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Nr. 600+ 42. Jahrgang

Der Matteotti  - Prozeß.

3. Beilage des Vorwärts

Die vom Hagenberg- Zag abgelehnte Erwiderung.")

Bon Dalms Carnevali

Soll es einem Italiener, der fich auch durch die ungeheuerfichen Faschistengesetze gegen die Ausgewanderten das Recht auf freie Meinungsäußerung nicht entwinden lassen will, gestattet sein, mahre und offene Worte an den Tag" zu richten? Der faschistische Ver­faffer des im Tag" erschienenen Artikels Bum bevorstehenden Matteotti- Prozeß" läßt einen Faftor außer Anjaz, dessen Weglassung alle seine Schlußfolgerungen über den Haufen wirft: nämlich die moralische Seite der Angelegenheit. Die schwere Berlegung des Moralprinzips durch den Mord am Abgeordneten Giaconio Matteotti war es, die die Opposition veranlaßte, sich aus der Aula des Parlaments zurückzuziehen. Nur in der Atmosphäre der faschistischen Theorie, die Gewalt sei ein erlaubtes und das einzige Mittel, die Macht an sich zu reißen und zu behaupten, folgerichtig ergänzt durch einseitige Milde gegenüber den maßlosen Ausschreitun gen der eigenen Anhänger, fonnte und mußte das Verbrechen reifen. Man rufe sich ins Gedächtnis, was sich wenige Tage vor dem Morde begeben hatte. In einem hochoffiziösen Artikel des Popolo d'Italia", des Leibblattes Mussolinis, wurde am 4. Juni 1924, also knapp 6 Tage vor dem Mord, gesagt, daß die am vorhergegangenen 31. Mai von Matteotti   in der Kammer gehaltene ungeheuer herausfordernde" Rede eine fühlbarere Antwort verdiene, als bloß die beleidigenden Zurufe des Ab geordneten Giunta. Das stenographische Protokoll der Kammer­figung vom 6. Juni gibt über höchst bezeichnende Worte Mussolinis Aufschluß:

Rußland   liefert uns glänzende Borbilber! Wir sollten es ebenso machen, wie es in Rußland   gemacht wird, ja es ist unrecht von uns, wenn wir die Russen nicht nachahmen, denn in diesem Falle( zu den Sozialisten gewendet) fäßet Ihr nicht mehr hier, sondern hättet bereits unser Blei zwischen den Rippen. Aber wir haben nicht weniger Mut als die Russen, und wir werden Euch das beweisen. Es ist noch nicht zu spät, und die Gelegenhelt wird früher fommen, als 3hr glaubt."

Fünf Tage später mar Matteotti ermordet! Der Führer des Faschismus hat geglaubt, die moralische Seite bes Falles totschweigen oder leugnen zu fönnen. Er hat es nicht für nötig gehalten, zurückzutreten, als die schwersten Indizien und dokumentierte Anschuldigungen fich gegen feine Person und gegen die ganze Hierarchie seiner Partei rich teten und als die Augen der ganzen Welt sich erwartungsvoll auf Stalien richteten. In einem verfassungsmäßig regierten Lande märe jede Regierung wegen unendlich geringfügigerer Dinge zurüd­getreten und hätte sich den Gerichten zur Verfügung gestellt. Musso­fini aber ließ die Woge schwerster Anschuldigungen über fich hinweg­fluten und flammerte fich an sein Amt.

In der Zusammenfunft der Opposition, bie am 30. Rovember 1924 unter dem Borsiz Turatis in Mailand   stattfand, wurde die Stellung der Opposition zur Regierung flar definiert:

Eine die politische Frage an Bichtigkeit weit übertreffende moralische erhebt sich gegenüber dem ganzen Regime," fagte der Führer der Demokraten, Amendola. Wir behaupten, daß die Regierung dem Berbrechen den Boden bereitet und es gezüchtet hat; mir lehnen die Ausrede mit der Revolution ab; mir behaupten, daß die Leute, auf denen mehr oder weniger die triminelle oder politische Berantwortlichkeit des Regimes laftet, unfähig sind, die Staatsgeschäfte zu führen; wir behaupten ferner, daß die Gerichte in ihren Nachforschungen ge­hemmt werden dadurch, daß diese Leute an ber Regierung sind... Wir wollen nicht, daß man die heutige Lage Italiens   so definieren könne: Freiheit dem Berbrechen im unfreien Staat."

