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Abendausgabe

Nr. 601+ 42. Jahrgang Ausgabe B Nr. 298

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Vorwärts

Berliner Volksblatt

10 Pfennig

Montag

21. Dezember 1925

Beriag und Anzeigenabteilung: Gefchäftszeit 9-5 Uhr

Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin   SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-297

Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands

Doumers kapitalistische Sanierung.

Opposition selbst im Kabinett.

Paris  , 21. Dezember.  ( Eigener Drahtbericht.) Finanzminister| Departement Marne  , wo sich die beiden radikalsozialen Abgeord­

Doumer hat dem Kabinettsrat die großen Richtlinien seines Sa­nierungsprogramms unterbreitet. Trotz der Verschwiegenheit der zuständigen Stellen ist es bereits ein offenes Geheimnis, daß Doumer mit seinen Richtlinien im Ministerium auf schärfste Oppesi. tion gestoßen ist. Das amtliche Kommuniqué enthält die Mit­teilung, daß die Diskussion über die vom Finanzminister unter­breiteten Vorschläge auf nächsten Dienstag vertagt worden ist. Schon daraus geht hervor, daß Doumer vergeblich die Zu­stimmung seiner Kollegen zu erlangen versucht hat. Er selbst hat nach dem Kabinettsrat erklärt, daß er sein vor einem Monat, als Deumergue ihn mit der Kabinettsbildung beauftragen wollte, auf­gestelltes Programm nicht geändert habe. Diese Mitteilung findet seine Bestätigung in der Steldung einer in der Regel gut unter richteten Agentur, die die am Sonnabend dem Ministerium unter­breiteten Borschläge wie folgt angeben zu fönnen glaubt: Ber. doppelung der Umsagsteuer, Erhöhung der Tabat preise und der 3ölle und eine Reform des Veranlagungs- und Erhebungsverfahrens für die Einkommensteuer, was eine Mehrein. nahme von einer Milliarde ergeben soll.

Es bestätigt sich also, daß Doumer, ganz im Gegensatz zu seinem Borgänger, faft ausschließlich die indirekten Abgaben zur Be

schaffung der für den Ausgleich des Budgets benötigten Mehrein

nahmen heranziehen und die Kosten der Sanierungsattion ausschließ lich auf die Schultern der breiten Massen abwälzen will. Er wird nach den Erfahrungen vom Sonnabend zweifellos versuchen, durch entsprechende Abänderungen seines Programms die Widerstände zu beseitigen. Aber selbst wenn das Ministerium sich zu einem faulen Vergleich bereit finden sollte, wird Doumer in der Kammer mit der fchärfsten Opposition der Linken zu rechnen haben.

In der Finanzłommiffion ist es bereits zu scharfen Meinungs. verschiedenheiten gekommen, da sie mehrere Forderungen des

Ministers grundfäßlich abgelehnt hat. Die drei Gruppen des Kar­tells, deffen politische Aktionskraft nach dem Ausscheiden der Radi falen Linfen" beträchtlich zugenommen hat, beschloffen in­zwischen, sich auf teine Rompromisse einzulassen und an den Richtlinien, die die vor wenigen Tagen eingefeßte gemeinsame Finanzkommission aufgestellt hat, unter allen Umständen festzuhalten. Unter diesen Umständen nimmt die Möglichkeit einer neuen Arise von Tag zu Tag greifbarere Gestalt an.

Erfahwahl zum Senat.

Paris  , 21. Dezember.  ( Eigener Drahtbericht.) Eine Ersatzwahl zum Senat in dem durch den Tod Leon Bourgois freigewordenen

Das Spiel mit der Diktatur.

Vorsicht! Sprengladung!

Eine Lösung der Regierungsfrise ist im Augenblid noch nicht sichtbar, da die Bildung einer stabilen Reichstagsmehr heit unmöglich ist, Zentrum und Demokraten sich aber vor­läufig weigern, an einer Minderheitsregierung teilzunehmen. In solchen Zeiten wird das Gerede von der Diktatur unvermeidlich. Daß man aber auch im Lager der Rechten zu begreifen beginnt, wie wenig mit solchen Redereien ge­schafft ist, zeigt ein Artikel des ,, Tag", in dem es heißt:

Auf den Bankrott der Arithmetiker und Programmhelden auf den parlamentarischen Teppichen pflegt gewöhnlich der Ruf nach der Diktatur zu folgen. Aber wir haben gelernt, auch mit diesem explosionsbaltigen Begriff vorsichtig um zugehen. Sonst fönnte ein Schrei nach dem Diktator ein ebenso klägliches Echo finden wie der Schrei nach der Großen Koalition. Man darf sich heute unter einer Diftatur nicht mehr jene alt­römische Einrichtung vorstellen, darf nicht plötzlich von einem Manne alles erwarten, wie die Römer einft von Cincinnatus  , da sie ihn von der Pflugschar holten. Die modernen Staatsverhält nisse sind in sich so unendlich schwierig gestaltet, daß auch eine Kraftnatur feltensten Ausmaßes die Fülle der Erscheinungen unmöglich meistern

fann.

