dlenstag 22. vezemder 1925
Unterhaltung unÜ AAissen
SeNage öes vorwärts
Sozialistisihe Lehr- unö Wanöerjahre. von Louis Cohn. VI. Der wanderjahre Abschluß. Di« Stadt München tonnte ich nur oberflächlich, von füd- b«n)erischen Verhältnissen hatte ich unklare Vorstellungen. Wie an- genehm war es daher, daß mich Jgnaz Auer persönlich den Mülichener Vertrauensmännern vorstellt« und mir wertvolle Winke erteilt«. Der Antisemitismus war damals noch in Südbayern latent: in dem Sammelnomen„Preuße' kam wohl in erster Linie die Ab- Neigung gegen norddeutsches Wesen, aber auch ein Stückchen Antt- semitismus sinnsällig zum Ausdruck. Im übrigen war ich darauf gefaßt, größeren Widerständen gegen meine Ausgab«, die Münchener Presseverhältniss« in Ordnung zu bringen, begegnen zu müssen. Sie waren arg zerfahren. Der Drucker hatte 16 000 Mark zu fordern, das Defizit der„Münchener Post' war trotz größter Einschränkungen chronisch geworden. So sehr auch die in die Pressekommission ge- wählten Genossen sich bemühten— es war ihnen unmöglich, einge- wurzelte Mißbräuche auszuroden. Aus dieser Emsicht hatten sie den Parteivorstand ersucht, einen geeigneten Genossen nach München zu schicken und die Press« aus einer gesunden Basis neu aufzubauen. Die führenden Genossen in der Pressekommission und im sozial- demokrattschen„Wahlverein' boten mir einen starken RückHall. Ohne ihn wäre es mir nicht möglich gewesen, den hauptsächlich von den Kolporteuren ausgehenden Widerstand niederzuringen. Dies« Kolporteure hotten eigentlich die„Münchener Post' in der Hand. Sie allein kannten die Abonnenten, sie nahmen die Abonnements- gelber in Empfang und lieferten davon so viel ab. als sie für ange- bracht hielten. Bei der kleinen Auflag« des Blattes war der Rück- stand an Abonnementsgeldern bedeutend. Mit begreiflicher End rüstung begegneten die Kolporteure meiner ersten Kampfhandlung, nämlich der Ankündigung: Kein Geld, keine Zeitung. Aber es ge» lang doch, sie allmählich zurückzudrängen, bis sie noch der im Jahre 1902 erfolgten Gründung einer eigenen Druckerei überhaupt vom Schauplatz verschwanden. Politisch« und wirtschaftliche Rückständigkeit hatten in Bayer» Neinbürgerlich« Anschauungen tonserviert, auch bei einem Teil der Parteigenossen. Der Srundzug des süddayerifchen Wesens bildet« das Streben nach einer behaglichen Gemütlichkeit— besonder» im Wirtshaus— noch einem guten billigen Bier«nd möglichster Kernhaltung von Elementen, die jene. Streben stören oder gar de- («itigcn wollten...Mei Ruah will i hom'— die altbayerisch« Lebensmaxime kam vor dreißig Iahren augenfälliger zur Gellung als heut«, wo die Bevölkerung immer mehr von fremden Elementen durchsetzt wird. Wie fast oll« aus Norddeutschland Zugewa irderten, besaß auch ich eine Vortiebe für süddeutsches Wesen; für die im Gegensatz zum Norden freieren Umgangsformen, aus denen ober- flächlich« Beobachter Schlüsse auf ein« demokratisch« Gesinnung des Volkes zogen. In Wirklichkett bestand da» Demokratisch « nur in den Sitten und in der Abneigung gegen alles st raffe Komman- diertwerde.» von oben. Auch die Wurzeln eines nicht unberechtigten Partikularisnm» entsprangen dieser Einstellung und fanden Nahrung in den polttischen Vorgängen und den Einflüssen der Zeutrumspartel und der katholische» Geist- lichkeit. Voll mar gab sich groß« Müh«, mir dt« Vorzüge der SS» dayern in» hellste Licht zu stellen; damit ich die Bayern , ihr« demokratisch« Einstellung wie ihr« Geeignetheit. Eoziokdemokraten zu «erden, erkennen sollte, nahm er mich des öfteren zu seinen Der- sammlungen auf dem Land« mit. Lollmar war bekanntlich«in vorzüglicher Redner und besonders verstand er die Kunst, sich den Ge- danken;: äugen und der Ausdrucksweise der ländlichen Bevölkerung anzupassen. Er trat Ihnen sozusagen menschlich näher als er sie «itten in einer Rede mit dem vertraulichen D u und Ihr an- sprach. In einer Wahlversammlung in Tölz erreichte die Be- geisterung für ihn einen besonders hohen Grad. Sein« Ausführun- gen unterbrachen die Bauern mit häuiigen und lebhaften Zwischen- rufen wie„Recht hastl. Wahr is Girgl!"