Sonntag
20. Dezember 1925
Unterhaltung und Wissen
Die Schulden des Bruders.
Bittor traf seinen Bruder auf der Straße. Das Gespräch war nur furz, aber entscheidend. Viktor, der reiche Kaufmann mit seiner Wohnung im Berliner Westen und seiner vornehmen Frau, Tochter bes berühmten Geheimen Medizinalrats S., und Leopold, der arme Bruder, Bostassistent von Beruf, Dichter nebenbei( ein Unglück kommt nie allein), hatten sich über ein halbes Jahr lang nicht gesehen.
Warum hat er nicht auch reich geheiratet? Mein Gott, was heißt Jugendliebe! Sie ist ja wirklich zierlich und hübsch, die fleine blonde Margaret. aber Selma mochte sie nun einmal nicht in ihrem Salon sehen. Und da Leopold darüber Selma( bald nach der kleinen Hochzeit des verliebten Paares geschah es) offen die Meinung sagte, bat ihn Viktor um des lieben Friedens willen, fich nur mit ihm am dritten Ort zu treffen. Denn Margaret wollte natürlch nichts von Viktor und Selma wiffen. Im Grunde war es ja nur ein kleiner Familienzwist, vielleicht renkt er sich sogar eines Tages ein.
Die Brüder gingen in ein fleines Restaurant in der Charlottenstraße, wo sie sich, der reiche auf dem Weg zu einer Aufsichtsratssizung, und der arme nach neun abgesessenen Dienststunden begegnet waren.
„ Na, wie geht's, Boldi?"
Blöde Frage."
" Was mache die Kinder?"
" 1
Welche Verfündigung, Leopold. Selma hätte so gerne eins."
,, Soll ich dir unsre schenken?"
,, Was würde Margaret dazu sagen?"
"
,, Die fagt gar nichts mehr."
So? Na trint mal ordentlich. Willst du was essen?" " Dante."
Viktor bestellte Wein und ein Abendessen mit drei Gängen. ,, Denkst du, Viktor, das wird mir schmecken?"
„ Na, sag mal, mas fehlt dir denn. Hier hast du.
Viktor drückte ihm einen Zwanzigmartschein in die Hand.
Leopold grinst verächtlich.
Bittor fieht beleidigt drein.
Schweigen.
,, Rann ich gehen, Vittor? Es ist ja alles so lächerlich."
Ich tue, was ich fann."
" Ich weiß, ich weiß."
"
Bist du im Druck? Hast du Schulden? Biel?"
„ Nicht viel für dich.
„ Wieviel?".
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" Fünfhundert Mart, ein Drittel von dem, was du monatlich
einnimmst."
„ Ja, aber das brauchen wir auch.
Ich hab nur hunderachtzig Mart Gehalt."
,, Was dentst du, Selma, die Gesellschaft, das Haus, das Auto.Weißt du, daß ich viel mehr Schulden habe als du? In die Zehn tausende. Flaues Geschäft.
„ Aber man pumpt dir. Man mahnt dich nicht. Das sind ja feine Schulden. Paar Leute, die selbst mit dem Geld nichts anzufangen wissen, leihen dir ein bißchen Geld. Bei uns in der Chauffee straße lasten zehn Mark Schuld schwerer als bei euch 10 000." „ Meinst du? Man hat auch sein Kreuz."
„ Steht bei dir jeden Morgen, wenn du zum Dienst gehst, ein Gläubiger vor der Tür, paßt dich ab, redet auf dich ein, läuft dir nach, schimpft und schreit: Polizei! Um 7,50 Mart. Das arme Luder braucht sie auch zum Leben, zum Essen. Aber ich hab' fie nicht."
Na ja aber
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Und dann kommt Gehaltstag. Denkst du, ich erhalt' viel aus. gezahlt? Gepfändet! Zahlungsbefehle, Rechnungen fressen alles auf. Nie bleiben ein paar Mart länger als drei Tage im Hause. Dann heißt es wieder hungern."
Der Kellner brachte das Essen.
ne site
† Ziele.
-
Wiſſen
Goldner Sonntag.
Das ist ein goldner Sonntag nicht Zu stehn in Eis und Schnee.
Der Wind beißt scharf in das Gesicht Und tut so bitter weh.
