Donnerstag
24. Dezember 1925
Unterhaltung und Wissen
Wunder der Höhe.
Bon Wilhelm Renner.
Die bisherige Borstellung von dem Ende der Entwicklung des Weltganzes entrollte das dunkle Bild von dem dereinstigen Materie und Wärmetod des Weltalls. Insbesondere seitdem man wußte oder wenigstens mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen durfte, daß alle Grundstoffe( Elemente) die Tendenz haben, sich in eine letzte, teine neuen Verbindungen mehr eingehende Urmaterie zu verwandeln, glaubte man die exakte Vorstellung von dieser Entwicklung zum absoluten Nichts hin gewonnen zu haben. Insbesondere die Einsteinsche Lehre hatte bewiesen, daß die Masse verschwindet, wenn fie Energie abgibt, und so flein auch das Quantum der Energieemanation ist, der die Materie unterliegt, so war das Prinzip, daß fich ungeheure Mengen von Energie und damit also von Masse in dem Weltraum verlieren, doch unanfechtbar, und dieser Vorgang mußte zu irgendeinem Punkt des zeitlichen Geschehens jeden materiellen Größenwert übersteigen. Man fonnte nicht anders, als ver. muten, daß die in den Weltraum hinausgewanderte Energie, in Bärme umgesetzt, sich in der Kälte des Weltraums( 273 Brad Celsius) verlieren müsse.
Einen ersten Versuch, unsere Vorstellungen von dem Schicksal der Welt aus dieser troftlosen Perspektive zu lösen, machte bereits von Jahren der deutsche Physiko- Chemifer Nernst mit der Auffrellung einer genialen hypothese, zu der ihm die Auffindung einer bis dahin gänzlich unbekannten Art von Strahlen die wissenschaftliche Grundlage und Anregung gab.
Bereits um die Jahrhundertwende hatten sich bei meteorologischen Forschungen Strahlungserscheinungen gezeigt, deren Charakter man nicht erklären konnte, von denen man aber annahm, daß sie die Auswirkung radioaktiver Substanzen in Erde, Luft und Wasser darstelle. Erst als man die meteorologischen Forschungsmethoden mit Hilfe der Hochgebirgsstationen und der Flugzeugbeobachtung bedeutend ausbaute, fand man Anhaltspunkte, die dazu zwangen, von jener Deutung abzugehen und nach neuen Erklärungen zu suchen. Der Physiker Kolhörster, der sich auf Anregung von Nernst ganz besonders mit jenen geheimnisvollen Strahlen beschäftigte, fand bei seinen Untersuchungen am Eigergletscher und auf dem Jungfraujoch, daß jene Strahlung ganz erheblich mit der Höhe des Beobachtungsortes zunehme. Auffallend war insbesondere die Tatsache, daß die Intensität dieser Strahlung um etwa ein Biertel ihres Wertes zurüdging, als man die Beobachtungen in einer etwa 10 Meter tiefen Gletscherspalte vornahm. Diese Tatsache zwang vor allem zu der Aufgabe der Theorie von der Herkunft der unbefannten Strahlen aus Stoffen der Erbrinde und ließ annehmen, daß athmosphärische Einflüsse hier walten müßten. Diese Ansicht be ftätigte fich, je mehr die Versuche mit sehr hochsteigenden Bersuch ballons fortgesetzt wurden. Man stellte fest, daß die Strahlungs intensität mit wachsender Höhe tonstant erheblich zunahm und bereits in neuntausend Meter Höhe etwa das achtzigfache ihre Wertes an der Erdoberfläche erreicht hatte, außerdem fand man eine regelmäßige, tägliche Schwankung der Strahlungsenergie um annähernd 15 Proz. ihres Wertes, die zugleich mit dem Höchst resp. Tiefstande der Milchstraße zusammen fiel. Daraus ergab sich der zwingende Schluß, daß jene Strahlung aus einer bestimmten Gegend des Himmelsraumes stammen müsse, und zwar aus dem Gebiete der großen Rebelhaufen und der jungen roten Riesensterne.