(Georg), und am Schlüsse feiner Rede warfen sie ihre Hüte mit kräftigen Iuchzern in die f>e. Als der anwesende Pfarrer Lollmars Angriff« auf die ttrumspartei widerlegen wollte, schütteten die Bauern ihren wahr- inlich lang« angesammellen Groll gegen ihren Eeelcnsorger in so stischen Zwischenrufen au», daß er entrüstet und beschämt die Versammlung verlassen mußt«. Nun«a, sagen Sie zu unseren Bauern? Fragte mich Lollmar später. Ich antwortete: Hoffentlich zeigen sie sich bei der in einigen Tagen stattfindenden Wahl ebenso gesinnungstiichtig wie heute. Leider war das nicht der Fall: denn der Zuwach» an Ettmmen war ganz unbedeutend. Bor der Einwirkung der Frauen und der Geistlichen oerflog die bäuer- Nche Begeisterung in nichts. Ihre Begeisterung gründete stch aus v o l l m a r s Persönlichkett, aber nicht auf die Anerkenmmg des
Cin undankbarer Köter. üi)
.Mein braver fchwarzweißroker Spitz. Der liebe Onkel Sireiemana Rietet de« wärmsten Regieruugsfitz Und— ei. da» wird ein Mahl, potz Blitz! Die kSstlichstea Leckerbissen dir an.'
.verflucht noch matt Ist da« ein Biest! E» schnappt nach mir! 0 wie gemein, So schlecht und undankbar zu feint' — Za. Gustav Stresemann , du stehst: Solch Vieh zu streicheln, bringt nicht» eint
sozialdemokratischen Programm», vollmar kanzelte die„Groß. kopfetn' und.Sewappetten' gehörig ab und das gefiel de» Lauern. Auch E i s n e r erlag Im Oktober/Rooember ISIS der gleichen Selbst- täuschung wie Vollmar. Sich in diese» Milien einzuleben, bedurft««» mehrerer Jahre. viel« der sührenden Genossen erleichterteu mir dl« Einführung in die Außenstehenden oft schwerverständlichen Seltsamkeiten einer Pe- riode, in der die Klassengegensätze durch eine allseitige Ge- müllichkett und«in unentwickeltes politisches Bewußtsein verwischt waren. Biel hatte ich dem braven Vater Birk und den als Redakteuren wirkenden Ed. S ch m I d— dem späteren ersten Bürger- meister— und Ernst Strauß zu verdanken, während ich an den eigentlichen politischen Redakteur Colver, einen ehemaligen Theologen, keinen rechten Anschluß fand. Wie sich die Drnge in München dank der eifrigen Mitarbest der Partei und der Gewerkschaften bis zum Januar 1918, wo ich aus meiner Stellung ausschied, weiter entwickelten, ernsprech wohl dem Aufschwung der Parteigeschäfte in anderen Landesteilen. Zum Abschluß meiner Erinnerungen und zur Kennzeichnung der Mentalität der MittelNossen in Südbayern vor dreißig Jahren will ich noch am Schlüsse einiger Vorgänge gedenken. Sic besitzen zwar einen anekdotenhaften Anstrich, aber sie beruhen auf Wahrheit
und sind daher geeignet, die Kulturpertod« einer bestimmten Zeit zn illustrieren. DeroppositionelleHammel. Unterm Ausnahmegesetz hatten sich die Münchener Genossen in .Öeseoereinen' zusammengeschlossen. In dem in der Borstadt Schwa- bing bestehenden Leserverein hielt ich bald nach meiner Ankunft einen Vortrag über irgendein naturwissenschaftliches Thema. Die Ver- sammlung fand in dem Nebenzimmer einer Wirtschaft statt. Ich war gerade im besten Zuge, als plötzlich die Türe zum allgemeinen Gast- zimmer hefttg ausgestoßen wurde und ein fetter Hammel von seltener Größe eintrat, und sich gemächlich auf seinem Hinterteil an der Wand gevade mir gegenüber niederlieh. War ich schon über diesen seit- samen Zuwachs der Versammlung erstaunt, so noch mehr, als aus meine Frage, ob das Tier nicht herausgeschafft werden sollt«, der Borsitzende lakonisch bemerkte,„er kann hierbleiben, es ist nicht dos erstemal.' In der Tat hörte der Hammel mit größter Aufmerksam- keit meine Ausführungen an. Das sollte sich jedoch bald ändern, als in der anschließenden Debatte ein Redner mich über die Existenz von E i s s l ö h e n und ihre Lebensbedingungen interpellierte, wobei