicht einmal zusammenhängend niedergeschrieben wurde. Der mit ihrer Redaktion betraute.Redakteur" las einfach nach mitgebrachten Notizen vor. was er für sie ausgeheckt hatte, und wurde durch Bei- träge manchmal sehr freiwilliger Mitarbeiter ergänzt. Es wurden such Duelle in Sporrversen aefochten. So gab es allerhand Anlaß zur Heiterkeit. Ab« es blieb nicht immer dabei. Waren die Stunden vorgerückt und machte bei dem einen od« andern der Alkohol seine Wirkung geltend, so kam e» auch manchmal zu recht heftigem Streck, bei dem«nem der Humor vergehe» konnte. Namentlich krnmt« Freund Willy unbändig heftig werden Er setzte dem Alkohol abwechselnd sehr verschiedene Grade von Widerstandskraft entgegen, konnte an einem Abend fünfzehn Seidel Bier und mehr trinken, ohne die geringste Erregung zu ver- spüren, und an anderen Abenden schon nach dem dritten Seidel Bier die' Herrschaft über sich verlieren. In diesem Zustand konnte er dann Szenen aufführen, die seine Freunde in allerhand Verlegenheit versetzten. Andererseits war aber wiederum er es, dem es zuerst gegen sein sittliches Empfinden ging, die Woche zweimal zum Kneiven zu- sammen-zukommen. Er setzte mir das eines Tages auseinander und fand bei mir ein mehr als entgegenkommendes Empfinden. Ich stimmte ihm begeistert zu, und wir machten den Mit-lltopen den Borschlag, den einen Abend in der Woche— den Mittwoch— vernünftiger Unterhaltung zu widmen, und diese durch je von einem von uns zu hallenden wissenschaftlichen Bortrag einzuleiten. Er ging durch, und wir hatten nun unseren„wissenschastlichen" Abend. Natürlich mußte das.wissenschaftlick" mit einem großen Korn Salz verstanden werden. Don selbständigen wissenschaftlichen Ar- bellen war noch bei keinem von uns die Rede. Mein erst« Bor- trag hieß.Einführung in die Dolkewirtschaftslehre", hätte aber den Untertllel haben sollen:.Frei nach Meyers Konversationslexikon ". Denn neben einem altmodischen Lehrbuch Halle ich den.Meyer" zu Hilfe genommen und war vornehmlich ihm gesolgt. Ein anderer Utope, ein Mediziner, hiell uns einen Dortrag über den Kreislauf des Blut«, den man in jedem Lehrbuch der Physiologie finden konnte. Wieder ein ander« unterhielt uns mit einer Umschreibung eines der ersten Kapllel aus Adam Smiths.Wohlstand d« Na- tionen". Ab« was kam es viel auf die Originalität der Vorträge on? Wesentlich war, daß wir überhaupt suchten, uns mll Fragen von wissenschaftlicher Bedeutung ernsthaft zu beschäftigen. Im Fort. gang der Abende mußten mll Notwendigkeit die Ansprüche on die Vorträge sich heben und mußte in den an sie sich anschließenden Dis- kussionen größere Sachkenntnis das Urteil schärfen. Auch war es sicher ein Gewinn, daß die Zusammenkünste der Utopia jetzt davor bewahrt blieben, nichts als Nachahmungen der Kneipabende studen- lisch« Verbindungen zu sein. Damit soll nichts gegen jedes Kneipen nach einem Trinkkomment gesogt sein. Es kommt da nur auf den Geist an, in dem dieser ge- handhabt wird. Abstinenzler werden ihn überhaupt nicht brauchen, aber wo vorwiegend Bier oder andere alkoholische Getränk« ge- Nossen werden, kann e« sicher nichts schaden, wenn bei Kneipereien jüng«« Leute gewisse Regeln beobachtet werden. Ich habe es wenigstens in späteren Jahren gar manchmal bedauert, wenn e» bei solchen, an denen ich teilnahm, ohne jede Regel und Lestuna zu. ging. E, ist dann nie jene, von einem lebendigen Gemeinschafts. empfinden getragene, srohstnmge Geselligkeit erzielt worden, die ich für möglich und wünschenswert hielt. Allerdings darf der Komment nicht so gehandbabt wttden. daß er. wie es in vergangenen Jahr- zehnten n«adezu die Regel war. als Herausforderung zu sinnlos« Unmäßigkeit wirkt, aber er ist auch nicht an diese Unsitte gebunden. vor einem Silöerblatt. Don Erich Sottgetreu. Das Dilderblatt hängt schon seit dem frühen Morgen an d« Wand. Keiner, der ins Kaffee kam. hat es abgenommen und an- geschaut. Nur d« Ober streifte es manchmal im Borbeigehen mll seinem Servietkenzipfel. Auch ich halle bis jetzt keine Zeit, mich mit ihm zu beschäftigen: ich war zu ungeduldig. Seit Stunden wart« ich hier schon auf Maryla, sie wollte mich abholen. Aber Maryla sst nicht gekommen. Warum, weiß ich nicht. Ob sie mir untreu wurde? Da wäre zum Beispiel— ach, da wären schon ei» paar....