Nernst bezeichnete die so festgestellten Strahlen als die durch dringende Raum oder Höhenstrahlung". Tatsächlich übertrifft thr Durchdringungsvermögen alle bisher bekannten Strahlenarten. Man vermutete, daß ihre Bellenlänge nur etwa den zehntausendsten Teil der Wellenlänge der fürzesten bisher bekannten Röntgenstrahlen ausmache. Die neuerdings viel besprochenen Ultra- X- Strahlen" des Professors Millikan sind nichts anderes als eben diefe Raum- oder Höhenstrahlen. Er hat die Wellenlänge dieser Strahlen sogar auf den 1 millionsten Teil der Röntgenstrahlenlänge festgelegt und be hauptet, daß ihre Intensität diejenige der Röntgenstrahlen um das 250fache übertreffe. Damit erhalten Nernsts fosmologische Theorien. über den Energiegehalt des Weltenraums eine starke Stüge. Er tam von thermodynamischen Betrachtungen aus zu dem Schluß, daß jeder Kubikzentimeter des Weltraumes eine Energie enthalten müsse, die ungefähr dem Wärmewert von 500 000 Tonnen Steinfohle entspreche. Die Grundidee seiner fosmologischen Anschauung ist nun die, daß dieser ungeheure Strom von Energie, den man als die Nullpunktenergie des Batuums" bezeichnet hat, den ganzen Weltraum durchströmt und sich in ungefährem Gleichgewicht halte mit der in der Masse" enthaltenen Energie. Ebenso, wie die
Der Weihnachtstag des kleinen Tobias
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Im selben Augenblid aber ftand auch Frau Raras auf und rief hinter ihm her: Herr Bazlamit, ich hab' noch etwas vergessen!" Die Kinder zogen indes ihren Lehrer fort, so daß er sich ihrer nicht zu erwehren vermochte. Herr Karas aber wandte sich zur Gattin um:
Was ist denn los?"
Frau Christine fehrte schon vom Wäscheschrank zurück und überreichte ihrem Gatten ein Päckchen:
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öffne es."
„ Das ist mit der Post gekommen Herr Karas überflog mit den Blicken die Adresse, dann ergriff er ein Messer, durchriß mit einem raschen Schnitte den Spagat, löste die Berpadung los und hielt eine Schachtel aus Pappendeckel in seinen Händen. Er lüftete den Deckel und da gewahrte er ein winziges Kinderspielzeug, wie es im Gebirge angefertigt wird. Kleine Häuser, ein Kirchlein, Männlein und Docen fleine Bauern butterfäffer, Schäffelchen, Backtröge und Bänke mit einem Worte ein komplettes Dörfchen mit seinen Bewohnern, winzigem Bieh und niedlichem Hausgeräte, ein altes und stets neues Wunderwert für Kinderfeelen, eine Menge Spielzeug, bei dem ein jugendliches Herz por Bonne erbeben fonnte. Alles bunt bemalt. Alles duftete noch nach unberührter Farbe und erfrischendem Harze.
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pointin
, Wo gehn wir denn hin, Vater?"
Heiligabend.
Beilage des Vorwärts
( Nach einer Zeichnung des Rofentrater Amfterdam.)
„ Das weiß ich nicht, mein Junge. Wir laufen bloß so'n bisken rum-.
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Uranatoms in je tausend Millionen Jahren weitaus genüge.
Helium- und Wasserstoffatome, das irdische Endprodukt des radio-| erhaltung der Masse des Weltalls die Neubildung eines einzigen attiven Abbaues der Elemente, sich schließlich in Energie auflösen und als solche in den Aether hinausströmen, so hat man sich umgefehrt vorzustellen, daß durch gelegentliche Schwankungen jener Nullpunktenergie des Aethers fich auch wieder Atome chemischer Clemente neubilden. Daß solche Neubildungen effettiv noch nicht beobachtet worden sind, führt Nernst auf die ungeheure Seltenheit eines solchen Vorganges zurüd. Er nimmt an, daß zur Aufrecht
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So wäre auch hier für unsere Borstellung der ewige Kreislauf der Dinge geschlossen und der Begriff„ Ewigkeit" hätte einen neuen Sinn bekommen, schwer deutbar zwar, fürs erste, aber als Idee von nicht leicht zu ermessender Tragweite und vor allem eine Erlösung von der Blindheit, mit der wir bisher dem Geschehen im Weltall gegenüberzustehen verurteilt waren.