er seine lungenkräftigen Ausführungen mit heftigen Armbewegungen begleitete. Mögen nun diese Gestikulationen oder die laute Stimme des Redners den in früheren Versammlungen gewonnenen parlamen- tarischen Vorstellungen des Hammels nicht entsprochen haben— kurzum, plötzlich stieß er den Redner so kräftig in den unteren Teil des Rückens, daß der Eisslohinteressent der Länge long den Fußbode:, ziert«. Es bedurfte teils sanfter Ermahnungen des Wirtes, teils energischer Fußtritte der Versammelten, um den Vierfüßler aus dem Lokal zu schaffen. Dieser Vorgang veranlaßt« mich später, den Wirt über die Motive des Besuches seines Hammels und seines Angriffes auszufragen.»O mei,' erwiderte er gelassen,„er ist halt b s u f f a.' Die Bierspenden der Gäste hatten den Hammel degene- riert und ihn abwechselnd in den Zustand des Rausches oder des Katers versetzt. Aber trotzdem er schon„bsuffa' war, animierte mich der Wirt, ihm noch eine Halbe zu spendieren, die er dann in einem Zuge aussoff. Da» rottarierte Tischtuch. Ort: Rosenheim . Auf dem Podium des vollgefüllten Bersamm- lungslokoles sitzt Grillenberger an einem mit einer gewöhn- llchen Wirtshausdecke versehenen Tische. Ihm gegenüber aus dem Podium der überwachende Beamte an einem ungedeckten Tische. Der Vorsitzende erteilt Grillenberger das Wort cder vielmehr will es ihm erteilen, als der Beamte sich erhebt, um gegen den Beginn der Versammlung zu protestieren, weil ihm als Vertreter der Staats- behörde zugemutet wird, an einem ungedeckten Tische zu sitzen, während der Referent sich eines rotkarierten Tischtuches erfreuen dars. Solche Bevorzugung des Referenten könne nicht gestattet werden. Es setzte darauf eine Debatte zwischen Grillenberger und dem überwachenden Beamten ein, der unser Genasse einen humo- ristischen Beigeschmack zu geben verstand, für den die Versammelten volles Verständnis besaßen. Inzwischen wurde die Kellnerin beauf- tragt, eine zweite rotkarierte Decke für den Tisch des Beamten zu beschossen. Sie stürzte auch hinaus, kam ober nicht wieder. Die Versammlung wurde unruhig. Rufe:„Anfangen',„Lächerlich' und noch schärfere Ausrufe des Unwillens durchschwirrten den Raum. Um die Versammlung zu ermöglichen und die Ungeduld auf keine längere Probe zu stellen, nahm Grillenberger kurz entschlossen die Decke von seinem Tisch, rollte sie zusammen und warf sie dem überwachenden Beamten mit den ironischen Worten zu:„Da ha ms Ihr a D e ck n!' Worauf in die Tagesordnung eingetreten werden durfte. *.L Der Leser wird aus diesen leicht oermehrbaren Episoden schon gefolgert hoben, wie anders die Taktik in Südbayern beschaffen sein mußte, mn die Bewegung auf die jetzige fiöhe zu bringen. In Uebereinstimmung mit dem leitenden Redakteur der„Münchener Post', Adols Müller— jetzt deutscher Gesandter in Bern —, war auch für mich der Gesichtspunkt maßgebend, das Parteiorgan aus eine sichere materielle Grundlage zu stellen, damit von München ans auch eine Kräftigung der Sozialdemokratie erreicht wer- den könne. Mit der Unterstützung der Genossen in Augsburg und Regensburg gelang es mir, die dort schwer kämpfenden Parteiorgane auszubauen und ihre Weiterentwicklung zu sichern. So darf ich ohne Ueberhebung aussprechen, daß meine Lehr- und Wanderjahre zu einer praktischen Betätigung führten, die nicht ohne Nutzen fü-' die Entwicklung der Partei in Südbaycrn war. Mögen auch nach rechts und links seit der Revolution Zwoige und Aeste von dem kräftigen Stamm der Partei abgefallen sein— die Ueberzeugung, daß er neue und kräftigere ansetzen wird, ist mir am Ende nieines Lebens zur Gewißheit geworden. Um so mehr, als ich sehe, daß die sozialistische Bewegung neben' ihrer theoretischen Ver- ankerung eine konstruktiv-praktischc Vorarbeit leistet, die bewußt auf die Schassung einer besseren Gesellschaftsordnung zielt, und die nicht, wie zu meiner Zeit, so oft von den, gesteckten Wege abirren muß.
