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Freitag

25. Dezember 1925

Unterhaltung und Wissen

Der 14./26. Dezember.

Zur hundertften Wiederkehr des Tages des Dekabristen­

Aufstandes".

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Der Aufstand, der am 14./26. Dezember 1825 in. Petersburg aus­brach und der gewöhnlich der Dekabristen "( Dezembristen)-Auf­stand genannt wird, nimmt in der Geschichte der Revolutionen einen besonderen Platz ein. Denn es ist der einzige Fall in der Welt geschichte, wo die Angehörigen des höchsten Adels und der höchsten Militärkreise sich gegen das Staatsoberhaupt auflehnten, um die Bauernschaft aus ihrer Not zu erlösen und dem ganzen Volke die Staatsrechte zu verfchaffen. Die zwei Brüder Grafen Murajews gründeten im Jahre 1815 in der zweiten russischen Armee und m Petersburg einen Geheimbund den Wohlfahrtsbund oder furz die Geheime Gesellschaft " genannt. Die Ziele des Bundes waren zuerst noch ziemlich unflar und drückten nur eine Opposition gegen die Regierung aus. Fast alle Mitglieder waren Difiziere alle vom hohen und höchsten Adel abstammend die den Feldzug nach Frankreich in den Jahren 1814/15 mitgemacht hatten. In Frankreich tamen sie mit den Ideen der großen Fran zösischen Revolution in Berührung. Unwillkürlich machten sie den Bergleich zwischen der verhältnismäßig liberalen Berfassung des ersten französischen Kaiserreichs und dem Absolutismus in Rußland , wo es überhaupt keine Verfassung gab, und die Bauern Leibeigene der Grundbesitzer waren. Die Kaiser Paul I. und Alegander 1. hatten ihren Untertanen die Reise nach Westeuropa verboten, die Anftedung" mit den liberalen Ideen fürchtend.

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In der Gestalt des Obersten Bestel erhielt der Bund einen glänzenden Führer, der ihm einen großen Einfluß in Moskau und Petersburg zu verschaffen vermochte. Bald traten aber Streitig­feiten zwischen den Verschwörern ein. Bestel entschlossener Republikaner und radikaler Revolutionär und seine Freunde er­strebten die Errichtung einer demokratischen Republik und die Ber nichtung des ganzen Kaiserhauses, die anderen aber wollten sich mit einer fonftitutionellen Monarchie begnügen. Da( 1821) beschloß der Kreis um Bestel, um den Bund von, unentschlossenen Elementen zu fäubern, den Wohlfahrtsbund" aufzulösen und in Südrußland einen neuen Bund, der unter dem Namen Süd Bund" bekannt ist, zu gründen Der Süd- Bund" bestand aus entschlossenen, tatkräftigen Menschen, die ein festes Ziel vor sich hatten und alles Republikaner und radikale Revolutionäre waren. Das Ziel des Süd- Bundes" war: die Errichtung einer demokratischen zentra listischen( man dente an die Sofobiner!) Republif mit einer Ber faffung, die die Interessen aller und nicht nur die der Lords und der Kaufleute schüßen wird". Es war beschlossen, im Falle des Er folges die faiserliche Familie zu vernichten. Der Süd- Bund" trat mit den polnischen Geheimbünden in Berbindung und schloß mit ihnen ein Waffenbündnis, wobei es abgemacht war. den polnischen Staat und zwar als Republik im Falle des Erfolges wieder herzustellen... In dieser Zeit wurde auch der Allslawische Bund" ( Bund der vereinigten Slawen") gegründet, der sich zum Ziele die Errichtung einer allslawischen föderativen demokratischen Repu blit machte. Dieser Bund schloß sich nach einiger Zeit dem Süd­Bunde an.