Die Tägliche Rundschau" macht dem Zentrum schwere Borwürfe, weil es sich weigert, eine Regierung der Mitte mit zumachen, und meint dann:

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neten Margaine und Haudos gegenüberstanden, endete im zweiten Wahlgang mit dem Sieg des ersteren.

Genoffe Paul Faure   gegen Regierungsteilnahme.

Paris  , 21. Dezember.  ( Eigener Drahtbericht.) In einer Ber­fammlung zu Le Creuzot, dem Zentrum der französischen   Rüstungs: industrie, sprach sich der Generalsekretär der Partei, Gen. Paul Faure  , erneut gegen die Beteiligung der Sozialisten an der Re­gierung aus. Er erklärte, daß es in der gegenwärtigen Situation nur die Eventualität eines Kompromisses mit den Finanzmächten oder eines schonungslosen Kampfes gegen fie gebe. Ein Kompromiß fei für die sozialistische Fraktion ausgeschloffen. Diese sei bereit, jede Regierung der Radikalen zu unterstützen, die die Energie aufbringe, endlich das Programm des 11. Mai zu verwirklichen. Finde sich eine solche Regierung nicht, dann werde die Partei vor der Ueber­nahme der Verantwortung nicht zurückschrecken. In diesem Falle aber tame nicht die Teilnahme an einem bürgerlichen Kabinett, son­dern nur die Bildung der Regierung durch die Sozialisten felbst in Frage.

Die Schwerindustrie will die Inflationsprofite behalten. Paris  , 21. Dezember.  ( Eigener Drahtbericht.) Der von den industriellen Berbänden Nordfrankreichs gemachte Vorschlag einer von der Privatwirtschaft garantierten Anleihe zur Stabilisierung der französischen   Währung, mit dem sich am Sonnabend nachmittag der Rabinettsrat beschäftigt hat, stößt in den politischen Kreisen auf eine mit ſtarter Stepfis gemischte zurückhaltung. Die unter dem Einfluß der Schwerindustrie stehende Rechtspresse, die mit Rücksicht auf den starten Eindrud, den der Vorschlag auf die öffentliche Mei­mung gemacht hat, ihn nicht offen abzulehnen wagt, führt immerhin gegen ihn alle möglichen Argumente ins Feld, die auf den Hütten­verhand zurückgehen. Die Schwerindustrie sträubt sich natürlich, an gesichts der beträchtlichen Ausfuhr prämien, die sie aus dem Fallen des Franken zieht, mit Händen und Füßen gegen eine Stabilisierung der Währung, die ein Ende der Balutagewinne be­deuten würde. Aber auch bei der Linken stößt der Vorschlag auf Mißtrauen, da allerlei Bedingungen daran geknüpft sind, die in erster Linie auf wesentliche Erleichterungen der Steuerlasten hinauslaufen. Dazu kommt, daß es sich einstweilen nur um unverbindliche Anregungen handelt, für die kontrete Unterlagen fehlen, und daß die von den Industriellen zu leistende Garantie für die Stabilisierungsanleihe nur ,, moralisch", nicht etwa materiell sein soll.

Regierung regieren tann, wenn sie nicht für ihre Maß­nahmen im Reichstag eine Mehrheit findet. Ist eine Re­gierung, die mit einer Mehrheit regieren tann, unmöglich, dann zeigt die Verfassung allerdings nur noch einen Weg, den der Neuwahlen. Die ,, verhängnisvollen Folgen", die diese für die Volkspartei haben würden, können uns nicht Schrecken.

Das Kattowitzer Attentat.

Terror gegen das Deutschtumbekenntnis bei der Bolkszählung.

Kaffowih, 21. Dezember.  ( WTB.) Borgestern abend gegen 8 Uhr ist ein Bombenattentat auf die Kattomizer Zeitung" verübt morden. Auf bisher unaufgeklärte Weise ist vor und in den Räumen, in denen sich die Rotationsmaschinen befinden, eine größere Menge von Explosivstoffen zur Entzündung ge­bracht worden. Offenbar war es auf die Zerstörung der Maschinen abgesehen. Die Maschinen sind jedoch unversehrt geblieben. Sämtliche Fenster des Hauses sind zertrümmert. Die Explosion war so gewaltig, daß die Tür, die von der Tereinfahrt nach dem Hof führt, aus den Angeln gehoben wurde. Das im Hofe befindliche Baugerüst ist zusammengestürzt. Menschenleben find nicht zu beklagen.