Das ist ein goldner Sonntag nicht
Zu stehn auf kaltem Stein
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Und Hampelmann und Weihnachtslicht Vergeblich auszuschrein.
Ich danke für Almofen.
Was willst du von mir?*
Bezahl meine ganzen Schulben. Es ist ein bißchen über 500 Mart. Du wälztest eine Lamine fort, die andauernd über| Margaret und mich hinwegrollt und noch in unseren Schlaf hineindonnert als das ewige Klopfen der Gläubiger an unserer Tür. O wie schrecklich das ist! Weißt du, wie herrlich das wäre, einmal das volle Gehalt, die 180 Mart nach Hause bringen zu können! D, wie würden wir uns das schön einteilen und fröhlich wirtschaften." Warum habt ihr das früher nicht eingeteilt?" „ Geburten, Krankheiten, Begräbnis für dich eine Kleinig teit, für uns?"
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.5m. Ja, ich fann dir aber nicht helfen. Selma würde es merten. Etwas einschränken müßten wir uns natürlich dann in diesem Monat. Und Selma will gerade jetzt nach St. Moriß, der Arzt hat es dringend empfohlen. Ich weiß nicht, wo ich dafür das Geld nehmen soll. Ja, ich hab' auch Sorgen, ja, ja!
Siehst du, und dafür pumpen fann ich nicht. Für Betriebsaber für solche traurige Dinge-?" „ Es ist zu riskant, gütig zu sein."
„ Na, siehst du, Poldi, hier gibt's ja was für dich. Wir fönnen zmede, ja uns ja jeden Freitag hier treffen und
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Beilage des Vorwärts
Es glänzt umsonst der Weihnachtsstern Und gleißt das Engelhaar.
Die Käufer bleiben fremd und fern In diesem kalten Jahr.
Das kann kein goldner Sonntag sein, Der hier nicht Kupfer bringt..
Sie warten auf dem kalten Stein, Bis sie die Nacht verschlingt.
Hier hast du noch zehn Mart. Bersuch doch langsam abzu zahlen. In Raten."
In Raten! Du hast eine Ahnung. Du zahlst fo eine Rate: Fünf, zehn oder zwanzig Mart. Denkst du denn, daß statt 500 Mark nur noch 480 Mart bleiben? Die Zinsen wachsen sofort nach. Am nächsten Monatsersten sind's wieder 500 Mart. Da ist besser, gar nicht zahlen."
"
Boldi, du wirst noch auf Abwege tommen. „ Spießer du!"
,, Erlaube mal!"
-O
" Ich weiß, du liebst Toller und Hauptmann und bist human mit deinen literarischen Gefühlen. Ich kenn diese Dramen nicht. Aber ich erleb sie selbst."
„ Dichtest du noch, Boldi?" Ja."
„ Was?"
" Frohe sonnige Geschichten und Lieder für meine Kinder." „ Du sprachst so roh von ihnen vorhin?"
,, Nichts von ihnen, sondern zu euch Noblen über sie. Das tut ihnen nicht weh."
Der Weihnachtstag des kleinen Tobias Brauchen" aus der Nachbarschaft erhalten kleine Flaschen mit billigem Ruhe und gute Nacht“,„ empfehle mich ergebenſt“,„ beehren Sie uns
1]
Sanat Serrmann, der große tschechische Dichterhumorist, beffen wundervolle, luftige, von ftillem Sumor übergoldete Beihnachts erzählung: Der Weihnachtstag des fleinen Tobias" mir heute beginnen, feierte dieses Jahr feinen 70. Geburtstag.
Im Geschäfte des Herrn Florian Karas ging es am Weihnachts tage gewöhnlich drunter und drüber zu. Man fonnte schier meinen, daß es in der ganzen Karlsgasse feinen anderen Kaufmann als Florian Karas gäbe, als ob anderwärts nicht die gleiche Ware zu bekommen wäre und als ob Herr Karas die Düten und Säckchen mit Kaffee, Rosinen, Zucker Reis, Nüssen, Mehl, Feigen und wer weiß was noch alles rein umsonst hergeben würde.