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Auch in Nordrußland wurde ein neuer Geheimbund, der fogenannte Nord Bund" gegründet. Die Seele dieses Bundes war der Dichter Rylejem, der aber lange nicht so tatkräftig wie Bestel war. Die Ideologie des" Nord- Bundes" war fast so radital wie die des Süd- Bundes", nur wollte er sich mit der Ber­banmung der taiserlichen Familie begnügen. Die Mitglieder des Nord- Bundes" hatten eine unglückliche Abneigung gegen Bestel. Im Herbst 1825 gelang es, die Bünde provisorisch zu vereinigen, die endgültige Einigungsfonferenz wurde für den Anfang 1826 feft­gefeßt. Der Geheimbund hat folgendes Programm aufgestellt: 1. Aufhebung der Leibeigenschaft( Bestel hat sogar von der Aufteilung des Bodens unter den Bauern gesprochen): 2 Gleichheit sämtlicher Bürger vor den Gefeßen; 3. Deffentlich feit der Staatshandlungen und 4 des Gerichtes; 5. Aufhebung des Weinmonopols; 6. Aufhebung der militärischen Ansiedlungen des Grafen Arattschejew; 7. Verbesserung der Lage der Soldaten; 8. Verminderung der Dienstzeit; 9. Verbesserung der Lage der Geist­lichkeit und 10. Berminderung der Armee in Friedenszeiten."

Sämtliche Verschwörer waren Adlige und fast alle Offiziere. Das ist höchst bemerkenswert einerseits fonnte man aus den Zielen der Verschwörer erkennen, daß sie die Demokratie einführen wollten und gegen die Interessen ihrer eigenen Klasse, des Adels, han delten; andererseits darf man nicht vergessen, daß seit dem Tode Peters des Großen im Jahre 1725 faft fein einziger den Thron ohne die Einmischung der faiserlichen Garde, die ausschließlich aus Adligen bestand, bestiegen hatte. Vielleicht war der Aufstand vom 14. Dezember 1825 der letzte Versuch des Adels, sich in Staats,

Der Weihnachtstag des fleinen Tobias

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Bon Ignat Herrmann .

( Schluß.)

Als er ausgeredet hatte, erhob er sich rasch, ergriff die Müge und die Schlüssel, die am Wäscheschrank lagen und befahl dem Rommis:

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Holen Sie die Laterne, Franz!" Mit diesen Worten verließ er mit dem Burschen das Speise­zimmer. Ein dunkles Geräusch erweckte den kleinen Tobias, der auf den Säcken unterhalb der Gewölbedece eingeschlummert war. Es war das Geräusch der Türe zum Hausflur, als alle feine Kollegen mit dem Brinzipale das Geschäft verließen. Er tonnte sich nicht gleich besinnen, wo er sich befinde, aber allmählich wurde ihm be­wußt, wo er liege und was vorangegangen war. Durch die Wärme mar er geradezu erhigt, infolge der starken Ausdünstung schmerzte ihn der Kopf, und dichte Finsternis und Stille umgab ihn rings. umher. Was geht denn eigentlich vor? Weshalb ist er da? Und jetzt erinnert er sich; sie waren fortgegangen und hatten ihn ver­geffen. Er wußte nicht, war es Abend, Mittag oder Morgen. Und fo troch er, fich auf sein Gedächtnis verlaffend, von den Säden herunter, unten aber beim Fußboden, übermannte ihn die Kälte. Er tappte bis zur Türe, die zur Gaffe hinausging sie war ver Sperrt, und er befühlte den angezogenen Riegel. Er horchte Der. einzelte Baffanten gingen über die Gasse, Tobias tappte in der entgegengesetzten Richtung zur Seitentür weiter, Auch diese war geschlossen Irgend etwas Entfehliches legte sich auf ihn hernieder. Reine Angst, feine findliche Furcht, aber das Grauen des Berlaffen­feins. Schritte verspäteter Bassanten wurden auf der Gaffe ver nehmbar, fie tamen heran, erdröhnten dicht in der Nähe der Eintrittstüre und entfernten sich wieder und niemand weiß, baß er hier eingeschlossen ist und man ihn vergessen hat. Biertelfieben. Jest schlägt irgendwo eine Uhr. Er zählte Früh oder Abend? Er fonnte es nicht erraten. Es war falt. Und fo troch Tobias weder langsam auf die Säcke hinauf, in die aus­gewärmte Atmosphäre. Er streďte die Hand aus und berührte die Gasrohre, der Brenner war noch warm. Es ist also Abend. Hunger fühlte er feinen, übrigens wird er feinen leiden müſſen. in der Schublade hinter dem Pulte befindet sich Brot, von dem alle effen dürfen. Bei den Decken war's warm faft ist es hier oben beffer, als droben in der Schlaftammer. Aber soll er so die ganze

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Ihr Weihnachtsbaum.

angelegenheiten einzumischen! Bielleicht handelten in diesem Falle die Verschwörer sozusagen in ft inttio, indem sie sich feit 100 Jahren berufen sahen, über die Geschicke Rußlands zu walten?!