Ueber die Ursache des Attentats wird noch berichtet: Am Sonnabend mittag hatte der Deutsche   Volfsbund für Oberschlesien  in der Kattewizzer Zeitung" einen Aufruf erlassen, in dem er darauf aufmerffam machte, daß das verfassungsmäßige Recht und die mora­lische Pflicht der Deutschen   in Polnisch- Oberschlesien sei, sich in den ießt ausgelegten Lift en für die Volfs zählung am 31. De

darauf hingewiesen worden, daß die polnischen Nationa­listen durch Terroratte versuchen würden, die Deutschen  listen durch Terroratte versuchen würden, die Deutschen  von einem Befenntnis zu ihrem Boltsium abzuhalten.

Vor einigen Monaten war ein Papierschuppen der Katto­wizer Zeitung" in Brand gesteckt worden.

So wie die Dinge liegen, wird man voraussichtlich im Januar von neuem versuchen, die Regierung der Großen Koali tion zu bilden. Daß ihre Aussichten nach dem flag lichen Zusammenbruche der bisherigen Berhandzember als Deutsche zu bezeichnen. In dem Aufruf war auch lungen gewachsen sind, wird kein Mensch be. haupten mollen. Die Regierung der Mitte wird, wenn Zentrum und Demokraten auf ihrem ablehnenden Standpunkte be­harren, faum erst versucht werden. Eine Beamtenregierung hätte wenig Aussicht auf Bestand. Bleiben nur übrig: ein neues Ermächtigungs gefe y an die Regierung oder die Reichs. tagsauflösung, die in diesem Winter auf jeden Fall ver­hängnisvolle Folgen haben müßte. Kann der Reichstag die Regierung nicht schaffen treiben die Parteien weiter Abstinenzpolitik gegenüber dem Verantwortungsbewußtsein, so bleibt fein anderer Ausweg. Der Reichspräsident von Hindenburg   und die Männer der heute noch amtierenden Regierung haben dieses Berantwortungsbewußt­fein gegenüber dem Staat und der Wirtschaft.

Eine Betriebsstörung tritt nicht ein; die Rotations. maschinen, auf die es hauptsächlich abgesehen war, laufen bereits wieder.

Das amerikanische   Alkoholverbot. Berschärfung der Handhabung. Washington  , 21. Dezember.  ( WTB.) Das Schabamt hat eine Wenn die Volkspartei bei ihrer bisherigen zweideutigen Berfügung erlaffen, die vom 1. Februar ab die Berwendung von Branntwein, Rum und Gin bei der Herstellung medizinischer Haltung gegenüber den sozialdemokratischen Forderungen ver­Präparate, Würzertrafte und Syrups verbietet. Alkohol und harrt, bleiben die Aussichten der Großen Koalition allerdings Beine fönnen statt dessen verwandt werden. Die Ausführung von gleich Null. Im übrigen braucht man auch zu einem neuen Erärztlichen Rezepten durch die Apotheker wird durch diese Borschrift mächtigungsgefeß eine Mehrheit, wie überhaupt feine nicht betroffen.

Zurück ins Mittelalter!

Der Faschismus läßt die Zünfte auferstehen. Lugano  , im Dezember 1925. Das neue italienische faschistische Gesez über die Schiedsgerichte für Arbeiter und Unternehmer geht von dem gewerffchaftlichen Organisationen und die Standpunkt aus, daß das Verhältnis von Arbeit und Ka­pital durch ein staatliches Organ seine Regelung finden kann und soll. Wie zur Zeit der Gilden und Zünfte das Hand­werk und der Handel einer willkürlichen Regelung unter­worfen wurden, will man heute die Großindustrie und die Landwirtschaft in ihren Beziehungen von Kapital und Arbeit behördlich regeln.

Was die Analogie mit dem Mittelalter betrifft, so ver­gißt man, daß der moderne Kapitalismus   und die Groß­industrie die Zünfte gesprengt haben, daß die Herr­schaft der Zünfte eine Art Selbstregierung der Produzenten darstellte, die das Ansehen und die Geschicklichkeit des be­treffenden Gewerbes hoch halten und die Konkurrenz ver­mindern sollte, also vor dem Auseinanderklaffen der Pro­buftion in Kapital und Arbeit lag, und daß es sich vorwiegend um eine Regelung handelte, die beschränkte Territorialgebiete umfaßte.