Benn heute in Staffen das Recht oft wunderlich verschtungene Pfade wandelt, so tommt das daher, daß die Rechtspflege selbst dem Justizministerium, die ausführenden Bolizeiorgane aber dem Innen­ministerium unterstellt sind. Die Tätigkeit der Gerichte fann fo init Leichtigkeit durch das Innenministerium je nach Belieben ge­bremst oder stillgelegt werden. Die jüngsten faschistischen Gesetze, welche die Entlaffung aller nichtfaschistischen Staatsbeamten vor. fehen, haben der Rechtspflege den letzten Schein von Un abhängigteit entzogen. 3war hatte in der Rammer bei Be fprechung dieser Gefeße der Abgeordnete Sarocchi, ein Anhänger des Faschismus, verlangt, daß die Justizbeamten von den vor­gesehenen Entlassungen ausgenommen bleiben; Mussolini   aber lehnte diese Einschränkung mit der Erklärung ab, daß er in Anbetracht der politischen Natur des zur Erörterung stehenden Gesetzes einen Unter­schied zwischen Justiz- und anderen Staatsbeamten nicht zulassen tönne. Ja, er fagte, die faschistische Regierung habe einen schweren Fehler begangen, als sie nicht sofort nach dem Marsch auf Rom  " *) Siebe die Notiz im Hauptblatt dieser Ausgabe.

Gonntag, 20. Dezember 1925

Sozialversicherung und Erwerbslosertfürsorge 1924/25

Der Reichsarbeitsminister hat dem Reichstag   am 12. Dezember| bes Unfalls, der Berufsunfähigtelt und Invalidität, der Mutter­eine vom 5. Dezember 1925 datierte Dentschrift über diefes Thema schaft und des Todes, Ohne Sozialversicherung ist die Lebensführung zugehen lassen.

Danach betrug der Aufwand in der Soglalversicherung:

1913 1924 1925

B

10

1 431 Millionen Mart 2016 2343

"

"

P

Die Ergebnisse in der Erwerbslosenfürsorge nb: Ginnahmen. in der Zeit vom 1. Juli 1924 bis 30. Juni 1925 Ausgaben in der Zeit vom 1. Juli 1924 bis 30. Juni 1925

226 Millionen Mart.  

229,8 millionen Mart.

Die Kosten der Arbeitsnachweise sind nur insoweit in den Ein­nahmen und Ausgaben enthalten, ais fie Berwaltungstoften ber Erwerbslosenfürsorge darstellen. Für das Kalenderjahr 1925 werden die Ausgaben der Erwerbslosenfürsorge auf rund 230 Millionen Mart geschäßt.

Etat der Sozialversicherung. Die Denkschrift bringt folgende Susammenstelling: Sozialetat 1913, 1924/25( in millionen Mart). Rechnungsergebnis

Bersicherungssteig

1918

Invalidenversicherung. Beiträge Reichszuschuz ginsertrag Angestelltenversicherung. Beiträge. Unfallversicherung. Entschädigungsaufwand gewerbi. Berufsgen.. landwirtschaftl. do. Ausführungsbehörden. Berwaltungsfosten Tilgung der schweben­den Schuld, Rüdlagen 19,0] Knappschaftl. Pensionsverf.

der Arbeiter( Beiträge) der Angestellten( Beitr.) Arantenversicherung.

( Beiträge 1914.) reichsgesegliche Rassen. Inappschaftliche Raffen. Ersatzlaffen.. Reichszuschuß in der Familienwochenhilfe.