Man mußte handeln, sonst war man verloren, der Aufstand war für die Zeit gleich nach der Einigungsfonferenz festgelegt. Da( No­vember 1825) ftarb plöglich der Kaiser Alexander kinderlos in Südrußland. Sein rechtmäßiger Nachfolger war sein Bruder Kon­stantin, der Oberbefehlshaber von Polen ; er hatte aber schon lange vorher im geheimen zugunsten seines um vieles jüngeren Bruders Nikolaus, der übrigens sehr unbeliebt war, abgedantt. Kein Mensch, ja sogar Nikolaus selber wußten davon etwas. Diese Aende­rung ftand nur im Testament des verstorbenen Kaisers; aber nach der Meinung mehrerer hoher Beamten fonnte man die Thronfolge

Nacht zubringen? Und jetzt erst befann sich der kleine Tobias, daß heute Christabend ist.

Diese Erinnerung rief in ihm die neue Sehnsucht wach, v07 hier fortzukommen. unter Menschen, gleichgültig wohin. Aber hier vermag er nicht zu bleiben. So fletterte er also wieder herab und tappte sich bis zur Seitentüre vorwärts, flopfte auf fie, zuerst zaq­haft, später aber stärker, doch vergebens! Niemand ging durch den Hausflur und niemand hörte ihn.

Schleppend ging die Zeit vorbei. Der fleine Tobias wußte nicht, wie viele Stunden es währte. Da aber ertönte die Uhr und schlug halb sieben, dann dreiviertel und endlich sieben. Die Finger gelente schmerzten ihn vom Klopfen, vielleicht waren sie schon ge schwollen, er war nicht imftande, die Türe zu berühren. Und ie länger es dauerte, desto mehr beutelte ihn die Kälte. Er faßte den Entschluß, auf die Säcke zurückzuflettern. Wie er aber auf sie herauffroch. öffnete sich die Tür, und der Herr Franz mit der Laterne und hinter ihm der Brinzipal selbst, bleich und total vers stört, traten ein, denn er tonnte ja nicht wissen, was sich ihm für ein Schauspiel darbieten würde.

Tobias!" so erscholl ein zweifacher Ruf aus dem Munde des Stommis und dem des Brinzipals.

Der fleine Tobias troch augenblicklich zum Boden nieder und meldete sich fast zitternd:

Bitte schön.

Der Bruit des Herrn Karas entwand sich ein mächtiges Auf­atmen. Mit großen Schritten näherte er sich dem Knaben und streckt ihm die Rechte entgegen. Als Tobias das bleiche Gesicht und das verstörte Aussehen gewahrte, bückte er sich und wich gefühls. mäßig wie ein Hund, über dem eine Karabatsche geschwungen wird, zur Seite denn er erwartete nichts anderes als Schläge dafür, daß er auf den Säcken eingeschlummert war und verschlafen hatte. Doch die Rechte des Herrn Karas sentte sich leicht auf sein Haupt hernieder und streichelte es beinahe

Was machst du denn da, Tobias?" fragte er und seine Stimme tlang ungewöhnlich milde. Du haft geschlafen, nicht wahr?" Ja," hauchte der kleine Tobias.

" So fomm doch herauf, wir nachtmahlen schon." Jetzt aber bemerkte der Prinzipal das eingetrocknete Blut auf der Schläfe und dem Ohr des Knaben. Nein, je darf er ihn nicht vor die Augen der Frau Christine bringen.

Warte ein bißchen, wisch dich ab," befahl er dem Knaben, aber er wartete es nicht ab. Er ergriff selbst das Handtuch, machte es naß, drückte es aus, begann die Blutfpuren abzuwischen.