Gleich vom frühen Morgen an stand die Ladentür nicht stille. Ja, was heißt denn das, sie stand nicht stille"? Die Ladentür des Herrn Karas war am Weihnachtsmarkte überhaupt sperrangelweit geöffnet, und selbst bei der grimmigsten Kälte! Es war weder Zeit noch Play zum Deffnen und Schließen, denn die Kundschaften kamen geradezu scharenweise in das Geschäft hereingeſtrömt und scharen weise fluteten sie wieder heraus, so daß sie einander kaum aus. weichen konnten.
Go dauerte es den ganzen Vormittag über an, und auch während der Mittagszeit wimmelte es nur so im Geschäfte, ja nicht einmal um drei Uhr, wenn doch wahrhaftig jede ordentliche Hausfrau schon alles daheim haben sollte, was für die Zubereitung des Weihnachts farpfens am Heiligen Abend und für die Feiertage überhaupt not wendig ist, ließ der Andrang nach.
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Seute tamen alle bekannten jungen Frauchen und Fräuleins und Köchinnen aus der ganzen Umgebung; heute tamen sogar jene, die oft wochenlang die Losung anderwärts hintrugen", wie man im Raufmannsjargon zu sagen pflegte. Es gibt solche Ueberläuferinnen unter den Kundschaften. Mir nichts dir nichts werden sie böse, weil ihnen die Zumage zu flein war oder sie etwas Neues lodt irgendwo in der Nähe hat ein neuer Kaufmann sein Geschäft frisch etabliert", oder es zieht sie ein neuer, gerissener Handlungsgehilfe in den Laden des Konkurrenten. Doch sie haben nicht bedacht, daß die Feiertage vor der Tür sind! Heute aber, am Weihnachtstage, stellen sie sich wieder lächelnden Angesichtes ein, als ob sie gestern zum letzten Male fortgegangen wären. Und sie lassen es fich an gelegen sein, nicht übersehen zu werden; überall ists mit ihnen voll, und dabei plauschen sie aufs eifrigste.
Doch fie wissen recht gut, warum sie wiederkommen; denn heute spendiert Herr Karas ja etwas. Die Köchinnen und jungen
die gnädigen Frauen" den beliebten Kümmel und die Fräuleins endlich den so wohlriechenden Banille- Rofoglio. Er verteilt auch unter die„ ungetreuen" Ueberläuferinnen, und dabei tut er so, als ob er es überhaupt nicht gemerkt hätte, daß sie ihm eine Zeitlang die Freundschaft gekündigt hatten. Er darf feinerlei Revanchepolitik treiben. Wird ihm ja doch wieder alles zurückbezahlt werden!
Diesmal aber hat Herr Karas eine„ Novität" eingeführt: den geschätztesten und ausgiebigsten Abnehmerinnen, jenen, deren Einkäufe er nicht nach Sechserl, sondern in Gulden und Fünfern rechnete, spendierte er zur fleinen Flasche Kümmel noch je ein„ Briefchen" Tee, eines seiner Versicherung nach ganz vorzüglichen echten Kara
manentees.
Zur damaligen Zeit war Tee ungeheuerlich teuer, seinerzeit verkaufte ihn noch nicht jeder Greisler, und damals pflegten selbst die besseren und besten Familien„ russischen Tee" nur nach Quent lein, höchstens aber nach Loten zu kaufen. Heute aber verschenkte Herr Karas Briefchen, die jeder einzelnen Familie nicht allein über die ganzen Feiertage, sondern auch noch über den Silvester hinaus langten, denn es gab kaum eine Familie, die den Tee nicht zweimal abgebrüht hätte. Ja, die erfahrenen jungen Frauchen erzählten sich schließlich, daß das Teegetränk nach dem zweiten Abbrühen noch besser sei als nach dem ersten. Und vielleicht hatten sie recht damit. Kinderstimmen, die Ware verlangten, die sich beständig wiederholende Frage der Verkäufer:" Womit kann ich dienen?", das Rechnen des Brinzipals und der Gehilfen, das Knirschen der Kreide, mit der man auf dem Bult schrieb, das Klappern des Geldes, das Einstreichen in die Kaffe, das Bedienen, das Klirren der Wage, das Einschütten und Ausschütten, das Aufschlagen der Gewichte, das Rasseln der Bagschalen und der Stürzen, das Plätschern der Flüssigkeiten, die man eingoß, das Rollen der Nüsse, furzum, es war ein nicht wiederzugebendes Durcheinander. Diesem großen Andrange genügte weder der Prinzipal mit vier Handlungsgehilfen und vier Lehr jungen, noch war am Pult Blaz für all die Düten, Säckchen, Schächtelchen und Bäckchen, noch langten die Hände, um das Geld einzustreichen und das Kleingeld herauszugeben.