Teil

-

Bufammen

1924

Schahungs ergebnis 1925

-

der Arbeiter und Angestellten im innersten Kerne gefährdet. Infolge der Sozialversicherung hebt fich die gesamte förperliche und fittliche Lebenshaltung des, Teiles der Bevölkerung, der seine Arbeitstraft in abhängiger Stellung verwendet. Die Sozialversicherung setzt eine lebensfähige Wirschaft voraus, sie ist aber zugleich die Voraus­Jegung für wirtschaftlichen Fortschritt.

Erwerbslofenfürforge.

fus ben Ausführungen über dieses Rapitel fet folgendes mit­geteilt:

Für den Zeitraum vom 1. Jufi 1924 bis 30. Juni 1925 werden die Einnahmen mit 205 Millionen Mark aus Beiträgen, 33,9 Mil­Mart Sonstiges( Darlehnsrückzahlungen usw.) angegeben. Die lionen Mart   aus Leistungen der Gemeinden und 7,1 Millionen Ausgaben betrugen:

Rosten der öffentlichen Arbeitsnachweise und

Landesamter

Unterstügungen für Bollerwerbslose Krantenbesicherung der Erwerbslosen Buschläge für Rotstandsarbeiter. Andere Tisgaben..

9

80,12 Millionen ML 178,-

B

18,6

17,6

5,3

zufammen 249,62 Millionen Mt.

Hiervon fub rund 20 millonen Mart für Kosten der Arbeits­vermittlung und Berufsberatung abzuziehen. Für das Kalender. jahr 1925 werden die Ausgaben auf 250 Millionen Mark geschäßt, davon ab 20 millionen Mart für Arbeitsvermittlung.

Die Dentschrift will nachweisen, daß die sogenannten Sozial­baften, nicht untragbar sind. Das ist zwar nicht deutlich ausgesprochen worden, zwingt sich aber jedem objektiven Leser auf. Die Gesamt­181,5 laft beträgt also 2 643 Millionen Mart. Diese Summe muß man zu der Gesamtlohnsumme in Beziehung bringen, um fie bewerten zu tönnen. Man tann hierbei allerdings nur schäzen. Der jährliche Durchschnittslohn des Arbeiters wird zwischen 1000 bis 1500 m. also etwa bei 1250 m. liegen. Die Zahl der Lohnempfänger wird mit 18 Millionen nicht zu hoch angenommen sein. Das ergibt eine Gesamtlohnsumme von 22,5 Milliarden Mart. Die Soziallast bedeutet dann 11,74 Proz. des Lohnes. Davon geht durchschnittlich die Hälfte zu Lasten der Arbeitnehmer. Sie werden also gezwungen, 5,87 Broz. ihres Berdienstes für die verschiedenen Wechselfälle des Lebens zu sparen. Diese Sparbeträge bieten ihnen eine zwar unzu Wingfiche, aber sozial außerordentlich wichtige Versorgung.

290 59

880( 310) 100

525 155

67,5

138

129,5( 30)

128,21

78,3

108,0

38,9

27,2

40,5

14,4

11,5

12,0

228

150,4

191,6

32,5

80,1

30,1

8,8

58

181,4( 84,3) 16,6( 6,5)

140 17

825)

961)

961

40

87( 69)

25

70

82 707

20

88 1

-

1490,5

-

10 2015,9

2 343,1

Hteran knüpft die Dentschrift diese Ausführungen: Die Auf­faffung, der Versicherungsaufwand fei eine, Loft, wird dem Ur­sprung, Grund und Zwed der Sozialversicherung nicht gerecht. Die Sozialversicherung vereinigt in fich wenigftens zum überwiegenden Sozialversicherung vereinigt in fich wenigstens zum überwiegenden die frühere gesetzliche Fürsorge der Unternehmer, die eigene Borsorge der Arbeiter, und die Fürsorge der öffentlichen Verbände. Die Sozialversicherung ist öffentlich- rechtlicher Sparzwang zur Er haltung von Gesundheit und Arbeitskraft der versicherten Be­pölterung und zugleich Risitoausgleich im Falle der Krankheit und

1) Ohne den Krieg hätten die reichsgefeßlichen Krantentassen 1914 mit dem Beitragsaufkommen von rund 600 Millionen Mart rechnen

tönnen.