Tobias Schwindelte fast der Kopf ob dieser unerwarteten Be­handlung und Fürsorge um ihn, aber noch glücklicher fühlte sich in

FÜR KAISER U VATERLA

B

1914+

Göndör

Beilage des Vorwärts

nicht durch Testamente regeln; folglich war Konstantin der recht­mäßige Kaiser.

Um 14./26. Dezember sollten die Truppen den Eid dem end­gültig als Kaiser anerkannten Nikolaus leisten. Mehrere Regimenter, an deren Spize Berschwörer standen, verweigerten den Eid, meu terten und stellten sich im Karree auf dem riesigen Senatsplatz auf. Bald gingen auch die Kriegsschiffbesaßungen auf die Seite der Auf­ständischen über, so daß die meuternden Truppen eine starke Macht bildeten. Aber es fehlte der Führer, turz: die Soldaten standen da und wußten nicht, was anzufangen war. Der greise Metropolit von Petersburg machte einen vergeblichen Versuch, die Aufständischen zur Waffenstreckung aufzufordern; der Generalgouverneur von Petersburg wurde während einer Ansprache erschossen. Da ent schloß sich der anwesende Nikolaus zu handeln: er befahl" Feuer!"

diesem Augenblick Herr Karas selbst. Er war, mit einer entfeßlichen Angst erfüllt, herabgeeilt, ob sich der Knabe nichts zuleide getan oder sich vielleicht gar das Leben genommen hatte und jetzt fand er ihn ganz und unversehrt wieder. Wirklich, es hätte nicht viel dazu gefehlt und der Chef hätte ihn abgefüßt.

Diese Entdeckung war heute für ihn das schönste Geschenk des Weihnachtsabends.

Er wischte dem Knaben sodann mit dem trockenen Ende des Handtuches das Gesicht ab und sprach:

,, Go, Tobias, jetzt aber flugs hinauf, nimm dir ein reines Hemd, fämm' dich, und bis du in's Zimmer trittst, wünsch' der gnädigen und der alten Frau angenehme und frohe Feiertage lauf', beeil' dich, die Suppe wird man dir noch bringen und mit dem übrigen wollen wir auf dich warten."

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Der Knabe eilte hinaus und der Prinzipal hielt den Kommis noch zurück

Barten's Franz! Da nehmen's zwei Flaschen Russischen mit hinauf und da hab' ich verhin vergessen.

Er zog die Schublade hinter dem Bult heraus, entnahm ihr ein Spiel neuer Karten, stedte sie in die Tasche und ging.

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Und Tobias?" fragte Frau Christine, als der Gatte mit Herrn Franz zurückkam.

,, Gleich wird er da sein," entgegnete Herr Karas, einigermaßen verlegen. Er zieht sich nur um. Er ist im Magazin eingeschlafen nun, wir wollen einen Augenblid warten. Und da haben mir vor. hin vergessen, den Bunsch und die neuen Karten heraufzunehmen. Machen wir vielleicht nach dem Abendessen ein Spielchen? Mit der Mama eine Preferenzpartie!"

Frau Christine heftete auf ihren Gatten einen Blick, aus welchem er lesen fonnte daß sie m seiner Abwesenheit doch erfahren hatte, was unten vorgefallen mar. Aber Frau Christine fühlte es auch wohl heraus, wie es ihr Gatte mit den eigenen Vorwürfen abgebüßt hatte.

An jenem Christabend beneideten zum Schlusse alle anderen Lehrjungen den fleinen Tobias um feine Schläge, die er vom Brin­zipal erhalten hatte; denn es bediente ihn die gnädige Frau selber, legte ihm auf den Teller vor und streichelte ihm die Haare, wobei ihre Finger unauffällig sein verletztes Ohr berührten, und als es zur Bescherung fam, erhief Tobias außer dem, was die übrigen erhielten, noch einen funkelnagelneuen Silbergulden, der zur da­maligen Zeit eine rare Münze war, denn sie foftete einen Papier­gulden und fünfzehn Neugroschen.

( Berechtigte Uebersetzung von 3. Reismann.)