Das Treiben und Hasten, das Tohuwabohu von Weiber- und
Heute war aber auch teine Zeit für die endlosen Begrüßungen der Kundschaften und für neckische Scherze mit den Köchinnen, ja, die Verkäufer mußten sogar oftmals darauf verzichten, den fortgehenden Verkäufer mußten sogar oftmals darauf verzichten, den fortgehenden Kundschaften die üblichen, flafterlangen Abschiedsphrafen nachzu
rufen:
" Ichhabdieehre!"- Roschammerbiener!" das allein mußte schon genügen. Sonst aber pflegten sie noch:" Wünschen angenehme
recht bald wieder!"," Küss die Hand!" hinzuzufügen.
Und so freute sich Herr Florian Karas schon selber darauf. daß die Plackerei bald ein Ende haben würde. Um sechs Uhr wird der Laden gesperrt, dann wird er sich wahrhaftig mit Wonne oben zu Tisch sehen und sich ausruhen. Wenn nur alles glücklich
und
Er hatte bloß den Gedanken, und schon war das Unglück da! Bor einer halben Stunde wurde ihm vom ältesten Kommis, dem Herrn Josef, gemeldet, daß die kleinen Flaschen mit Punsch ausgeteilt wären. Man hatte deren genug vorbereitet, wenigstens 150 weg waren fie. Und fortwährend kommen noch Köchinnen und Nachbarsfrauen, und mit leeren Händen darf man sie doch nicht weggehen lassen. Herr Karas hielt Umschau, und seine Blicke fielen auf den jüngsten der Lehrjungen, auf Tobias.
„ Tobias soll die restlichen leeren Flaschen abfüllen, was sich da mit vollfüllen läßt. Er soll aus dem Fünfmaßgefäß den feinen Weißen eingießen!- Und flugs verforfen! Aber daß er mir ja nichts verschüttet, der verflirte Bengel!" fügte er noch warnend hinzu.
" Berflirter Bengel!" Jagte er bloß so gewohnheitsmäßig, denn jeder Lehrjunge war bei ihm ein„ verfligter Bengel", nicht vielleicht, daß Tobias deshalb verfligterer gewesen wäre.
das langgedehnte Magazin, in welchem den ganzen Tag hindurch Tobias begab sich also in die Gewölbe hinter dem Laden, in zwei Gasflammen furrend flackerten, und füllte die kleinen Seidelfläschchen aus dem erwähnten Fünfmaßgefäß voll. Aber das umfangreiche Gefäß entglitt plöglich feinen erstarrten, erfrorenen, wie Hefeteigłuchen angelaufenen, wie ein gebrühter Krebs fo roten, steifen und unbeweglichen Händen, und im selben Augenblicke, als es dem erscholl aus dem Gewölbe ein schmetternder Knall. Das Fünfmaß Chef im Geschäfte in den Sinn fam, daß nur alles glüdlich gefäß mit dem weißen, in Wirklichkeit schon gelb gewordenen Bunsche, opon erst kaum die Hälfte in die Fläschchen überschüttet war, zerHerrn Florian Karas war dieser Ton bekannt. perhallte, schleuderte er schon die Wage auf das Bult und stürzte Hier stand Tobias, ein halbwüchsiges Bürschchen von vierzehneinhalb Jahren, wie vernichtet, eingeschüchtert, zitternd, mit starren Augen und offenem Munde. Und vor ihm lagen auf dem Boden die Scherben der großen Flasche und erglänzten in der dicken Lache her füßen, flebrigen Flüssigkeit. Ein starker, penetranter, süßsäuer licher Geruch erfüllte den Raum.
splitterte in viele Scherben.
ins Gewölbe.
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Kaum daß er
( Fortsetzung folgt.)