Hübsch," pflichtete Herr Raras bei, doch es flang so heiser ,. wie ihm das Wort mit Mühe aus der Kehle drang. Er hatte ein Gefühl, als ob man ihn mit kochendem Wasser übergossen hätte. Weshalb hat sich dieser Brief nicht um einen Tag verzögert, meshalb ist er nicht schon gestern gekommen! Wahrlich, der heutige Auftritt im Magazin wäre dann nicht passiert! Jedes der chrerbietigen Worte, die ihm Tobias Eltern äußerten, peitschte ihn mit dem Vor murfe, wie unverdient es sei. Und dabei hörten alle Augenzeugen seines Jähzornes zu, und Tobias felber!
Frau Karas legte den Brief in die Spielzeugschachtel zurüd und meinte noch: Jetzt gedenken sie sicherlich daheim ihres fernen Sohnes und ihre Blicke wandten sich zur gegenüberliegenden Tischseite, wo aber der fleine der kleine Tobias gewöhnlich saß. Sie suchte ihn Tobias war nicht da.
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Frau Christine überflog nochmals die Reihe der Anwesenden, ob sie ihn vielleicht nicht übersehen hätte, und als fie bemerkte, daß sie sich nicht getäuscht hatte, rief sie überrascht:
Wo ist Tobias?"
Rühnheit vielmals um Entschuldigung und erhoffen in Anbetracht dieser Kleinigkeit Ihre Berzeihung, denn solch eine winzige Ware wird in unserer Gegend hergestellt, wenn die Wirtschaft flein, das Geschäftchen armselig ist und im Winter alles stockt. Gäbe der liebe Gott, daß es die Kinderchen in Gesundheit antreffen möge, daß sie damit in Gesundheit spielen und es auch zerbrechen mögen, mie es ja bei Kinderchen nicht anders sein kann, und dann wollen wir so frei sein und uns fünftig wieder ein neues zu schicken gestatten. Möge der himmlische Bater Ihnen volle Gesundheit und auch viel Glück im neuen Jahre schenken. so wie wir den Herrn Jesus , die Mutter Gottes und Jungfrau Maria und den heiligen Pflegevater Josef darum anflehen. Was unseren fleinen Tobias betrifft, so hoffen wir fest, daß er sich brav und gehorsam aufführt und danken herzlich für alles Gute, das ihm der gnädige Herr erweist.( Herr Karas ließ beim Zuhören das Haupt immer tiefer sinken, und um feinen Preis hätte er jetzt nach jener Stelle geblickt, wo er den Lehrnaben Tobias sigen glaubte. Er fühlte die Blicke aller Lehrjungen und Kommis auf sich gerichtet, und in diesem Augenblicke schwebte ihm der ganze Nachmittagsauftritt in seiner vollen Lebhaftigkeit vor und dies war Augen, die ihm durch die Size beinahe erröteten das Blut, das er über Tobias Wange herabfließen sah. Es herrschte Stille im Speisezimmer, auch der Herr Informator war mit den Kindern zur Türschmelle herbeigetreten, und alle hörten zu, indes Frau Christine weiterlas.) Wie uns unser fleiner Tobias schreibt, geht es ihm in Ihrem gnädigen Hause recht wohl, er bekommt ausgezeichnet und reichlich zu essen, wie er es daheim niemals gekannt Drohendes, wie ein fich nahender Butausbruch. In Wirklichkeit aber hat, und so danken wir dem himmlischen Vater vom Aufstehen bis zum Schlafengehen, daß ihm so ein Glück widerfuhr, und daß er gerade im Hause des gnädigen Herrn einen Posten gefunden hat, in dem er sich für seinen Beruf von Grund auf einüben wird. Der gnädige Herr ist, wie uns Tobias schreibt, streng aber gerecht, und so bitten wir untertänigst und vielmals, auch weiterhin über ihn die väterliche Hand schützend zu halten. Und wenn es geschehen sollte, was der liebe Gott verhüten möge, daß unser Sohn durch Unvorsichtigkeit etwas ruinieren oder verderben sollte, so wird es unser Bemühen sein, den verursachten Schaden zu vergüten, damit der gnädige Herr nur teine Ursache zur Unzufriedenheit hätte, aber wir hoffen zuversichtlich, daß sich unser fleiner Tobias all unsere Ermahnungen zu Herzen genommen und dem gnädigen Herrn, uns und sich für alles verantwortlich sein wird, wozu ihm der allmächtige Gott seinen Beistand verleihe.