Die 5,87 Broz, die die Unternehmer tragen, find als Lohnteile zu bewerten. Sie erscheinen auch auf dem Lohnkonto der Unter­nehmungen sowohl bei den Untoften wie auch in der Kaltulation. Die Unternehmer zahlen danach 5,87 Prog. mehr Lohn, als sich aus ben Lohnzetteln ergibt.

Im die Belastung der Gesamtwirtschaft zu ermitteln, müßte man den Anteil des Lohnes an den Kosten der Produktion, der Warenverteilung und der Berwaltung fennen. Er läßt sich leider als Gesamtdurchschnitt schwer ermitteln, liegt aber ficher zwischen 10 und 20 Broz. für den gesamten Wirtschaftsprozeß. Danach fann die Be­laftung der Gesamtwirtschaft aus der sozialen Fürsorge mit etwa 1,5 Broz. ihres Umsages angenommen werden, entspricht also etwa der Belastung aus der Umsatzsteuer.

Entscheidend aber ist, daß nicht gefragt werden tamm: ist die Soziallaft erträglich, sondern: fann fie vermindert werden? Die Ant­wort darauf lautet: Nein! Denn was an Soziallasten gespart würde, müßte an Armenlaften mehr aufgewendet werden. Sicher­fich brächte eine Einschränkung der sozialen Fürsorge eine weitere Berelendung der Massen und steigerte damit nur die Belastung der

niffen um 15 Broz. hinter dem Beitragsaufkommen zurüd *) Die Ausgabe ist noch nicht bekannt; fte bleibt nach Leitergeb- Wirtschaft über das heutige Maß hinaus. Dauernde Verminderung der Soziallaft ist daher nur durch Ausbau der sozialen Fürsorge als einer vorbengenden und damit lehten Endes fostensparenden Maß­Helmut Lehmann, Berlin- Charlottenburg.

3) Mangels anderer Anhaltspunkte find die Ergebnisse 1924 ein­gefeßt; es ist damit zu rechnen, daß das Ergebnis 1925 haber feinnahme zu erreichen.

wird.

eine faschistische Rechtspflege einrichtete. Gerabe ble| Hödyfttommanbierender der Nationalmiliz, heute wohlbestallter Ereignisse im Juni 1924 hätten die Schwere dieses Fehlers ertennen laffen!

Abgesehen von diesem Zustand der Rechtspflege gibt es aber in Italien   auch die Nationalmiliz, ein bis an die Zähne bewaffnetes Freiwilligen"-Heer, das alljährlich Hunderte von Mil­lionen verschlingt, wie ein fiegreiches Heer in Feindes.  land tampiert und auf den Wint der Regierung wartet, um sich auf die eventuell protestierenden waffenlofen Bürger zu stürzen. Der Generalisfiimus dieses Heeres ordnete Verprügelungen an und griff furzerhand in die Rechtspflege ein., Italo Balbo.  faschistischer Abgeordneter und zurzeit des Morbes an Matteotti

Unterstaatssekretär im Wirtschaftsministerium, nächst Farinacci der wildeste Bertreter des extremen Faschismus, schrieb am 31. August 1924 an feinen Vertrauensmann in der Provinz Ferrara  :

Den in der Berhandlung vom 20. Dezember Freigesprochenen muß far gemacht werden, daß ein Klima und Provinz= mechsel ihrer Gesundheit nur zuträglich sein tann. Sollten fie trotzdem dort bleiben wollen und uns dadurch in moralischer Hin­ficht Unannehmlichkeiten bereiten, so sind sie ohne leber treibung aber mit Ausdauer solange zu verprügeln, bis fie fich zur Abwanderung entschließen. Du fannst diesen Teil meines Briefes ruhig dem Präfetten zeigen, und diesem in meinem Namen sagen, daß ich hinreichend Grundlagen befize, um das

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