Zieht man gar, wie das von faschistischer Seite geschehen ist, eine Parallele zwischen den obligatorischen Schieds­gerichten für Arbeiter und Unternehmer und der richterlichen Funktion, die überall vom Staate ausgeübt wird, so hinkt der Vergleich noch mehr. Der Richter wendet ein todifiziertes Recht an. Die staatlichen Schiedsgerichte follen aber das Recht, das fie anwenden, felbft schaffen. Gewiß haben wir auch im geschriebenen Recht in einem gewissen Grade einen Niederschlag von Machtverhältnissen, aber dem ganzen Wer­den der Gesetzgebung wohnt die Forderung inne, die im all­gemeinen Empfinden anerkannten Rechte den jeweiligen Machtverhältnissen zu entrüden.

Die geplanten Schiedsgerichte dagegen haben nicht den Rückhalt des fodifizierten Rechtes; fie werden auf Grund der jeweiligen jeweiligen Machtverhältnisse entscheiden. Nicht in dem Sinne, in dem sich bisher die wirt­schaftlichen Auseinandersetzungen zwischen Arbeiter und Unternehmer vollzogen, bei denen die Arbeiter ihre toalierte macht, die Unternehmer die ihre in die Wagschale werfen. Sie werden sich vielmehr entscheiden nach der jeweiligen Möglichkeit der Arbeiter und der Unternehmer, auf die e- gierungsorgane zu drücken. Offiziell sind es Staatsorgane, die für ihren Schiedsspruch das Intereffe der nationalen Pro­duftion zugrunde legen; tatsächlich handelt es sich um von der Regierung abhängige Beamte, die ihren Spruch auf Grund politischer Pressionen fällen werden.

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Die neue Gerichtsbarkeit ist formell ein Teil der richter­lichen Gewalt des Staates, in Wirklichkeit aber ein Organ feiner Exekutivgewalt. Das ist ausdrücklich gegen die Ein­wände der Industriellen, die das obligatorische Schiedsgericht ablehnen wollten, geltend gemacht worden. Der Vorsitzende des Unternehmerverbandes fagte in der Kammer: Bir können das obligatorische Schiedsgericht für die Industrie nicht annehmen," worauf ihm der Führer der faschistischen ,,   Gewerkschaften",   Rossoni, antwortete: Aber ihr habt in uns eine Garantie. Der faschistische Syndikalismus wird nie tolle Forderungen stellen." Noch deutlicher hat es   Mussolini gesagt:

Die Korporationen sind faschistisch; soweit sie diesen Namen tragen und im Schatten des Liftorenbündels handeln wollen, müssen fie ihre Attion kontrollieren und nichts tun, was die produktive Leistungsfähigkeit der Nation vermindern oder der Regierung Schwierigkeiten machen könnte. Außer der Kontrolle, die die faschistischen Korporationen über sich selbst ausüben werden, haben wir auch die souveräne Kontrolle der Regierung. Was ist in diesen drei Jahren syndikaler Praxis getan worden? Ich bin nicht der Sekretär der Korporationen, aber es hat sich teine große ge­wertschaftliche Frage ergeben, in der Industrie, im Handel,

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in der Schiffahrt und zuletzt in der Organisation der Buchdrucker, die nicht von mir geprüft oder auch gelöst worden wäre. Da die Dinge so stehen, glaube ich, daß der Zentralverband der Unternehmer einen Schritt vorwärts machen fann, und er wird es tun, auch deshalb, weil ich bestimmt glaube, daß die Vorteile bei weitem größer sein werden als die Mißhelligkeiten."

Am allerdeutlichsten drückt sich das Organ der italienischen Schwerindustrie aus, das in der Jauche des römischen Journalismus gedeiht; es fieht schon   Italien alle Nationen mit menschlichen Arbeitsbedingungen auf dem Weltmarkt be­fiegen und schreibt frohlockend: man vertraut also darauf, daß die italienische Produktion sich in Zukunft mehr als je gegenüber der ausländischen Konkurrenz auf die neue diszipli nierte Solidarität stüßen fann, auf die Frucht des hohen Ge­botes des Duce."

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Dies ist, wie heute die Phrase in   Italien lautet, das ,, politische Klima", in dem das neue Gefeß gereift ist: die Regierung liegt in Händen einer Partei, die von den Unternehmern ungeheure Geldopfer gefordert hat und noch heute fordert. Revanchiert hat sich beiterorganisationen und ihrer Rechte; die Unter­diese Regierung bisher durch Beseitigung der Ar­nehmer verlassen sich weiter auf fie, zahlen mit Zähne­tnirschen, vertrauen aber auf die Ueberlegenheit, die ihnen aus ihren Zahlungen erwächst und sind mit   Mussolini über­zeugt, daß die Vorteile bei weitem größer sein werden als bie Mißhelligkeiten."