„ Von wem ist das gekommen?" fragte Herr Karas. " Bon Tobias Eltern," entgegnete Frau Christine leise. In der Ede der Schachtel befand sich ein Brief. Herr Karas griff zaudernd nach demselben, öffnete und durch flog ihn. " Da haft du!" Mit diesen Worten reichte er in einer gewissen Berlegenheit der Gattin den Brief.„ Lies du es es ist sehr flein geschrieben." Frau Christine setzte sich nieder und las das Schreiben einer alten Hand, die doch voll charakteristischer Züge war: " Gnädigster Herr und allergnädigste Frau! Wir bitten untertänigst um Berzeihung, daß wir es wagen, mit diesen Zeilen in Ihr Haus eindringen und Ihnen unsere ehrerbietigsten Wünsche für glückliche und fröhliche Weihnachtsfeiertage zu entbieten. Möge der himmlische Bater den gnädigen Herrn und die allergnädigste Frau und die werte Frau Mutter noch lange gesund und zufrieden erhalten. Da uns aber Tobias mitgeteilt hat, daß die gnädige Frau zwei liebe Kinderchen hat, so nehmen wir uns die Freiheit und magen es, ihnen zum Weihnachtsfest diese unansehnliche Kleinigkeit mit der untertänigsten Bitte zu senden, das, was das Christkindlein und die Mutter an und sprach: für fie beichert hat, gütight anzunehmen. Wir bitten wegen dieser„ Das ist ein hübscher Brief."
der gnädigen Frau und der werten Frau Mutter, indem wir von Wir empfehlen uns in tiefster Ehrerbietung dem gnädigen Herrn, Herzen wünschen, daß Sie an den lieben Kinderchen recht viel Glück und Freude erleben mögen. Tobias und Magdalena Marschalet." Frau Christine faltete den Brief zusammen, blickte den Gatten
Keiner der Anwesenden hatte ihn bisher vermißt, und menn ihn schon einer der Kollegen unter den Lehrburschen oder einer der Handlungsgehilfen vermißt hätte, so hätte es feiner gewagt, es auszusprechen.
Wo ist Tobias?" rief der Prinzipal ein zmeitel Mal, und für alle feine Untergebenen lang aus diesem Ausrufe etwas
erflang in der Stimme des Herrn Karas etwas anderes. Halb war es der Schreck und halb die Furcht, was er wohl vernehmen werde. Jezt aber faßte sich der älteste Kommis, der Herr Franz, ein Herz und sprach:
Oben hat ihn niemand gesehen, vielleicht ist er unten ge
blieben Ein Ausdruck der Betlemmung malte sich im Gesichte von Frau Christine. Rasch überflog sie mit den Blicken das Gesicht sämtlicher Lehrlinge und Gehilfen, und dann, indem sie auf den Gatten bliďte, fragte fie: Was ist geschehen, Florian?"
"
,, Nichts ist geschehen," antwortete der Prinzipal furz, lafonisch, und aus seiner Stimme erflang für die übrigen vom Laden der Befehl, auch von nichts zu wiffen. Unten im Geschäft regierte er fast mit dem Donnerteile Peruns, seine Augen sprühten Blige, aber gewechselt. Seine Heftigkeit beruhigte sich und bezähmte sich vor der wenn er sich oben in der Häuslichkeit befand, war er wie ausmilden, weichen Frau, deren ganze Erscheinung, Gesinnung und Ge barung ihn fesselte und mit einer gewissen Scham erfüllte. Im Geiste warf er ihr Schwäche und fast Weichlichkeit vor, aber er befaß nicht den Mut, sich ihr zu widersehen und fühlte gewissermaßen unbewußt, wie erhaben Frau Christine über ihn war. Und gerade feinen heutigen Jähzornausbruch hätte er gerne vor ihr geheim gehalten. ( Schluß folgt.)