SerWeihnachtstag des kleinen Tobias
sl
Don Jgnat Herrmann.
Der Prinzipal sah hin und sein Gesicht, das bisher im Geschäft den Kundschaften gegenüber lächelnd, gefällig-freundlich war, wurde plötzlich eisigkalt. Seine Mundwinkel zuckten und die Augen sprühten Blitze. Unwillkürlich wich Tobias vor diesem unheilver- kündendem Anblick zurück und durch diese Bewegung warf der Un- glücksrabe zu all' dem»och zwei vollgefüllte Flaschen herunter, die aus einer langen Bank standen. Dieses neuerliche und kleinere Mißgeschick gab seinem Schicksal den Ausschlag. „Lotterbube!' schrie Herr Karos.«So wirf sie alle herunter »nd zerschlag sie. Scheusall' Gewöhnlich pflegten die Prinzipale.Schurke' und»Spitz- bube' zu schimpfen, doch Herr Karas hatte einen gewählteren Wort- lMit, Er war einige Male im Theater gewesen und fand an den Th..M<.rHülhen Gefallen. Lotterbube. Lumpenhund,— ja, manch- nml ckrie er sogar Mörder! Und als im Gewölbe sein lärmender Schrei verhallt war, sprang Herr Koros aleich einem Raubtier direkt in die süße Pfütze hin- ein so dass er mit dem Schuh die großen Flaschenscherben auf Splitter»ermalmte: in der süßen Lache aber rutschte er aus und es war ein' rei»->s Wunder, daß er nicht hinstürzte. Dadurch geriet er aber«rlt in Wut. und jetzt packte er den kleinen Schuldtragendcn mit der Linken bei der Krawatte und beim Hemdkragen, so daß dem Knaben fast der Atem oerging, und sein/ Rechte hagelle auf den Rücken, LI Genick und den Kops des Schuldigen hernieder. „Hast du denn Klauen aus Holz Schuft? So etwas zu den Feiertagen? Steh, ich denn den Punsch? Oder pump ich ihn aus dem Kanal?'„»..- ,.,-v rc Nach den ersten Schlägen wurde Tobias wie blöde. Cr muckste nicht einmal, in der Meinung, daß es m,t em paar Hieben ab- laufen werde; er kannte bereits den Prinzipal und mußte, daß hn der geringste Widerstand, ja. ein bloßer Ausschrei nur reizen und in größere Wut versetze» konnte. Plötzlich aber nef er wahrend des Hin- und Hergebeultwerdens verzweifelt aus: � „Jesus Maria, Herr Prinzipal--.-- T....,. Ohne an die Gefahr zu denken, daß'hm cm weiterer Hieb des Prinzipals die Finger zermalmen würde, grifs er mit der lmken Hand zum Ohr. um es zu schützen. � � v Es war der letzt« Hieb. Nicht infolge des Ausschrcis, sondern durch den Anblick des mit Blut überströmten Gesichtes des Knaben.
hielt der Prinzipal mne. Ein großer, mtt einem gravierten Stein versehener Siegelring zierte den Zeigefinger des Herrn Karas. Mit diesem Ring verletzte er den Knaben— in diesem Augenblicke wußte der Prinzipal nicht wo— und der Anblick des hervorstürzenden Blutes brachte ihn wieder zur Besinnung. Seine rechte Hand sank herab und seine Linke ließ den Knaben los. Tobias taumelte zu Boden, wobei er die Hand an die Schläfe und das Ohr drückte. Das Blut quoll zwischen den Fingern hin- durch, ergoß sich über den Handrücken und floß ihm den Aermel hinein. »Daß du mir nicht mehr vor die Augen kommst, Mißgeburt!' schrie noch der Prinzipal.»Derschwind«, damit ich dich nicht sehe.' Aber dies schrie er schon eher heraus, um sein Gewissen zu übertönen, denn trotz all seines Jähzorns und seiner plötzlich cnt- flammbaren Wut ertrug er nicht den Anblick von Blut. Er sah, daß der Hieb eine Berletzung hervorgerufen hatte und dies wollte er selbst nicht. Und so schrie er die letzten Worte heraus, um im Rechte zu bleiben und nicht durch jern Verstummen einzugestehen, daß er zu rasch gewesen war. Und da er nicht wußte, auf welche Weise er diese Szene beenden sollte und da er auch beschämt war, weil sein grausames Handeln vom Laden aus durch die Kundschaften beobachtet' wurde, so bückte er sich, begann die Scherben aus der Lache aufzulesen, sie in die Ecke zu werfen