Regierungstrisis.
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Wie eine große Koalition möglich—
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und wie sie unmöglich ist.
Ich will an den Knöpfen abzählen. Maryla kommt, kommt nicht, kommt, kommt nicht, kommi, kommt nicht. Also Maryla kommt nicht. Kommt nicht. Wie, kommt nicht? Aber wie kann man so etwas wissen wollen? Ist das nicht reiner Zufall, mll wieviel Knövfen der Schneid« meinen Anzug benäht hat? Und hätte ich nicht genau so irrt„kommt nicht" ansangen können? Maryla kommt nicht, kämmt, kommt nicht, kommt, kommt nicht, kommt. Maryla wird kommen. Ich bin ganz ruhig geworden. Kann mir jetzt wohl das Dilderblatt ansehen. Breitenstrillers Boxkamps gegen Paolino, das Friedensfest von London , Absturz eines französischen Militärflugzeuges---- Unter einem halben hundert Bildern nur eines, das interessiert. Man sollte nicht soviel im Kaffeehaus sitzen, das löscht die Welt- sreude, das Zellinteresse, das macht egozentrisch. Nicht einmal das Photo packt, das den bekannten Mörder N am Tage vor sein« Hinrichtung zeigt. Nicht einmal das Bild von grausiger B«g. arbert«qual tief unter der Erde. Ich sollte nnch schämen.... Ich sollte mich schämen. Dielleicht nickst wegen meiner „Schlechtigkell", das ist immer ein sehr problemottscher Begriff, ab« wegen meiner Schwäche. Wegen meiner Schwäche sollte ich mich schämen. Millionen Menschen leiden Not und ich sitze hier im Kaffeehaus, wart« auf Maryla und betrachte nun schon eine ganze Viertelstunde lang das einzige Bild, das mich im Journal fcssell: es zeigt zehn Mannequins, die bei einem Fest der Modenindustrie mit- wirken sollen. Sie sind sehr schön, die Mädchen, und der bekannte Gedichtansang von Freiligrath fällt mir ein:„Ich kann den Blick nicht von euch wenden... So banales Zeug denk' ich. Und sollte mich doch wirklich schämen. Maryla ist übrigens immer noch nicht da. Das Bild fängt mich wohl so, weil das Mannequin hi« in der Mitte mll Maryla eine gewisse Aehnlichkell besiht: das ist schon «in Grund, ärg«lich isu sein; hiell ich Maryla bisher nicht für einzig schön, einzig klug und einzig gut? Aber ich weiß jetzt nicht— Göll, schließlich ist das nur ein Bild und die Linse des Photoaraphen trügt oft. He« Ob», noch einen Kaffee, bitte, und ein Stück Kuchen. Weshalb Maryla mich so lange warten läßt? Beinahe unrecht von ihr. Ich muß das Mannequin noch immer anschauen. Aber genau betrachtet ist«« das Mannequin, das mich ansieht. Eine Frechhell von ihm, so aufdringlich zu sein. Umblättern? Jetzt kommen nur noch Witze, die ich sowieso nicht lesen kann. Mannequin. Es stört mich, wenn jemand einen so typisch kapllalistischen Beruf hat. Ab« wer weiß, was das Schicksal aus uns Schreibern gemacht hätte, wenn wir kaufmännische Talente besäßen. Dem Mannequin wurde eben die Gnade zuteil, von Ge» statt und Angesicht sehr schön zu sein. Maryllssima— warum soll mein Mannequin nicht so heißen? — Marylissimo ist besonders schön. Und sie ist gar nicht etwa eine „kalle Schönhell". Der feine Mund und die dunkelzarten Augen, die eine leise Wehmut strahlen, weisen in Tiefen. Warylissima scheint an dem Tag, da man sie mll ihren M'tmannequins für's Bilderblatt aufnahm, traurig gewesen zu sein. Warum? Ist sie versetzt worden von ihrem Freund, so wie ich jetzt scheinbar von Maryla versetzt worden bin? Sie soll nicht betrübt sein. Es gibt vielleicht noch andere gut« Freunde für sie auf der Welt, wie es noch and«e M--
Um Gotteswillen! We kann ich so etwas sagen! Du dummes, boshaftes, eifersüchtiges Mannequin, was sind das für Gedanken, die du in mir hochzüchtejt? Du bist jchön, ja. aber Maryla ist es auch, du bist gut, man sieht es deutlich, jawohl, aber Maryla ist es auch, du-- Oder?— Nein, ich will kein, will kein Oder hören— und — aber— oder wie— oder, oder bist du doch mehr, mehr als Maryla?! Ich weiß nicht, ich glaube, es gäbe eine große Liebe, wenn wir uns sähen, uns kennen lernten-- Soll ich hierzu— Möglichkeiten gibt es schon— den Versuch machen? Warylissima! -- nein. Vielleickll bist du schon irgendwie gebunden, viel- leicht sogar verbunden. Fest oder unfest. Und wer weiß, womöglich bist du iooch eine Enttäuschung? List gar keine Steigerung der Maryla? Es ist natürlich auch möglich, daß ich tief unter Wt stehe, deiner gar nicht wert bin, letzte Beziehungen nie finden könnte. Biel Mut braucht einer, wenn er aus ganzer Seele lieben will Guten Tag. Maryla. Warum läßt du mich so lange warten? Während ich das Bilderblatt ansah, schlief ich«n und hatte einen dummen Traum. Wie, du willst wisien, was es war? Nichts Wichtiges, Maryla, wirklich nicht....__ Gotösisihe. Von Hans Wesemann . Der Dichter steht mll lein« Freundin in Frau Meiers guten Stube und macht Konoersatton. Auf dem Verttkow steht eine gläserne Bowle, in der zwei Goldfische herumschwimmen, wie das bei ihnen so üblich ist. „Langweilige Dinger," meint die Freundin. Der Dichter lächelt fein:„Das verstehst du nicht, sie sind schön und reich an einem inneren Leben, das unseren �groben Sinnen ver- schlössen bleibt.<vie rubeii ruhig atmend, im klaren Element. In einer gläsernen Welt, die großer Glanz und klingende Stille ist. Sie sind eins mit dem Kosmos— wunsckilos und erfüllt vom Sein, �ohne daran zu leiden wie alle andere Kreatur.— Ach— der heilige Franziskus liebte diese stillen goldcn-leuchtenden— wie soll ich sagen-- verzauberten Seelen. Aber wir, wen lieben wir, Ver- lorene und Verdammte in der Wüste des Unglaubens und der..." Da sieht er, wie seine Freundin lächelt, und natürlich küßt er sie. Leider macht in diesem Augenblick Frau Meier die Tür aus. Und dann gehen sie alle drei. „Bagage, sagt der Goldfisch zu seiner Frau,„eine Viertelstunde lang hat« geschwatzt, und noch nicht mal ein Ameisenei hat er abgeladen... Und dann reden sie alle beide nichts mehr.
D« Beifall bei den alle» Rom ««. Die Römer machten bei ihren Beifallsbetundungen viel feinere Unterschiede als wir: sie hatten die verschiedensten Grade, dem Beifall Ausdruck zu geben. Diese Skala reichte vom leichten Klatschen mit einem Zipfel der Toga aus die Handfläche bis zu dem Dröhnen der heitig aufeinander- schlagenden Hände. Man unterschied den„bomdus, einen dumpfen. fortgesetzten Lärm, die„testae", den normalen Applaus, und endlich die„imbries", die von höchst« Begeisterung ringegeben« Beifalls- salve.