und dabei brummte er vor sich hin: „Ein solcher Schaden, du mein Jesus, ausgerechnet am Weih- nachtstage, wenn so viel Menschen auf Bedienung warten— fünf Maß russischen Punsches— dummer Bub— eine Woche lang mußte er für die jungen Frauchen und Köchinnen gebraut werden— und jetzt liegt er hier am Boden.' Und er Hub an, mit der Handfläch« die Pfütze zusammenzu- kratzen, als ob er das Getränk noch retten könne, und erst als er mit dem Handballen an einen Scherben anstieß und etwas wie einen Nadelstich oerspürte, ließ er von seiner Beschäftigung ab, rich- tete sich, purpurrot im Gesichte, auf und ging ins Geschäft zurück, wobei er beständig laut weiterschimpfte und doch voller Verlegen- heit war, denn die mitleidigen Bücke der Käufer bewiesen ihm un- trüglich, daß die Teilnahme der Leute nicht auf seiner Seite war, obgleich er einen solchen Schaden erlitten hatte, sondern bei dem malträtierten Knaben. Jetzt aber hätte sich Herr Florian Karas mit Wonne selber ge- ohrfeigt— und recht tüchtig geohrseigt— aus Verdruß darüber, daß er sich so hinreißen ließ, und init Vergnügen hätte er zu all dem Schaden noch einen Fünfer geopfert, wenn es ungeschehen geblieben wäre. Aber es war zu spät.
Er wog ab und goß voll, er schüttete ein. bediente und strich Geld ein, aber er wagte es nicht, seine Blicke zu der Menge vor dem Pulte streifen zu lassen und dankte bloß mit heiserer Stimme. Erst dann atmete er wieder auf, als alle Zeugen dieses Auftrittes den Laden verlassen hatten und sich das Geschäft mit neuen Kund- schaften füllte. Aber um keinen Preis der Welt wäre er ins Magazin gegangen, um dort nur ja nicht mit dem verletzten Tobias zusammenzutreffen. Der unglückselige Tobias stahl sich davon, um den Blicken der Neugierige» im Laden zu entgehen, und erst nach einer geraumen Weile, als sich die Kundschasten im Laden abgelöst hatten und kein einziger Zeuge seiner Schuld und seiner erhaltenen Rüge dort an- wesend war. näherte er sich dem Lavoir, neben welchem ein schmutziges Handtuch hing, wusch sich ein wenig das Gesicht, trocknete es mit dem schmutzigen Fetzen ab. und verkroch sich dann wieder in den tiefsten Winkel, wo Säcke voll Reis und Kaffee fast bis zur Decke hinauf geschichtet lagen. Wahrhaftig, er mochte dem Prinzipal jetzt nicht vor d>« Augen tteten. Er dachte daran, wie ihm in der Früh zu Mut« war. als er sich des Vaterhauses weit droben im Gebirge erinnerte, wie wohl die Mutter das Abendmahl für den Ehristabend vorbereiten würdt. Und heute zum ersten Male wird er nicht daheim im Kreise der Familie sitzen, heute wird er zum ersten Male bei fremden Leuten sein. Aber schließlich konnte man da nichts gegen machen. Er war sich dessen seit langem bewußt und vielleicht wird er schon niemals mehr am Christabend mit den Eltern und Geschwistern bei- sammen weilen. Wie aber wohl der Mutter zumute sein möchte, wenn sie ihn so sehen würde, was Ihm widerfahren und was ihm beschert worden war! Dieser Gedanke entlockte ihm heiße und bittere Tränen. Ein unsagbares Herzleid durchschauerte ihn und aus se'ner Kehle entwand sich ein unaufhaltsames Schluchzen. Die Wunde am Kopf blutete neuerlich und Tobias spürte den wurmen Blutstrom. Cr griff nach dem Taschentuch, wand es sich um den Kopf und dann, sich selbst nicht mehr darüber bewußt, was er begann, kletterte er an den Säcken empor, höher und immer hoher, bis er sich fast bei der Decke befand. Ach, wie war es hier doch angenehm und warm! Die Gas- flammen brannten hier seit dem frühen Morgen und wärmten den oberen Raum aus. Welch ein Behagen nach dem Hcrumstrabanzen in dem kalten Geschäft! Nicht einmal Im Bett droben in der Kammer ist's für gewöhnlich so warm wie hier oben. (Fortsetzung folgt)